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Hoher Besuch Tausendsassa Albert Lortzing

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Beethoven, Brahms und Gluck – unter den aus Deutschland stammenden Wahlwienern von Rang stellen vor allem die Komponisten einen Löwenanteil. Auch der Berliner Albert Lortzing versucht in der Donaumetropole sein Glück: Franz Pokorny, der Direktor des Theaters an der Wien, hat dem 44-Jährigen einen Zweijahresvertrag als Kapellmeister angeboten; außerdem sollen in Wien dessen Opern Der Waffenschmied und Undine aus der Taufe gehoben werden.

Die Vorfreude auf die neue Wirkungsstätte ist groß, als Lortzing 1846 mit seiner neunköpfigen Familie anrückt: »Wie miserabel kommt mir jeder vor, der nicht in Wien engagiert ist!«, schreibt er an einen seiner Freunde. Doch der Jubel weicht schon bald resigniertem Klagen über die korrupten Kritiker, über die Vorliebe des Publikums für italienische Musik und vor allem über die hohen Lebenshaltungskosten im Gastland.

Damit die Lortzings finanziell über die Runden kommen, müssen sie sich also nach Zusatzeinkünften umsehen: Gattin Rosina versucht sich – mitten in der Weltstadt Wien! – als Nebenerwerbsbäuerin. In den Stallungen, die ihrem Wohnhaus auf der Wieden attachiert sind, ist reichlich Platz für Nutzvieh: Man schafft sich Kühe an und verkauft an die Anrainer Frischmilch. Die Folge: Der Steuerbogen, den in späterer Zeit die Heimatforscher aus den Archiven ausgraben werden, weist Albert Lortzing nicht nur als Kapellmeister, sondern auch als »Milchmeyer« aus …

Das Einzige, was ihm in diesen zwei Jahren in der Reichshaupt- und Residenzstadt ungetrübte Freude bereitet, ist der anhaltende Erfolg seiner nun schon neun Jahre alten Oper Zar und Zimmermann: Das verwöhnte Hofopernpublikum im Kärntnertortheater jubelt dem Spiel vom Zimmermannsgesellen, der sich als Kaiser entpuppt, mit noch größerem Enthusiasmus zu als die Leipziger, die bei der Uraufführung am 22. Dezember 1837 den Komponisten auch als Darsteller erleben durften: Lortzing sang die Partie des Vagabunden Peter Iwanow.


Im Haus des Zimmermanns Gerrit Kist fand der streng inkognito reisende Zar Unterschlupf.

Ja, er ist schon ein wahrer Tausendsassa, dieser Sprössling eines von Stadt zu Stadt ziehenden Berliner Schauspielerehepaares: Die starken Schwankungen des Familienbudgets mit Honoraren als Notenkopist ausgleichend, findet auch der Junior bereits früh Unterschlupf auf der Bühne, singt da und dort Tenor- und Buffo-Partien, und noch als Minderjähriger schreibt er seine erste eigene Musik: Chor und Tanz zu dem Kotzebue-Schauspiel Der Schutzgeist.

Auf den Stoff zu Zar und Zimmermann, seinem erfolgreichsten Werk Marke »Heitere Spieloper«, stößt Lortzing schon mit 19, als er in der deutschen Fassung des Pariser Singspiels Der Bürgermeister von Sardam die Rolle des französischen Gesandten Chateauneuf übernimmt, der dem als Zar entlarvten Handwerksburschen seine Aufwartung machen will. Als er 16 Jahre später darangeht, selber aus der zugkräftigen Verwechslungskomödie – und zwar in Personalunion von Librettist und Komponist – eine Oper zu machen, hat er sich gegen stärkste Konkurrenz durchzusetzen: In Wien hat man Die Jugendjahre Peters des Großen, in Strassburg Der Kaiser als Zimmermann, in Parma und Lissabon Pietro il Grande, in Paris Pierre le Grand und in Neapel Donizettis Il Borgomastro de Saardam auf die Bühne gebracht. Doch Lortzings Wagemut, dem Überangebot zum Trotz den abgegriffenen Stoff für eine eigene Variante aufzugreifen, macht sich bezahlt: Mit Zar und Zimmermann sticht er alle seine Mitbewerber aus – und das auf Dauer.

Die Geschichte ist aber auch zu schön! Und noch etwas: Sie ist im Kern historisch, hat sich wirklich zugetragen. Anno 1697/98 in dem holländischen Schiffbauerstädtchen Zaandam …

Peter I., den man später »den Großen« nennen wird, ist 24, als er im Kreml die Macht übernimmt. Bis zum frühen Tod seines Halbbruders Iwan hat er sich mit dem Schwachsinnigen den Thron geteilt, nun ist er endlich der alleinige »Zar aller Reußen«. Der junge Mann hat ehrgeizige Pläne: Durch einen Schweizer Glücksritter namens François Le Fort unter den Einfluss der in Moskau etablierten Ausländerkolonie geraten, will er seinem rückständigen Land einen kräftigen Modernisierungsschub verpassen und dessen jahrhundertelange Abschottung vom Westen beenden, und dazu wird es nötig sein, sich von der hochentwickelten Zivilisation solcher Staaten wie England, Holland und Preußen persönlich ein Bild zu machen. Das ist freilich leichter gesagt als getan: Bis in die allerhöchsten Kreise Russlands gelten Auslandsreisen zu dieser Zeit als streng verpönt. Es bleibt ihm also nichts anderes übrig, als die geplanten Inspektionen inkognito durchzuführen.


Zar Peter I., von Albert Lortzing in der komischen Oper Zar und Zimmermann verewigt; hier sein Denkmal in Zaandam

270 Mann zählt der Tross, der im März 1697 in Richtung Westen aufbricht: Angeführt von dem schon erwähnten »Sonderbotschafter« Le Fort, gehören der Delegation auch 55 Edelleute und »Volontäre« an, darunter ein subalterner Unteroffizier namens Peter Michailow, hinter dessen Namen und Maske sich niemand anderer als der solcherart aller protokollarischen Pflichten ledige Zar verbirgt. Wenn es also darum geht, in den westlichen Machtzentren wichtige Kontakte zu knüpfen, die diversen Hauptstädte zu besichtigen und deren Errungenschaften zu inspizieren, bleibt der eigentliche Drahtzieher des ungewöhnlichen Unternehmens stets im Hintergrund und kann auf diese Weise umso ungestörter Eindrücke sammeln.

Über Riga, Memel und Königsberg erfolgt die Anreise, am Morgen des 18. August 1697 trifft man zu einem Abstecher im Zentrum des niederländischen Schiffsbaues, dem wenige Kilometer nordwestlich von Amsterdam gelegenen Städtchen Zaandam, ein. Der Zar, der schon in Moskau seine Verbindungen zu den dort lebenden Handwerkern aus Deutschland und Holland dazu verwendet hat, ihnen bei der Arbeit über die Schulter zu blicken, will sich in seinen eigenen Fertigkeiten vervollkommnen, und wo könnte er das besser als in der Heimat dieser ebenso kenntnisreichen wie fleißigen Leute, wo Schiffbau und Seekriegsführung einen beneidenswerten Höchststand erreicht haben?

Um die acht Tage, die für den Aufenthalt in Zaandam vorgesehen sind, optimal zu nutzen, beziehen Peter und sein Gefolge in einer einfachen Herberge Quartier, streifen sich eiligst herbeigeschaffte Seemannsanzüge über, blicken sich zum Schrecken der Einheimischen ungeniert in deren Häusern und Werkstätten um, mieten ein Segelboot, um Leben und Treiben in der Bucht zu erkunden, und einige aus der Eskorte, darunter der unerkannte Zar, verdingen sich sogar bei einer der Schiffswerften, um den dortigen Zimmerleuten ihre Berufsgeheimnisse abzuluchsen. Gerrit Claesz Pool, Werkmeister bei der Firma Lijnsz, Teeuwisz & Rogge, ahnt nicht, dass es der Kaiser von Russland ist, dem er da – unter dessen Decknamen Peter Michailow – per Zertifikat bescheinigt, er habe sich »als ein fleißiger und tüchtiger Zimmermann benommen«, sei im »Hobeln, Behauen, Bohren, Sägen, Stoßhölzeranlegen, Bröwen und Abkrabben« ebenso unterwiesen worden wie in den Feinheiten der Schiffsarchitektur und Zeichenkunst und habe mit seiner Hände Arbeit sogar zur Fertigstellung einer in Bau befindlichen Fregatte sein Teil beigetragen.

Noch Monate nach der Abreise der seltsamen Fremdlinge bleibt das »Russenspektakel« im kleinen Zaandam das beherrschende Tagesgespräch – und nicht nur unter den örtlichen Handwerkern, sondern auch in den Wohnhäusern, wo die ungebetenen Gäste Unterkunft gefunden, und in den Schlafkammern der Dienstmägde, wo sie, so manchen Dukaten hinterlassend, der Sinneslust gefrönt haben.

Wien ist die nächste Station – hier allerdings muss überstürzt zur Heimreise geblasen werden: Die Strelitzen, so wird aus Moskau gemeldet, sind dringend in ihre Schranken zu weisen, die aufmüpfige kaiserliche Leibgarde bereitet eine neue Revolte vor.

Auch andere Aufgaben warten in der Heimat auf den Zaren: Unter dem Eindruck seiner Studienreise geht er nun mit verstärkter Kraft daran, Land und Leute nach westlichem Vorbild umzumodeln. Peter I. stellt den russischen Kalender aufs christliche Zeitmaß um, aus 7208 wird das Jahr 1700, und statt wie bisher am 1. September wird fortan am 1. Jänner Neujahr gefeiert. Seinen Höflingen verbietet er das Tragen von Vollbärten – beim gemeinen Volk eckt er damit allerdings an, sie sehen darin einen gotteslästerlichen Übergriff, und da nicht einmal die von ihm verhängte Bartsteuer Wirkung zeigt, geht Seine Majestät dazu über, ständig eine Schere bei sich zu tragen und, wo immer er auf widerspenstige Untertanen trifft, eigenhändig deren Bart zu stutzen. Ähnlich verfährt er mit dem chirurgischen Instrumentarium, das er von seiner Reise mitgebracht hat: Es bereitet ihm größte Lust, sowohl bei Obduktionen wie bei Operationen selbst mit Hand anzulegen, und die Chroniken berichten sogar von Fällen, wo Zar Peter wildfremden Menschen mit geschwollener Backe, denen er in den Straßen von Moskau begegnet, gegen deren Willen die faulen Zähne zieht.

Natürlich beschränkt sich das Reformwerk Peters I. nicht aufs anekdotisch Überlieferte: Er gründet Schulen, setzt Kommissionen zur Bekämpfung von Amtswillkür und Korruption ein, tüftelt an einer neuen Rechtsordnung, verbannt unfähige Beamte nach Sibirien, lässt wissenschaftliche Werke aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden ins Russische übersetzen, gründet das erste öffentliche Theater von Moskau und lässt schließlich – Krönung seines Lebenswerkes – im Sumpfgebiet der Newa-Mündung Russlands künftige Hauptstadt errichten, die seinen Namen tragen wird: St. Petersburg.

Ins kleine Zaandam, wo er sich die nötigen Kenntnisse für den nun auch in Russland aufblühenden Schiffsbau geholt hat, kehrt Peter I. noch weitere zwei Mal zurück: zunächst ein Jahr nach der ersten Visite und schließlich 1717 (da hat er bereits seine spätere Gattin und Nachfolgerin Katharina I. an seiner Seite). Die Bürger von Zaandam, die es nun nicht mehr mit einem vermeintlichen Zimmermannsgesell, sondern mit einem der mächtigsten Potentaten der Welt zu tun bekommen, wissen die große Ehre zu schätzen: Das Czaar Peter Huisje dicht am Ufer der Zaan – exakte Adresse: Up de Krimp Nr. 24 – zählt bis zum heutigen Tag zu den bestgehüteten Nationalheiligtümern der Niederlande. Es ist das winzig kleine Anwesen jenes Zaandamer Zimmermanns Gerrit Kist, in dem der Schiffsbauergeselle Peter Michailow alias Zar Peter I. während seines ersten Aufenthalts in dem holländischen Städtchen anno 1697 Quartier bezogen hat.

Das ganz aus Holz gezimmerte Häuschen mit dem übergroßen Rauchfang, dem steilen Rundziegeldach und den Puppenstubenfenstern wechselt in der Folgezeit mehrmals den Besitzer, bis es schließlich so etwas wie eine russische Exklave wird: Der niederländische König Willem I. macht den kleinen Besitz der mit seinem gleichnamigen Sohn verehelichten Großfürstin Anna Pawlowna zum Geschenk, und Zar Nikolaus II. wird ihn gar mit einer Schutzmauer versehen, welche die mit der Zeit brüchig werdende Holzkonstruktion vor Sturmschäden bewahren soll.

Drei Dinge sind es vor allem, auf die keiner der Wärter, die jahraus, jahrein die aus aller Welt herbeiströmenden Touristen durch das Czaar Peter Huisje geleiten, hinzuweisen versäumt: Da ist einmal die für einen Zwei-Meter-Hünen wie Peter I. viel zu niedrige Pforte, sodann die winzige Bettnische, in der er nur mit angezogenen Knien, wenn nicht überhaupt im Sitzen geschlafen haben kann, und schließlich – Reminiszenz an Napoleons Besuch der historischen Stätte – die hölzerne Wandtafel mit dem sowohl in Russisch wie in Niederländisch festgehaltenen Ausspruch »Nichts ist dem großen Mann zu klein«.

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