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Schellen Sieben

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Der krausbärtige Mann hockte im Herrgottswinkel der Gaststube. Um seinen fülligen, untersetzten Leib spannte sich die Montur der Tiroler Schützen. Ein Schlapphut saß schief auf seinem massigen Bauernschädel. Wie Schraubstöcke umklammerten seine klobigen Pranken ein sorgfältig gefälteltes Briefchen – langsam wie in Zeitlupe sanken seine Arme kraftlos herab. Das wettergegerbte Gesicht des Mannes war von Furchen und Spalten zerkerbt. So als ob er unter Kurzsichtigkeit litt, kniff der Bärtige die rotgeäderten Augen zusammen und musterte die Runde schweigsamer Männer, die sich um den Tisch geschart hatten. Tonlos murmelte er: »Der Herrgott hat uns verlassen! Ich aber lass enk ned im Stich, Mahnder!« Wie ein Mantra wiederholte er gebetsmühlenhaft diesen einen Satz: »Ich lass enk ned im Stich.« Mit den hingehauchten Worten bildeten sich kleine Kondenswölkchen in der Luft. In der holzvertäfelten Wirtsstube war es eisig. Der Kachelofen war erkaltet, die Glut unter der Asche lang schon erloschen. Es war eine klamme, beklemmende Kälte, die alles erstarren und das Gebein gefrieren ließ. Hofer saß da wie ein zu Tal gestürzter Fels, starr und reglos seine Miene. Sein Schreiber und Sekretär aber fror erbärmlich. Kajetan Sweth knetete fortwährend die steifen, wund geschriebenen Finger – er hätte daran denken sollen, ein paar Fäustlinge einzustecken. Hofer schien unfähig zu sein, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn den Befehl zum Aufbruch zu erteilen. Jemand aus Hofers Stab, der Stimme nach handelte es sich um Hofers Flügeladjutanten Oswald Rabensteiner, fuhr den Herbergsvater ruppig an: »Schupfen-Wirt, warum hast den Kachelofen nit anschüren lassen? Seint wir dir als Gäste nit mehr genehm? Hier herinnen isch es so saukalt, dass das Wasser in der Schüssel gefriert!« Der als Schupfen-Wirt titulierte Bauernschrank von einem Mann wurde bleich und blass um die Nasenspitze. Hofer wiegte bekümmert sein Haupt: »Lass gut sein, Oswald! Es gibt Gäste, die kommen zur Unzeit. Bin selber lang genug Wirt drüben im Passeier gewest …« Seine Worte stockten wie geronnene Milch. Endlich besann sich Hofer und ließ den Wirt wissen: »Gastgeb’ habt Dank und seid versichert, dass unser Bleiben hier ein baldiges End find’t!«

An der mit Zirbelholz vertäfelten Wand über den »gewesten« Landeskommandanten von Tirol hing ein im Reich des Kaisers von Österreich beliebtes Sujet: eine in Kupfer gestochene Allegorie auf das hochedle, allzeit siegreiche Haus Habsburg. Um das erlauchte Haupt des glatzköpfigen Kaisers waberte ein Glorienschein. Das Wappentier der Habsburger, der schwarze Adler, breitete seine Schwingen, begierig, seine Beute mit Haut und Haar zu verschlingen. Kaiser Franz der Erste dieses Namens war indes weit weg. Seine Majestät saß an seinem Schreibtisch im Schönbrunner Schloss und verschwendete kein Briefpapier mehr auf die Rebellen im fernen Tirol. Hofers wackere Streitschar war für ihn nur eine Handvoll Bauern auf dem Schachbrett der großen Politik. Bauern, die man zur Not opferte. Der Kaiser Österreichs war gezwungen, einen Pakt mit dem Kaiser der Franzosen zu schließen, dem Gebot der Stunde gehorchend. Ein Bündnis mit dem übermächtigen Großmogul der Grande Nation würde das Haus Habsburg aus seiner misslichen militärischen Lage befreien und neuen Spielraum für einige gekonnte diplomatische Winkelzüge verschaffen. Was zählten da die Treueschwüre einiger ungehobelter Hinterwäldler? Der Herr zu Schönbrunn war Realist, die Bergbauern und Bettelmänner hatten mit hohem Einsatz gespielt – und verloren. Rien ne va plus.

Hofer blickte von seinem leeren Schnapsglas auf: »Der große Schnitter hat reiche Ernte eingefahren. Der bayerische Kronprinz Ludwig paradiert in Innsbruck. Der große Wolf, er hat obsiegt!« Der Mann mit dem Prophetenbart starrte trübsinnig vor sich hin. Hofer schien um Jahre gealtert, ein gedemütigter und gebrochener Mann. Sein Kaiser, wenn nicht Gott im Himmel selbst, hatte ihn verlassen. Einer der Hauptleute rief mit vor Bitternis bebender Stimme: »Wir haben eine Schlacht, aber nicht unsere Courage, unseren Glauben verloren! Wir gehen in die Berge und führen den Kampf im Untergrund fort!«

In defätistischer, schwermütiger Niedergeschlagenheit schüttelte Hofer sein Haupt. Seine sehnigen, schwieligen Hände lagen vor ihm, so als ob er nichts mehr mit ihnen anzufangen wüsste. »Dreimal ist unser Herr Jesus unterm Kreuz gefallen, dreimal haben wir den Feind aus unserem Landl verjagt. Ein viertes Mal mag’s ned gehen, doch ich werd’ enk ned verlassen!«, begehrte Hofer gegen die Macht des Schicksals auf.

Ein Raunen ging durch Hofers Hofstaat: »Recht so, Vater Hofer!«, »Dreinschlagen sag ich, Andrä!«, »Setzt ein Sendschreiben auf!«

Sweth blickte sich mit erstaunten Augen um, die gespitzte Feder in der Linken griffbereit. »Wir alle, die wir hier stehen, halten dem Heiligen Land Tirol die Treue, aber selbst der Kaiser hat unsere Sache verraten und verkauft«, gab der Anführer der Pustertaler Schützen zu bedenken: »Es isch verspielt, Kommandant. Unsere Männer sind auf der Flucht, es ischt kein Halten mehr!«

»Die bayerischen Truppen stehen schon in Igls und Patsch. Wir müssen fort von hier«, merkte ein anderer, ein hünenhafter Hufschmied, besorgt an.

Hofer stemmte sich von der Sitzbank hoch und setzte sich kerzengerade hin, dann erst orderte er bei der Schankmaid eine Runde Schnaps: »Sei so guad, Madl, und bring uns noch einen Kerschgeist. Am besten lascht die Flasche gleich bei uns am Tisch, gell!« Das Gesicht der hübschen Maid glühte vor Aufregung, ihre Bäckchen leuchteten so feuerrot wie eine frisch erblühte Pfingstrose. Sie versuchte sich an einem höfischen Knicks, was der Bauerndirn indes gründlich misslang: »Sehr wohl, stets zu Euren Diensten, Herr Hofer, ich mein, Herr Kommandant.« Eiligst huschte das fesche Weibsstück davon, um eine neue Bouteille des von einem Nachbarn des Schupfenwirts selbst gebrannten Kirschgeists aus der Speisekammer zu holen. Hofer hielt den Blick gesenkt, fuhr sich durch den dichten, krausen Bart: »Früher bin i der David, der Makkabäer gewest, und jetzt? Ach Himmel, was soll nun aus unserem armen, gebeutelten Landl werden?« Wie um einen feierlichen Schwur vor Gott und der Welt abzulegen, hob Hofer seine Rechte zur Brust. »Kajetan, Feder, Tinte und Papier. Es isch Zeit!« Der Schreiber Kajetan Sweth beeilte sich, der Order seines Chefs nachzukommen. »An eure Durchlaucht den Kronprinzen von Bayern. Es hat der Allmächtige so eingerichtet, dass uns heutigen Tages das Kriegsglück hat verlassen müssen.« Die frisch gespitzte Feder kratzte fahrig über das feine Kanzleipapier. Die umstehenden Männer tuschelten untereinander, klobige Lederstiefel scharrten auf den Dielenbrettern. »Ich bitt’ daher recht schön, dass eure Exzellenz in Erwägung ziehen mögen, die Feindseligkeiten von Stund’ an einzustellen. André Hofer, Feldkommandant et cetera. Du weißt schon, Sweth.« Die Feder des Schreibers flog über das Papier, um der blanken Botschaft ein paar gefällige Wendungen und Schnörkel abzuringen. Eine schwere, brütende Stille senkte sich über Hofer und seine Männer. Was würde aus Tirol, was würde aus ihnen und den Ihrigen werden. Ihrer aller Zukunft lag in Gottes Hand. Der himmlische Vater jedoch hüllte sich in Schweigen.

Hofer setzte seine krakelige Unterschrift unter das Gesuch, die Waffen fortan schweigen zu lassen. »Oswald, sei so gut«, er winkte seinen Adjutanten Rabensteiner heran und händigte ihm das Papier aus. »Schau zu, Oswald, dass du beim Kronprinzen in der Hofburg vorstellig wirst. Der König von Bayern soll doch so gnädig sein, uns die alten Freiheiten zu belassen. Und die Patres – ohne Glauben da geht’s ned! Einen Glauben braucht der Mensch …« Hofers Stimme erstarb.

Der Mann mit einer blutigen Schramme im Gesicht senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Wo werdet Ihr zu finden sein, Gevatter Hofer?«

»Geh nach Matrei, hinauf nach Maria Waldrast. Pater Maurus wird wissen, wo ich mich aufhalt’, Oswald!« Hofers Getreuer ließ das gefältelte Briefchen in die weiten Taschen seines fleckigen Mantels gleiten, salutierte kurz und eilte zur Remise, zu den Pferden. Der Schreiber Sweth wagte kaum zu atmen. In der Gaststube war es so still, dass man nur das Ticken der Wanduhr hörte: »Tick-tack, Tick-tack!« Sweth beschlich das beklemmende Gefühl, dass ihre Zeit abgelaufen war. Die bayerischen Truppen waren ihnen dicht auf den Fersen. Jeden Moment konnte der Wachtposten draußen Alarm schlagen. Doch statt eines grimmig dreinblickenden Landsturmmanns trat die Schankmaid in die Stube. Die Steingutflasche kam vor Hofer zum Stehen: »Vergelt’s Gott!« Ein schüchternes Lächeln ließ ihre Wangen aufs Neue aufflammen: »Zum Wohlsein, Vater Hofer! Wirst sehen, Tirol geht nit unter. Vor den batzlaugerten Boarenfacken und den froschmaulerten Katzelmachern fürcht sich ein Tiroler Madl ned.« Diesmal gelang ihr der Knicks bedeutend besser und im Gehen ließ sie eine Reihe schneeweißer Zähne aufblitzen. Hofer sah ihr mit wehmütigem Blick hinterher, füllte sein Glas und stürzte es wie ein Verdurstender hinunter. Bedächtig wischte er sich mit dem haarigen Handrücken über den Mund, dann sah er eindringlich von einem zum anderen. Sein vom Kerschgeist getrübter Blick schärfte sich, so als ob er im Stande wäre, in den Gesichtern zu lesen, ob sich ein Verräter, ein zweiter Judas unter ihnen befand: »Unser Brüder Herz, es blutet. Seid indes getrost – ich lass enk ned im Stich!« Der Anführer der aufständischen Tiroler erhob sich mit einer solch ruckartigen Bewegung, dass er heftig gegen den Tisch stieß. Eines der Schnapsgläser fiel herab und zerbarst klirrend. Das Geräusch riss Sweth aus seinen Gedanken. War dies ein böses Omen? In seinem Schädel dröhnten das Klirren der Klingen, das Singen der Schwerter, der Knall der Stutzen und Musketen. Hörte das jemals auf? Hatten sie den bitteren Kelch nicht schon bis zur Neige geleert? Tief im Inneren wusste der Schreiber, dass er, Hofer und all die anderen hier einer verlorenen Sache dienten.

Bayerische Hinterhand

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