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Gerhard

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Im Zollhaus Paradies war der Nachmittag ruhig. Routiniert stand Gerhard Steinhörer an der alten Mole und fischte einen Behälter aus dem Wasser. Eine wasserdichte Box, versehen mit einem dunkelgrünen Schwimmer, dass sie nicht unterging. Eine U-Boot Lieferung, abgeworfen von dem Frachtschiff, das eben an Fall vorbeigefahren war - an einer genau vereinbarten Stelle, so dass die Strömung das Paket zuverlässig zu ihm trieb.

Er hob die Box aus dem Wasser und schob sie mit einem Schwung zu einem unscheinbaren Verschlag, eingelassen in das rückwärtige Gemäuer des Zollhauses. Die Mole war schwer einsehbar und der Verschlag gar nicht. Routiniert öffnete er die Box, prüfte kurz den Inhalt, er war trocken und erschien vollständig, dann verstaute er alles. Er würde die Sachen erst am Abend brauchen. In tausendfach eingeübten Bewegungen schloss er ab, erschrak wie immer im Aufstehen aus der Hocke über die Schmerzen in den überdehnten Beinen und sah sich noch einmal um: niemand in Sicht.

Zufrieden macht er sich auf nach vorne zu den Tischen.

Julia und Flynn machten heute den Kiosk, er musste nur ab und zu da sein, dann lief der Laden. Das alte Zollhaus war ein verschachteltes Areal am Fluss. Ein Überrest aus einer Zeit, als hier Schiffe wegen Stromschnellen anhalten mussten, um sich lotsen zu lassen. Die Fälle, von denen der Name Fall kam. Sie hatten dem Ort über Jahrhunderte ein einträgliches Geschäft beschert, bis die Donau ausgebaggert worden war.

Der Aufstieg von Fall war damit zu Ende gewesen. Es war bald hinter Deggendorf zurückgefallen, ein beschauliches Nest, hängengeblieben irgendwo zwischen Stadt und Dorf. Auf dem Weg, vom wachsenden Deggendorf als Vorort verschluckt zu werden. Nur das Zollhaus stand weiter da mit wuchtigen Mauern: Freiflächen, Lagerhallen, alte Büroräume, Schlafräume, Mannschaftsräume, alles war da. Er hatte das Gelände vor Jahren von seiner Abfindung gekauft. Der goldene Handschlag zum Abschied aus seinem früheren Leben als Verkäufer in einem Technologie Unternehmen. LiveSafe. Zwei Jahrzehnte hatte er teure Technik an große Unternehmen verkauft. Er war rund um die Welt gekommen, in die Vorstandsetagen der Wirtschaft, hatte mitbekommen wie dort gewertschätzt, gedealt und entschieden wird.

Dann war der Tritt in die Freiheit gekommen. Der alte Hase wurde ersetzt durch junge Telefonverkäuferinnen. Bereut hat er ihn allerdings seitdem nie, das Zollhaus ernährte ihn problemlos. Die zentrale Lage in Fall an der Donau zwischen Stadtmitte und Fluss, das von einer Mauer geschützte, verwinkelte Areal, die verwunschenen Räume und Freiflächen, all das machte das Gelände zu einem Wunderwerk der Attraktionen. Kerngeschäft war der Kiosk. Hier verkaufte er alles, was ging. Alkohol, Zeitschriften, Milch, Butter und Käse, Kuchen, Kaffee, Zigaretten, Kondome, er besorgte alles, was gefragt war. Nur aus Drogen hielt er sich raus. Der Kiosk war zugleich Cafe und Kneipe, mit einer Terrasse vorne und einer hinten – vorne für die Jugend und die, die gesehen werden wollten, hinten, in der verschachtelten Freianlage des Zollhauses, für die, die lieber unter sich waren.

Und die Jugend verdiente sich Geld, indem sie den Kiosk schmiss – zumindest den Teil des Geschäftes, der allgemein bekannt war.

Und sie spannen herum mit allen möglichen eigenen Ideen, die gut zu der aus der Zeit geworfenen Rolle des Zollhauses passten. Stück für Stück eroberten sie das alte Gemäuer, ersannen den möglichen früheren Zweck der unterschiedlichen Elemente der Anlage: Speicher, Wachräume, Ställe, Kapelle, Gerichtsraum, Kerker - auch das alte Badehaus hatten sie kürzlich entrümpelt. Nebenbei arbeiteten sie immer weiter an ihrer Idee, Mittelalterspiele auszurichten. Damit war Leben in der Bude und der Betrieb lief – und hatte er Zeit für die wichtigen Dinge.

Doch die kümmerten ihn gerade wenig. Entspannt und leichtfüßig sprang er barfuß über die Stufen der hintern Terrasse, um diese Zeit war dort nichts los, ging durch die angenehm kühle alte große Speicherhalle, die sie nun für Veranstaltungen nutzten, und durch eine Nebentüre zur oberen Terrasse wo er, etwas abseits gelegen, seine private Ecke hatte. Das alte Zollmeisterbüro. Von hier konnte er den gesamten vorderen Bereich überblicken: Kiosk, Terrasse und den Eingang zu den Kneipenräumen.

Für ihn war es eine Freude, den jungen Menschen zuzusehen, wie sie den Laden führten. Mit einem Gemisch aus unendlicher Lässigkeit, Neugierde und permanenter Balz wechselten sie andauernd zwischen sich kümmern und sich präsentieren. Ihnen fühlte er sich verantwortlich. Sie wurden seiner Ansicht nach viel zu sehr missbraucht in einer Welt, die sich in eine riesige technische Spielhalle der Selbstoptimierung verwandelt hatte. Er beneidete sie nicht. Seine eigene Jugend hatte er noch auf Demos in Schwandorf, Ohu und Niederalteich verbracht. Im Kampf gegen Atomkraft und Staatsgewalt, mit Rufchören gegen Wasserwerfer. Diese Erfahrung echten Lebens entging der jungen Generation. Deren Abenteuer waren virtuell und rundum abgesichert.

Doch hier, bei ihm, durften sie echtes Leben leben. Das war sein moralischer Ausgleich für das, was er im dunklen Teil seiner Geschäfte trieb.

Auch sein eigner Sohn Tom gehörte dazu. Doch derzeit war er weit weg, in einem anderen Leben. Er studierte hunderte Kilometer entfernt und das war auch gut so. Tom bildete für ihn die Brücke zu den jungen Leuten, aber er sollte nicht unbedingt in seine Fußstapfen treten. Zumindest nicht so bald.

Er hatte es sich gerade gemütlich gemacht, als er Pavel um die Ecke biegen sah.

Braungebrannt, mit geöltem Haar, Goldkettchen und Hawaiihemd, wie er so daherschlenkerte sah er aus wie aus einem schlechten Film, aber das war sein Stil.

Pavel klatschte Julia und Flynn am Kiosk ab, achtete aber dann nicht weiter auf sie sondern sah gleich zu Gerhards Platz hoch. Das war auffällig. Einer wie Julia würde er eigentlich mehr Zeit widmen. Stattdessen bog er direkt ab, sprang die paar Stufen hoch und stand an seiner eisernen Gartentüre, die den Privatbereich abtrennte. Mit flinkem Griff drückte er den verborgenen Knopf zum Öffnen und bog in einer eleganten Drehung um die Ecke zu ihm an den Tisch.

Noch bevor Gerhard den Mund aufbekam klatschte Pavel auf einen Stuhl und meinte in seinem typisch uninteressierten Tonfall: „Es gibt Neuigkeiten.“

„Ja, und?“

„Anton Vogel ist tot.“

„Anton Vogel? Der Autobastler?“

„Genau, der. Nur ist er nicht nur tot, sondern er wurde aus der Donau gezogen. In einem weißen Alfa Spider mit tschechischem Kennzeichen.“

„Oh.“

„Genau, oh.“

Nicht nur, dass das für Gerhard 700€ Einnahmenverlust im Monat bedeutete, das konnte er verkraften, ja er wollte sich eh lieber aus dem Geschäft mit Kleinkriminellen zurückziehen. Schlimmer war der Alfa.

„Dann lass uns Augen und Ohren aufhalten.“



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