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Die Kaiser-Wilhelm-Straße gehört seit jeher zu den beliebtesten Wohnadressen Baden-Badens. Ganze fünf Fußminuten reichen, um im Kurpark zu flanieren, weitere drei und man kann in Edelboutiquen oder Galerien herumstöbern, in den Thermen planschen oder in Restaurants erlesen speisen. Auch gibt es hier noch die riesigen Grundstücke, auf denen man sich spielend verlaufen kann, während mittendrin stattliche Villen liegen, deren Bewohner keinen fremden Blicken ausgesetzt sind. Außerdem sorgt der hier beginnende Schwarzwald für eine überaus saubere, bekömmliche Luft. Immobilienmakler, die in dieser Ecke ein Grundstück an der Hand haben, betrachten sich zu Recht als echte Glückspilze.

Vor einem mit Laubblättern und vergoldeten Weinreben kunstvoll verzierten schmiedeeisernen Tor mache ich Halt. Obwohl weder die Hausnummer noch der Name irgendwo zu sehen sind, weiß ich trotzdem, dass ich vor dem richtigen Grundstück stehe. Mein Vermieter, auf dessen Empfehlung ich komme, hat mich diesbezüglich eingeweiht. Ich lege meine Hand auf einen kleinen matt glänzenden Klingelknopf aus Edelstahl, gleichzeitig registriere ich, dass mich längst zwei Überwachungskameras ins Visier genommen haben. Eine kaum wahrnehmbar ins Eingangstor integriert, die andere am Stamm einer Uraltbuche installiert. Für mich kein Grund zur Beunruhigung. Ich sehe in den beiden nichts weiter als zwei gewerkschaftlich ungebundene Kollegen, die ohne zu lamentieren gewissenhaft ihrer Arbeit nachgehen. Und natürlich sind sie ein Indiz dafür, dass das Thema Sicherheit bei dem russischen Grundstückseigentümer einen hohen Stellenwert genießt.

Über eine Lautsprechanlage dringen russische Wörter zu mir. Gedehnt erwiderte ich in der einzigen Sprache, die mir geläufig ist: „Marowski! Ich habe einen Termin bei Herrn Kutusow!“ „Karascho!“ ist die Antwort, währenddessen sich das riesige Tor zu öffnen beginnt.

Ich muss zunächst einen asphaltierten, leicht ansteigenden Fußweg von etwa hundert Meter zurücklegen, bis ich vor einer aus hellem Sandstein erbauten Villa stehe. Das Gebäude verströmt etwas ungemein Kompaktes und durch die schmalen hohen Fenster und die kleinen Türmchen zugleich auch Sakrale, angesiedelt irgendwo zwischen Kirche und Festung. Vielleicht wollte der Bauherr Sicherheit und Glaube nahtlos miteinander in Einklang bringen. Ansonsten vergisst man auch hier das Thema Sicherheit nicht. So sind alle Parterre gelegenen Fenster mit einem Stahlgitter gesichert und flächendeckend Bewegungsmelder und Videokameras angebracht, auch benötigt man den richtigen Zahlencode, will man die Eingangstür der Villa öffnen.

Einem Reflex folgend, beginne ich darüber nachzudenken, wie man ohne Zahlencode unbemerkt in die Villa gelangen könnte. Bevor ich dazu komme, mich in die Sache zu vertiefen, öffnet sich die mit gusseisernen Beschlägen verzierte Eingangstür und ein glatzköpfiger Mann Mitte Fünfzig, gut einen Kopf größer als ich und dazu über und über mit Muskeln bepackt, schaut missmutig auf mich herab. Ich dagegen starre ihm wie hypnotisiert ins Gesicht, auf dem ich eine tiefe Narbe sehe, die seine linke Wange in zwei Hälften teilt. Offensichtlich werde ich von einem original russischen Bär mit den dazugehörenden Schrammen, erkämpft in den Weiten Sibiriens, empfangen. Ich steige mit der ausgestreckten Hand tapfer die Steinstufen zu ihm hoch. Doch er übersieht meine Begrüßungsgeste und erteilt mir per Kopfbewegung die knappe, aber unmissverständliche Anweisung, ihm ins Innere der Villa zu folgen.

Die Bibliothek, in die er mich führt, ist etwas ganz Exquisites. Dunkelbraune holzgetäfelte Wände, an der Decke filigrane mit Blattgold überzogene Stuckarbeiten, dazu Regale, die vom Fußboden bis unter die Decke reichen. Um in ihre oberen Bereiche zu gelangen, können verschiebbare Leitern genutzt werden. Gleich mehrere Sitzgruppen, bestehend aus wuchtigen Ledersesseln und schmalen Sofas, filigranen Holzstühlen und ebenso filigranen Couchtischen haben die Aufgabe, den vielen Büchern die Strenge zu nehmen. An einem nicht mit Regalen zugestellten Bereich der Wand steht unübersehbar ein klotziger Safe, gewissermaßen ein kleines fossiles Ungeheuer, welches in diesem so stilsicher eingerichteten Raum, wie ein Fremdkörper wirkt. Wäre ich der Eigentümer, würde ich ihn ohne zu zögern, in den Keller verbannen.

Plötzlich steht ein Mann um die Sechzig vor mir, eine Spur kleiner als ich, dafür deutlich kompakter. In einem ovalen Gesicht mit starken Backenknochen, einer leichtgebogenen Nase und einem wuchtigen Schnauzbart liegen unter einer randlosen Brille kleine, hellwache Augen, die sich intensiv mit mir beschäftigen. Die wenigen Haare, die ihm verbliebenen sind, trägt er kurzgeschnitten. Bekleidet ist er mit einem offenen hellblauen Hemd und einer schwarzen Jeanshose. Schnickschnack jeglicher Art wie Halsketten oder Armbänder scheint er zu meiden. Lediglich am Ringfinger der rechten Hand entdecke ich einen schlichtgehaltenen Ehering. Auf den ersten Blick versprüht er die Aura eines Buchhalters, dessen Augen erst leuchten, wenn die Geschäftszahlen tiefschwarz ausfallen.

„Herr Marowski?“, fragt er in nahezu akzentfreiem Deutsch und reicht mir seine kräftige, leichtbehaarte Hand.

„Und Sie müssen Herr Valerie Kutusow sein“, gebe ich mich jovial.

Wir lächeln und schütteln uns die Hände. Und während er mich zu einer Sitzgruppe im hinteren Teil des Raumes dirigiert, fragt er: „Möchten Sie Tee, Kaffee, Wasser oder gar einen klitzekleinen Wodka?“

Ich verneine und nehme ihm gegenüber Platz.

„Übrigens“, nimmt der Russe das Gespräch mit einem Schalk um die Augen auf, „bei mir in Moskau sagt man zu Baden-Baden gerne Klein Moskau! Macht Ihnen das Angst?“

„Warum? Wir sind Mitglied der Nato! Die beschützt uns.“

Mein Gesprächspartner schaut mich einen Moment verblüfft an, dann lacht er derart scheppernd, dass sein Schnauzer wackelt. „Sie haben Humor!“ Nachdem er sich halbwegs beruhigt hat, fragt er: „Marowski, Ihr Name klingt irgendwie polnisch!“

„Ich kann Sie beruhigen: Marowski hat ausschließlich Tiroler Wurzeln!“

Kutusow klatscht in die Hände. „Humor und Tiroler, das passt. Übrigens, mein Freund Dr. Wohlleben hält große Stücke auf Sie. Sie sollen obendrein ein richtiger Privatdetektiv sein! So mit Lizenz und Waffenschein. Auch hätten Sie die Nerven, Ihre Waffe einzusetzen, falls es für Sie eng werden sollte.“

„Seit drei Jahren übe ich den Beruf aus!“, bestätige ich ihm stolz. “Seitdem trage ich bei Einsätzen eine Waffe.“

Kutusows Blick gleitet wohlwollend über mich hinweg. „Ich mag professionell agierende Menschen! Mit Amateuren hat man oft mehr Ärger als einem lieb ist!“ Jäh verdüstert sich sein Blick. „Kennen Sie einen gewissen Eugen Brandt?“ Der Russe spricht den Namen aus, als sei er durch und durch vergiftet.

Ich schüttele den Kopf.

„Ein Karlsruher Enthüllungsjournalist! Leider nicht von der besten Sorte!“ Kutusow lacht trocken. „Und dieser Herr glaubt tatsächlich ein Buch über meine Landsleute und mich schreiben zu müssen. Dagegen wäre natürlich nichts einzuwenden, vorausgesetzt er hielte sich an die Wahrheit. Doch wenn er uns unisono verdächtigt, wir würden zur russischen Mafia gehören, betrieben Geldwäsche, Waffenschmuggel, Drogenhandel, trinken schon am Vormittag Wodka und verprügeln obendrein mindestens einmal am Tag unsere Frauen! So etwas müssen wir uns nicht bieten lassen!“ Er legt eine Pause ein, danach fährt er erstaunlich aufgeräumt fort: „Nehmen Sie zum Beispiel mich! Ich bin Mathematiker und habe an meiner Bank den algorithmischen Aktienhandel eingeführt. Das wir damit inzwischen wie selbstverständlich arbeiten, hat man mir zu verdanken. Ich alleine habe die dafür notwendige Software geschrieben. Code für Code, Nacht für Nacht. Am Tag hatte ich andere Dinge zu erledigen. Das ging ein gutes Jahr so. Unter dem Strich ist es mir gelungen, die Mentalität meiner Landsleute in die Software einzubauen. Ich habe ihre Ängste, ihren Optimismus, ihr Schwanken, überhaupt, unsere russische Denke in Formeln gepackt. Doch Russland ist bekanntlich groß, unser Land hat viele Nationalitäten. Die meisten haben ihre ureigene Mentalität. Ein Tatar ist kein Baschkire, ein Tschetschene kein Russe. Manche befragen den Mond, andere die Sterne oder die nächsten lauschen auf jedes Wort ihres Popen oder Imans, andere wieder auf das, was Putin ihnen zu sagen hat. All das gilt es zu berücksichtigen. Ich kann mit Stolz behaupten, ich habe es halbwegs hinbekommen. Mittels meiner Software kann ich voraussagen, welche Entscheidung unsere Anleger in der jeweiligen Situation treffen wird. Das und nichts anderes ist die Quelle, aus der sich mein Vermögen speist! Und nun frage ich Sie: Was in Gottes Namen ist daran verwerflich? Bisher konnte es mir niemand sagen. “

„Ich auch nicht! Nur eins möchte ich Ihnen empfehlen: Gehen Sie gegen diesen Brandt juristisch vor! Wir haben in Deutschland nicht nur gute Zahnärzte, wir verfügen über ebenso gute Anwälte!“

„Das müssen wir anders hinbekommen! Ohne die Sache vor einem Gericht breitzutreten!“, höre ich eine Frauenstimme in unserer unmittelbaren Nähe sagen.

Überrascht wende ich mich der Stimme zu. Eine gut ein Meter siebzig große, gertenschlanke und ungemein drahtige Frau steht einen Meter seitlich von uns entfernt. Selbst mit geschlossenen Augen würde man erkennen, dass die Frau Tänzerin ist. Folglich müsste sie Kutusows zweite Ehefrau Elena sein. Die berühmte Ex-Primaballerina vom Bolschoi Theater. Auch das weiß ich von meinem Vermieter. Sie ist mindestens zehn Jahre jünger als ihr Mann. Ihr dunkles Haar, durchzogen von ein paar grauen Strähnen, hat sie im Nacken zu einem Knoten zusammengeführt. Sie ist keine Schönheit, dafür sind ihre Gesichtszüge ein wenig zu derb geraten, auch ihr schmaler Mund spielt nicht mit. Dennoch strahlt sie eine ungemeine Präsenz aus. Diese Frau zu übersehen, halte ich für nahezu unmöglich. Und das gilt nicht nur für die Bühne.

„Elena! Was machst du hier?“, fragt Kutusow streng. Er gibt sich keine Mühe zu verbergen, dass es ihm nicht passt, sie hier zu sehen.

„Valerie entschuldige, ich suche Dostojewskis ‚Schuld und Sühne‘. Aber ich finde das Buch einfach nicht! Haben wir es überhaupt?“

„Selbstverständlich haben wir unseren Dostojewski!“ Der Hausherr kann seine Wut über eine derartige Frage nur mühsam unterdrücken. Offensichtlich hat ein gebildeter Russe dieses Werk stets zur Hand. „Es muss sogar eine Erstausgabe dabei sein“, fügt er mit eisiger Stimme hinzu.

Plötzlich entdeckt Elena Kutusow mich und kommt strahlend einen Schritt auf mich zu geschwebt „Ich ahne, wer Sie sind!“. Wobei ich den Eindruck habe, dass sie die Gabe besitzt, beim Gehen nicht den Parkettboden zu berühren, sondern es aus unerfindlichen Gründen versteht, über ihn hinweg zu schweben. Ihr Körper scheint in der Lage zu sein, die Gesetze der Schwerkraft zu ignorieren. Mit ihren dunkelbraunen Augen schaut sie mich schelmisch lächelnd an. „Sie sind der Herr Marowski! Der Privatdetektiv für die ganze Stadt! Unser lieber Freund Dr. Wohlleben hat Sie uns ans Herz gelegt. Und ich weiß: Sie sind sein Mieter!“

Ich lächle zurück. „Alles richtig!“ Beinahe hätte ich noch gnädige Frau hinzugefügt, konnte es jedoch noch geradeso unterdrücken.

„Übrigens, unser lieber Doktor, hat eine sehr hohe Meinung von Ihnen. Er ist überzeugt, dass Sie ein ausgezeichneter Kriminalist sind, der engagiert seinen Job erledigt. Auch wenn Sie hin und wieder ein wenig schläfrig wirken, davon sollte sich niemand täuschen lassen!“

Ich lache. „Nun, wenn Doktor Wohlleben es sagt, dann wird es wohl stimmen! Im Übrigen kann man in meinem Beruf wache Augen gut gebrauchen!“ Ich erhebe mich und reiche ihr die Hand. „Und Sie müssen Frau Elena Kutusow sein, die Ex-Ballerina vom Bolschoi.“

„Exakt, die bin ich! Es freut mich, dass Sie mich sofort erkannt haben. Wissen Sie, ich habe in Ihrem Land eine Menge Bewunderer. Was ich selbstverständlich zu schätzen weiß.“ Wir schütteln uns herzlich die Hand. „Herr Marowski, es wäre in jeder Beziehung zu begrüßen, wenn es zu keiner Veröffentlichung dieses fürchterlichen Pamphlets käme. Brandt verunglimpft uns Russen. Möglicherweise mag er uns nicht. Hat schlechte Erfahrungen mit uns gemacht. Ein Landsmann von uns hat vor ihm ausgespuckt oder ihn bestohlen oder ist rüde gefahren und hat sein Auto beschädigt! Aber, was haben mein Mann und ich damit zu tun. Wir stehlen, schlagen und spucken nicht! Alleine der Gedanke wie unsere zahlreichen deutschen Freunde auf ein Buch, in dem so viel schlechte Dinge über uns stehen, reagieren könnten, bereitet uns beiden allergrößtes Unbehagen.“

Kutusow quittiert die Szene mit einem zufriedenen Nicken. „In dem Punkt stimmen meine Frau und ich uneingeschränkt überein. Elena, setz dich doch zu uns!“

„Ich würde ja gerne, aber dazu reicht meine Zeit nicht!“ Zu mir gewandt fährt sie fort: “Ich muss in zwei Stunden im Karlsruher Theater sein. Die Leitung des dortigen Balletts möchte mich für die Choreographie eines Tschaikowsky Stücks gewinnen. Wenn die Bedingungen stimmen, werde ich wohl zusagen. Die sollen nämlich derzeit eine ganz anständige Company beieinander haben!“ Sie schenkt mir abermals ein Lächeln, ihren Mann dagegen übersieht sie erneut. „Also, meine Herren, einen schönen Tag noch.“

Elena Kutusow ist schon in der Nähe der Tür, da dreht sie sich noch einmal zu uns um. „Ach Valerie, spricht was dagegen, wenn Boris mich nach Karlsruhe fährt?“

„Nehmt den Maserati! Der sollte wieder mal gefahren werden. “

„Danke, Valerie! Es kann spät werden!“ Elena Kutusow verlässt, eine Melodie trällernd, schwebend den Raum.

„Nun haben Sie auch meine Frau kennen gelernt!“ Kutusow knetet wie befreit an seinem Schnauzer herum. „Kehren wir zu unserem Manuskript zurück! Ich habe bisher lediglich ein paar Seiten dieses Machwerks gelesen. Sie wurden mir zugespielt. Keiner von meinen Landsleuten, einschließlich meiner Wenigkeit, kommt darin gut weg! Deshalb sind wir fest entschlossen, eine Veröffentlichung, wenn es sich irgendwie einrichten lässt, zu vermeiden.“ Kutusow bearbeitet weiter seinen Schnauzer. „Das Buch „Die reichen Russen in Baden-Baden“ gehört nicht in eine Buchhandlung, sondern hat dort seinen Platz!“ Kutusow zeigt entschlossen auf den Safe.

„Wie viel bieten Sie dem Verfasser?“

„Fünfhunderttausend! Euro!“

Ich stoße einen Pfiff aus. „Und mich haben Sie dazu auserkoren, bei dem Herrn Sachbuchautor das Geld vorbeizubringen?“

„Ja!“

„Warum fahren Sie nicht selbst zu ihm? Ich meine, Ihr Deutsch ist absolut verhandlungsfest! Sollten Sie Angst haben alleine hinzufahren, könnte ich Sie begleiten!“

Die rechte Hand des Hausherrn klatscht verärgert auf die Armlehne seines Sessels. „Ich habe keine Angst! Der Grund ist ein anderer: Ich will mich nicht zu erkennen geben. Wer vermögend ist, sollte es, wenn es sich irgendwie machen lässt, tunlichst vermeiden. Ich wäre noch schneller erpressbar, als ich es ohnehin bin.“

„Das leuchtet mir ein! Und was sage ich, wenn Herr Brandt von mir wissen will, wer mich schickt?“

„Es gibt in dieser Stadt einen ‚Freundeskreis russischer Bürger in Baden-Baden‘. Wer dazugehört, braucht Sie nicht zu interessieren. Auch von mir wissen Sie nichts!“

„Und Sie sind der Vorsitzende des Vereins!“

Kutusow schüttelt den Kopf. „Der Vorsitz liegt in den bewährten Händen unseres allseits geschätzten Gulja Makarow! Ein zuverlässiger, ergebener und obendrein ein durch und durch ehrlicher Mensch. Leider handelt es sich hier um eine aussterbende Spezies!“

„Gehört er auch zu dem erlesenen Kreis der zehn Auserwählten, über die Eugen Brandt in seinem Buch schreibt?“

„Nein, nein! Unser Gulja hält sich gerne bedeckt. Nur wenn er gebraucht wird, ist er zur Stelle.“

„Ein Strohmann gewissermaßen.“

Kutusow zuckt mit den Schultern. „Ich kenne den Begriff nicht!“

Ich verzichte darauf, ihm das Wort Strohmann zu erklären. Ich bin mir sicher, er will ihn nicht kennen.

Kutusow geht zum Safe und streichelt sein Ungeheuer erst einmal ausgiebig. „Aufgetrieben habe ich meinen Freund, als ich noch an der Lomonossow Universität gearbeitet habe und zufällig die dortige Parteizentrale betrat, und zwar kurz nachdem es keine Partei mehr gab. In ihm wurden die Dokumente der Mitglieder aufbewahrt, die es ebenfalls allesamt nicht mehr gab. Mein Freund war somit überflüssig geworden. Ein paar Rubel reichten, und er gehörte mir. Eine Liebe auf den ersten Blick!“ Kutusow gibt geschwind eine irre lange Zahlenkombination in ein Tastenfeld ein und wartet bis ein Gong ertönt. Danach lässt sich die Tür des Ungeheuers problemlos öffnen. Der Russe entnimmt dem Safe ein kleines, schwarzes Aktenköfferchen, das er vor mir auf dem Couchtisch abstellt. Er schmunzelt. „Bei mir macht mein Freund endlich das, wozu man ihn gebaut hat: Den Besitz seines Eigentümers zu schützen! Ansonsten, Herr Marowski, ich würde mich freuen, wenn Sie die Sache noch heute angehen würden!“

„Wie Sie wünschen!“

Kutusow reicht mir Brandts Visitenkarte. Der Autor wohnt in Karlsruhe-Durlach. Schon als Kind bin ich öfter in Karlsruhe gewesen, um den KSC Fußball spielen zu sehen oder ins Kino zu gehen. Bei meinem Abgang schmeiße ich spontan all meine russisch Kenntnisse in die Arena: „ Gospadin Kutusow! Doswidanja!“

„Doswidanja, Gospadin Marowski!“, erwidert Kutusow sichtlich beeindruckt. Damit hatte er nicht gerechnet. „Und Grüße an meinen Freund Dr. Wohlleben!“

Vor dem Haus stoße ich auf Boris, der an einem Porsche herumwienert, während er mich weiterhin wie Luft behandelt. Dennoch bekommt auch er ein kräftiges „Doswidanja!“ zu hören. Wider Erwarten hebt er den Kopf, lächelt und antwortet auf Russisch. Auch wenn ich ihn nicht verstehe, werte ich es trotzdem als Fortschritt. Er reagiert zu mindestens. Vielleicht werden wir beide doch noch mal Freunde.

Auf der Kaiser-Wilhelm Straße fällt mir eine Anfrage an den Sender Jerewan ein. Stimmt es, dass Serge Sergejewitsch bei einer Tombola in Moskau ein Auto der Marke Moskwitsch gewonnen hat? Die Antwort des Senders: Im Prinzip ja. Nur war es kein Auto der Marke Moskwitsch, sondern ein Fahrrad der Marke Ural. Und bedauerlicherweise hat Serge Sergejewitsch dieses Fahrrad nicht gewonnen, sondern es wurde ihm bedauerlicherweise gestohlen.

Um ehrlich zu sein, ich habe mir von dem Besuch bei Kutusow entschieden mehr versprochen. Vor allem auf einen richtigen Auftrag gehofft, bei dem es um eine große Sache geht. Strenggenommen ist das, was er von mir verlangt, nicht mehr als ein besserer Botengang, der zwar leicht verdientes Geld verspricht, doch dieser Auftrag hat auch seinen Haken. Ich helfe Superreichen, Dinge unter den Teppich zu kehren, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Das hinterläßt ein ungutes Gefühl. Womit ich mich beruhige: Ich leiste nur ein ganz klein wenig Beihilfe. Selbst unter einem guten Mikroskop kaum erkennbar. Doch ich kann einen mildernden Umstand geltend machen: Mein Konto steht im Minus.

Zu Hause angekommen, rufe ich umgehend Eugen Brandt an. Ich gebe mich als Privatdetektiv zu erkennen, den „Der Freundeskreis russischer Bürger in Baden-Baden‘ beauftragt hat, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Der Autor ist umgehend bereit, mich zu empfangen. Kaum ist das Gespräch beendet, beschleicht mich so ein vages Gefühl, Brandt hat auf meinen Anruf gewartet.

Der reiche Russe

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