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»Hauskorporal« Kathi Anton Bruckner und Kathi Kachelmaier

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Ach, es ist schon zu verstehen, warum die zwei manchmal so schroff aneinandergeraten – der Bruckner und seine Kathi. Sollte die aus ärmlichen Verhältnissen stammende resolute Person wirklich jede Schrulle des Meisters widerspruchslos schlucken? Gut – gegen ein gewisses Quantum Frömmigkeit und Sittenstrenge hat auch sie nichts einzuwenden. Aber was ihr Dienstgeber da an Keuschheitswahn und Dämonisierung der Frau aufführt – das geht denn doch zu weit! Und sie, die Haushälterin Kathi Kachelmaier, ist es, die das Ganze auch noch organisieren muß, die also beispielsweise an Bruckners Beichttagen keinerlei Damenbesuch zu ihm vorlassen darf. Und läßt es sich einmal doch nicht gänzlich vermeiden, so hat sie zumindest dafür zu sorgen, daß auf dem Klavier der weiße Wollhandschuh bereitliegt, den er überstreift, falls er in die mißliche Lage gerät, vor dem Empfang der heiligen Kommunion einem weiblichen Wesen die Hand reichen zu müssen. Dabei hat ihm sein Beichtvater doch längst den Wahn ausgeredet, daß daran etwas Sündiges sein könnte!

Sie hat’s also nicht immer leicht mit ihrem Dienstgeber, die Kathi Kachelmaier aus Wien. Gezählte sechsundzwanzig Jahre steht sie Anton Bruckner zur Seite – buchstäblich bis zu seinem letzten Atemzug. Anfang Jänner 1870 übernimmt die Vierundzwanzigjährige den Job von Bruckners Lieblingsschwester Anna, die bis dahin für den schrullenreichen Single gesorgt hat. Schon in Linz hat die »Nanni« ihm die Wirtschaft geführt, und als der Vierundvierzigjährige am 1. Oktober 1868 seinen Posten als Professor für Harmonielehre, Kontrapunkt und Orgelspiel am Wiener Konservatorium antritt, zieht sie mit ihm in die Reichshaupt- und Residenzstadt und lebt mit ihm unter einem Dach: in einer Zwei-Zimmer-Küche-Wohnung im zweiten Stock des Hauses Währingerstraße 41. Daß Anna vor der Zeit stirbt, trifft ihn schwer. Seinem Gönner, Domdechant Schiedermayr, klagt er sein Leid und schreibt ihm nach Linz: »Ich mache mir die größten Vorwürfe, daß ich sie alle Hausarbeit verrichten ließ. Hätte ich das geahnt, hätte ich die Unvergeßliche um keinen Preis der Welt mit mir nach Wien ziehen lassen, ja ich selbst wäre eher in Linz geblieben. O, könnte ich jetzt einige Zeit weg von Wien! Alles ist mir durch diese traurige Heimsuchung verleidet worden!« Sein Brief schließt mit der Bitte, der Hochwürdige Herr möge ihm die Gnade erweisen, beim Heiligsten Meßopfer dieser seiner schmerzlichen Gefühle zu gedenken.

Auf dem Währinger Friedhof läßt Bruckner die geliebte Schwester bestatten. Da ihrem überraschend frühen Tod längeres Kranksein voranging, sind hohe Kosten aufgelaufen, die Bruckner nicht aus den laufenden Einkünften decken kann. Er wendet sich daher mit einer Bittschrift ans k.k. Unterrichtsministerium und sucht – unter Hinweis auf »den Versuch einer neuen Symphonie«, die er soeben abgeschlossen habe – um ein Künstlerstipendium an. Es dauert etliche Monate, bis die vierhundert Gulden bewilligt werden. Die sieben Gulden Monatslohn, die er für Annas Nachfolgerin aufzubringen hat, muß er also zunächst von seinen kargen Ersparnissen abzweigen.

Diese Nachfolgerin wird ihm von seinen Hausleuten empfohlen, die sich ihrer bereits als »Zuspringerin«, also einer Art Aushilfe, bedient haben. Sie heißt Katharina Kachelmaier, kommt aus einer Wiener Arbeiterfamilie, ist von einfachem Wesen, jedoch nicht – wie häufig behauptet – eine Analphabetin. Auch macht sie ihren Mangel an höherer Bildung mit Urteilskraft und gesundem Menschenverstand wett, mit Humor und Schlagfertigkeit – und vor allem mit einem Übermaß an Fürsorglichkeit, deren der in den Dingen des praktischen Lebens ebenso unerfahrene wie ungeschickte Bruckner dringend bedarf. Da sie ein strenges Regiment führt, gibt er ihr den Scherznamen »Hauskorporal«, und wenn es zwischen den beiden zu Unstimmigkeiten kommt, bringt Bruckner seine Kathi zum Schweigen, indem er sie darauf aufmerksam macht, sie werde durch ihn zu einer »historischen Persönlichkeit« werden. Trotz aller Selbstzweifel ist der vom oberösterreichischen Dorfschulmeisterssohn zum begabten Sängerknaben, begnadeten Organisten, hochgeschätzten Lehrer und genialen Komponisten mehrerer Messen und Symphonien Avancierte sich seines Ranges wohl bewußt.

Solange Bruckner gesund ist, halten sich Kathis Pflichten in Grenzen. Sie teilt nicht mit ihrem Dienstgeber die Wohnung, sondern kommt nur zu bestimmten Stunden in die Währingerstraße 41, um aufzuräumen und vor allem das Frühstück zuzubereiten. Ins Zimmer darf sie erst, wenn Bruckner fertig angekleidet ist: Es wäre mit seiner angeborenen Schamhaftigkeit unvereinbar, einem weiblichen Wesen im Schlafrock gegenüberzutreten. Nur, wenn er das Frühstück einnimmt, darf Kathi neben ihm stehen und ihm die Neuigkeiten des Tages erzählen. Zieht er sich anschließend zum Komponieren zurück, unterliegt auch sie strengstem Zutrittsverbot. Steht, um des ungestörten Durcharbeitens willen, kein mittäglicher Gasthausbesuch auf dem Programm, deponiert Kathi das von ihr vorbereitete Essen auf dem Küchentisch. Gegen 19 Uhr kehrt sie wieder und kredenzt Bruckner die obligate Nudel- oder Schokoladensuppe; das eigentliche Nachtmahl nimmt er zu später Stunde in einem der von ihm bevorzugten Wirtshäuser ein, begleitet von bis zu zehn Seideln Bier. Nur an den Freitagen meidet er das Gasthaus: Kathi sorgt dafür, daß er die Fastenvorschriften einhält und ausschließlich Fleischloses auf den Tisch kommt. An normalen Tagen sind Geselchtes mit Grießknödeln und Kraut, Schweinsbraten, Kalbsbrust und Gulasch seine Leibspeisen; zum Dessert wünscht er sich »Apfelschlangerln«, Milchnudeln oder Zwetschkenknödel.

Als in späteren Jahren einmal Kollege Hugo Wolf zu Besuch kommt und angesichts der üppigen Tafel Bruckner zu dessen »Appetit« gratuliert, unterbricht dieser wutentbrannt das Essen, fordert Kathi zu unverzüglichem Abservieren auf und raunt ihr zu: »So a Unverschämtheit! Den Flegel lassen S’ ma nimmer eina!« Ungebetene Besucher werden von der Haushälterin überhaupt abgewiesen. Bezüglich der einschlägigen Fachausdrücke total überfordert, sagt sie zur Begründung: »Der Herr Doktor darf nicht gestört werden, er ist am Kombinieren!« Hat er wieder einmal – was sie an den abgebrannten Kerzen erkennt – die Nacht hindurch »kombiniert«, stellt sie ihn anderntags zur Rede und fordert ihn auf, auf seine angegriffene Gesundheit Rücksicht zu nehmen. Bruckners Antwort: »Was verstehn denn Sie davon? Komponieren muß man, wenn einem was einfallt!«

Da Bruckner sehr wohl weiß, welche Stütze er an seiner Kathi hat, bereut er die Grobheit, mit der er sie bisweilen zurechtweist. Als er einmal beim Schlafengehen eine Nadel in seinem Nachthemd findet, die sie beim Flicken übersehen hat, verdächtigt er die Ärmste eines Mordanschlags und droht ihr, sie aus dem Fenster zu werfen. Die Folge: Kathi stürzt wutentbrannt aus dem Haus, Bruckner läuft ihr nach, holt sie aus ihrer Wohnung zurück, bittet sie um Verzeihung und wechselt vom sonst üblichen »Sie« zum vertrauten »Du«. Ja, sie sind schon ein wunderliches Gespann, diese zwei: der cholerische Künstler, der seine hantige »Perle«, wenn sie wieder einmal ausrastet, mild zu stimmen versucht, indem er sich ans Klavier setzt und ihr einen gemütvollen »Landler« vorspielt …

In den spärlichen Briefbotschaften, die sich von den beiden erhalten haben, geht man miteinander sachlich, formell und vor allem knapp um: Ersucht Bruckner die »verehrte Frau Kathi«, sie möge ihm »Schnupftabak und Cigarren« nach Steyr schicken, so hängt er seiner Bitte lediglich ein kurzes »Leben Sie wohl!« an, und wünscht Kathi dem »hochwohlgeborn Herrn Docktor« zum »wehrten Geburtstagsfest«, daß ihn »Gott noch recht lange Jahre erhalten möge«, so beschließt sie ihre Zeilen »mit Handkuß von Kathi«. Ausführlicher äußert sie sich nur, als Bruckner schon schwer krank ist und dringend medizinischen Beistand braucht. Sie schreibt in ihrem rührend unbeholfenen Deutsch an einen der behandelnden Ärzte: »Euer Wohlgeboren! Das Befinden von Hr. Docktor steht es nicht am besten. Er ist zeitweiße ganz verloren, und mit den Apetit ist es auch sehr wenig. Ich bitte Hr. Docktor, wen es Ihre Zeit erlaubt, den Hr. Docktor zu besuchen. Achtungsvoll, Kathi.«

Drei Wiener Adressen sind es, an denen Katharina Kachelmaier ihrem Dienstgeber den Haushalt besorgt: die schon erwähnte Währingerstraße 41, zwischen 1877 und 1895 die etwas größere Wohnung im dritten Stock des Hauses Heßgasse 7 und schließlich – in Bruckners letztem Lebensjahr – das ebenerdige »Kustodenstöckl« im Belvedere, das Kaiser Franz Joseph dem unter schwerer Atemnot Leidenden zur Verfügung gestellt hat.

Da wie dort kommt Bruckner mit einem Minimum an Mobiliar aus: Der einzige »Luxus«, den er sich gönnt (und den er auch so nennt), ist das englische Messingbett mit der hochmodernen Federung, das ihm seine Studenten zum Geschenk gemacht haben. Auf Empfehlung eines offensichtlich mit Farbpsychologie vertrauten Kurarztes werden die Wände des Arbeitszimmers blau gestrichen: Es soll nervösen, reizbaren Menschen Beruhigung verschaffen. An Musikinstrumenten sind ein alter Bösendorfer und ein Harmonium mit Orgelpedal vorhanden, die Badewanne steht im Vorzimmer. Fürs Notenschreiben genügen ihm ein einfacher Tisch mit Lederfauteuil, ein Schubladkasten und zwei mit hohen Wachskerzen bestückte Leuchter.

Ein eigenes Kapitel bildet Bruckners Kleiderkasten, in dem seine sackförmigen, knöchelkurzen Drillichhosen und seine der Bequemlichkeit halber ungestärkten Hemden verstaut sind. Einen wunderlichen Kult betreibt er mit seinen berühmt weiten Röcken, die alle einen bestimmten Namen tragen. Kathi braucht also ein gutes Gedächtnis, um den »Blauen«, den »Weichen«, den »Zottel« und den »G’schnürlten« auseinanderzuhalten. Was Kopfbedeckungen betrifft, kann er zwischen dem gewöhnlichen Schlapphut, dem Sonntagshut und dem »Cylinder« wählen. Schuhe kauft er in solchen Mengen, daß seine »Perle« immer wieder einschreiten und manche der Bestellungen rückgängig machen muß. Die übergroßen und stets knallbunten Taschentücher dienen ihm bei starkem Transpirieren als Schweißfänger und bei Gastbesuchen, zu denen er mit Kuchenspenden aus Kathis Backstube anrückt, als Transportmittel.

Ist die Haushälterin nicht zugegen, verfolgt ihn seit den Tagen des Ringtheaterbrandes eine ständige Angst vor häuslichen Katastrophen: Verläßt Bruckner die Wohnung, werden doppelt und dreifach die Sicherheitsschlösser an der vergitterten Glastür überprüft, und mehr als einmal kehrt er auf halber Strecke wieder um – aus Sorge, es könnte eine der Kerzen nicht gelöscht, das Herdfeuer nicht verglimmt oder der Wasserhahn nicht abgedreht sein.

In Bruckners letzten Lebensmonaten, die von einer Vielzahl körperlicher Leiden verdüstert sind, nimmt Kathis Arbeitspensum solchen Umfang an, daß sie außer einer Krankenpflegerin auch ihre Tochter Ludovika einspannen muß: Der Einundsiebzigjährige kann kaum noch einen Schritt ohne Begleitung tun, die früher so reichliche Kost muß auf strenge Diät umgestellt werden, und da es zu dieser Zeit noch kein Telefon gibt, können die Ärzte nur per Boten herbeigerufen werden. Als es am 11. Oktober 1896, fünf Wochen nach seinem zweiundsiebzigsten Geburtstag, mit Bruckner zu Ende geht, ist es Kathi, die, im Fauteuil neben dem Krankenbett sitzend, dem Sterbenden zur Seite ist und ihm den letzten Tee bereitet.

Das Testament, das Anton Bruckner hinterläßt, hat er schon vor drei Jahren aufgesetzt; es sieht seine beiden noch lebenden Geschwister Ignaz und Rosalia als Universalerben vor. Doch auch Katharina Kachelmaier wird mit einem – allerdings spärlichen – Vermächtnis bedacht. Der betreffende Passus lautet: »Meiner Bedienerin vermache ich in Anerkennung der mir geleisteten vieljährigen treuen Dienste einen Betrag von 400 Gulden. Für den Fall, daß sie bis zu meinem Ableben meine Bedienung noch besorgt, soll dieselbe noch weitere 300 Gulden erhalten, so daß sie bei Eintritt dieser Voraussetzung zusammen 700 Gulden bekommt. Ich wünsche, daß dieses Legat von meinen Erben ohne jedweden Abzug sogleich nach meinem Ableben ausbezahlt werde.«

Ignaz Bruckner sorgt dafür, daß alles im Sinne des Verstorbenen abgewickelt wird, und damit die nunmehr einkommenslose Kathi in den verbleibenden fünfzehn Lebensjahren nicht der völligen Verarmung ausgeliefert ist, unterstützt er sie mit laufenden Zuwendungen im Gesamtausmaß von 1000 Gulden. Als sie schließlich zum Sozialfall wird und in geistige Umnachtung verfällt, verschafft er ihr eine Dauerbleibe im Pavillon 15 des Spitals Am Steinhof. Am 23. März 1911, fünf Wochen nach ihrem fünfundsechzigsten Geburtstag, stirbt Katharina Kachelmaier; auf dem Wiener Zentralfriedhof wird sie bestattet. Die Prophezeiung ihres Dienstgebers, sie werde durch ihn zu einer »historischen Persönlichkeit« werden, geht in Erfüllung: Es gibt keinen Bruckner-Biographen, der es unterließe, Kathis Rolle an der Seite des »Musikanten Gottes« zu würdigen.

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