Читать книгу Es ist nie zu spät - Dietmar Grieser - Страница 10

»Nichts bleibt immer so …«

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Es muß um die Mitte der Siebzigerjahre gewesen sein: Der Tukan-Kreis, ein renommierter Organisator literarischer Soireen im damaligen München, hatte mich zu einer Lesung eingeladen. Die Veranstaltung fand in einem der Säle des eleganten Hotels Regina statt, es ging um eines meiner ersten Bücher, und ich durfte mich über eine ebenso zahlreiche wie verständige Zuhörerschaft freuen. Als ich mich nach getaner Arbeit dem von meinem Verlag bereitgestellten Bücherstand zuwandte, um den diversen Signierwünschen nachzukommen, schwirrte eine nicht mehr ganz junge Fotoreporterin um mich und meine Klientel herum und drückte aus den verschiedensten Blickwinkeln auf den Auslöser. Ich fühlte mich geschmeichelt von dem medialen Interesse, kümmerte mich aber ansonsten nicht weiter um die mir fremde, schätzungsweise sechzig Jahre alte Blondine. Erst, als eine der Zuhörerinnen mich mit bedeutungsvollem Augenaufschlag fragte, ob ich wisse, wer da mit seiner Kamera am Werk sei, nahm ich die Reporterin etwas näher ins Visier, und da auf einmal kam mir das Gesicht bekannt vor. »Ja, das ist doch«, fragte ich erstaunt, »das ist doch …«

»Richtig!«, hörte ich mein Gegenüber antworten. »Kristina Söderbaum!«

Rasch klärte sich die Sache auf: Die aus Schweden stammende und im Deutschland der Dreißiger- und Vierzigerjahre zum Filmstar avancierte Schauspielerin mit dem weißblonden Haarschopf und den wasserblauen Augen, seit 1945 durch ihre Verstrickungen in den nationalsozialistischen Kulturbetrieb von den Medien geächtet, hatte sich in München, wo sie – als mittellose Witwe des berüchtigten Filmregisseurs Veit Harlan – nach einem neuen Beruf umsehen müssen. Und dieser neue Beruf war: Fotoreporterin! Kristina Söderbaum versorgte seit Mitte der Sechzigerjahre Zeitungen und Magazine, aber auch eine Reihe anderer Auftraggeber mit aktuellen Schnappschüssen, insbesondere mit Porträts von Schauspielern und anderen Persönlichkeiten des Kulturlebens. Auf diese Weise war sie auch auf meine Lesung aufmerksam geworden – wohl in der Hoffnung, dabei auf einen Autor zu treffen, der noch von sich reden machen und dessen Konterfei daher künftig begehrt sein würde.

Ich hoffe, ich habe Kristina Söderbaum nicht enttäuscht und sie hat die Fotoserie von mir oft und oft an den Mann gebracht.

Als Kristina Söderbaums Filme in den Kinos liefen, war ich zwischen zwei und elf Jahre alt. »Verwehte Spuren«, »Das unsterbliche Herz«, »Die Reise nach Tilsit«, »Immensee«, »Opfergang« und »Die goldene Stadt«, wie die bekanntesten und erfolgreichsten ihrer Filme hießen, waren daher keine für mich geeignete Kost: Buben dieses Alters hielten sich eher an Kasperl oder »Pat und Patachon«. Aber natürlich kannte ich ihr Gesicht: Die große Liebende und Leidende vom Typ arische Kindfrau prangte an allen Kinoportalen, auf allen Plakatwänden, in allen Illustrierten. Aus den zwischen Wochenschau und »Kulturfilm« eingeschobenen Vorschauen kannte ich außerdem auch die Gesichter ihrer Partner: Willy Birgel und Carl Raddatz, Heinrich George und Otto Gebühr. Und vor allem kannte ich, obwohl ich damals mit dem Begriff wenig anfangen konnte, den Spitznamen, den Kristina Söderbaum bald nach ihren ersten Filmen erhalten hatte: »Reichswasserleiche«. Obwohl es eigentlich nur zwei ihrer Filme gewesen waren, die mit Ertrinkungstod geendet hatten, blieb dies fortan ihr »Markenzeichen« – sogar noch zu einer Zeit, als sie sich längst anderen Sujets zugewandt hatte, ja, gänzlich von der Bildfläche verschwunden war.

Nach 1945 erhielt mein Bild von Kristina Söderbaum klarere Konturen – nur waren es jetzt nicht mehr ihre Filme (die sie übrigens weiterhin drehte), sondern die nunmehr einsetzende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die ihren Namen in die Medien rückte. Kristina Söderbaum war nämlich nicht nur eine der meistbeschäftigten deutschen Filmschauspielerinnen zwischen 1936 und 1945 und – mit einer Einspielsumme von über 200 Millionen Reichsmark – einer der größten Kassenmagneten ihrer Zeit, sondern auch die Ehefrau des Regisseurs Veit Harlan, der sich mit zumindest zwei seiner Werke ins politische Abseits manövriert hatte: dem NS-Durchhaltefilm »Kolberg« und dem antisemitischen Hetzfilm »Jud Süß«. Um vieles älter als seine Lieblingsdarstellerin und (dritte) Ehefrau, wurde Harlan, der mittlerweile mit dem Beinamen »des Teufels Regisseur« leben mußte, zwei Mal wegen »Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit« vor Gericht gestellt und mit Berufsverbot belegt.

Auch Kristina Söderbaum, wiewohl selber nicht angeklagt, bekam die »Erbschuld« ihres Mannes zu spüren und konnte erst 1952 wieder vor die Kamera treten. Nur die gemeinsamen Söhne Kristian und Caspar blieben von der Sippenhaftung verschont, und Sohn Thomas (aus Veit Harlans Ehe mit der Schauspielerin Hilde Körber) rechnete sogar öffentlich mit den Sünden seines Vaters ab, indem er sich dazu hinreißen ließ, Kinos anzuzünden, die es wagten, Harlan-Filme ins Programm zu nehmen.

Kristina Söderbaum kommt am 5. September 1912 in Stockholm zur Welt. Als »behütete Tochter« wächst sie in einem großbürgerlichen Elternhaus auf: Vater Henrik Gustaf Söderbaum ist Chemieprofessor und führt eine Zeit lang den Vorsitz im Nobelpreiskomitee. Kristina besucht in der schwedischen Hauptstadt die Schule, Internatsaufenthalte führen sie nach Frankreich und in die Schweiz. Im Herbst 1934 – nach dem Tod der Eltern – findet die 22-Jährige bei Verwandten in Berlin Unterschlupf. Hier lernt sie Deutsch, besucht Vorlesungen in Kunstgeschichte und nimmt vor allem Schauspielunterricht. Ein Nachwuchswettbewerb der UFA verhilft der 24-Jährigen zu ihrer ersten Filmrolle, und zwei Jahre darauf schafft sie mit dem nach dem gleichnamigen Theaterstück von Max Halbe gedrehten Melodram »Jugend« den Durchbruch. Reichspropagandaminister Goebbels ist das Sujet angeblich zu katholisch – er besteht auf Abänderung der Schlußszene. Der Regisseur – es ist Kristina Söderbaums künf -tiger Ehegatte Veit Harlan – tut wie ihm geheißen.

Das ungleiche Paar – er ist 13 Jahre älter als sie – ist von da an unzertrennlich: Kristina Söderbaum wird ab 1939 ausschließlich unter der Regie ihres Mannes vor die Kamera treten. Jahr für Jahr entsteht ein neuer Harlan-Streifen, fast alle werden Publikumserfolge, das meiste Geld spielt der Prag-Film »Die goldene Stadt« ein.

Im Februar 1943 ruft Goebbels im Berliner Sportpalast den »totalen Krieg« aus. Teile der Reichshauptstadt liegen in Trümmern, auch das Haus der Familie Harlan hat einen Bombentreffer abbekommen. Selbst Stars wie Kristina Söderbaum müssen, wenn sie nicht gerade wieder einen Film drehen, mit Abkommandierung in die Rüstungsindustrie rechnen. So oft es geht, ziehen sich Veit Harlan und die Seinen auf ihren Landsitz zurück, es ist Schloß Amtitz im Bezirk Cottbus. Daß Kristina Söderbaum zu Weihnachten 1942 eine Gruppe Kriegsgefangener, die im nahen Lager Guben festgehalten werden, in ihr Haus einlädt, um mit ihnen Weihnachtslieder zu singen, trägt ihr eine Verwarnung durch Reichsfilmintendant Hans Hinkel ein.

Die gebürtige Schwedin, die durch ihre Heirat Deutsche geworden ist, bekommt es nun zum ersten Mal mit der Angst zu tun. Ob sie nicht versuchen sollte, ihren schwedischen Paß zurückzuerlangen? Der schwedische Botschafter, den sie um Vermittlung bittet, reist dafür eigens nach Stockholm und erwirkt tatsächlich, daß König Gustaf V. seine Landsmännin per persönlichem Dekret »renaturalisiert«. Daß sie dennoch von der schwedischen Presse nach 1945 als »Kriegsverbrecherin« eingestuft werden wird, liegt an dem Durchhaltefilm »Kolberg«, den Veit Harlan »auf kriegsdienstlichen Befehl« mit ihr, Heinrich George, Paul Wegener, Horst Caspar, Kurt Meisel und Paul Bildt 1943/44 dreht.

Das Kriegsende erleben die Harlans in der Nähe von Hamburg. Er ist fünfundvierzig, sie zweiunddreißig, Sohn Kristian fünf (Caspar, der jüngere, kommt erst im Februar 1946 zur Welt). Veit Harlan weiß, daß er sich – sollte überhaupt ein Neuanfang in seinem Beruf möglich sein – wegen seiner NS-Propagandafilme »Kolberg« und »Jud Süß« werde verantworten müssen. Und wovon wird man in der »Wartezeit« leben? Das ersparte Geld geht zur Neige, Kristina Söderbaum trennt sich von ihrem Schmuck, nimmt eine Gelegenheitsarbeit als Perlenfädlerin auf. Noch 1946 kehrt sie in ihren angestammten Beruf zurück – und das sogar an der Seite ihres verfemten Mannes. Veit Harlan darf allerdings nicht unter seinem Namen Regie führen: Er hat Arbeitsverbot. Und es ist auch kein Film, den sie miteinander herausbringen, sondern eine Theaterproduktion. Im Eppendorfer Gemeindesaal werden das Kriminalstück »Gaslicht«, Shakespeares »Wie es euch gefällt« und das Melodram »Augen der Liebe« aufgeführt. Mit letzterem geht man sogar kreuz und quer durch Deutschland auf Tournee.

Die Situation verändert sich schlagartig, als Veit Harlan 1948 vor Gericht kommt. Der des »Verbrechens gegen die Menschlichkeit« Angeklagte wird zwar freigesprochen, doch das Etikett »Kriegsverbrecher« bleibt weiterhin an ihm haften, und auch Gattin Kristina bekommt seine Schuld zu spüren: Die Theatervorstellungen werden von Teilen des Publikums gestört. Störtrupps verteilen Niespulver, lassen Tauben auffliegen und Mäuse durch den Saal laufen, einmal wird die Hauptdarstellerin sogar angespuckt, Zwischenrufe wie »Wir wollen Sie nicht sehen, Frau Harlan!« haben Vorstellungsunterbrechungen zur Folge.

Erst 1950 steht Kristina Söderbaum erstmals wieder vor der Kamera: Mit ihr in der Hauptrolle verfilmt Harlan unter dem Titel »Die unsterbliche Geliebte« Theodor Storms Novelle »Aquis submersus«. Die Familie läßt sich nunmehr in Bayern nieder, Kristina Söderbaum nimmt unter dem Eindruck einer schicksalhaften Begegnung mit dem örtlichen Geistlichen den katholischen Glauben an. Zwölf Jahre nach ihrer standesamtlichen Trauung holen Veit Harlan und Kristina Söderbaum die kirchliche nach.

Ein persönliches Problem tritt auf, als der zwar schwer herzleidende, doch unverändert arbeitswillige Harlan seiner mit neuen Filmangeboten überhäuften Frau untersagt, auch mit anderen Regisseuren zu arbeiten. Tatsächlich führt bei allen ihren weiteren Filmen Veit Harlan Regie. Es sind dies »Hanna Amon«, »Die blaue Stunde«, »Sterne über Colombo«, »Die Gefangene des Maharadscha«, »Verrat an Deutschland« und – sechs Jahre vor Harlans Tod – die Theodor Storm-Verfilmung »Ich werde dich auf Händen tragen«.

Als Veit Harlan am 13. April 1964 auf der Ferieninsel Capri stirbt (wo er auch bestattet werden wird), fängt für die trotz aller vorangegangenen Filmerfolge hochverschuldete Kristina Söderbaum ein neues Leben an – ein neues und vor allem schwieriges. Das mit hohen Hypotheken belastete Haus im bayrischen Degerndorf muß verkauft werden. Natürlich könnte die nunmehr 51-Jährige zu ihren beiden Söhnen nach Berlin ziehen: Kristian hat sich als Erfinder, Caspar als Kinderfilmregisseur einen Namen gemacht. Doch Kristina Söderbaum entscheidet sich für die Selbständigkeit. Da es ihr aber zu riskant ist, auf eventuelle neue Filmangebote zu warten, denkt sie über andere Betätigungen nach. Freunde raten ihr, in den Antiquitätenhandel einzusteigen. Aber da kommt ihr eine andere Idee: Könnte sie nicht ein Hobby, dem sie seit einiger Zeit frönt, die Fotografie, zum Beruf machen? Hatte sie nicht schon vor dem Tod ihres Mannes ab und zu mit einschlägigen Gelegenheitsaufträgen Geld verdient? Es waren Aufnahmen mit Fotomodellen, Illustrationen für einen Katalog, Tierbilder.

Eine Münchner Schauspielerin, für die sie Porträts anfertigt, verhilft ihr zu einer Wohnung im Künstlerviertel Schwabing, die sie auch als Atelier nutzen kann. Über die entsprechende technische Ausrüstung verfügt sie bereits. Bei einer großen Fotofirma in Nürnberg nimmt sie Unterricht im Ausarbeiten, in der Küche ihrer Wohnung richtet sie ein Labor ein. Auch der erste größere Auftrag läßt nicht lange auf sich warten: Kristina Söderbaum soll zu einem sogenannten Fotoroman die Bilder beisteuern – das ist eine aus den USA übernommene (und heute kaum noch gebräuchliche) Methode, die betreffende Story in Form von Illustriertenfotos zu erzählen und die dazugehörigen Dialoge in Sprechblasen einzufügen. Da der Fotografin auch die Erstellung des Drehbuchs, ja sogar das Engagement der Schauspieler obliegt, gestaltet sich ihre neue Tätigkeit zum Full-Time-Job und hält Kristina Söderbaum tatsächlich für einige Zeit finanziell über Wasser. Auch mit Schauspielerporträts, die ihr von der Bavaria-Film vermittelt werden, ist einiges Geld zu verdienen, desgleichen mit einer Fotoreportage über die Beatles, zu deren Auftritt im Münchner Zirkus-Krone-Bau sie mit viel Glück Zutritt erhält. Eine Großbank engagiert die mittlerweile hochprofessionell – also in Lederjacke und Jeans – Agierende für Aufträge im europäischen Ausland, in Afrika und Amerika. Und im Frühjahr 1974, als das Filmgeschäft für Kristina Söderbaum längst nur noch eine blasse Erinnerung ist, bahnt sich sogar ein Comeback in ihrem Metier an: Regisseur Hans Jürgen Syberberg holt die 61-Jährige vor die Kamera – für die Rolle der Sekretärin Emma in dem von der Begutachtungskommission mit dem Prädikat »besonders wertvoll« ausgezeichneten Kinofilm über Leben und Werk des Schriftstellers Karl May. Helmut Käutner, Käthe Gold, Mady Rahl und Rudolf Fernau sind ihre Partner; die von Syberberg gezahlte Gage – es ist die erste in ihrem Leben, die sie selber ausgehandelt hat – erlaubt ihr, bei ihrem Brotjob als Fotoreporterin eine Zeit lang kürzer zu treten.

Neun Jahre darauf bringt Kristina Söderbaum im Bayreuther Hestia-Verlag unter dem Titel »Nichts bleibt immer so« ihre Memoiren heraus. Am 12. Februar 2001 verstirbt die 88-Jährige in einem Pflegeheim in dem niedersächsischen Luftkurort Hitzacker.

Es ist nie zu spät

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