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III. Absehen von Verfolgung und Beschränkung der Strafverfolgung nach §§ 154, 154a

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Im Gegensatz zu § 153 Abs. 2 Satz 1, insbesondere aber § 153a, handelt es sich bei den Vorschriften der §§ 154, 154a nicht um einvernehmliche Verfahrensweisen in einem umfassenden Sinne. Es entscheidet vielmehr die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Dem Beschuldigten und damit auch der Verteidigung steht im Normalfall nicht einmal ein Mittel zur Verfügung, die Einstellung nach den genannten Vorschriften zu verhindern, was an sich wünschenswert sein könnte, und zwar zum einen dann, wenn der Mandant auf einen Freispruch bzw. eine umfassende Einstellung nach § 170 Abs. 2 Wert legt, aber auch dann, wenn im Rahmen einer umfassenderen Verfahrensbeendigung ein endgültiger und verlässlicher Abschluss gesucht wird. In vielen Fällen des § 154, also dem Absehen von der Verfolgung einer Tat im Hinblick auf andere Taten, sowie § 154a, der Beschränkung der Strafverfolgung auf einzelne Taten oder einen Teil der fraglichen Gesetzesverletzungen, kann jedoch mangels entgegenstehender gesetzlicher Vorschriften jedenfalls theoretisch der ausgeschiedene Verfahrensstoff wieder einbezogen bzw. das Verfahren wieder aufgenommen werden. Eine Ausnahme gilt nur für die gerichtliche Einstellung nach § 154 Abs. 2, für die § 154 Abs. 4 eine Frist von drei Monaten vorsieht, nach deren Verstreichen eine Wiederaufnahme nicht möglich ist.[31] Entgegen dem missverständlichen Wortlaut des § 154 Abs. 3, Abs. 4 besteht die Wiederaufnahmemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft nach ständiger Rechtsprechung insbesondere auch im Fall des § 154 Abs. 1, weil die Absätze 3 und 4 nur für das Gericht gelten sollen,[32] und zwar ohne dass dafür besondere Voraussetzungen erforderlich wären;[33] nicht einmal eine Zusage der Staatsanwaltschaft, das Verfahren nicht wieder aufzunehmen, soll verlässlich sein. Der BGH hat in einem solchen Fall allerdings einen Strafmilderungsgrund angenommen.[34]

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In der Anwendung werfen diese Vorschriften relativ wenige Probleme auf. Hingewiesen sei aber immerhin auf zwei praktisch wichtige Aspekte der §§ 154, 154a:

Hinweis

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist es zulässig, ausgeschiedene bzw. eingestellte Tatteile strafschärfend zu berücksichtigen. Dies setzt allerdings einen entsprechenden Hinweis nach § 265 und außerdem voraus, dass die Schuld- und Straffrage insoweit prozessordnungsgemäß festgestellt wird.[35] Die Verteidigung muss sich dessen bewusst sein und u.U. entlastende Tatsachen mit Bezug auf ausgeschiedenen Prozessstoff, erforderlichenfalls im Wege von Beweisanträgen, in die Hauptverhandlung einführen.
Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft von ihr nach §§ 154, 154a behandelte Vorwürfe jederzeit wieder einbeziehen kann, führt innerhalb ihres Anwendungsbereichs dazu, dass insofern bei etwaigen Zeugenvernehmungen weiter die Gefahr der Selbstbelastung drohen kann und insoweit Angaben nach § 55 verweigert werden können.

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Dass die §§ 154, 154a bei der Behandlung konsensualer Arten der Beendigung von Strafprozessen hier überhaupt erwähnt werden, ist im Übrigen weniger der Tatsache geschuldet, dass formal immerhin zwei von drei Verfahrensbeteiligten, nämlich Gericht und Staatsanwaltschaft, im Regelfall für die Einstellung votieren müssen. Wichtiger ist, dass die entsprechenden Entscheidungen in der Praxis sehr häufig Gegenstand von Absprachen sind.

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Diese Praxis hatte, wenn auch nur beiläufig, auch die Billigung des Großen Senats für Strafsachen des BGH gefunden. In dessen Grundsatzentscheidung, die zentral die Problematik des abgesprochenen Rechtsmittelverzichts zum Gegenstand hatte,[36] hieß es hierzu, ein Schuldspruch könne normalerweise nicht Gegenstand einer verfahrensbeendenden Absprache sein, anders sei dies aber in den Fällen der §§ 154, 154a. Der Große Senat gab sodann den Strafverfolgungsbehörden den Ratschlag, von diesen Bestimmungen nicht zu zurückhaltend Gebrauch zu machen. Diese Sorge war unbegründet. Die genannten Vorschriften fanden rege Anwendung und werden auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren in Verständigungen vielfach einbezogen,[37] insbesondere auch dann, wenn im Übrigen Strafbefehlsantrag ergeht oder nach § 153a verfahren wird.

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Für den speziellen Fall der Zusage eines Vorgehens nach § 154 Abs. 2 im Rahmen einer Urteilsabsprache durch die Staatsanwaltschaft nahm der 3. Strafsenat des BGH im Jahr 2008 eine Bindungswirkung an,[38] die sich nunmehr in § 257c Abs. 4 findet. Konkret sprach der Senat aus, ein Verfahrenshindernis für die entsprechende Tat komme zwar nur ausnahmsweise (und in dem hier entschiedenen Fall nicht) in Betracht. Das Gericht sei aber gehalten, die Zusage der Staatsanwaltschaft „im Rahmen der Gestaltungsspielräume“ so weit zu berücksichtigen wie möglich. Das läuft am Ende (erneut) auf eine Art Strafzumessungslösung hinaus. Hieran hat sich (was rechtspolitisch fragwürdig ist) auch nach Einführung des § 257c nichts geändert.

Teil 2 Verfahrensbeendigende Verständigungen jenseits der UrteilsabspracheB › IV. Exkurs: Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen nach den Bestimmungen des StrEG bei Einstellung des Verfahrens nach § 153 ff

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