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Beethovens Bestien Ludwig van Beethoven und seine Bediensteten

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Wien ist für ihn das ideale Biotop. Die Musikstadt mit ihren kolossalen Möglichkeiten, die lebensfrohen Dörfer und lieblichen Landschaften rund um die Metropole, die Nähe der Gönner und Mäzene und die schützende Hand zuverlässiger Freunde, dazu die vorzügliche Küche und der bekömmliche Wein: Beethoven könnte, als er sich 1792 auf Dauer in Wien niederläßt, keine bessere Wahl treffen. Auch die beiden Adlaten, die ihm einen Teil seiner Arbeit abnehmen, sind für den notorisch Überlasteten ein Segen: Franz Oliva, der sich wie kein zweiter in Geschäfts- und Banksachen auskennt, führt ihm die Korrespondenz, verhandelt mit den Verlegern und bereitet die Konzerte vor. Sein Nachfolger Anton Schindler liest dem Meister überhaupt jeden Wunsch von den Augen ab, und beide, obwohl unbezahlt und oft genug unbedankt, nehmen ohne Murren Beethovens Launen in Kauf.

Nur mit den Hausleuten gibt es permanent Ärger. Ob Vermieter, Hausmeister oder Dienstboten – ihr Unverständnis, ihre Anmaßung oder einfach ihre Unzulänglichkeit machen dem Genie Ludwig van Beethoven das Leben schwer. Daß er in den fünfunddreißig Jahren, die er in und um Wien zubringt, an die vierzig Mal das Quartier wechselt, sagt alles.

Natürlich ist auch er selber nicht frei von Schuld, wenn er sich laufend mit seiner Umgebung überwirft: Beethovens Temperament duldet keine Kompromisse, die anhaltenden und mit den Jahren noch zunehmenden gesundheitlichen Probleme erhöhen seine Reizbarkeit, Rückgang und Verlust der Hörkraft nähren sein Mißtrauen. Da er zeit seines Lebens niemals in den Ehestand tritt, also keine »femme ménagère« der »wahrhaft admirablen Confusion« seines Hauswesens Einhalt gebietet, kommt dem von ihm engagierten Personal umso größere Bedeutung zu.

Eigentlich sind die Ansprüche, die Beethoven an seine Bedienten stellt, bescheiden. In einem seiner vielen Briefe an Freund Nikolaus von Zmeskall listet er sie auf: Er erwartet eine »gute Empfehlung« und »ordentliches Betragen«, auch sollten sie »nicht mordlustig« sein, »damit ich meines Lebens sicher bin«. Verheiratete zieht er Unverheirateten vor: Von ersteren ist – wenn schon nicht mehr Ehrlichkeit – so zumindest »mehr Ordnung« zu erwarten. Angesichts der »gänzlichen moralischen Verderbtheit des österreichischen Staates« hat Beethoven allerdings Zweifel, ob es leicht sein werde, solch eine »rechtschaffene Person« zu finden.

Dabei verlangt er gar nicht übermäßig viel von ihr. Das Küchenmädchen, das er sucht, soll ihm seine Leibspeisen zubereiten – und zwar so, »daß man gut verdaue«. Da spielt der an chronischen Magen- und Darmbeschwerden Leidende auf »die fortdauernde Schlechtigkeit der Lebensmittel« an, die ihn krank mache. An sonstigen Diensten erhofft er sich von ihr lediglich, daß sie auch »für das Flicken der Hemden brauchbar« sei.

Im September 1813 ist es wieder einmal so weit, daß Beethoven nach einem neuen Domestiken Ausschau hält, Freund Zmeskall soll ihm dabei helfen. Er schreibt ihm aus dem Badener Sommerquartier: »Sollte Ihr Bedienter brav sein und einen Braven für mich wissen, so würden Sie mir eine große Gefälligkeit erweisen, durch den Ihrigen Braven auch mir einen Braven verschaffen zu lassen. Bis Ende dieses Monats geht meine jetzige Bestie von Baden fort, der Bediente könnte also mit Anfang des künftigen Monats eintreten.«

»Bestie«, »Vieh« und »schlechter Mensch« – das ist der Ton, in dem sich Beethoven über sein stetig wechselndes Personal äußert. »Unausstehlich« findet er sie, »ungebildet, viehisch, ja noch unter dem Vieh«. Einem von ihnen hat er »einen Tritt vor den Hintern gegeben und ihn zum Teufel geschickt«. Haushälterin Nanni und Küchenmädel Baberl nennt er »stumpfsinnig«, Nachfolgerin Pepi eine »Verräterin«, die gegen ihn konspiriere, und einem der männlichen Bedienten wirft er vor, »mit falschen Schlüsseln« in anderer Leute Gemächer einzudringen. Am liebsten käme er ganz ohne fremde Hilfe aus: »… ist es mir hart, in den Zustand geraten zu sein, so mancherlei Menschen brauchen zu müssen.«

Je älter Beethoven wird, desto mehr verdrießen ihn die Auseinandersetzungen mit seinen Bediensteten. In über sechzig Briefen schüttet er einer seiner engsten Vertrauten, Nanette von Streicher, sein Herz aus. Die ein Jahr Ältere, Gattin des Klavierbauers Johann Andreas Streicher, steht ihm mit engelhafter Geduld zur Seite, um Beethovens häusliche Probleme zu lösen, und ihr nicht minder menschenfreundlicher Mann läßt es still geschehen, daß sie dafür so manche kostbare Stunde opfert. Beethoven dankt es ihr, indem er sie als seine »Oberhofmeisterin« preist. Nicht nur, daß er sie bei plötzlich entstehenden Vakanzen als Vermittlerin einspannt, überträgt er ihr auch die Kontrolle der Haushaltsrechnungen, und als er schließlich im Umgang mit dem Personal gar nicht mehr aus und ein weiß, schickt er ihr einen umfangreichen Fragenkatalog, den sie auf der Rückseite des Blattes Punkt für Punkt beantworten möge:

»Was gibt man Dienstleuten mittags und abends zu essen – sowohl an der Qualität als Quantität?

Wie oft gibt man ihnen Braten?

Geschieht dies mittags und abends zugleich?

Das, was den Dienstleuten bestimmt ist – haben sie dieses gemein mit den Speisen des Herrn, oder machen sie sich solche besonders, das heißt, machen sie sich hierzu andere Speisen, als der Herr hat?

Wie viel Brotgeld die Haushälterin und Dienstmagd täglich? Wie wird es gehalten beim Waschen? Bekommen die Haushälterin und Dienstmagd mehr?

Wie mit Wein und Bier? Gibt man ihnen solches und wann?

Frühstück?«

Frau von Streicher, die Sanftmut in Person, unternimmt alles, die häuslichen Verhältnisse ihres Schützlings zu verbessern. Seine Klagen reißen dennoch nicht ab. Als ein neues Küchenmädel ins Haus kommt, das beim Holztragen »ein schiefes Gesicht macht«, holt Beethoven zu einem gewagten Vergleich aus: »Ich hoffe, sie wird sich erinnern, daß auch unser Erlöser sein Kreuz auf Golgatha geschleppt hat.« Mit Milde, so folgert er aus ihrem Verhalten, sei da leider nichts auszurichten: »Nicht durch Liebe, sondern durch Furcht müssen diese Leute gehandhabt werden.«Und wie stellt man das an? Etwa, indem er dem Küchenmädel, das ihm auf seine Vorhaltungen »keck und frech« erwidert, damit droht, sie »auf der Stelle aus dem Haus zu jagen«.

Auch Gewaltanwendung ist für Beethoven ein probates Mittel, die Aufmüpfige in ihre Schranken zu weisen: »Die Fräulein N. ist ganz umgewandelt, seit ich ihr das halb Dutzend Bücher an den Kopf geworfen.« Beim nächsten Übergriff ist es gar ein schwerer Sessel, den er ihr »auf den Leib« wirft, und er bereut es keinen Augenblick: »Dafür hatte ich den ganzen Tag Ruhe.«

Wenig hält Beethoven davon, daß Frau von Streicher selber ins Geschehen eingreift: »Sprechen Sie nicht viel mit ihnen«, beschwört er die gute Seele in einem seiner Briefe, »denn es wird dadurch doch nicht besser, macht sie nur noch erboster auf mich.«

Leider hat sich keiner der Gegenbriefe erhalten, und so wissen wir nicht, ob Nanette von Streicher zu all den Anschuldigungen Ja und Amen sagt oder vielleicht doch im einen oder anderen Fall Beethovens Domestiken in Schutz nimmt. Denn eines ist offensichtlich: Das Mißtrauen ihres Schützlings nimmt mehr und mehr pathologische Züge an. Wie kann Beethoven einen seitenlangen Brief an Nanette nur darauf verwenden, ihr den (seinem Diener in die Schuhe geschobenen) Verlust eines einzelnen Strumpfes anzuzeigen und eine solche Bagatelle zum Kriminalfall aufzubauschen?

Überhaupt ist Großzügigkeit seine Sache nicht: Als es wieder einmal um die Anstellung einer neuen Haushälterin geht, bittet Beethoven die als Vermittlerin eingeschaltete Frau von Streicher, zu klären, ob die Betreffende über eigenes Mobiliar verfüge, Bett, Matratze, Kommodekasten. »Wegen der Wäsche sprechen Sie auch mit ihr, damit wir über alles gewiß sind.«

Regelmäßig legt er seiner Beschützerin das »Küchenbuch« zur Überprüfung vor. Um alle Zweifel an der Ehrlichkeit der Haushälterin auszuräumen, möge Nanette von Zeit zu Zeit an Ort und Stelle Stichproben machen: »Sie müssen manchmal beim Essen als ein richtender Engel unverhofft erscheinen, um in Augenschein zu nehmen, was wir haben.«

Besonders gereizt reagiert Beethoven auf den »Verrat«, dessen er jene zwei Domestiken verdächtigt, die sich zur Zeit seiner Vormundschaft für den Neffen Karl mit dessen Mutter Johanna verbünden. Entgegen seinem Willen, die verhaßte Schwägerin von seinem Schützling fernzuhalten, erdreisten sich die beiden Bedienten, die Verbindung zwischen Mutter und Sohn wiederherzustellen, und lassen sich dafür mit Kaffee und Zucker bestechen. Die Angelegenheit regt Beethoven dermaßen auf, daß er darüber krank und folglich auch in seinem künstlerischen Schaffen zurückgeworfen wird.

Seit 1819 ist Beethoven vollständig taub, und das bedeutet: Er lebt in der ständigen Furcht, seine Mitmenschen könnten die zunehmenden Verständigungsschwierigkeiten zu ihrem Vorteil ausnützen und ihn betrügen. Fanny Giannatasio, eine der beiden Töchter des Privatlehrers seines Neffen, berichtet von einem gemeinsamen Gasthausbesuch in Baden, in dessen Verlauf sich Beethoven und der diensthabende Kellner in die Haare geraten, weil man sich beim Abrechnen nicht über die Zahl der verzehrten Semmeln einigen kann …

Es hat also nicht nur Beethoven seine Probleme mit den Bedienten, sondern auch diese mit ihm. Wie soll man einen Haushalt in Ordnung bringen, wenn der Dienstgeber ein solch chaotisches Durcheinander anrichtet und trotzdem jeder Gegenstand an seinem Platz bleiben muß? Näheres über dieses »Allegro di confusione«, wie er es selber spöttisch nennt, erfahren wir aus der Schilderung eines Freundes, der Beethoven in dessen Wohnung einen Besuch abgestattet hat.

Er schreibt: »Bücher und Musicalien in alle Ecken zerstreut. Dort das Restchen eines kalten Imbisses, hier versiegelte oder halb geleerte Bouteillen, dort auf dem Stehpult die flüchtige Skizze eines neuen Quatuors, hier die Rudera eines Déjeuners, dort auf dem Piano auf bekritzelten Blättern das Material zu einer noch als Embryo schlummernden Symphonie, hier eine auf Erlösung harrende Korrektur, freundschaftliche und Geschäftsbriefe den Boden bedeckend, zwischen den Fenstern ein respektabler Leib Straccino, ad latus erkleckliche Trümmer einer Veroneser Salami …«

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