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7.

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Auch wenn die Arrestzelle nur als Vorstufe für eine richtige, echte Gefängniszelle angesehen wird – gewissermaßen als ihr kleiner Bruder - und man in der Regel in ihr nur kurz verweilt, so wirkt sie auf die meisten Insassen trotzdem ausgesprochen deprimierend. Eine Stunde Auftenhalt reichen vollkommen aus und man weiß, warum so viele Menschen ausgerechnet in Gefängniszellen Selbstmord begehen. Zum einen sind sie dazu verdammt, die Freiheit durch ein vergittertes Fenster zu betrachten und zum anderen müssen sie Wände anstarren, die mit derben Sprüchen wie: „Fick dich, du Schlampe“ oder „Geiler Schwanz, ich lutsch dich!“ vollgepinselt sind. Aber was weitaus schlimmer ist: Als Insasse so einer Zelle weiß man nie, wie es mit einem wirklich weitergeht. Kommt man frei oder landet man in einer richtigen Zelle.

Zwar versuche ich den Kopf oben zu behalten, in dem ich mir immer wieder sage: Marowski, bald bist du wieder frei! Auch vierundzwanzig Stunden vergehen! Schließlich haben sie nichts Konkretes gegen dich in der Hand! Die beiden finden keinen Haftrichter, der mich länger hier zu behalten wird. Leider muss das alles nicht stimmen. Zumal mich dieser Kriminalhauptkommissar beunruhigt. Er ist keineswegs der nette, umgängliche Typ, für den ich ihn anfänglich gehalten habe. Der Mann ist raffiniert. Er versucht, sich in mich hineinzuversetzen, um herauszufinden, wie ich ticke. Und wenn er es weiß, dann dreht er mir lächelnd die Luft ab. Ich kenne diese Typen! Immer hatte ich Schwierigkeiten mit ihnen. Und fällt ihm gar mein Koffer mit den zwei Millionen, dem Manuskript nebst Vertrag in die Hände, dann müsste ich begründen, warum ich gelogen habe. Ich könnte Kutusow unmöglich heraushalten. Mit fatalen Folgen für mich. Ich kann nur hoffen, dass dieser vermaledeite Koffer verschwunden bleibt, zu mindestens für‘ s erste. Denn seinen Inhalt habe ich noch lange nicht abgeschrieben.

Schließlich meldet sich auch noch meine innere Stimme: „Marowski, du Trottel, bist in eine Russenfalle gestolpert!“ Russenfalle! Ich lauschte dem Wort hinterher, das wie ein völlig außer Kontrolle geratener Irrwisch durch die Gehirnwindungen meines Kopfes jagt. Und je länger es dauert, umso überzeugter bin ich, dass Russenfalle den Verlauf des Geschehens auf den Punkt bringt. Warum wollte Kutusow unbedingt mich für diese Geldübergabe haben, jeder andere und auch er selbst oder sein hübsches Töchterchen hätten sie ebenso gut erledigen können. Als ich mich weigerte das Geld weiterzuleiten, versprach er mir Zwanzigtausend! Spätestens an der Stelle, hätten bei mir alle Alarmglocken anschlagen müssen. Das ist wie mit Geldanlagen, die mehr als zehn Prozent Rendite versprechen. Sie sind selten seriös. Als ehemaliger Bankberater weiß ich schließlich, wovon ich rede. Ebenso Natascha! Sie erschrak zu Tode, als ich ihr sagte, sie solle gefällig selbst zu Brandt gehen. Das kann einen simplen Grund haben: Nicht nur ihr Vater, auch sie wusste, was mit Brandt passieren würde. Er war zu dem Zeitpunkt quasi schon tot. Vielleicht sahen sie in mir einfach nur den größten Trottel, der auf die Schnelle greifbar war. Aber wo liegt der Sinn? Da meine Beretta sauber war, und ich keine Schmauchspuren an den Händen hatte, kann mir niemand den Mord in die Schuhe schieben. Zumal ein Motiv meinerseits nicht mal vom Ansatz her zu erkennen ist. Nun, Putin macht auch Dinge, die einem Mitteleuropäer völlig Sinn frei erscheinen. Erst nach einer geraumen Zeit beginnt der normale Mitteleuropäer zu ahnen, was der allmächtige Zar sich dabei gedacht haben könnte. Ich sollte einfach nur beten, dass ich halbwegs unbeschadet aus dem Auftrag herauskomme.

Unwillkürlich fällt mir Brandts merkwürdiges Geschenk ein. „Russisch in einer Woche“. Und plötzlich finde ich: Jetzt und hier, in dieser total heruntergekommenen Zelle, ist der ideale Zeitpunkt gekommen, um mit dem Lernen dieser Sprache zu beginnen. Hastig hole ich das Büchlein hervor. Als ich in den Händen halte, scheint es mich anzulächeln und mir suggerieren zu wollen, dass mir die russische Sprache helfen wird, meine depressiven Gedanken zu verscheuchen. Ich betrachte es als eine Art Medikament, man könnte auch sagen Stimmungsaufheller. Mit dem Büchlein in der Hand marschiere ich mit neuem Schwung durch die Zelle. Entweder von der Zellentür zum vergitterten Fenster, oder anders herum. Zugleich denke ich einmal darüber nach, mit welcher Strategie ich die Sache angehe. Ich entscheide mich für eine systematische Vorgehensweise und werde daher mit dem Alphabet beginnen, der anerkannten Grundlage einer jeden Sprache. Schnell muss ich erkennen, dass das russische Alphabet ganz schön anders als das deutsche ist. Gleich der zweite Buchstabe, das ‚b‘ macht mir zu schaffen. So muss das russische ‚b‘ wie ;w‘ gesprochen werden. ‚Bodka‘ geschrieben und Wodka gesprochen! Ganz verrückt wird es bei Hans und Horst. Im russischen heißen sie ‚Xans‘ und ‚Gorst‘. Was daran liegt, dass die Russen wie die Franzosen kein ‚h‘ sprechen. Mal verwandeln sie es in ein ‚X‘ und dann wieder in ein ‚G‘. Aber nach welcher Regel? Verdammt, so etwas werde ich mir einprägen müssen. Allmählich beginne ich zu ahnen, auf was ich mich bei diesem Auftrag eingelassen habe.

Kurze Zeit darauf überfallen mich erste Zweifel, ob jemand wie ich, der alles andere als ein Sprachkünstler ist und noch nie eine höhere Schule von innen gesehen hat, dieses total vertrackte Russisch wirklich in seinen Kopf hineinbekommt. Und dazu in nur einer Woche. Doch das schiebe ich zunächst einfach zur Seite. Natürlich könnte ich auch meine Strategie ändern und das Alphabet überspringen. Mich stattdessen mit knappen, einfachen Sätzen begnüge. Zum Beispiel: Wie geht es dir? Danke, es geht sehr gut. Entschuldigen Sie bitte vielmals! Heute scheint die Sonne. Als Anfang müssten hundert von diesen Sätzen reichen. Erst wenn ich sie aus dem Effeff beherrsche, kommen einfach die nächsten hundert Sätze dran. Natürlich ebenfalls einfache. Bis ich in meinem Kopf für jede Situation zwei, drei Sätze parat halte. Nachdem das geklärt ist, lasse ich mein kleines, graues Büchlein wieder in der Innentasche meines Jacketts verschwinden und schmeiße mich erschöpft auf ein quietschendes Feldbett. Umständlich ziehe ich mir eine am Fußende bereitliegende graue Decke über den Körper. Im Liegen hebe ich den rechten Arm und leiste einen eindeutigen Schwur: Marowski, du bleibst eisern dran! Bis du russisch zu deiner zweiten Muttersprache gemacht hast. Auch bin ich bereit, alles aus mir herauszuholen. Schließlich lohnt sich der Aufwand. Ich kann damit einen völlig neuen Kundenkreis kreieren, um endlich von den alten Männern mit ihren jungen Frauen wegzukommen. Bald wird mir bewusst, dass ich mein Vorhaben in dieser tristen Umgebung nicht wirklich starten kann. Ich brauche meine Wohnung, vor allem mein heißgeliebtes Sofa, Dr. Wohllebens Schritte über mir und Frau Welmkes Fernseher unter mir! Das ist mein Umfeld, das ich benötige, um schwierige Dinge zu lösen. Allein der Gedanke an meine eigenen vier Wände beruhigt mich dermaßen, dass ich bereits Sekunden später tief und fest eingeschlafen bin.

Plötzlich spüre ich, wie jemand an meiner Schulter rüttelt. Ich schlage die Augen auf. Ein reichlich beleibter JVA-Beamter steht neben meinem Bett und schaut mich mit einem blassen, verschlossenen Gesicht, in dem kleine, wässrige Augen liegen, gleichgültig an. Wie nebenbei fordert er mich in einem kaum zu verstehenden Badisch auf, ihm zum Verhör zu folgen. Ich nicke verschlafen, erhebe mich schwerfällig und schreite in einem halben Meter Abstand brav hinter ihm her.

Der reiche Russe

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