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Herz Acht

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Die Metzgerei Rauch war nicht unbedingt das, was ein Asket oder Eremit als transzendenten Ort göttlicher Eingebungen und wundersamer Erscheinungen bezeichnet hätte. Ein Visionär war hier ebenso fehl am Platz wie ein Vegetarier. Hier ging es ums Wesentliche, es ging um die Wurst – und man pilgerte aus Bad Aibling, Litzl­dorf, Grainbach oder Steinertsöd hierher, um den diesseitigen, fleischlichen Genüssen zu frönen. Der Wurstkessel war für die hiesigen Ureinwohner so etwas wie der Heilige Gral, die Fleischtheke das Paradies auf Erden. Die reichhaltige Auswahl an Wurstwaren jeder Art ließ jedem Gourmet, der Geselchtes und Geräuchertes zu goutieren wusste, das Wasser im Munde zusammenlaufen. Milzwurst, Wollwurst, Weißwurst, Bauerngeräuchertes, Cervelat, Pariser Jagdwurst, Vespermett, Prinzensülze, dazu Cabanossi, Landjäger, Debrecziner, Regensburger, Lyoner – und obendrein die obligatorischen örtlichen Spezialitäten der vielfach prämierten Leib-und-Magen–Manufaktur: Schwarzrauchschinken, Bratensülze und altbayerischer Leberkäs. Beim »Rauch« gab es alles, was das Herz eines echten Bayern begehrte, insbesondere wenn es sich um ein solch verfressenes Mannsbild wie Kriminaloberkommissar Bartholomäus Pföderl handelte.

Barthl Pföderl war indes nicht nur wegen Presssack und Prosecco hier. Er war hier, um zwei wichtige Zeugen im Mordfall Erwin Ehgartner zu vernehmen – und er hatte aus ermittlungstaktischen Gründen beschlossen, die informelle Befragung der beiden eigensinnigen Querulanten hierher zu verlegen. Zumal sich beim »Rauch« das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden ließ. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen in Form von Brüh-, Brat- oder Extrawürsten. Ein prüfender Blick auf die Digitalanzeige am Armaturenbrett bestätigte ihm, dass er gut in der Zeit lag: 9 Uhr 33. Nach der Sonderschicht in der »Linde« und zwei Caipis und Mai Tais After Work war er noch nicht wieder ganz der Alte – und wuchtete sich ein wenig kreuzlahm aus dem Fahrersitz. Sein Rücken war verspannt, als ob er die Nacht auf dem Bett eines indischen Fakirs verbracht hätte. Mit steifen Gliedern stiefelte er auf die Metzgerei zu – von Weitem schon sah er das Duo Infernale auf einer der Bierbänke vor dem Laden lümmeln. »Pünktlich wie die Dachdecker«, murmelte er anerkennend. Dem Outfit nach zu schließen, schoben die beiden Dienst. Sepp Sonnleitner trug die Pföderl wohlbekannte Kluft: braune Uniformhose, beigefarbenes Hemd, darüber eine schwarze Lederjacke mit der Aufschrift »Polizei«. Eine gigantomanische XXL-Leberkässemmel in der einen, eine Bügelflasche Bier in der anderen Hand. Sein Kumpan Rabensteiner trug Schwarz: nicht das Schwarz der Kaminkehrer oder Sargträger, sondern das der IS-Security, einem hier ansässigen, privaten Sicherheitsdienst. Die haben Nerven, machen tatsächlich in aller Seelenruhe Brotzeit und kippen dazu in aller Früh ein Bier – und das im Dienst, vermerkte Pföderl verwundert – er war unschlüssig, ob ihm die zur Schau getragene Unbekümmertheit Respekt abnötigte oder ob er angewidert sein sollte. Barthl wusste, dass er vorsichtig vorgehen musste. Das Duo Infernale hielt zusammen wie Pech und Schwefel. Betont lässig grüßte er in die Runde. »Ois roger in Kambodscha?« Rabensteiner kaute unbeeindruckt auf seinem Mega-Bayernburger herum, Sonnleitner hob träge ein Lid und blinzelte ihn aus einem rotgeäderten Aschermittwochsäuglein an. Das würde heiter werden.

Sepp Sonnleitner und Vitus Rabensteiner waren zwei Musterexemplare des Homo bavariensis, die sowohl dem Hopfentrunk als auch fetthaltigen Speisen mit wahrer Wonne zusprachen. Hatte ein Vertreter dieser Gattung das nötige Quantum intus, dann konnte ihn nichts mehr erschüttern, dann fürchtete er noch nicht einmal, dass ihm der Himmel auf den Kopf fiel. Die beiden Malz-Machos waren das, was man nördlich des Weißwurstäquators als »Originale« bezeichnete. In ihrem »Homeland« fielen die beiden Querulanten jedoch nicht weiter auf. Gietl hatte ihm eingeschärft: »Obacht! Wenn du ihnen auf die harte Tour kommst, schalten diese Dickschädel sofort auf stur. Bei diesen Holzköpfen erreichst du mit der »Bad Cop«-Nummer nichts. Gib dich nachgiebig, einsichtig, sonst fängst dir noch eine Watschen!« Wie Pföderl von seinem »V-Mann« erfahren hatte, waren die beiden das, was man in Bayern Zornbinkel, im Rest der Republik Choleriker und Hitzkopf nannte. Sonnleitner und Rabensteiner waren ein Gespann, das aus Prinzip nie in die gleiche Richtung zog. Zwei gleich starke, konträre Kräfte, die das Widersprüchliche, Gegensätzliche kultivierten und sich von daher ideal ergänzten: Die beiden Streithähne waren wie Basmatireis und Bauerngeselchtes, Blunzen und Buchteln. Zwischen den Polaritäten Plus und Minus funkte es so lange, bis sich die elektrische Spannung mit Blitz und Donner entladen hatte. Wenn es allerdings gegen den Rest der Welt ging, waren die beiden plötzlich ein Herz und eine Seele. Diesem Umstand musste er Rechnung tragen: Er würde höllisch aufpassen müssen, um nicht zwischen Skylla und Charybdis zermalmt zu werden.

»Hock dich hehra, kost aa ned mehra.« Sonnleitner begrüßte ihn mit – unter den gegebenen äußeren Bedingungen – ausgesuchter Höflichkeit. Sein Kompagnon grunzte säuerlich. »Aa scho da, wir warten schon eine Viertelstunde.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, widmeten sie sich in stiller Andacht ihren »belegten Brötchen«. Augenscheinlich waren sich die bockbeinigen Bauernfünfer keiner Schuld, keines »Fehlverhaltens« bewusst. Von schlechtem Gewissen keine Spur. Mit Small Talk würde er auf Grund laufen, daher kam Pföderl auf die tragischen Ereignisse im Lindenwirt zu sprechen. Ohne dabei mit der Tür ins Haus zu fallen: »Taugt er was, der Leberkäs?« Die Frage war selbstredend eine rhetorische – und Sonnleitner passte den Ball zurück.

»Der beste weit und breit. An den Rauch kommt keiner hin, nicht der Schraml, nicht der Holzner und schon gar nicht der Flötzinger, der Gammelfleisch-Tandler!« Sonnleitner, immerhin Polizeihauptmeister, schien sich nicht im Geringsten um die von Staatsanwalt Dr. Knittelbeck angedrohten »disziplinarischen Konsequenzen« zu scheren.

Barthl nickte bedächtig: »Und das Bier, gschmackig?«

Nun war Rabensteiner an der Reihe. »Bräuberger Export Dunkel. Das einzig Wahre, da geht nix drüber. Das Bier vom Stern-Bräu ned und das grausige Gesöff vom Grüner-Bräu gleich gar ned!«

»Wenn du denen einen Träger abkaufst, kriegst a Packung Paracetamol gratis dazu«, grinste Sonnleitner boshaft.

»Ihr seid die Profis, ihr müsst es wissen«, pflichtete ihnen Pföderl launig bei und deckte sich seinerseits erst einmal mit lukullischen Sauereien ein. Er hatte Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ob diese Botschaft angekommen war? Man würde sehen, inwieweit sich die Dickschädel auf das Frage-Antwort-Spiel einließen. Die Fleischpflanzerl sahen wirklich zum Reinbeißen aus, das Gleiche galt für die goldgelb glänzenden Brezen. Nur beim Bier zögerte Barthl. Er war schließlich im Dienst – und kein Bulle vom Schlag Sonnleitners.

Die Ureinwohner dieser gebirgigen Gegend verstanden sich auch ohne große Worte – dazu reichten wenige unzweideutige Gesten und Gebärden. Das über Jahrhunderte eingeübte Territorial- und Sozialverhalten half den »Hiesigen«, auftretende Unstimmigkeiten und Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, ehe diese eskalierten. Pföderl hatte sich zu seinen beiden Stammesbrüdern an den Biertisch gesellt – und biss herzhaft in das faschierte Laiberl. »Mmmh, ein Gedicht. Außen resch, innen saftig, mit klein gehackten Zwiebeln und gescheit gewürzt, mit viel Paprika.« Rabensteiner und Sonnleitner nickten zustimmend und nuckelten wie zwei Neugeborene einträchtig an ihren Fläschchen. Das harmonische Häppchen-Happening war allerdings nicht von Dauer.

»Was willst wissen?«, schaltete Rabensteiner in den Angriffsmodus. »Oder brauchst bei der Brotzeit Begleitschutz?« Sonnleitner blinzelte scheinbar unbeteiligt in die Morgensonne, doch der alte Fuchs war auf der Hut. Die Befragung würde zäh werden, so zäh wie mit Flachsen durchzogenes Suppenfleisch.

Pföderl beendete das Vorgeplänkel und ging in medias res. »Was soll ich sagen, ein Mordfall ist immer eine unangenehme Angelegenheit – und mit Unannehmlichkeiten für alle Beteiligten verbunden.«

Rabensteiner gab sich schmallippig. »Was du nicht sagst!«

Sonnleitner zeigte sich gleichsam wenig auskunftsfreudig: »Blöd gelaufen, das mit dem Ehgartner.«

Barthl biss ein letztes Mal in seine Breze, dann stellte er die Frage, die ihm schon die ganze Zeit auf den Nägeln brannte. »Also noch mal zum Mitschreiben: Ihr klopft’s Karten. Da fällt ein Schuss – und der Ehgartner tot um. Und wie reagiert ihr? Sichert ihr den Tatort, verständigt’s die Kollegen? Nein, ihr verzieht’s euch wie zwei Beutelschneider. Es ist euch schon klar, dass ihr euch damit hochgradig verdächtig macht’s?«

Sepp Sonnleitner kraulte seinen stoppeligen Kinnbart. »In der ›Linde‹ waren wir quasi inkognito.«

»Undercover – sozusagen«, flocht Rabensteiner ein.

»Wie schaut das aus, wenn ich als Polizist um hohe Einsätze spiele? Fuchzgerl, Markl! Meine Frau macht mir die Hölle heiß.«

Rabensteiner sprang seinem Spießgesellen bei. »Was der Sepp sagen will: Es wird immer schlimmer bei uns. Ein gläsernes Irrenhaus! Me Too und der ganze Scheiß. Glang heut’ irgendeiner Nutten an die Dutten – schon bist fällig. Wenn mein Chef spitzkriegt, dass ich zum Zocken geh, heißt es Spielsucht, erpressbar, als Security-Mann untragbar. Und ich bekomm eine Abmahnung oder gleich ein blaues Brieferl.«

Pföderl hielt die Einlassungen des Dorf-Doppels zwar für reine Schutzbehauptungen, hakte aber fürs Erste nicht nach. »Was ihr in eurer Freizeit macht, ist mir wurscht. Und für die juristische Bewertung des Sachverhalts ist der Staatsanwalt zuständig – und nicht ich.« Behutsam tastete er sich vor: »Ihr hättet doch eure Aussagen zu Protokoll geben können. Verdammt noch mal, das ist doch nicht zu viel verlangt – ihr wart doch beide auf der Polizeischule, da müsstet ihr doch wissen, dass euer Abseilakt keinen guten Eindruck hinterlässt.« Wie der Pfarrer im Beichtstuhl redete Pföderl den beiden »Sündern« gut zu. »Also raus mit der Sprache, was habt ihr euch dabei gedacht? Und ich will keine Ausflüchte mehr hören.«

Sepp räusperte sich – und streute einen reumütigen Unterton in seinen dröhnenden Bass. »Wir standen unter Schock, verstehst? Die Kugel ist keine 30 Zentimeter an meinem Ohrwaschel vorbeigerauscht. Das lässt keinen kalt. Wir wollten nur weg, eine Fluchtreaktion, verstehst?«

»Wir waren mit den Nerven runter, sind im Auto gesessen und haben uns mit selbst gebranntem Obstler abgefüllt – angetrunken, wie wir waren, wollten wir nicht in der Gegend herumkutschieren. Logisch, oder?« Rabensteiner vertiefte sich in die Betrachtung der leeren Bierflasche und der mit süßem Senf bekleckerten Serviette. »Ein Schnapserl hilft, wenn die psychische Belastung zu krass wird. Nervennahrung. Bis weit nach Mitternacht haben wir die Klampfen kreischen lassen, Sweet Home, TNT, weißt schon.«

Sonnleitner legte eilig nach. »Das musst du dir mal geben, da wird vor deinen Augen ein alter Freund erschossen, da wärst du auch auf Hundert!«

Pföderl biss auf Granit. Sollte er nachbohren, dem »Verhör« eine andere Richtung geben? »Jetzt druckst nicht herum, als ob ihr vor versammelter Klasse die ›Glocke‹ von Schiller auswendig aufsagen sollt.« Pföderl suchte den Blick Sonnleitners, der mehr zu verlieren hatte als sein Spezl, der auf der Gehaltsliste einer privaten Security-Firma stand.

Rabensteiner raunzte angefressen. »Wir haben nix gesehen, wir wissen ned, wer auf den Ehgartner geschossen hat, was hätten wir also aussagen sollen?«

»Beim Schafkopfen musst mitdenken, mitzählen. Da bist du total fokussiert und nimmst deine Umgebung nur schemenhaft wahr – auf einmal macht’s bumm und den Ehgartner haut’s um!«

So kam er nicht weiter – er würde seine Taktik ändern und von der Flanke her attackieren. »Wie war der Ehgartner drauf? War er irgendwie aufgeregt, angespannt oder hat er einen verängstigten Eindruck gemacht?«

Sonnleitner winkte ab. »Im Gegenteil, die Sudsau war super drauf. Drei Solo, zwei Wenz, alle einwandfrei. Der hat uns über den Tisch und das Geld nur so aus der Tasche gezogen. Ich war gewiss schon an Dreißiger in den Miesen, dann hat er ein Herz Solo angesagt.«

Rabensteiner fuhrwerkte mit seinen Pranken herum. »Lauter Luschen, aber das Solo hätt’ er verlieren können. Der Tiroler hatte ein Eins-a-Blattl auf der Hand.«

Pföderl war Bayer, ein geduldig abwartender Ermittler, aber er ließ sich ungern für dumm verkaufen. »Ein Wort noch über Eichel Ober und Gras Sau, dann sehen wir uns morgen früh bei mir im Büro in Rosenheim. Also, ist euch an ihm etwas aufgefallen? Hat er etwas erzählt – über diesen Tiroler zum Beispiel?«

Rabensteiner wuchtete sich von der Bierbank hoch. »Sorry Leut’, i muaß dringend aufs Häusl. Sepp, wia schaut’s aus, geht no’ a Hoibe?« Sonnleitner hob den Daumen und Vitus Rabensteiner stakste im Stelzenschritt zum Dixi-Toilettenhäuschen.

»So, jetzt sind wir unter uns, Sepp. Gab’s da was, was dir sonderbar vorgekommen ist?«

Sonnleitner glotzte ihn aus seinen Albinoäuglein an. »Gesoffen hat er wie ein Loch. Ein Helles nach dem anderen.« Sonnleitner versuchte vergeblich, die Pose des tiefsinnigen Denkers einzunehmen. »Der Erwin war schon allerweil ein Wichtigtuer. An dem Abend hat er hinausposaunt, dass er die Bräuberger Brauerei zur Premiummarke pushen werde. Wie der Pascha ist er da gehockt und hat von der geplanten Imagekampagne erzählt. Parallel dazu würden sie in Tirol ein engmaschiges Vertriebsnetz aufbauen – und dafür sorgen, dass die Getränke-Discounter das Export Hell und das Hefe-Weizen Spezial ins Sortiment aufnehmen.«

»Und wie hat sein Spezl auf die hochfliegenden Pläne reagiert?«, erkundigte sich Pföderl.

»Gar ned, der Typ kam ja ein bisserl später – und hat in seinen Bart genuschelt, dass er mit Bergbahn- und Liftbetreibern verhandeln tät’. Unter dem Motto ›Bräuberger ist Spitze‹ sollte das Bayern-Bier bei den Ösis einschlagen wie die Schartner Bombe.«

Der Kriminalkommissar nahm die Steilvorlage dankend an. »Top of Tirol, oder wie? Hast ihm diese Liftstüberl-Nummer abgenommen?«

»Ah geh, nix wie heiße Luft. Aber was geht’s mich an, was die beiden treiben? Der Ehgartner war noch nie der bescheidene Hackler im Weinberg des Herrn.« Sonnleitner blinzelte, als ob er sich eine Träne verdrücken müsste.

Eine durchaus ansprechende schauspielerische Leistung, einen Tick zu theatralisch vielleicht, befand Pföderl. »Und was hast du dir gedacht?«

»Im Prinzip war der Erwin ein Pfundskerl – aber in letzter Zeit hat er es mit der Gschaftlhuberei übertrieben. Vor einem Dreivierteljahr haben s’ ihn mit dem Sanka in die Klinik eingeliefert. Verschluss der linken Herzarterie, hat es geheißen. Aber er wollt’ partout ned kürzertreten! Stattdessen macht er Wahlkampf für die Patrioten-Front, der alte Depp!«

Pföderl war überrascht – er hatte nicht geahnt, dass Ehgartner ein schwer kranker Mann gewesen war. »Bei der Obduktion werden wir Genaueres über den Zustand von Herz, Lunge, Leber und Nieren erfahren.«

Sonnleitner übte sich in Galgenhumor. »Frage: Wenn einer eh schon auf der Abschussrampe steht, wieso noch ein Risiko eingehen und ihn umlegen?«

Pföderl krakelte ein paar Stichpunkte in seinen Notizblock: »Zustand der inneren Organe« – »Ehgartners Krankenakten einsehen« – »Wer wusste von der Herz-OP?« Barthl setzte einen ernsten Gesichtsausdruck auf: »Das werden wir herausfinden. Hatte Ehgartner berufliche oder private Probleme?« Er blickte auf und sah Rabensteiner neben Sonnleitner stehen.

»Probleme?« Vitus Rabensteiner wieherte wie ein Hengst, der eine brunftige Stute erspähte – und knallte zwei Flaschen Bräuberger Ägidius-Trunk auf den Biertisch. »Das wäre etwas untertrieben, tät ich sagen. Sein Privatleben, ein einziges Desaster. Er hat ja unbedingt diese Liana oder Liora, wie das geldgierige Weiberts geheißen hat, heiraten müssen. Diese rumänische Schnalle hat ihn ausgenommen wie eine Kirchweihgans. Und dann wollt s’ ihm auch noch ein Kuckuckskind anhängen – das nicht von ihm war.«

Sonnleitner hielt es offenbar für taktlos, die familiären Verhältnisse Ehgartners in aller Ausführlichkeit zu sezieren, doch auch er merkte in süffisantem Ton an: »Die Scheidung war nicht billig, dieses Drecksluder hat ihn richtig bluten lassen.«

Rabensteiner neigte gedankenschwer sein Haupt und schien mit sich zu ringen, ob er noch mehr »Intimitäten« preisgeben sollte. »Dazu die Geschichte mit der gspinnerten Hex’, der Schönhuberin.«

»Dieses Flintenweib hat ihn doch zur Kandidatur gedrängt«, ereiferte sich Sonnleitner.

Der Kommissar machte sich erneut stichpunktartige Notizen. »Schönhuber« – »politisches Engagement« – »Kandidatur«. »Und im Job, wie ist es da gelaufen?«, erkundigte sich Pföderl.

»Da hat ois gepasst. Von Bierflaute keine Spur. Der Absatz ist stetig gestiegen, die Brauerei hat in neue Sudkessel, Edelstahltanks und Abfüllanlagen investiert. Da ist er als Geschäftsführer fest im Sessel gesessen, aber der Stress war enorm.« Sonnleitner zog ein nüchternes Fazit. »Der Erwin hat sich überhoben. Die Politik, der Wahlkampf, die ganzen Anschuldigungen und Anfeindungen haben ihm das Genick gebrochen. Er wollte einfach immer mehr – und am besten alles auf einmal.«

Rabensteiner orakelte: »Wer den Hals nicht vollkriegt, dem wird irgendwann das Maul gestopft.«

Pföderl merkte kurz und lapidar an: »Zu viele Jäger sind des Hasen Tod!« Und unter den Jägern würde der Mörder zu finden sein.

Wie er es im Seminar »Praktische Verhörtechnik« gelernt hatte, sondierte er geduldig alle möglichen Spuren. »Wollte er sich hernach noch mit jemandem treffen?«

Eine tiefe Zornesröte entflammte Rabensteiners Wangen. »Was soll diese depperte Fragerei, Pföderl? Wen hätte er denn treffen sollen? Den Padrone von der Inntaler Mafia oder seinen Führungsbeamten vom BfV?«

Sonnleitner hob beschwichtigend die Arme: »Du musst das fragen, o. k.! Aber der Ehgartner war sturzbesoffen, er hat noch nicht einmal die Arschbacken der Trachten-Trutschen betatscht.«

»Und das will was heißen«, scherzte Rabensteiner.

Pföderl wurde das komische Gefühl nicht los, dass ihn diese Bauernbazi wie einen Ochsen am Nasenring herumführten. Das Gespräch hatte sich bislang ausschließlich um das Opfer, aber nicht um den mutmaßlich an der Tat beteiligten flüchtigen Tiroler gedreht. »Was wisst ihr über seinen Geschäftspartner? Was hat der hier gewollt?«

Sonnleitner hebelte den Kronkorken aus der Flasche. »Mei, den haben wir noch nie hier gesehen. Getränke-Tandler aus Hall, glaub ich zumindest. Ein ziemlicher Unsympath, wenn du mich frägst.«

Rabensteiner schlug seine schwarze Erdmann-Jacke mit der Aufschrift »IS-Security« zurück, darunter kam ein Pistolenhalfter zum Vorschein. »Ein eingebildetes Großmaul. Der Ehgartner war stinkfreundlich zu dem Aff – Jackl hier, Jackl da. Er ist dem Goaßenficker regelrecht in den Arsch gekrochen, das war sonst ned seine Art.«

Sonnleitner klopfte sich ein paar Brösel von der Hose. »Der hat sich nicht in die Karten schauen lassen, hat einen auf harten Hund, so auf Schwarzenegger light gemacht.«

Der Ball flog jetzt mit atemberaubender Geschwindigkeit hin und her. »Wo du es sagst – da war so eine negative Aura, was Hinterhältiges.«

Pföderl rutschte unruhig auf der harten Bierbank herum, in puncto Sitzfleisch war er gegenüber seinen beiden Zeugen eindeutig im Hintertreffen: »Aus Hall also, Jackl, Jakob. Wie noch?«

»Hm«, machte Sonnleitner. »Einen Schlitzaugen-Schlitten hat er gefahren, einen Allrad-Jeep von Suzuki oder Toyota.«

Rabensteiner wischte sich einen Speichelrest aus dem Mundwinkel. »Kennzeichen IL – Innsbruck-Land. Die Buchstabenkombination war irgendwas mit JE oder IF.«

»Habt’s die Schönhuberin schon befragt?«, wandte Sonnleitner ein.

Pföderl verneinte. »Noch nicht. Wieso? Wisst ihr da noch was?« Die vielsagenden Blicke entgingen ihm nicht.

Rabensteiner höhnte. »Du bist doch bei der Kripo. Ich bin nur der Security-Sepp.«

Sonnleitner enthielt sich jeder Polemik. »Sie war doch sein Gspusi, schon ein bisserl her, dann hat er die Rumänin aufgegabelt und es gab eine Menge böses Blut.«

Pföderl fahndete in den Taschen seines zerknautschten Sakkos nach einem Kaugummipackerl und stieß dabei auf ein Gerät, das er dort drin nicht vermutet hatte: ein Diktafon. Wieso hatte er das Gespräch nicht mitgeschnitten? Das war doch reichlich unprofessionell. Er fühlte, wie die Wut in ihm hochkochte. »Dass oben am Kirchberg die Trafostation in die Luft geflogen ist, davon habt’s ihr nichts mitbekommen, oder?«

»Wir waren doch unten am Parkplatz, später sind wir nauf nach Untereck, zur Kapelle«, wiegelte Sonnleitner ab. Pföderl bezweifelte, dass er von den beiden Zipfelklatschern die Wahrheit erfahren würde – da müsste er schon die Daumenschrauben anziehen.

Rabensteiner pulte mit einem Zahnstocher in seinen Hauern herum. »Weißt du, ob der Japsen-Jeep da noch da war, Sepp?«

»Schon möglich. Ehrlicherweise war ich nicht ganz bei mir«, merkte sein Sparringspartner mit bedauernder Miene an.

Das Pflanzerl war nur noch lauwarm – Pföderl hatte es also eilig. Ein herzhafter Biss, und ein Spritzer süßer Senf landete auf seinem samtteuren Sakko. »Verdammt, ze fix! Der war richtig teuer, reine Schurwolle – Markenware.« Er riss eine Serviette aus dem Spender und suchte mit hektischen Bewegungen die Senfspuren zu beseitigen, verschmierte dabei allerdings nur den Mostrich aus dem Hause Develey auf dem edlen Zwirn.

Sonnleitner klopfte ihm mit einem schadenfrohen Grinsen auf die Schulter. »Wir packen’s wieder, Barthl. Die Pflicht ruft. Denk dir nix. Meine Frau sagt immer: Schmeiß das alte Zeug weg, die armen Negerkinder brauchen aa was zum Anziehen!«

»Wie? Ihr wollt’s jetzt nicht einfach so gehen, oder?«

Rabensteiners Bärenpranke legte sich auf seinen Unterarm. »Wieso ned? Falls du noch was wissen willst, immer gern!« Breitbeinig wie zwei Desperados in einem B-Movie stapften sie zu ihren im Halteverbot parkenden Dienstwagen. Ratlosigkeit machte sich in ihm breit. Er war hier aufgewachsen, war ein Kind der Berge, manchmal hatte er jedoch das bedrückende Gefühl, ein Fremder im eigenen Land zu sein.

Bayerische Hinterhand

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