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Vom Geröllgerät zur Genanalyse
ОглавлениеBisherige Schätzungen sind vage. Irgendwann zwischen drei und dreizehn Millionen Jahren vor heute sollen die Gattungen getrennte Wege gegangen sein. Mancher Forscher meint, das Schädelfragment des etwa sieben Millionen Jahre alten Sahelanthropus tschadensis sei mit Sicherheit bereits hominid. Dem halten Kritiker entgegen, dass das Bruchstück eines einzigen Knochens nicht aussagekräftig genug sei, um eine ganze Art zu bestimmen. Zweiter Kandidat auf der Bewerberliste für den Posten des ersten Menschen ist Orrorin tugenensis, ein etwa sechs Millionen Jahre alter Typus, dessen Überreste Martin Pickford 2000 in Kenia entdeckte und der pünktlich zum Jahrtausendwechsel als „Milleniummann“ durch die Presse spukte. Doch ob sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Mensch und Affe trennten, ist fragwürdig.
Da sich die biologische Trennung nicht eindeutig nachweisen ließ, rätselten Archäologen bislang an Artefakten herum. Wann begann die Menschwerdung in kultureller Hinsicht? Mit der Erschaffung der ersten Werkzeuge oder mit der Nutzung von Werkzeugen, welche die Natur Menschen und Affen in die Hand legt? Ist ein Grabstock schon ein Zeichen für Menschwerdung oder wird er es erst, wenn ein Steinbeil daran befestigt wird?
Die frühesten bekannten Artefakte, also künstlich hergestellte Hinterlassenschaften des Menschen, sind so genannte Geröllgeräte aus Ostafrika. Sie entstanden aus der Notwendigkeit eines scharfen Werkzeugs, vermutlich, um Fleisch damit zu zerlegen. Dazu schlugen die frühesten Erfinder zwei runde Geröllsteine gegeneinander, bis einer davon brach. Perfektes Design der Altsteinzeit: Auf der einen Seite war das Werkzeug rund und lag gut in der Hand, auf der anderen hatte es nun eine scharfe Kante. Die ältesten dieser Geröllgeräte sind 2,4 Millionen Jahre alt. Ihr Erfinder war Homo habilis, der sich dank dieses Patents den Namen „der geschickte Mensch“ verdiente. Einige Millionen Jahre später entdeckten die Nachfahren der Geröllmeister die Genetik und damit eine Möglichkeit, in die Zeit vor den ersten Steinwerkzeugen zurückzublicken.
Diesmal stand die Werkstatt in Arizona. An der dortigen Staatsuniversität warf der Genetiker Sudhir Kumar einen Blick ins Räderwerk der molekularen Uhr von Meerkatzenartigen. Von diesen Affen war der Zeitraum bereits bekannt, in dem sie sich von jenem Stammbaum trennten, auf dem später der Mensch sitzen sollte. Datierung: 24 bis 35 Millionen Jahre vor heute. Genug Zeit für die Meerkatzen, Mutationen zu entwickeln. Heute haben sich aus den frühen Typen 59 Arten gebildet. Je mehr Unterschiede zwischen den Arten, umso häufiger waren die Gene mutiert, und das brauchte eine gewisse Zeit. Gemessen an der Häufigkeitsskala, in der eine genetische Mutation stattfindet, ergab sich für die Meerkatzen ein Entwicklungszeitraum von 24 bis 35 Millionen Jahren vor heute. Dieses Ergebnis lag bereits aus anderen Untersuchungen vor, als Sudhir Kumar eine Idee kam.
Vorausgesetzt, die Mutationshäufigkeit der Gene ist bei verwandten Arten in etwa gleich, ließe sich mit dieser Stoppuhr auch die Entwicklung des Menschen messen. Das Biologenteam in Arizona verglich nun die Gene der eigenen Gattung mit Schimpansen, Makaken und Mäusen, notierte die Unterschiede und zählte die Mutationen aus, die zu diesen Unterschieden geführt hatten. Das Resultat war die erste wissenschaftlich geprüfte Geburtsurkunde des Menschen, abgestempelt frühestens vor fünf, spätestens vor sieben Millionen Jahren.
Brief und Siegel bekamen damit sowohl der Milleniummann als auch sein Konkurrent auf den Seniorentitel, Orrorin tugeniensis. Beide hatten in dem von Sudhir Kumar festgestellten Zeitraum der frühen Menschwerdung gelebt. Damit ergab die Untersuchung ein diplomatisches Ergebnis, denn welcher von den beiden Kandidaten letztendlich die so genannte Krone der Schöpfung begründete und tragen darf, bleibt weiterhin offen.