Читать книгу Mord im ersten Leben - Dirk Lützelberger - Страница 6
Sonntag, 18. November 2012, 11:10
ОглавлениеGwen saß am Bett ihres Sohnes. Wie sollte sie es ihm sagen? Was würde sie ihm antworten, wenn er wissen wollte, wie es nun weiterging? Nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus hatte Beth berichtet, dass Phil erst am frühen Morgen eingeschlafen war. Jetzt war es fast Sonntagmittag und die tiefstehende Novembersonne durchflutete ihr Haus. Es wäre langsam Zeit zum Aufstehen, überlegte Gwen und strich ihrem Sohn behutsam über seinen Kopf. Er gab ein Murren von sich und blinzelte ihr verschlafen entgegen. Als sich die Erinnerungen der vergangenen Nacht den Weg durch seinen Kopf bahnten, schreckte Phil hoch und war hellwach.
»Wo ist Papa?«
Gwen stockte der Atem. Sie hätte nicht gedacht, dass er so schnell auf den Punkt kommen würde. Langsam fing sie an zu berichten. »Wir waren in der Nacht in der Notaufnahme. Die Ärzte handelten alle sehr schnell, aber Papa hatte keine Chance. Papa wird nicht mehr nach Hause kommen, mein Schatz. Jetzt gibt es nur noch Dich und mich.«
»Du lügst! Das kann nicht sein! Papa hatte doch erst Geburtstag und ist doch erst sechsundvierzig!«
»Phil, es ist für mich genauso schwer dies zu akzeptieren wie für Dich, aber Papa ist wirklich… tot.« Gwen schluckte, um nicht aus Verzweiflung zu weinen. Sie musste nun stark sein. Phil brachte kein Wort mehr heraus und drückte sein Gesicht in sein Kissen. Gwen legte ihre Hand auf seine Schulter.
»Lass mich in Ruhe! Du hättest ihn retten müssen. Du warst mit im Krankenhaus!« Phil schluchzte tief. »Dein Doktor-Freund war doch auch mit dabei. Warum habt ihr ihn sterben lassen?« ›Doktor-Freund‹ hatte Phil Michael genannt. Dabei war da nichts zwischen ihnen beiden. Wie kam er nur auf solche Gedanken?
»Liebling, Michael hatte sofort gehandelt. Du darfst ihm keinen Vorwurf machen. Und Stefan ist sogar dem Notarzt vorausgefahren, um die Straßen frei zu machen. Wir alle haben getan, was wir konnten. Wir hatten keine Chance. Bitte versteh das!«
»Geh weg! Lass mich in Ruhe!« Gwen warf ihrem Sohn einen besorgten Blick zu und erhob sich.
»Ich mache uns ein leckeres Frühstück. Wenn Du Hunger hast, komm einfach runter in die Küche.« Phil sagte nichts und vergrub sein Gesicht nur noch tiefer in sein Kopfkissen.
Gwen saß emotionslos auf der Couch im Wohnzimmer und starrte die Vitrine an der gegenüberliegenden Wand an, als Phil aus seinem Jugendzimmer trat und die Treppe hinunter schlich. Mit roten verquollenen Augen erblickte er seine Mutter und ging wortlos in die Küche. Gwen überlegte kurz, ob sie ihn ansprechen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er sollte sich erst einmal beruhigen. Sie hörte ein Klappern in der Küche und sah, wie Phil sich mit einer Scheibe Brot wieder in Richtung seines Zimmers begab und sie hörte wie er die Tür hinter sich schloss. Wie paralysiert saß sie weiterhin auf der Couch und überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Die Stunden vergingen quälend langsam und Gwen konnte sich nicht aufraffen, irgendetwas zu tun oder auch nur einen klaren, konzentrierten Gedanken zu fassen.
Gegen 18:00 Uhr beschloss Gwen, einen weiteren Annäherungsversuch zu unternehmen. Sie klopfte zaghaft an Phils Zimmertür an. Als sie keine Antwort bekam öffnete sie vorsichtig die Tür.
»Phil? Wie geht es Dir? Was machst Du?«
Phil saß am Computer an seinem Schreibtisch und spielte. Er schaute nicht hoch, als seine Mutter den Raum betrat.
»Schätzchen, lass uns bitte reden.«
»Davon wird er auch nicht wieder lebendig!«, murmelte Phil zurück. »Und ich will ohne ihn auch nicht mehr weiterleben.«
»So etwas darfst Du nicht sagen. Wir müssen nun zusammenhalten. Wir beide, Du und ich. Wir sind jetzt das Team und müssen uns durchbeißen. Ich brauche Dich!«
»Ich brauche Dich aber nicht. Ich will, dass mein Vater wieder da ist. Du kannst mir nicht helfen.«
»Das geht aber nicht«, antwortete Gwen zärtlich, und sprach weiter. »Das weißt Du auch. Was kann ich tun, um Dir zu zeigen, dass ich immer für Dich da bin?«
»Ich will heute nicht darüber sprechen«, antwortete Phil resigniert, ohne von seinem Spiel aufzusehen. »Ich bin müde und muss morgen früh wieder zur Schule. Ich gehe bald ins Bett.«
»OK, sag mir bitte, wenn Du etwas brauchst und wenn ich etwas tun kann. Ich liebe Dich.«
Gwen verließ das Zimmer, um sich wieder auf der Couch im Wohnzimmer in eine Decke einzurollen. In sich gekehrt und müde starrte sie wieder die Vitrine an und dachte dabei an morgen. Dabei schlief sie ein.