Читать книгу Mord im ersten Leben - Dirk Lützelberger - Страница 13
Dienstag, 27. November 2012, 22:45
ОглавлениеEs war spät, als sich Marks Bekanntschaften endlich einloggten. Zwei Stunden hatte er gewartet und sich mit Smalltalk abgegeben. Diesmal war es nichts weiter gewesen als zielloses Gerede, das niemandem etwas nutzte, grollte Mark. Sie verschwendeten nur seine Zeit. Auf einmal loggten sich alle drei zum gleichen Zeitpunkt ein. Mark schaute auf die Uhr. Es war bereits 22:47 Uhr. Die ›Tagesthemen‹ waren wohl gerade zu Ende. Mark grinste in sich hinein.
Früher hatte er auch viel Zeit vor dem Fernseher verbracht und sich von dem immer gleichen Einheitsbrei stundenlang berieseln lassen. Heute war das Internet sein liebster Zeitvertreib. Wenn Mark eines vom Internet gelernt hatte, so war es zwar in vielen Fällen hilfreich und nützlich, aber auch gleichzeitig der größte Zeitverschwender, den er sich vorstellen konnte.
Andererseits war es sehr abwechslungsreich und man hatte es selber in der Hand, wohin es einen führte. SecondLife war in den späten Abendstunden zu Marks liebsten Begleiter geworden. Hier traf er immer wieder interessante Personen und es forderte ihn geradezu heraus, hinter ihre intimsten Geheimnisse zu gelangen. Erst recht, wenn sie diese nicht preisgeben wollten.
Nachdem sich die Figuren seiner Bekannten in der virtuellen Welt endlich aufgebaut hatten, konnten sie miteinander chatten.
[Priscilla]: Hallo meine Herrin, guten Abend.
[Hangim Hi]: Tach auch.
[Darkwing]: Hallo.
[Miss Gore]: Das wird ja auch Zeit, dass Ihr hier mal auftaucht.
[Priscilla]: Entschuldigen Sie bitte Herrin, aber im RL war heute viel los.
›RL‹, das stand für ›Real Life‹ oder auch ›echtes Leben‹. Priscilla war kein Neuling in diesen Kreisen, das erkannte Mark immer wieder und er überlegte sich, wie er die noch fehlenden Informationen aus ihm herausbekommen konnte. Zuerst einmal brauchte er weniger Zuhörer, so dass er mit Priscilla in den privaten Modus wechselte.
[(p) Miss Gore]: Schön Dich zu sehen, war wieder viel los in Deiner Filiale?
[(p) Priscilla]: Und wie. Ich musste heute Abend nach der Arbeit sogar noch ein Päckchen abholen.
Das könnte ein interessanter Anknüpfungspunkt sein, ging es Mark durch den Kopf.
[(p) Miss Gore]: Hat denn die Post noch so spät geöffnet?
[(p) Priscilla]: Nein, Herrin, ich habe es mir an meine Packstation schicken lassen.
[(p) Miss Gore]: Ja, das ist in der Tat eine gute Einrichtung. Hat Tag und Nacht geöffnet.
Wie günstig für mich, machte sich Mark eine mentale Notiz, und wie gut für Dich, meine liebe Priscilla. Nun hatte Mark schon fast alles, was er brauchte. Sein Plan entstand wie ein Puzzle in seinem Kopf. Er ging die Einzelteile noch einmal durch. Sven war männlich, verheiratet und wohnte in einem Einfamilienhaus, dessen Adresse er aus den Geokoordinaten des Fotos rekonstruiert hatte. Er hatte heute ein Päckchen aus einer nahegelegenen Packstation abgeholt. Mit etwas Glück würde Sven seinen Adressaufkleber auf dem Päckchen nicht entfernen, wenn er den Karton ins Altpapier warf. Hier lag noch ein winziges Puzzlesteinchen vor Mark, bevor er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Er war aufgeregt, wie ein kleiner Junge. Es gab aber leider zu viele Packstationen um Svens Wohnort herum und auch die notwendige Postnummer benötigte er noch, um selber ein fingiertes Päckchen an Sven zu senden. Hierzu würde er Svens Wohnort in den nächsten Tagen wohl einmal persönlich einen Besuch abstatten müssen. Während er so da saß und auf den Bildschirm starrte, bemerkte er gar nicht, dass die Unterhaltung weitergegangen war. Hastig blätterte er zurück, um nichts Wichtiges zu verpassen. Er musste nun vorsichtig sein, da er sowohl im privaten Modus mit Priscilla chattete als auch mit den beiden anderen öffentlich sprach. Er durfte nicht durcheinander kommen mit den verschiedenen Fenstern, in denen die Gespräche abliefen.
[(p) Priscilla]: … und man kann jederzeit rankommen.
[(p) Priscilla]: Hallo, Herrin, sind Sie noch da?
[(p) Priscilla]: Hallo?
[Priscilla]: Hallo ihr beiden. Miss Gore scheint gerade von der Tastatur verschwunden zu sein. Wie geht es euch?
[Hangim Hi]: Alles Mist!
[Darkwing]: So lala.
[Priscilla]: Warum ist alles Mist?
[Hangim Hi]: Ach, die Arbeit, die Frau, alle sind gegen mich!
[Darkwing]: Können wir Dich aufmuntern?
[Priscilla]: Ja, willst Du ein Rollenspiel spielen?
[Hangim Hi]: hmm, ich weiß nicht.
[Priscilla]: Was macht Dich an?
[Darkwing]: Worauf stehst Du?
[Hangim Hi]: Nee, lasst mal. Ist nett von euch, aber mir steht heute nicht der Sinn nach spielen. Aber vielleicht ein anderes Mal. Dann gerne auch die etwas härtere Variante
[Priscilla]: Okay. Ich muss morgen früh raus. Ich verabschiede mich. Bis denn.
[Darkwing]: Gute Nacht!
[Hangim Hi]: Nacht!
Priscillas Avatar löste sich auf, was ein Zeichen war, dass der Spieler das Spiel verlassen hatte.
[Darkwing]: Was wäre denn ›härter‹ bei Dir?
[Hangim Hi]: Als wir uns das erste Mal trafen, hattet Ihr schon einen guten Riecher… und außerdem solltest Du mal mein Profil lesen.
Jens alias Darkwing war zwar gut im Programmieren von Computern, aber mit dem Lesen von Anleitungen oder gar Profilen gab er sich nur ungerne ab. Lieber stieg er gleich ins Geschehen ein. Die Dinge würden sich entwickeln. Das war immer so. Dazu brauchte man keine Anleitungen oder Profile zu studieren. Nun aber machte Jens eine Ausnahme. Das Profil war öffentlich und für jeden zugänglich. Während er las, stockte ihm fast der Atem. Die Fantasien, die hier beschrieben wurden, ähnelten seinen Eigenen. Offenbar suchte Hangim Hi den Kick im ›Aufgehängt werden‹. Hier hatte Miss Gore vor einigen Tagen voll ins Schwarze getroffen, als sie ihn fragte, ob er gleich am nächsten Baum baumeln wollte. Hangim Hi eröffnete aber auch jedem Leser, das er manchmal seine dominante Seite ausleben würde. Er war ein ›Switcher‹.
[Darkwing]: Entschuldige bitte. Okay, ist nachgeholt. Alles klar, ich verstehe Dich nun. Vielleicht können wir Dir den Wunsch nächstes Mal erfüllen, wenn Du böse genug warst.
[Hangim Hi]: Ja, vielleicht. Ich muss nun auch schlafen. Gute Nacht.
[Darkwing]: Gute Nacht.
Auch der Avatar von Hangim Hi löste sich in Nichts auf.
Als Mark alles gelesen hatte, realisierte er, dass er mit Darkwing alleine war.
[Miss Gore]: Du erinnerst Dich sicherlich noch, worüber wir vor einigen Tagen sprachen?
[Darkwing]: Nein Miss, was meinen Sie?
[Miss Gore]: Stell Dich nicht so dämlich an. Warst Du wieder bei Deinen Nutten und hast Du vielleicht schon ein Foto gemacht? Ich will einen Beweis Deiner Ergebenheit!
[Darkwing]: Nein Miss, entschuldigen Sie bitte, jetzt weiß ich wieder, was Sie meinen.
[Miss Gore]: Das wird aber auch Zeit!
[Darkwing]: Ja Miss, Sie haben recht. Nein, ich war nicht wieder bei einer meiner Freundinnen. Ich bin auch enthaltsam gewesen. So, wie Sie es gefordert hatten. Und ich weiß ja noch nicht, was ich Ihnen für ein Foto erstellen soll.
Alle anderen Spieler hatten sich bereits abgemeldet, und Mark sollte auch langsam aufhören und sich lieber schlafen legen. Die nächsten Tage würden anstrengend genug werden. Er wollte Darkwing auch noch etwas hinhalten, denn so würde er empfänglicher sein für das, was er von ihm verlangen würde.
[Miss Gore]: Ich muss weiter. Sei artig und fass Dich nicht an, bis ich das Foto habe.
[Darkwing]: Natürlich Miss, aber was für ein Foto soll das sein?
Die Antwort würde er in einigen Tagen bekommen, dachte Mark und meldete sich, ohne sich zu verabschieden, ab. Sein Avatar löste sich auf und der Bildschirm wurde schwarz.
Wie es wohl Kay in seinem Käfig erging, erinnerte sich Mark, während er den Rechner herunterfuhr.