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Verräterische Vor-Verdauung

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Evolution geht durch den Magen – dieser Ansicht ist auch Nathaniel Dominy. Doch statt Fleisch hält der Molekularbiologe aus den USA Wurzeln und Knollen für besonders gehaltvoll, wenn es um die Aussagekraft geht. An der Universität von Kalifornien in Santa Cruz versuchte Dominy den Speiseplan der frühen Menschen zu rekonstruieren und darin das Rezept der Menschwerdung zu entdecken.

Ging es um Steinzeit-Leckereien, fühlten Forscher Fossilien bislang immer nur auf den Zahn. Ragen bei einer Art lange Eckzähne aus dem Kiefer, gilt das meist als Zeichen dafür, dass rohe oder harte Kost zerkleinert werden musste. Die Vermutung liegt nahe, der Mensch habe sich von den beim Affen noch sichtbaren Hauern getrennt, als er lernte, seine Nahrung weichzukochen. Manche Schlussfolgerung aber war falsch. So galten die Zähne des Orang-Utan bislang als Hinweis darauf, dass diese Affenart mit dem Menschen enger verwandt ist als Schimpanse oder Gorilla. Diese Verwandtschaft von Homo sapiens und Orang-Utan soll in den Backenzähnen ablesbar sein, die sich stark ähneln. Doch Erkenntnisse der Genetik versalzten den Anthropologen diese Suppe. Der Schimpanse steht dem Menschen näher als die rothaarige Affenart. Die Ähnlichkeit der Backenzähne ist zufällig.

In anderen Fällen jedoch verrät das prähistorische Gebiss viel über den Speisezettel des menschlichen Vorfahren. So fanden Genetiker 1999 in den Isotopen fossiler Zähne Spuren, die darauf schließen lassen, dass das Grundnahrungsmittel der frühen Hominiden harte Gräser waren. Das Ergebnis überraschte die Forscher, da die flache Form der Zähne besser dafür geeignet war, Nüsse und Samen zu kauen. Dominy ging der Sache nach und brachte Form und Funktion der Zähne zusammen.

Der Genetiker entdeckte, dass Wurzeln und Knollen dieselben Spuren in den Isotopen des Zahnschmelzes hinterlassen wie Gräser. Demnach kauten die Vorfahren des Menschen statt auf Halmen lieber auf Zwiebeln – so jedenfalls die Vermutung. Ein Beweis aber fehlte. Dominy kam eine Idee: Er reiste nach Afrika, um die Fundstellen der Fossilien unter die Lupe zu nehmen. Vor Ort entdeckte er den afrikanischen Nacktmull, ein Ratten ähnliches Nagetier – und zwar in lebender und fossiler Form. Von beiden Varianten nahm Dominy Zahnproben und verglich das Ergebnis mit der Isotopenuntersuchung der Hominidenzähne. Das Ergebnis war verblüffend. Die fossilen Nager und die heute lebende Art trugen im Zahnschmelz dieselben Isotope wie der in der Nähe gefundene Frühmensch. Der heutige Nacktmull ernährt sich noch immer von Wurzeln und Knollen. Er gräbt so lange im Boden, bis er auf etwas Essbares stößt. Findet er nichts, gräbt er an einer anderen Stelle weiter. Sah so auch das Tagwerk der frühen Menschen aus? „Vielleicht“, sagt Nathaniel Dominy gegenüber der Universitäts-Zeitung „Santa Cruz Review“. „Wir wissen, dass Hominiden fortschrittlich genug waren, grobe Grabwerkzeuge zu benutzen, und vielleicht waren sie auch so klug zu erkennen, dass die Erdhügel, die von den Ratten zurückgelassen wurden, ihnen einen Hinweis darauf gaben, wo sie graben sollten.“

Der Vorfahr des Menschen unterschied sich demnach in seinen Essgewohnheiten kaum von einem Nagetier – bis zu jenem Tag, an dem der Mensch, vermutlich Homo erectus, den Geistesblitz hatte, die harten Wurzeln weich zu kochen. An den frühen Feuern der Hominiden, so meint Dominy, begann die Trennung von Menschen und Affen an wenigstens einer Position im Erbgut, dem Amylase-Gen. Dieser Erbfaktor ist für die Produktion des Enzyms Amylase zuständig. Nimmt der Mensch Nahrung auf, sorgt die Amylase im Speichel dafür, dass bereits im Mund Stärke in Zucker umgewandelt wird – die Verdauung beginnt schon vor dem Runterschlucken. Wie Genetiker herausfanden, liegt das Amylase-Gen in mehreren Kopien im Menschen vor, deren Zahl allerdings variieren kann. Nathaniel Dominy wollte zunächst der Vermutung nachgehen, dass die Menge der Amylase-Gene auch die Konzentration des Enzyms im Speichel beeinflusst. Dazu nahm der Molekularbiologe Speichelproben von fünfzig Studenten heller, dunkler und mischtoniger Hautfarbe. Zusätzlich erleichterte er die Probanden um einige Zellen der Mundschleimhaut. Der Vergleich bestätigte die Vermutung: Wer mehr Amylase-Gene in den Zellen trug, bei dem war die Konzentration des Enzyms im Speichel deutlich höher. Bis zu fünfzehn Genkopien fanden die Forscher in der Studentenspucke – kleine Enzymkraftwerke, die jeder noch so stärkehaltigen Nahrung Paroli bieten konnten. Damit war Homo sapiens zum Massenproduzenten des Enzyms erklärt. Gleichzeitig stellte sich Nathaniel Dominy die Frage, wie viel Amylase dem Frühmenschen zur Verfügung stand. Antwort gaben die Schimpansen. In ihrem Speichel fanden die Genetiker nur zwei Kopien des Gens. Im Gegensatz zum Menschen scheinen Schimpansen Stärke also nur in geringem Maße verdauen zu müssen.

Die Suche nach dem Zusammenhang zwischen Nahrung und Erbgut führte zu Ethnien rund um den Globus. Nathaniel Dominy schaute Völkern in den Kochtopf und in die DNA. Stets entdeckte er einen Zusammenhang zwischen dem Amylase-Gen und den Ernährungsgewohnheiten. Die Jakuten, ein Turkvolk in Ostsibirien, leben von einer Reisart, die stärkearm ist. Nahe Verwandte der Jakuten sind die Japaner, deren Reisarten wiederum vor Stärke strotzen. Wie erwartet, haben Jakuten weniger Amylasegene als Japaner. Um auszuschließen, dass dieses Resultat durch geografische Faktoren wie etwa die Umweltbedingungen in Ostasien beeinflusst wurde, forschte Nathaniel Dominy auch am anderen Ende der Welt, in Afrika, nach dem Amylasegen. Von den zahlreichen afrikanischen Ethnien wählte er die Hadza aus Tansania aus. Sie ernähren sich oft von stärkehaltigen Wurzelknollen. Die Mbuti hingegen, ein Pygmäenvolk aus der Savannen- und Regenwaldlandschaft, sind als Jäger- und Sammlerkultur zum Großteil auf Fleisch und Strauchfrüchte angewiesen. Wie in Asien trugen auch in Afrika beide Ethnien Amylasegene, die den Ernährungsgewohnheiten entsprachen: Bei den Hadza zählte Dominy im Durchschnitt 6,7 Kopien, bei den Mbuti waren es nur 5,4. Bei so vielen Indizien ist Zufall fast ausgeschlossen: Die Art der Nahrung wirkt sich auf die Gene des Menschen aus. Für die Frühgeschichte der Hominiden mag das bedeuten, dass die Entdeckung gekochter Nahrung einen genetischen Schub auslöste. Die Energie, die zuvor in die Zerkleinerung und Verdauung roher Wurzelknollen floss, wurde dank der Entwicklung von Amylasekopien nicht länger benötigt. Vielleicht, so spekulierte Nathaniel Dominy, konnten durch eine derartige Verlagerung von Ressourcen im menschlichen Körper andere Organe mit mehr Energie versorgt werden – zum Beispiel das Gehirn, das möglicherweise durch die Erfindung der warmen Mahlzeit rasch zu wachsen begann.

Vaterschaftstest für Pharao

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