Читать книгу Die Toten von Haywood Grove - Dominic Spinner - Страница 11

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Mit dem Glücksgefühl des vergangenen Abends im Bauch wachte ich schon recht früh am nächsten Morgen auf. Eigentlich war das nicht meine Art an einem Samstag. Dementsprechend überrascht waren meine Eltern, als ich bereits um acht Uhr am Frühstückstisch saß und ein Glas Orangensaft trank. Meine Mutter bläute mir nochmal ein, ich solle ja aufpassen, wenn ich mich draußen rumtreibe. Sie glaubte nicht daran, dass der Taschendieb der Mörder war und überhaupt, dieser Holfield hatte doch noch nie etwas zustande gebracht. Stünde ihm gerade recht, wenn er in diesem Ruhm unberechtigterweise baden dürfe.

Ich floh recht zügig vom Gequassel meiner Mutter. Mein Kopf war zwar schon hellwach, aber so viele Worte ertrug ich so früh am Morgen dann doch noch nicht. Dennoch hatte Mum recht. Deshawn Jones war in der Vergangenheit noch nie durch Gewalt in den Schlagzeilen gewesen, das hatte sogar in der Daily heute Morgen gestanden. Dafür hatten sie mit dem Titel „Die zweite Sünde“ alle Register der Dramatik gezogen, die möglich waren. In nur einer Überschrift diesen Mann gleichzeitig zu verurteilen, auf die Todsünde „Gier“ anzuspielen und damit einhergehend gleich noch die Religion ins Spiel zu bringen – mein Gott, da musste jemand mit ganz stolz geschwellter Brust durchs Wochenende gehen.

Ich ließ mir einen Cappuccino aus der Kaffeemaschine ein, die mein Vater sich voriges Jahr zu Thanksgiving gegönnt hatte, zog einen Kapuzenpulli an und setzte mich draußen auf die Treppe der Veranda. Ein weiterer ungewöhnlich schöner Herbsttag kündigte sich an. Es war noch ziemlich kühl draußen, ich konnte sogar noch leicht meinen Atem sehen. Ein zartes Rosa am Himmel wechselte langsam in ein Hellblau über, während der Kastanienbaum in unserem Garten sich gerade von seiner ganzen Pracht zeigte.

Ich versuchte, erste Gedanken an Dakota zu verdrängen und ging im Kopf meinen Plan für den heutigen Tag durch. Um zehn Uhr war ich mit Nick und Matt zu einem kleinen Frühstück in Carters Book Store verabredet. Danach hatte ich etwas Zeit, um einige Nachforschungen anzustellen, ehe meine zweite Wochenendschicht im Kino anstand. Die würde bis neunzehn Uhr gehen. Danach musste ich zügig nach Hause, denn um zwanzig Uhr würden die Jungs zu mir kommen – unser traditioneller Spieleabend stand mal wieder an. Okay, ein vollgepackter Zeitplan, aber es war ja nun mal Wochenende und wie sagt man so schön: „You only live once.“

Als ich in Carters Book Store ankam, der übrigens unmittelbar neben dem Red Oak Cinema lag, waren Matt und Nick schon da. Sie stöberten gerade noch durch die Neuerscheinungen im Comic-Regal, als sie mich erblickten. Carter McAins, dem der Buchladen gehörte, war ein junger Mann Anfang dreißig, der es schaffte, durch regelmäßige Events und sein Frühstück am Wochenende seinen Buchladen regelmäßig voll zu kriegen. Was sicherlich angesichts der Konkurrenz durch E-Books und Versandhandel nicht gerade ein Zuckerschlecken war. Denn ganz ehrlich: Amazon und Co waren auch in Haywood Grove schon angekommen.

„Hey Barry“, grüßte Nick mich. „Wie war‘s gestern mit Dakota?“

Auch wenn das physiologisch schwer möglich war – aber ich schüttelte innerlich den Kopf. Es war so klar, dass Nick sofort damit kommen würde. Nach unserem Gespräch gestern und Matts Erfolg mit Summer hatte ich nichts anderes erwartet. Ich machte aber keinen Hehl aus dem gestrigen Abend. „Es war gut, ich habe sie nach Hause gebracht.“

Nicks Augen wurden groß. „Mit Kuss und allem drum und dran?“

„Alter, Nick, die zwei waren arbeiten, das war kein Date“, mischte sich Matt ein und sah mich mit einem Grinsen an. „Und, lief‘s gut?“

„Wir haben viel geredet und gelacht. Sie wollte sogar, dass ich ihr schreibe, ob ich gut zuhause angekommen bin.“

„Das ist ja wohl die halbe Miete. Bringst du sie zur Halloween Party mit? Summer und ich gehen zusammen hin. Unser Prinz auf dem hohen Ross wird mit seiner weißen Lady gehen – wie sieht’s bei dir aus?“

„Sie wird da sein“, empörte sich Nick.

„Wir haben mal kurz über die Party geredet. Ich habe gesagt, dass wir drei hingehen“, meinte ich nur.

„Okay, langsam“, Matt legte mir eine Hand auf die Schulter. „Wer hat das Thema zur Sprache gebracht?“

„Sie, wieso?“

„Erzähl.“

„Sie fragte mich, ob wir uns auf der Halloween Party sehen, mehr nicht.“

Nick schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Barry, dein Ernst? Das war ein Zeichen. Und das hast du nicht bemerkt? Sie wollte, dass du sie fragst!“

So langsam dämmerte mir, was die beiden mir mitteilen wollten. Oh Mann, war ich gestern echt so schwer von Begriff gewesen? Natürlich hatten sie recht. Die Frage, ob wir gemeinsam hingehen würden, wäre ja die logische Konsequenz gewesen. Irgendwie freute mich das ja, aber viel mehr war ich nun frustriert, dass ich gestern so auf dem Schlauch gestanden war.

„Okay, ihr habt gewonnen. Das war dumm von mir.“

„Du musst sie heute fragen. Ihr habt doch bestimmt gemeinsam Schicht“, drängte Matt.

Ich nickte. „Glaubt ihr, ich soll das wirklich…?“

„Die Zeichen sind eindeutig. Glaub mir, ich kenne mich aus.“ Nick grinste. „Ach übrigens, ich habe vorhin Cheyenne getroffen.“

„Ach, deine Eintrittskarte in die Welt der Reichen und Schönen“, spottete Matt. „Ich verstehe immer noch nicht, wie ihr euch so gut versteht…“

„Hast du uns schon mal angeschaut? Wir sind Bruder und Schwester – im Geiste vereint gegen euch Weißen.“

„Puh, die Karte spielst du echt?“ Ich schüttelte den Kopf. „Na egal, und was gibt es so Bahnbrechendes zu erzählen?“

„Ich weiß jetzt, warum Brianna gestern so ausgeflippt ist. Sperrt die Lauscher auf: Ronda Watkins ist… war Briannas Tante!“

Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Das erklärte so einiges. Und ich hatte ein leicht schlechtes Gewissen. Mit meinem Artikel hatte ich natürlich sämtliches Leid in Brianna auch noch in die Schule getragen und darüber hinaus auch noch viel über Ronda Watkins und ihr Leben preisgegeben. Verdammt, ich musste mich bei ihr entschuldigen. Aber woher hätte ich das auch wissen sollen? Allen Nachforschungen zu trotz – der ganze Familienstammbaum war nirgends abgebildet gewesen…

Für einen Moment zweifelte ich allgemein am Reporterdasein – war es nicht immer so, dass man mit einem Artikel irgendjemanden verletzen konnte? War das das Schicksal eines Reporters, mit dem man leben musste?

Das Frühstück bei Carter war immer ein Highlight. Pancakes mit Ahornsirup, Rührei mit Bacon, Würstchen, Obst – alles war da. Matt und Nick schienen völlig ausgehungert zu sein und stürzten sich erst einmal auf die ganzen Leckereien. Ich hatte gar keinen so großen Hunger mehr. Meine Gedanken waren bei Dakota und der offensichtlich verpassten Chance von gestern. Ich hoffte, dass ich sie nicht enttäuscht hatte und beschloss, sie heute in der Schicht zu fragen, ob sie mit mir zur Halloween Party gehen würde. In Gedanken dichtete ich an meiner Frage herum, während Nick und Matt bereits munter über den Fall diskutierten. Es benötigte sogar einen Klaps auf meinen Oberschenkel, um mich wieder in die reale Welt zurückzuholen.

„He, Sherlock, wo bist du denn mit deinen Gedanken?“, fragte Matt.

„Ich würde sagen, aktuell gibt es drei Frauen in seinem Leben, die ihm den Kopf verdrehen: Dakota, Ronda und Brianna. A, B oder C, such‘ dir eine raus.“ Nick war humortechnisch auf Hochtouren heute Morgen. Aber er hatte eben auch recht.

„A, dann B, dann C – in der Reihenfolge. Ich glaube, Brianna rückt erst wieder in den Vordergrund, wenn sie ihn wie eine Furie am Montagmorgen nochmal angreift.“ Die beiden lachten laut auf.

„Puh, Jungs, ihr seid heute echt anstrengend. Gibt es denn was Neues zu unserem Fall? Hat Travis etwas erzählt?“

„Ich habe ihn heute morgen nicht gesehen. Er ist ziemlich früh aufs Revier, heute stehen die Verhöre von Jones an. Gestern Abend war er nicht mehr sehr gesprächig, ich glaube er war noch sauer auf uns. Aber der wird schon wieder, wenn wir ihm den wahren Mörder servieren.“

„Meinst du, er lässt etwas raus, was es heute bei den Verhören an Ergebnissen gab?“

„Schwer zu sagen. Vielleicht weiß ich heute Abend mehr. Bei Mum und Dad ist er immer recht gesprächig. Das ist meine Chance, an Infos zu kommen.“

„Ich bin ziemlich sicher, dass er es nicht war“, wandte Matt ein. „Diese Reifenspuren auf der Leiche passen einfach nicht. Das passt nicht zu einem Raubmord.“

„Was hast du für eine Idee?“, fragte ich.

„Ich habe so was ähnliches schon Mal in einem Krimi gelesen. Fragt mich bitte nicht, welcher das war. Aber in dem Krimi gab es auch unerklärliche Spuren am Körper der Leiche, die sich letztendlich als Zeichen herausstellten. Da war noch irgendwas mit Rache und so weiter im Spiel, aber vom Grundsatz her ähnlich, oder?“

„Hm, schon. Aber was ist das Motiv?“

„Tja, wenn wir das hätten, wären wir schon sehr nahe am Mörder, glaube ich.“ Nick leckte das Ahornsirup von seinem Teller, nur um kurz darauf einen weiteren Pancake darauf fliegen zu lassen.

„Und warum ausgerechnet Reifenspuren? Warum wurde sie überfahren?“, grübelte Matt.

„Die Theorie mit dem Zeichen finde ich ja echt nicht schlecht“, gab ich zu. „Aber so richtig weiter komme ich in Gedanken momentan nicht. Da muss irgendwas sein, was wir übersehen.“

Es machte mich echt irre, nicht so schnell weiterzukommen, wie ich mir das erhoffte. Es schien offensichtlich, dass wir irgendetwas noch nicht bedacht hatten. Aber was? Verdammt, da draußen lief ein Mörder frei herum und lachte sich ins Fäustchen, dass die Polizei gerade Stunden damit verbrachte, einen Unschuldigen zu verhören.

Oder war alles so einfach und Jones war der Mörder?

Alles in mir wehrte sich gegen diese Möglichkeit. Das konnte nicht sein. Es machte einfach keinen Sinn.

Die Toten von Haywood Grove

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