Читать книгу Die Seepriesterin - Dion Fortune - Страница 12
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Der Deich führte die Straße über das flache Bett des alten Dick und zahlte somit an diesen ehemals befahrbaren Strom den Tribut für ein Abflussrohr. Hier waren die Reste des offensichtlich alten Treidelpfads, vermutlich durch die Füße von Sklaven ausgetreten, als die unhandlichen Seeschiffe die Lateinersegel strichen und auf dem gewundenen Flussbett durch die Marschlandschaft bis Dickford hinaufgezogen wurden, wo sie auf die Zinngießer von den Hügeln hinter dem Kamm trafen. Über den mit einem Wall gesäumten Weg ging eine enge Spur nach links ab zur See. Sie führte uns einen gewundenen Pfad hinab zu dem verlassenen Hof am Fuße von Bell Head, der ebenfalls Miss Morgans Besitz war.
Wir betrachteten ihn über die zerfallene Trockenmauer, die den schmalen Hof von der weiten Marschlandschaft trennte. Früher war sie weiß getüncht gewesen, wie es hier Brauch ist, aber die weiße Farbe war bis auf einige Flecken abgeblättert, und die Steine unterschieden sich in ihrem Grau kaum von dem salzigen Marschgras.
Das Haus war niedrig und glich einer Kiste, wie von ungeübter Kinderhand auf einer Schiefertafel gezeichnet. Spuren eines Gartens fanden wir nicht. Ein stark bewachsenes Stück Erde deutete auf einen ehemaligen Misthaufen hin, der ungewöhnlich nah an der Hintertür lag. Nun, das Niveau eines Pächters lässt sich am besten nach seinen sanitären Einrichtungen beurteilen. Der stufenförmige grasbewachsene Hang, der uns zu der Felsfront hinter dem Haus führte, wies die Dellen und Furchen einer früheren Bebauung auf. Bell Head sah aus wie ein schlafender Löwe, den Schwanz zur See gewandt, und der Hof schmiegte sich zwischen die Pranken zum Schutz vor den Weststürmen. Der Hang, der zur Brust des Löwen führte, war früher terrassenförmig angelegt gewesen, und es schien noch gar nicht so lange her zu sein, dass ein Pflug über die Terrassen gegangen war, bevor man alles den Disteln und dem langsam wachsenden Seegras überlassen hatte.
Miss Morgan erkannte sofort die löwenähnliche Form, und auf die Terrassen zwischen seinen Pranken deutend, erklärte sie:
„Dort wurde Wein angebaut.“
„Von wem?“, fragte ich verwirrt.
„Von den Leuten, denen Bell Knowle als Tempel gedient hat. Wenn ich zurückkomme, werde ich Weinstöcke setzen.“
Wir gelangten nun zu einer Straße – ein Werk des Kriegsministeriums, und so sah sie auch aus: Offenbar hatte man mit einem Lineal eine Linie auf einer Karte gezogen und die Straße von müden Tommys heraushauen lassen. Die Strecke verlief diagonal über den tiefen Graben des landeinwärts gelegenen Endes von Bell Head auf einer Felsbank, und an der Haarnadelkurve auf der Spitze fürchtete ich, das Auto würde zurückrollen. Ich dachte daran, wie sich die Tommys mit ihrem Nachschub hier heraufgekämpft hatten, bevor es Lastwagen gab, und ich bedauerte sie zutiefst.
Nach dieser nervtötenden Kurve zog sich die Straße gerade über die ganze Landzunge hin, bis sie sich an der Spitze verlor. Über uns auf dem Kamm der Hügel waren lose Haufen steinähnlicher Hügelgräber zu finden. Miss Morgan zeigte Interesse, aber ich fuhr weiter geradeaus, mitten durch zehn Millionen hüpfende Kaninchen hindurch, bis wir die Neigung der Straße erreichten und das Fort sahen. Miss Morgan begann, vor Aufregung zu zittern.
Das Fort war nicht groß, etwas abgesenkt als Schutz gegen Kanonenschüsse, aus dem örtlichen Kalkstein von demselben einfallslosen Architekten gebaut, der auch die Straße wie mit einem Lineal angelegt hatte. Das verrottete Tor war aus den Angeln gerissen, und so fuhren wir direkt in den Vorhof hinein. Hinter uns lagen die Baracken, vor uns breitete sich eine halbkreisförmige Schießanlage aus; weiter vorne ragte die lange Zunge eines Felsens ins Wasser, und man brauchte nur den Wellenschlag und den Strudel an der Spitze zu beobachten, um zu wissen, was bei Flut hier los war – selbst an einem ruhigen Tag –, und wie die Wellen bei Sturm dagegen andonnerten, das konnte ich mir erst recht vorstellen.
Miss Morgan sah sich kurz um und erklärte dann: „Der Platz ist ideal.“
Während ich den Lunchkorb zu einem geschützten Unterstand trug, dachte ich daran, wie das Leben hier für die armen gottverdammten Tommys gewesen sein musste.
Miss Morgan wollte sich noch nicht zum Lunch niederlassen, sondern kletterte an einer Schießscharte hoch, spazierte bis zum Ende der langen scharfkantigen Landzunge, die 50 oder 60 Fuß ins Wasser hinausragte, blieb an der äußersten Kante, den heranbrechenden Wellen zugewandt, stehen und starrte auf die See. Ich war beunruhigt: Wenn sie auf diesen mit Kletten bewachsenen Steinen ausrutschte, hätte nichts und niemand sie retten können. Die Flut arbeitete wie ein Mühlrad. Ich rief sie zurück, zumal das Wasser stieg. Sie antwortete nicht und blieb stehen, ab und zu vor den herankommenden Wellen einen Schritt zurückweichend. In meiner Besorgnis rauchte ich drei Zigaretten.
Als sie dort im blassgrünen Tuchmantel stand, im Halblicht des grauen Tages, unterschied sie sich kaum vom Wasser, und die losen Falten ihres Pelzes flatterten wie eine Fahne im Wind. Dann nahm sie den Hut ab, zog einen geschnitzten Schildpattkamm aus dem schwarzen Haar und schüttelte es wie eine Mähne. Ich beobachtete sie, faszinierter als ich hätte sein dürfen. Nie zuvor war mir eine solche Frau begegnet. Nach der dritten Zigarette hatte ich mich beruhigt und fand, sie hätte dort lang genug gestanden, gegen den Wind gelehnt, mit flatternden Haaren und wehenden Kleidern, und kletterte hinab, um sie zurück auf den Felsen zu holen.
Sie drehte sich um und streckte ihre Hand aus. Ich dachte, sie wollte sich abstützen, und nahm ihre Hand, aber sie zog mich neben sich auf die enge Stelle und hielt mich fest.
„Komm und spür die See“, sagte sie.
Ich stand schweigend neben ihr und drückte mich gegen den Wind, wie sie es getan hatte. Ein warmer brennender Wind umhüllte uns mit starkem Druck. Zu unseren Füßen schlugen ununterbrochen kleine, sich kräuselnde Wellen gegen die Felsen, und weiter draußen hörten wir ein heftiges Zischen, wenn die Brecher gegen die Felsen klatschten. Es war faszinierend. Die See, tief und kraftvoll, hatte uns eingeschlossen auf diesem engen, scharfkantigen, von den Wellen umspülten Felsen, der sich zurück bis zum Fort erstreckte. Ich überließ mich dem Zauber, dort neben ihr zu stehen.
Dann bemerkte ich etwas, was mir nie zuvor aufgefallen war, wenn ich dem Klatschen der Wellen an die Felsen gelauscht hatte: den Klang von Glocken im Wasser. Es ist natürlich eine Illusion, die durch den Lärm heraufbeschworen wird; eine Art Nachhall im Ohr, das durch das rhythmische Getöse ermüdet ist. Ich kann es nur vergleichen mit dem Geräusch der singenden See in einer Muschel. Ich lauschte gebannt, und allmählich verlor das Geräusch den unbestimmten Klang des Windes in einer Muschel und wurde ein eindeutiges Schlagen und schließlich ein bronzenes Klirren aus den untersten Tiefen der See, als wenn sich die Seepaläste öffneten.
Plötzlich erreichte eine Stimme mein Ohr:
„Mein lieber Junge, wach auf, sonst fällst du hinein.“
Ich drehte mich verwirrt um, Miss Le Fay Morgan stand neben mir, immer noch meine Hand haltend.
Wir kletterten zurück über das steile, schlüpfrige Riff. Ob Sie es glauben oder nicht, ich schaute über die Schulter zurück, um zu sehen, ob die Seegötter folgten. In dem Augenblick, als ihre Stimme mich zurückholte, hatte ich die Vision eines Ortes, wo sich zwei Königreiche trafen, und die Tore des Seekönigreichs standen für mich offen. Das bedeutete zu ertrinken, und ich hätte diesen kalten Pfad gehen müssen, wenn Miss Le Fay Morgan mich nicht wachgerüttelt hätte.
Dann aßen wir zu Mittag, und anschließend fuhr ich sie nach Hause. Ich war froh, dass ihr der Platz gefiel, denn ich hatte das Gefühl, als Begleiter auf der Expedition versagt zu haben.
Als wir uns vor dem Hotel verabschiedeten, weil ich nicht mit hereinkommen und mit ihr Tee trinken wollte, legte sie plötzlich ihre Hand auf meinen Arm und sagte:
„Wann werden Sie mir glauben, dass ich ohne Hintergedanken mit Ihnen Freundschaft schließen will?“
Ich war so verdutzt, dass ich kein Wort herausbrachte, und selbst wenn mir eine Entgegnung eingefallen wäre – meine Stimme hätte mir nicht gehorcht. Ich murmelte etwas Unverständliches und floh. Es hätte nicht viel gefehlt und mein Mantel wäre in ihrer Hand zurückgeblieben.
Auf dem Heimweg hielt mich unser Verkehrspolizist an und drohte, mich einzusperren. „Was ist los mit Ihnen? Sie fahren ja wie im Tran. Oder hat der Doktor Sie wieder mit Drogen vollgepumpt?“
Ich antwortete „vielleicht“, und er ließ mich mit dem guten Rat ziehen, sozusagen von Mann zu Mann: „Machen Sie doch mit dem Asthma Schluss!“
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