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KAPITEL ZWEI

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Reid Lawson eilte die Treppen seines Zuhause in Alexandria, Virginia hinauf. Seine Bewegungen erschienen hölzern, seine Beine fühlten sich immer noch benommen an von dem Schock, der ihm nur Minuten zuvor widerfahren war, doch sein Blick hatte den Ausdruck verbissener Entschlossenheit. Er nahm zwei Stufen auf einmal auf dem Weg zum zweiten Stockwerk, jedoch hatte er Angst vor dem, was er dort oben finden würde - oder besser gesagt, was er dort nicht finden würde.

Unten und draußen wimmelte es vor lauter Tätigkeit. Auf der Straße, vor seinem Haus, standen nicht weniger als vier Polizeiautos, zwei Kranken- und ein Feuerwehrwagen, die bei einer Situation wie dieser zum Protokoll gehörten. Uniformierte Polizisten versiegelten seine Eingangstür mit Sicherheitsklebeband in Form eines X. Die Spurensicherung nahm Proben von Thompsons Blut im Foyer und Haarfollikel von den Kissen seiner Töchter.

Reid konnte sich kaum noch daran erinnern, überhaupt die Behörden gerufen zu haben. Er hatte kaum noch Erinnerung daran, der Polizei eine Aussage gemacht zu haben, ein stammelndes Flickwerk aus fragmentierten Sätzen, das durch seinen kurzen, keuchenden Atem unterbrochen wurde, während sein Gehirn von entsetzlichen Möglichkeiten überflutet wurde.

Er hatte das Wochenende außerhalb mit einem Freund verbracht. Ein Nachbar hatte auf die Mädchen aufgepasst.

Der Nachbar war jetzt tot. Seine Mädchen waren verschwunden.

Reid tätigte einen Anruf, als er im Obergeschoss ankam, außerhalb der Reichweite von neugierigen Mithörern.

„Du hättest uns zuerst anrufen sollen”, begrüßte ihn Cartwright. Der Deputy Direktor Shawn Cartwright war der Leitende der Sonderabteilung und inoffiziell Reids Chef bei der CIA.

Sie hatten schon davon gehört. „Woher wusstest du es?”

„Du bist gekennzeichnet”, sagte Cartwright. „Wir alle sind es. Jedes Mal, wenn unsere Info in einem System auftaucht - Name, Adresse, Steuernummer, egal was - dann wird sie automatisch mit Vorrang zur nationalen Sicherheitsbehörde geschickt. Verdammt, du brauchst nur einen Strafzettel zu bekommen, und die Agentur weiß schon Bescheid, bevor die Polizei dich weiterfahren lässt.”

„Ich muss sie finden.” Jede Sekunde, die auf der Uhr vorbei tickte, klang wie ein donnernder Chor, der ihn daran erinnerte, dass er seine Töchter vielleicht nie wieder sehen würde, wenn er nicht sofort, in diesem Moment, aufbräche. „Ich habe Thompsons Leiche gesehen. Er ist schon seit mindestens vierundzwanzig Stunden tot. Das ist ein wichtiger Hinweis für uns. Ich brauche eine Ausrüstung, und ich muss gehen. Jetzt.”

Als seine Frau, Kate, zwei Jahre zuvor an einem Hirninfarkt verstorben war, fühlte er sich komplett taub. Ein benommenes, unbeteiligtes Gefühl hatte sich seiner bemächtigt. Nichts fühlte sich echt an, als ob er jeden Moment von einem Alptraum erwachen würde, um herauszufinden, dass sich alles nur in seinem Kopf abgespielt hatte.

Er war nicht für sie dagewesen. Er hatte an einer Konferenz über antike europäische Geschichte teilgenommen - nein, das stimmte nicht. Es war nur seine Deckung, während er in Wirklichkeit bei einem CIA-Einsatz in Bangladesch war und einem Hinweis über eine Terrorzelle nachging.

Doch er war damals nicht für Kate dagewesen. Er war auch nicht für seine Mädchen da, als sie entführt wurden.

Doch todsicher würde er jetzt für sie da sein.

„Wir werden dir helfen, Null”, versicherte Cartwright ihm. „Du bist einer von uns, und wir kümmern uns um die unseren. Wir schicken Techniker zu dir nach Hause, damit sie der Polizei bei den Ermittlungen helfen. Sie werden sich als Personal der inneren Sicherheit ausgeben. Unsere Spurensicherer arbeiten schneller, wir sollten eine Spur binnen der nächsten -”

„Ich weiß, wer es war”, unterbrach ihn Reid. „Er war es.” Es gab für Reid keine Zweifel daran, wer dafür verantwortlich war, wer eingebrochen und seine Mädchen entführt hatte. „Rais.” Er brauchte nur den Namen laut nennen, um seinen Zorn erneut auflodern zu lassen. Er begann in seiner Brust und weitete sich auf jedes einzelne seiner Gliedmaße aus. Er ballte seine Hände zu Fäusten, damit sie nicht zitterten. „Der Amun Attentäter, der aus der Schweiz entkam. Er war es.”

Cartwright seufzte. „Null, solange wir keine Beweise haben, können wir das nicht mit Sicherheit behaupten.”

„Ich schon. Ich weiß es. Er hat mir ein Foto von ihnen geschickt.” Er hatte ein Foto erhalten, das von Saras Handy auf Mayas geschickt wurde. Das Foto war von seinen Töchtern, die immer noch Schlafanzüge trugen und zusammengekauert auf dem Rücksitz von Thompsons Wagen saßen.

„Kent”, warnte der stellvertretende Direktor vorsichtig, „du hast dir eine Menge Leute zum Feind gemacht. Das bestätigt nicht -”

„Er war es. Ich weiß, dass er es war. Dieses Photo bestätigt, dass sie noch leben. Er stichelt. Jeder andere hätte einfach...” Er konnte es nicht über die Lippen bringen, doch jeglicher von der Unzahl von Gegnern, die Kent Steele sich über den Lauf seiner Karriere gemacht hatte, hätte die Mädchen aus Rache einfach umgebracht. Rais tat dies, weil er ein Fanatiker war, der glaubte, dass es sein Schicksal war, Kent Steele zu töten. Das bedeutete, dass der Attentäter letztendlich von Reid gefunden werden wollte - und hoffentlich würden dabei auch die Mädchen wieder auftauchen.

Ob sie aber noch am Leben sind, wenn ich sie finde... Er griff sich mit beiden Händen an die Stirn, als ob er so vielleicht einen Gedanken aus seinem Gehirn zerren könnte. Bleib jetzt klar im Kopf. Du darfst so nicht denken.

„Null? “ erkundigte sich Cartwright. „Bist du noch dran?”

Reid atmete tief ein, um sich zu beruhigen. „Ich bin da. Hör mal, wir müssen Thompsons Wagen orten. Es ist ein neueres Modell und hat ein Navigationsgerät. Außerdem hat er auch Mayas Handy. Ich bin mir sicher, dass die Agentur ihre Nummer hat.” Sowohl den Wagen als auch das Telefon könnte man orten. Stimmten die Standorte überein und Rais hatte sich noch keinem der beiden entledigt, so hätten sie schon eine zuverlässige Richtung, in der sie suchen könnten.

„Kent, hör zu...” versuchte Cartwright einzuwenden, doch Reid unterbrach ihn sofort.

„Wir wissen, dass Amun Mitglieder in den Vereinigten Staaten hat”, quasselte er sofort weiter. Zwei Terroristen hatten seinen Mädchen schon zuvor auf der New Jersey Uferpromenade nachgestellt. „Es ist also möglich, dass es innerhalb der US Grenzen einen geheimen Unterschlupf von Amun gibt. Wir sollten H-6 kontaktieren und versuchen, Informationen von den Gefangenen dort herauszufinden.” H-6 war ein geheimes Gefängnis der CIA in Marokko, in dem verhaftete Mitglieder der Terrorgruppe zur Zeit festgehalten wurden.

„Null-”, versuchte Cartwright erneut in die einseitige Unterhaltung einzugreifen.

„Ich packe ein Tasche und verschwinde hier in zwei Minuten”, erklärte Reid ihm, während er in sein Schlafzimmer eilte. Jeder Moment, der verstrich, war ein Moment, der seine Mädchen weiter von ihm entfernte. „Die Transportsicherheitsbehörde sollte alarmiert werden, falls er versucht, sie außer Landes zu bringen. Gebt auch den Häfen und Bahnhöfen Bescheid. Und die Highway Kameras - zu denen haben wir Zugang. Schick mir jemanden zu einem Treffen, sobald wir einen Hinweis haben. Ich brauche ein Auto, ein schnelles. Und ein Handy von der Agentur, einen GPS-Orter, Waffen -”

„Kent!” schrie Cartwright ins Telefon. „Jetzt warte doch mal eine Sekunde, okay?”

„Warten? Es geht hier um meine kleinen Mädchen, Cartwright. Ich brauche Informationen. Ich brauche Hilfe...”

Der Deputy Direktor seufzte tief, und Reid wusste sofort, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmte.

„Du gehst nicht auf diesen Einsatz, Agent”, befahl ihm Cartwright. „Du bist da zu nah dran.”

Reids Brust bebte, seine Wut brach erneut aus. „Was redest du da?” fragt er leise. „Was für einen Mist redest du da? Ich gehe auf die Suche nach meinen Mädchen -”

„Das tust du nicht.”

„Das sind meine Kinder...”

„Hör dir doch einfach mal selbst zu”, antwortete Cartwright scharf. „Du zeterst. Du bist emotional. Das ist ein Interessenkonflikt. Wir können das nicht zulassen.”

„Du weißt genau, dass ich die beste Person dafür bin”, gab Reid eindringlich zurück. Niemand sonst würde auf die Suche nach seinen Kindern gehen. Das war seine Aufgabe. Er musste es tun.

„Tut mir leid, aber du hast einfach die Angewohnheit, die falsche Art von Aufmerksamkeit auf dich zu lenken”, sagte Cartwright, als sei dies eine Erklärung. „Die Bosse von oben versuchen, eine ... wollen wir es eine Wiederholungsvorstellung nennen, zu vermeiden.”

Reid sträubte sich. Er wusste ganz genau, wovon Cartwright sprach, doch er konnte sich nicht wirklich daran erinnern. Vor zwei Jahren starb seine Frau, Kate, und Kent Steele vergrub seine Trauer in Arbeit. Er brach für Wochen alleine auf und unterbrach jegliche Kommunikation mit seinem Team, während er Mitglieder von Amun und Hinweise in ganz Europa verfolgte. Er weigerte sich, nach Hause zurückzukehren, als die CIA es ihm befahl. Er hörte auf niemanden - weder auf Maria Johansson, noch auf seinen besten Freund, Alan Reidigger. Soweit Reid verstand, hinterließ er einen Haufen Leichen in seinem Kielwasser, was die meisten nichts anderes als einen Amoklauf nannten. Dies war sogar der Hauptgrund, dass Aufrührer aus der ganzen Welt den Namen „Agent Null” mit genau so viel Angst wie Verachtung flüsterten.

Als es der CIA letztendlich zu viel wurde, schickten sie jemanden, um ihn stillzulegen. Sie schickten Reidigger nach ihm. Doch Alan brachte Kent Steele nicht um, er fand einen anderen Ausweg. Er verwendete einen experimentellen Gedächtnishemmer, der es ihm ermöglichte, alles über sein Leben in der CIA zu vergessen.

„Ich verstehe schon. Ihr habt Angst davor, was ich tun könnte.”

„Genau”, stimmte Cartwright ihm zu. „Damit triffst du den Nagel auf den Kopf.”

„Das solltet ihr auch.”

„Null”, warnte ihn der Deputy Direktor, „tu es nicht. Lass das einfach uns regeln, damit alles schnell, leise und sauber abläuft. Ich sage es dir nicht nochmal.”

Reid legte auf. Er würde seine Mädchen suchen, mit oder ohne die Hilfe der CIA.

Jagd Auf Null

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