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3.6.3 Charisma als Begeisterung für das Alltägliche

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«Gottesdienst als Gemeindeaufbau» – auf diese Kurzformel bringt Möller immer wieder seinen Ansatz. Sie ist zugleich der Buchtitel seines «Werkstattberichtes», der zwischen den beiden Bänden der «Lehre vom Gemeindeaufbau» erschienen ist. Der Begriff «Gottesdienst» meint dabei das ganzheitliche Geschehen, das sich von der Feier des sonntäglichen Gottesdienstes in den «Gottesdienst im Alltag der Welt» hinein erstreckt.[835] Im unumkehrbaren Gefälle vom Sonntag her werde dem Alltag etwas hinzugefügt, was in ihm selbst nicht enthalten sei, was ihn aber von der Sucht nach außerordentlichen Erlebnissen befreie, auf das Alltägliche begrenze und zugleich gerade für dieses Alltägliche begeistere.[836] Es ist für Möller gerade die «charismatische Dimension» des ganzheitlich verstandenen Gottesdienstes[837], die diese «Begeisterung für das Alltägliche» bewirkt.[838]

Das Charisma komme aber nur dann als «Begeisterung für das Alltägliche» zur Geltung, wenn sein Verständnis vor einseitigen Verkürzungen gewahrt wird. Eine solche sieht Möller in der «Ethisierung» des Charismas, wie sie in der ökumenischen Strukturdebatte und der ihr folgenden Kirchenreformbewegung gegeben sei. Wenn Gottesdienst nur noch Sammlung auf dem Weg der Sendung sei, nur eine Art Lagebesprechung darstelle und sich seine Themen von der Tagesordnung der Welt geben lasse, sei der Unterschied von Gottesdienst und Alltag nivelliert, Charisma und Ethik letztlich gleichgesetzt. Charisma ist dann keine Gnadengabe mehr, sondern nur noch «Verpflichtung zum tätigen Gehorsam»[839]. Der «eschatologische Mehrwert der Gnade» und der «‹Charme› des Charisma» seien verloren gegangen.[840] Eine weitere problematische Verkürzung sieht Möller in der «Charismatischen Gemeindeerneuerung» gegeben. Zwar hätte sie die Charismen als das gezeigt, was sie ihrem Wesen nach sind:

«Gaben des Heiligen Geistes und nicht bloß natürliche Begabungen oder erstaunliche Fähigkeiten, die einen zum ‹Charismatiker› werden lassen. Geist als eine Macht, die senkrecht von oben her einbricht und verkrustete Gemeindestrukturen aufbricht.»[841]

Durch die Überbetonung von Glossolalie und Heilungsgaben bahne sich jedoch eine Entwicklung an, die mehr und mehr zu einer Begeisterung für das Besondere und Außerordentliche, nicht aber zu einer Begeisterung für das Alltägliche führe und den Bezug zu den «Niederungen der Welt»[842] verloren gehen lasse.

Möllers Bemühung um ein Verständnis der «charismatischen Dimension» des Gottesdienstes als «Begeisterung für das Alltägliche» steht demnach zwischen einem geistlosen Aktionismus auf der einen und einem weltfernen Enthusiasmus auf der anderen Seite. Einen Anknüpfungspunkt bietet ihm die Geschichte von Jesu Verklärung, nach der sich Jesus auf dem Berg als Sohn Gottes offenbart, ins Tal hinabsteigt und dort als der in Verborgenheit Verklärte den epileptischen Knaben heilt (Mk 9,2–29):

«Der Geist aus der Höhe entfaltet seine Wirkung in der Tiefe, wo das pneuma alalon, der sprachlose Geist, ausgetrieben wird. Um dieses Verständnis von Charisma geht es mir, das sich dem Geist aus der Höhe als Quelle aller Charismen verdankt, in der Tiefe aber erst wahrhaft zur Wirkung kommt, wo die Sprachlosigkeit des Alltags aufgebrochen und der Fallsüchtige aufgerichtet werden muß. Charisma hat es stets mit beiden Ebenen zu tun, mit der Höhe und der Tiefe, freilich in jenem unumkehrbaren Gefälle von der Höhe in die Tiefe hinein […]. Diesen Zug von der Höhe der Gnade in die Tiefe alltäglicher Existenz meine ich, wenn ich von Charisma als Begeisterung für das Alltägliche spreche.»[843]

Als Beispiele nennt Möller nun aber nicht einzelne Gaben der paulinischen Charismenlisten, sondern – auf dem Hintergrund eines verallgemeinernden Charismenverständnisses, nach dem «alles zum Charisma werden kann»[844], – die Gnadengaben des Sabbats und des Sonntags. Wie der Sabbat den Alltag unterbreche und dadurch wieder Atem, «Be-Geisterung», für das Alltägliche gebe, so durchbreche der Sonntag den Alltag und lasse von der Gnadengabe des ewigen Lebens her Licht auf die Alltäglichkeiten des Lebens fallen.[845]

Charisma als Grundbegriff der Praktischen Theologie

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