Читать книгу Der reiche Russe - Dietrich Knak - Страница 5
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ОглавлениеZurück in meiner Wohnung lasse ich den Geldkoffer wutschnaubend auf den Schreibtischplatte krachen. Mein Körper schmerzt mir derart, dass man meinen könnte, ich hätte einen Boxkampf hinter mir, bei dem mein Gegner mich mehrmals auf die Bretter geschickt hat. Das kann nur daran liegen, dass Eugen Brandt in einem gravierenden Punkt Recht hat. Wenn ich auch nicht zu sagen vermag in welchem. Während der Rückfahrt habe ich ausschließlich über die Frage nachgedacht: Marowski, wo sind deine Ideale geblieben, mit denen du diesen Beruf einmal angetreten hast? Eigentlich wollte ich für Menschen da sein, die in die Bredouille geraten sind und meine Hilfe brauchen. Und das auch dann, wenn sie es sich nicht leisten können. All das ist längst in die Oos gespült worden und von dort weiter in den Rhein. Jetzt dösen meine Vorsätze auf dem Grund der Nordsee vor sich hin. Und je länger ich über diesen vermaledeiten Auftrag nachdenke, umso unerträglicher wird er! Teufelszeug! Ich bin sogar bereit sowohl auf das Honorar als auch auf die angefallenen Nebenkosten zu verzichten. Wobei ich als erstes die Fünfhunderttausend Euro bei Kutusow abliefern werde. Die Schuhe habe ich noch an den Füssen! Und von morgen früh an halte ich mich bereit, die Anrufe älterer Herrn entgegenzunehmen, die ihren jungen Frauen nicht über den Weg trauen. Auch wenn es sich dabei wahrlich nicht um die Aufträge handelt, die mir vorschweben. Es ist jedoch ehrlich verdientes Geld. Egal, dieser Geldbotenservice ist für mich definitiv beendet! Entschlossen greife ich zum Telefon.
Mein russischer Mandant meldet sich derart schnell, dass man meinen könnte, er hätte auf meinen Anruf gewartet. „Herr Marowski, wie ist es gelaufen?“ Als ich nicht gleich antwortete, fährt er fort: „Hat es womöglich nicht so geklappt, wie wir uns das gedacht haben?“
„Das kann man wohl sagen! Herr Brandt hat mich abblitzen lassen! Fünfhunderttausend sind ihm zu popelig.“
„Wieviel will er?“
„Hat er mir nicht verraten. Nur eins ist klar: Es ist ihm zu wenig! Der Mann behauptet sogar, er habe sich wegen dem Buch verschuldet!“
„Entschuldigung, Herr Marowski, ich hätte Ihnen gleich mehr mitgeben sollen. Das war mein Fehler.“
Und urplötzlich ist es mit meiner Beherrschung vorbei. Ich schreie ins Telefon. „Dieser Mensch hat mich aufs Übelste beleidigt. Hat mich miesen Arschlecker genannt! Stellen Sie sich vor: Arschlecker! Und das war nicht alles!“ Ich muss erst einmal Luft holen, bevor ich in der Lage bin, weiterzusprechen. „Doch was das Schlimmste an allem ist: Der Mann hat verdammt noch mal irgendwo Recht!“
„Nun beruhigen Sie sich erst einmal!“ Kutusows Stimme bekommt einen Tonfall, als spricht er zu einem Kind, welches dringend die tröstenden Worte eines Erwachsenen braucht. „Herr Marowski, ich kann Ihnen versichern, dass Sie kein Arschlecker sind. Eher alles andere, nur das nicht. Ich sage so etwas nicht nur so daher, ich kenne mich mit Menschen aus!“ Nachdem Kutusow eine Weile schweigt, fragt er unvermittelt: „Was ist dieser Brandt überhaupt für ein Mensch?“
„Ein aufgeblasener Moralapostel! Er zählt sich zu den Guten, die der liebe Gott auserkoren hat, um die vom Verfall bedrohte Welt zu retten. Eine Art Supermann aus amerikanischen Filmen.“ Ich lege eine Pause ein, dann fahre ich resigniert fort: „Auch möglich, dass die Chemie zwischen ihm und mir nicht stimmt! Wir haben uns nur kurz in die Augen gesehen und schon mochten wir uns nicht! Wie Polen und Russen! Oder Griechen und Türken! Wir stoßen uns gegenseitig ab! Sind wie Plus und Plus!“
„Unsinn!“, erwidert mein Mandant entschieden. „Der Mann pokert! Er will mehr Geld! Den Wunsch können wir ihm doch erfüllen!“
„Herr Kutusow, mir ist es inzwischen egal, ob er pokert: Schicken Sie bitte einen anderen zu ihm! Ich möchte mit dem Auftrag definitiv nichts mehr zu tun haben!“
„Und warum sollte ich?“
„Weil ich den Mann hasse! Und er hasst mich! Wir drehen uns gegenseitig die Hälse um!“, danach schreie ich aufgebracht in den Apparat. „Ich will kein Honorar, ich will keine Fahrkosten, ich will nichts!“
„Herr Marowski, ich betrachte den Auftrag keineswegs als abgeschlossen! Sie stehen nach wie vor in der Pflicht, ihn zu Ende zu bringen! Und aus noch einem Grund müssen Sie es tun. Brandt erwartet Sie und niemand anders! Selbst wenn er Sie hassen sollte!“
„Nein, Sie bekommen Ihre Fünfhunderttausend zurück und das war’s!“
Kutusow überhört mein Argument. „Ich garantiere Ihnen, Ihr morgiger Besuch verläuft entschieden erfolgreicher als der heutige.“ Seine Stimme wird weich und verbindlich. „Ich verstehe Sie ja. Der Mann hat Sie beleidigt, Sie gekränkt, Ihnen wehgetan. Ein stolzer Mann wie Sie steckt das nicht einfach weg. Ich hätte daran auch zu knappern. Aber das geht vorüber! Also Kopf hoch! Im Übrigen, korrumpierbar ist nahezu jeder. Gerade diese Gutmenschen! Ich hatte mit diesen Typen oft zu tun. Die kippen, wenn es um den eigenen Vorteil geht, besonders schnell um.“
„Ein zweites Treffen endet garantiert in einer Schlägerei! Für einen endet sie möglicherweise sogar tödlich!“, erwiderte ich.
„Es gibt noch einen Grund, warum Sie es machen müssen: Je weniger Leute in den Ankauf des Manuskripts involviert sind, desto besser. Und daher wird meine Tochter Natascha Ihnen erst einmal weiteres Geld bringen. Packen Sie es zu den Fünfhunderttausend. Im Koffer ist doch noch Platz?“
„Das ist nicht das Problem!“
„Dann kann ja nichts schiefgehen! Sagen wir, sie wird Morgen Vormittag gegen zehn Uhr bei Ihnen sein. Danach fahren Sie umgehend ein zweites Mal zu Brandt nach Karlsruhe!“
„Herr Kutusow, auch wenn Sie sich weigern, mich zu verstehen: Ich habe meine Grundsätze! Und wenn ich nicht will, dann will ich nicht!“ Geradezu pathetisch ergänze ich:„ Für Nichts auf der Welt!“
„Herr Marowski, falls Sie mit dem unterschrieben Vertrag zurückkommen, erhalten Sie von mir auf der Stelle Zwanzigtausend! Euro wohlgemerkt! Und wenn Sie es wünschen, öffne ich meinen Safe, entnehme ihm das Geld und lege es Ihnen cash auf die Hand. Und das einzig und allein aus einem Grund: Ich möchte die Sache endlich aus der Welt geschafft haben!“
„Zwanzigtausend!“, hauche ich, während sich ein grauer Schleier um meinen Kopf legt. Sicher habe ich mich verhört. Kutusow meint Zweitausend.
„Zwanzigtausend!“, wiederholt Kutusow, als ahne er meine Bedenken.
Mein Mund ist mit einem Schlag furztrocken. So viel Geld kann ein armer Kerl wie ich, Moral hin und Moral her, nicht einfach ablehnen. Es ist schlichtweg die Chance meines Lebens. Die bekomme ich kein zweites Mal! Sollte ich sie leichtsinnigerweise ausschlagen, heule ich ihr den Rest meines Lebens hinterher. „Herr Kutusow, ist das nicht ein bisschen viel Geld?“, ist alles, was ich hervorbringe.
„Herr Marowski, ich habe lediglich drei Bedingungen: 1. Diskretion, 2. Diskretion, 3. Diskretion!“
Zwanzigtausend! Für mich eine geradezu ungeheurere Summe! Ich wäre ein anderer Mensch! Müsste nicht mehr jedem Auftrag hinterherhecheln. Schließlich murmle ich mit tönender Stimme, ohne dass ich es sagen wollte: „Herr Kutusow, wenn Ihnen so viel daran liegt, dass ich ein zweites Mal zu Brandt gehe, dann in Gottes Namen, mache ich es halt!“
„Das freut mich!“, erwidert Kutusow gelassen. „Meine Tochter bringt Ihnen Morgen Vormittag gegen 10.00 Uhr zusätzliches Geld.“
„Wie viel?“
„Das lasse ich mir noch durch den Kopf gehen!“ Danach ist unser Telefonat beendet.
Kaum habe ich das Telefon aus der Hand gelegt, beginnen die Zwanzigtausend bereits vor meinen Augen herumzutanzen, Mal als Gesamtpaket einem Marsch folgend, dann wieder als ein Meer von Scheinen, bei dem sie sich im Takt eines Walzers bewegen. Schließlich lasse ich mich erschöpft in meinen einzigen Sessel fallen. Ich bin vor Geld eingeknickt, habe meine Prinzipien mit wehender Fahne über Bord geworfen. Doch je länger ich es mir durch den Kopf gehen lasse, umso weniger schlimm finde ich es! Es ist strenggenommen nur menschlich, auch Mal etwas zu besitzen. Kaum jemand möchte für immer und ewig als armes Schwein herumlaufen. Auch könnte ich mit dem Geld endlich etwas für mein Alter tun. Ich schalte den Fernseher ein und zapfe solange herum, bis ich einen Tierfilm finde. Rasch tauche ich in seine heile Welt ein, nach der ich mich offenbar sehne.