Читать книгу Wien - Dietmar Grieser - Страница 8
Eine gute Partie Clemens Lothar Wenzel von Metternich
ОглавлениеDurch die Revolution haben sie alle ihre linksrheinischen Besitzungen an die Franzosen verloren. Wenn sie also noch einmal einen Neuanfang wagen wollen, wäre Wien die ideale Wahl. Vor allem ihres Erstgeborenen wegen: Clemens, der brillantere der beiden Söhne, schon mit 17 (wenn ihn der Vater als Zeremonienmeister des Grafenkollegs zur Kaiserkrönung Leopolds II. nach Frankfurt mitnimmt) ein vollendeter Kavalier, soll als Diplomat Karriere machen. Und, wenn irgend möglich, reich heiraten.
Die Pläne der Familie Metternich gehen voll auf: Wien hält, was es verspricht. Ja, weit mehr als das: Durch die Eheschließung mit der Enkeltochter des weiland Staatskanzlers Kaunitz ist der 22-Jährige aus dem Rheingau ein gemachter Mann. Den »Rest« besorgt er selbst: Kein österreichischer Staatsmann vor ihm verfügte, als er das Amt des Kanzlers antrat, über eine solche Machtfülle wie er …
Die Metternichs residieren am Rhein, ihr Stammsitz ist unweit von Koblenz, der Hauptstadt des Kurfürstentums Trier. Hier kommt am 15. Mai 1773 Sohn Clemens Lothar Wenzel zur Welt. Der Vater, Reichsgraf Franz Georg zu Metternich-Winneburg, ist ganz auf die Habsburger eingeschworen, dient Maria Theresia, die gerade ihren 56. Geburtstag gefeiert hat und gemeinsam mit ihrem ältesten Sohn Joseph die Geschicke Österreichs, der Niederlande, der Lombardei, Parmas, Piacenzas und der Toskana lenkt, als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister. Aber gar so toll, wie es klingt, ist ein solcher Posten auch wieder nicht: Graf Metternich setzt alle seine Hoffnungen auf den in der Tat vielversprechenden älteren Sohn.
Bis an die Grenze der Lächerlichkeit eitel, rühmt sich die Familie bedeutender Vorfahren: Seit Jahrhunderten im Rheinland ansässig, stammte ihr Ahnherr ursprünglich aus Preußen und sei Gaugraf unter Karl dem Großen gewesen. Metter habe er geheißen, und als die unbotmäßigen Sachsen sich wieder einmal weigerten, ihren heidnischen Sitten abzuschwören, gegen den Kaiser rebellierten und in diesem Zusammenhang auch Graf Metter der Untreue bezichtigt wurde, habe Karl bloß den Kopf geschüttelt und erwidert: »Nein, der Metter nicht!«
Das klingt nach Anekdote – und ist es wohl auch. Fest steht nur, dass sich die Metternichs seit Beginn des 14. Jahrhunderts nach einem Dorf gleichen Namens nennen, das noch heute in der Nähe von Euskirchen, einer Kreisstadt im Regierungsbezirk Köln, existiert. Die Winneburg hingegen, von der sich ihr zweiter Name ableitet, ist bloß noch (hoch über der Mosel unweit des Städtchens Cochem) als Ruine erhalten. Und die böhmischen Ländereien – in der legendären Schlacht auf dem Weißen Berg hat einer der Vorfahren Schloss Königswart bei Marienbad erkämpft – wird man erst wieder »aktivieren« müssen: Der später auch durch Besuche Goethes, Beethovens und Stifters zu Berühmtheit gelangende Stammsitz befindet sich zu der Zeit, da Clemens Metternich heranwächst, in den Händen gefinkelter Verwalter, die hinter dem Rücken der Herrschaft ein stattliches Vermögen anhäufen.
Vater Metternich hat unterdessen alle Mühe, sein kleines »Reich« an Rhein und Mosel zusammenzuhalten. Die Zeiten sind ungünstig, die »französische Gefahr« wird von Jahr zu Jahr größer, und auch der monströse Aufwand, den ihn die Teilnahme an den Frankfurter Krönungsfeierlichkeiten für Kaiser Leopold II. und Kaiser Franz II. kostet, reißt empfindliche Löcher in das Vermögen des Reichsgrafen, der sowieso in Geldsachen nicht der Geschickteste ist.
Da wiegt es umso schwerer, dass seine Gemahlin, die einem alten habsburgertreuen Breisgauer Geschlecht entstammende Beatrix von Kagenegg, ihrem Erstgeborenen ein anderes, nicht in Geldwert zu messendes und somit krisenfestes Erbteil auf dessen Lebensweg mitgibt: die attraktive äußere Erscheinung, das sinnliche Temperament. Die Gabe, seine Verführungskünste nicht nur zur persönlichen erotischen Befriedigung, sondern immer auch zur Erreichung seiner Karriereziele einzusetzen, hat er eindeutig von der Mutter, und sie ist es auch, die bei der Anbahnung seiner alles entscheidenden ersten Ehe die Fäden zieht …
Aber noch ist es nicht so weit. Zuerst einmal muss für die nötige Erziehung und Ausbildung gesorgt sein. Clemens kommt unter die Obhut vortrefflicher Hauslehrer und Hofmeister, und da man in den besseren Kreisen von Koblenz eher nach Paris als nach Wien blickt, ist auch bei den Metternichs nicht Deutsch, sondern Französisch die Umgangssprache. Mit 16 bezieht der »junge Herr aus großem Haus«, dem seine Biografen schon zu dieser Zeit »wählerischen Geschmack, sorgfältiges Auftreten und liebenswürdigste Eitelkeit« bescheinigen, die hochangesehene Universität von Straßburg, die ein anderer großer Ehrgeizling jener Zeit gerade eben verlassen hat: Napoleon Bonaparte. Dass ihn, den vier Jahre Jüngeren, in den Fächern Mathematik und Fechtkunst dieselben Professoren ausbilden wie Frankreichs künftigen Kaiser, wird eine der vielen Anekdoten sein, mit denen Metternich später seine Autobiografie ausschmücken kann.
Straßburg hält allerdings auch böse Überraschungen für den Jüngling aus Koblenz bereit: Hier erlebt er den Schock der Revolution, wird Zeuge, wie – eine Woche nach dem Sturm auf die Pariser Bastille – die aufgebrachte Volksmenge das Rathaus der Stadt besetzt und alles kurz und klein schlägt. »Meine Seele versank in Trübsal!«, wird er später das in diesen Tagen des Umbruchs Erlebte kommentieren und sein künftiges Weltbild zimmern, zu dem friedlicher Kompromiss und gewaltlose Geheimdiplomatie ebenso gehören wie starre Restauration und unerbittliche Unterdrückung.
Für die Metternichs bedeutet die Revolution zunächst einmal schlicht und einfach, dass sie aus ihrem Stammland vertrieben werden und unter dem Schutzmantel der Habsburger, denen sie dienen, Zuflucht suchen müssen. Doch statt den direkten Weg nach Wien zu wählen, nähern sie sich der Metropole schrittweise: Schloss Königswart, das Stammgut in Böhmen, erweist sich als die ideale Absprungbasis. Hier – es ist Oktober 1794 – kann der 21-jährige Clemens nach erfolgreichen Zwischenspielen in den Niederlanden und in London zeigen, wie man durchgreift. Nur zwei Monate braucht er, um das heruntergewirtschaftete Anwesen in Ordnung zu bringen, die betrügerische Administration zu entmachten, die Erträge zu mehren.
Junger Herr aus großem Haus: Clemens Lothar Wenzel von Metternich
Unterdessen wirft Mutter Beatrix in Wien ihre Fangnetze aus, um für den Erstgeborenen die begehrte gute Partie auszumachen. Die Schwiegertochter des kurz zuvor verstorbenen Fürsten Kaunitz, Maria Theresias Staatskanzlers, ist eine Jugendfreundin: Die Kaunitz-Enkelin Maria Eleonore, gerade 19 geworden und Erbin eines gewaltigen Vermögens, ist genau die Frau, die der junge Metternich braucht, um in den Wiener Hochadel »einzusteigen« und sich zugleich finanziell zu sanieren. Dass sie weder eine Schönheit noch von anziehendem Wesen ist, nimmt der kühl berechnende Bräutigam still in Kauf, und was die Zeugung von Nachwuchs anlangt, so ersetzt Clemens Metternich zärtliche Liebe einfach durch Disziplin.
Schon in den ersten Ehejahren – die Hochzeit findet am 27. September 1795 auf der Burg von Austerlitz, dem böhmischen Stammsitz der Kaunitz, statt – leistet sich Metternich Seitensprünge, und sogar in französischen Zeitungen kann man Berichte wie diesen lesen: »Nicht selten sieht man ihn Frau und Kinder der Gesellschaft Fremder überlassen, um ein kleines Souper mit Schauspielerinnen abzuhalten.« Sein Biograf Humbert Fink sagt es so: »Er verführt und genießt, er lässt sich verführen und gewährt Genuss.«
Später – da hat er schon die ersten Stufen der Karriereleiter erklommen, liegen die Jahre als österreichischer Gesandter beim sächsischen Hof in Dresden, beim Königreich Preußen in Berlin sowie in Paris hinter ihm – wird er dem bloßen Sinnesgenuss noch das berufliche Kalkül hinzuzufügen wissen: »Die Frauen, die er liebte«, urteilt ein weiterer seiner Biografen, Heinrich Srbik, »waren ihm zugleich Quell politischer Information.«
Je älter Metternich wird, desto mehr lernt er das behagliche Leben in Wien schätzen: Auch in dieser Hinsicht ist aus dem gebürtigen Rheinländer längst ein überzeugter Österreicher geworden.
Sechs Jahre leitet er nun schon – als Nachfolger des Grafen Stadion – das Außenamt am Ballhausplatz, soeben hat er – als Krönung dieses Lebensabschnitts – den Wiener Kongress hinter sich gebracht, da kann er endlich das für ihn errichtete Palais am Rennweg beziehen. Die mit den erlesensten Kunstschätzen vollgestopfte »Villa Metternich« ist von weitläufigen Gärten umgeben, die ihm, wenn er mit seinen hohen Besuchern durch das Areal flaniert, zum Gedankenaustausch dienen. Den Sommer verbringt man entweder auf dem eigenen Landgut in Böhmen oder auf den mährischen Besitzungen seiner Frau.
Am 19. März 1825 – Clemens Lothar Wenzel von Metternich, vom dankbaren Kaiser Franz I. in den Fürstenstand erhoben, leitet seit knapp vier Jahren als Haus-, Hof- und Staatskanzler die österreichischen Regierungsgeschäfte – stirbt Gattin Maria Eleonore. Seine Witwerschaft währt nur kurz, noch im selben Jahr tritt Metternich ein zweites Mal vor den Traualtar. Doch auch Antoinette Freiin von Leykam verlässt ihn nach kurzer Ehedauer, stirbt 1829 im Kindbett. Selbst die junge Komtesse Melanie aus dem Hause Zichy-Ferraris, die er 1831 zur Frau nimmt, überlebt er um fünf Jahre: Sie stirbt an Krebs.
Metternich, nicht eben ein Ausbund an Fleiß, weiß seine Dienstpflichten so effizient wahrzunehmen, dass ihm ausreichend Zeit fürs Privatleben bleibt. Zwischen acht und neun steht er auf, um sich nach dem Frühstück seiner Familie zu widmen, die Erledigung der vormittäglichen Amtsgeschäfte nimmt für gewöhnlich drei Stunden ein. Lässt das Wetter es zu, so steht ein kurzer Ausritt auf dem Programm, am Nachmittag wird die Korrespondenz erledigt und die Spitze der ihm unterstellten Beamtenschaft zum Rapport empfangen. Der wichtigste Termin ist – regelmäßig um 19 Uhr – die Audienz beim Kaiser, die zwischen einer und anderthalb Stunden dauert. Mit kurzer Aktendurchsicht, der Entgegennahme der Berichte der aus allen Teilen des Reiches eintreffenden Kuriere und dem Empfang befreundeter Diplomaten klingt der Tag aus, gegen Mitternacht geht Metternich zu Bett.
1846 wird die Villa Metternich abgerissen, der dreigeschossige klassizistische Neubau, der an ihrer Stelle entsteht, folgt in seiner äußeren Gestalt Vorbildern des römischen Cinquecento (und beherbergt heute, um 1900 abermals erweitert, die italienische Botschaft). Doch kaum hat der inzwischen 75-Jährige die neuen Gemächer bezogen, da muss er sie auch schon wieder verlassen: Die März-Revolution von 1848, die das Haus Habsburg hinwegzufegen droht und nicht zuletzt ihm, dem als Tyrannen und Zensor verhassten »Fürsten Mitternacht«, gilt, zwingt ihn zur Flucht aus Wien, ehe der entfesselte Mob seinen Besitz stürmt und plündert.
Erst als er 1851 aus dem Exil zurückkehrt, ist es Metternich vergönnt, die Annehmlichkeiten seiner neuen Residenz in vollen Zügen zu genießen – und dies umso mehr, als er nun, aller offiziellen Funktionen entkleidet, nur mehr im Stillen wirkt: der hochdekorierte Pensionär, der sich in die Rolle des souveränen Ratgebers zurückzieht.
Wie haben wir uns den greisen Metternich vorzustellen? Einer seiner Besucher gibt darüber zu Protokoll: »Seine hohe, fast hagere Gestalt erschien noch ungebeugt von der Last des Alters, dessen Einflüssen er gleichwohl erliegen mußte. Sein schneeweißes, feines, doch volles Haar, die scharfen Falten im Gesicht, die außerordentliche Schwerhörigkeit beweisen dies zur Genüge. Des Fürsten Antlitz, vom Alter geklärt, zeigte die Spuren jener ehemaligen Schönheit, die Männer wie Frauen einst gleichmäßig bewundert hatten. Noch jetzt war es schön, adelig in allem, wenn auch gespitzt und abgemagert. Die edel gebogene, ziemlich starke Nase; der fein geschlitzte Mund mit roten Lippen; der weiße, zarte, wächserne Teint; zwei helle, große, blaue Augen unter einer stark gewölbten Stirn – nichts war unschön oder unfein geworden, der ganze Kopf war ein Meisterwerk der alternden Natur. Die Kleidung war einfach, schwarz, ein Oberrock. Das Zimmer, in dem der Fürst seine Besuche empfing, war geschmackvoll und traulich. Es war ein Wohnzimmer bester Art, hoch, hell und groß. Schwere Teppiche bedeckten den Boden. An den Wänden entlang standen Schränke, Tafeln und Tische von Nußbaumholz ohne steife Symmetrie, auf ihnen lagen Bücher. Hier stand eine Stutzuhr, dort ein Globus, darunter Kartons und, wie es schien, eine Mineraliensammlung.«
1859, im Todesjahr des vormals Allmächtigen (und wie man gleich sehen wird: nach wie vor Begehrten), kommt es in dessen Palais am Rennweg noch zu einer letzten spektakulären Begegnung, die, von der Enkelin des Hausherrn, Pauline Metternich, heimlich belauscht, in der Folge eine Menge Staub aufwirbeln wird: Kaiser Franz Joseph, von seinen außenpolitischen Einflüsterern in eine ausweglose Lage manövriert, sucht Rat, und er tut es zu ungewöhnlicher Stunde. Notorischer Frühaufsteher, der er ist, fährt er zwischen 5 und 6 Uhr beim Palais Metternich vor, im Morgengrauen kann man die beiden Gestalten, den knapp 86-Jährigen auf den Arm des 28-Jährigen gestützt, über die Parkwege schreiten sehen.
Zwei Monate darauf stirbt Metternich, vom Leibarzt Jäger, seinem langjährigen Vertrauten, bis zum letzten Atemzug umsorgt.