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Dienstag, 20. November 2012, 18:30

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Erschöpft von einem langen Arbeitstag kam Mark zurück in seine kleine Junggesellenwohnung. Diese Zwölf-Stunden-Schichten sind nicht so einfach durchzustehen, überlegte Mark. Am besten wäre nun eine kurze Stippvisite im Internet. Wie fast an jedem Abend schaltete er zuerst den Rechner ein, damit dieser hochfahren konnte, während er sich frisch machte und bequemere Klamotten anzog.

Nach dem Anmeldebildschirm begrüßte ihn das System mit den bekannten Worten:

Willkommen zurück Miss Gore. Ihr letzter Besuch war vor 1 Tag und 16 Stunden.

Als sich der Bildschirm aufbaute erkannte Mark schnell, dass seine Freunde tatsächlich online waren. Priscilla war anwesend und ein weiterer seltsam gekleideter Typ. Soll wohl eine Art Supermann sein, grübelte Mark, während er die Maus hin und her schubste. Schließlich fing er an zu tippen.

[Miss Gore]: Guten Abend meine schöne Sklavin. Ich freue mich sehr, Dich zu sehen. Du bist gehorsam gewesen!

[Priscilla]: Guten Abend, ja meine Herrin. Ihre Dienerin hat Ihnen wie gewünscht das Foto geschickt. Ist es zu Ihrer Zufriedenheit?

[Miss Gore]: In der Tat ist es genau, was ich von Dir erwartet hatte. Du hast einiges wieder gut gemacht.

[Priscilla]: Danke, meine Herrin, das tut gut, ein Kompliment von Ihnen zu bekommen. Im echten Leben hört dieses Mädchen so etwas selten.

Dies schien der Hinweis auf eine direkte Kommunikation zu sein. Mark hielt kurz inne und antwortete dann auf dem privaten Kanal. Es hatte den Vorteil, dass keiner der Anwesenden diese Unterhaltung mitlesen konnte.

[(p) Miss Gore]: Zu Hause oder bei Deiner Arbeit?

Priscilla, die sofort verstanden hatte, antwortete ebenso im privaten Bereich, was durch ein kleines ›(p)‹ im Chatfenster angezeigt wurde, um ihre Privatsphäre zu schützen.

[(p) Priscilla]: Bei der Arbeit und zu Hause, Herrin.

[(p) Miss Gore]: Warum wirst Du da nicht gelobt?

[(p) Priscilla]: Es gibt niemanden über diesem Mädchen, der bei der Arbeit loben könnte und zu Hause hat dieses Mädchen nicht viel zu sagen …

[(p) Miss Gore]: Leitest Du einen Betrieb?

[(p) Priscilla]: Ja, Filialleitung einer Sparkasse.

[(p) Miss Gore]: Na, dann hast Du Deine Belobigungen hier verdient.

Mark wusste aus vielen vorangegangenen Gesprächen, wie man seinem menschlichen Gegenüber, auch wenn er nur als Avatar auf dem Bildschirm dargestellt wurde, so einige persönliche Informationen entlocken konnte. Man musste nur zur richtigen Zeit die richtigen Signale senden und entsprechend reagieren. Es war so einfach.

[(p) Priscilla]: Das ist sehr freundlich von Ihnen, Herrin.

[(p) Miss Gore]: Du hast also einen Partner zu Hause? Musst Du viel im Haus helfen?

[(p) Priscilla]: Ja, Miss, es gibt einen Partner, aber die Arbeiten sind zu seinen Gunsten verteilt. Wir bekommen viele Pakete und dieses Mädchen muss immerzu bei der Packstation vorbei, um die Pakete nach Hause zu bringen. Es gibt nur sehr wenig Lob dafür.

Mark lächelte, denn wieder hatte er ohne große Anstrengungen Details aus Priscillas Leben geliefert bekommen. Das reichte für heute. Aktiv wollte er nicht weiter nachfragen, um nicht neugierig zu wirken. Aber nun wurde es Zeit, Priscillas Begleiter kennen zu lernen.

[(p) Miss Gore]: Du armes Ding. Aber sag mal, wen hast Du denn hier heute mitgebracht?

[(p) Priscilla]: Oh Herrin, das ist ein neuer Freund. Wir haben uns neulich auf einer Sklavenauktion getroffen. Er nennt sich ›Darkwing‹!

Eine Sklavenauktion – da war er auch schon lange nicht mehr – sinnierte Mark über Priscillas Worte nach. Diese virtuellen Auktionen, in denen devote Sklaven und Dienerinnen an dominante Herrinnen und Meister ›verkauft‹ wurden. Hier traf er sich auch oft mit seinen früheren Begleitern, um neue Sklavinnen zu ersteigern. Mittlerweile begeisterte ihn aber mehr die Verbindung zwischen virtueller Welt und der Realität. Daher war er heute an diesem neuen Typen interessiert, der mit Priscilla unterwegs war. In dieser künstlichen Welt war es möglich, sich in einem virtuellen Körper zu bewegen, den man nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten konnte. Ein Mann konnte eine Frau darstellen oder umgekehrt. Auch körperliche Proportionen ließen sich beliebig anpassen, so dass aus sehr zurückhaltenden Mauerblümchen in der virtuellen Welt dominante Herrscher werden konnten.

Mark begann, wie er es schon oft getan hatte, sein Netz auszuwerfen. Im Schutz der Anonymität waren viele Spieler bereit, wildfremden Menschen Vertrauen zu schenken und ihnen ihr Herz auszuschütten. In einer knappen halben Stunde der Unterhaltung, teils privat, teils öffentlich, hatte Mark, alias Miss Gore, schon etliche Details aus dem Leben des Neulings in Erfahrung gebracht. Sein Name war in Wirklichkeit Jens-Gerwin, oder kurz Jens, wie ihn seine Freunde nannten. Er war in der Scheinwelt in seinem eigenen Geschlecht unterwegs, aber sicherlich hatte er mit seiner Erscheinung etwas nachgeholfen, denn so muskulös war in der realen Welt nun wirklich kein Mensch. Mark erfuhr auch, dass Jens sehr alleine war. Er hatte weder Frau noch Kinder und verbrachte seine Freizeit immer wieder gerne mit Prostituierten, die er meistens bei sich zu Hause empfing. Mit ihnen konnte er seine spezielle Vorliebe nach Schlägen und Auspeitschungen ausleben. Es war alles nur eine Frage des Geldes. Dies war für Jens-Gerwin allerdings weniger ein Problem, da er als Computerexperte sehr gut verdiente. Genauso stellte Mark ihn sich dann auch vor – als Nerd. Computerbegeistert, ohne Freundin, nicht ungepflegt, aber auch weder mit topaktuellem Haarschnitt oder Kleidung.

Zufrieden schwang sich Mark von seinem Computer auf, nachdem er sich von beiden verabschiedet hatte. Für heute hatte er genug in Erfahrung gebracht und fühlte sich sehr wohl bei dem Gedanken bald noch eine weitere gute Tat zu vollbringen. Und er hatte auch schon eine Ahnung, wie er das anstellen könnte.

♦♦♦

Kay war sehr durstig. Seine Kehle war wie ausgetrocknet und seine Zunge klebte ihm am Gaumen. Seine Umgebung nahm er kaum noch wahr und war die meiste Zeit schon leicht benommen. Fast drei Tage waren bisher vergangen, seitdem der Irre ihn hier in seinem engen Käfig abgeladen hatte, wie ein Stück Vieh. Das Klebeband versiegelte seinen Mund immer noch so effektiv wie vor drei Tagen, so dass er keinen Laut von sich geben konnte. Nach scheinbar endlosen Versuchen hatte er schließlich eine Stellung gefunden, in der er nicht mehr so große Schmerzen ertragen musste. Seine Arme und Hände hinter seinem Rücken waren mittlerweile taub. Seine Handschellen spürte er seit Stunden nicht mehr. Jede noch so kleine Möglichkeit sich bemerkbar zu machen war ihm genommen und Kay grübelte unablässig über seinen nächsten Schritt nach.

Die Fenster waren zugehängt und nur ein kleiner Lichteinfall ließ erahnen, ob es gerade Tag oder Nacht war. Ansonsten war es dunkel in dem Raum. Kay konzentrierte sich auf die ihn umgebenden Gerüche und Geräusche. Es roch nach Dünger und Erde. Auch konnte er den Geruch von Benzin oder Verdünnung erahnen. Die Geräusche, die ihn umgaben waren weiter entfernt und sehr leise. Hin und wieder vernahm er das Gekreische von Kindern, wie aus einem Kindergarten oder aus einer Schule. Autogeräusche waren immer mal wieder in der Entfernung zu hören. Es waren auch eher PKWs und nicht so häufig LKWs. Sonst war da nicht viel, was er zu hören bekam. Bei wem sollte er sich dann auch bemerkbar machen, wenn niemand in der Nähe war? Die Lage erschien ihm hoffnungslos. Kay dachte an seine Frau. Diesmal in Liebe und mit Wehmut. Er war sich gar nicht mehr so sicher, dass er sie noch einmal wiedersehen würde. Warum hatte er sich nicht verabschiedet und sie in den Arm genommen, als er das letzte Mal die gemeinsame Wohnung verlassen hatte? Aber sie war in letzter Zeit immer abweisender geworden. Vielleicht hatten sich auch ihre Verhalten gegenseitig beeinflusst, überlegte Kay. Weniger Aufmerksamkeit von seiner Seite ließ auch nicht sehr viel Zuneigung seiner Frau erwarten. Er kam zu der Erkenntnis, dass die Beziehung, wie sie nun zu seiner Frau war, durch ihn selber verursacht worden war. Während er seinen Gedanken nachging, nickte er immer wieder ein. Der Durst machte ihm am meisten zu schaffen. Warum war er überhaupt hier? Was war genau passiert? Kay konnte sich kaum konzentrieren. Je mehr er nachdachte, desto mehr Kopfschmerzen bekam er. Auf einmal wurde ihm alles klar. Nun wusste er warum der Fremde zu ihm gesagt hatte, dass er ihm nur seine eigenen Wünsche erfüllen würde. Es machte alles einen Sinn und erschreckend deutlich erkannte Kay nun, welches Schicksal vor ihm lag. Er würde sterben müssen.

Mord im ersten Leben

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