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Wanzen

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Leise stahl sich Gerhard Steinhörer von der vorderen Terrasse fort und ließ die Gäste mit Sprizz und Weißbier alleine. Julia und Flynn hatten den Laden im Griff, die Gäste hatten die üblichen Themen: Fußball, eigene Rekorde mit den neuesten Gadgets, Internetfilme – in der Reihenfolge. Mit dem Alkoholpegel wanderte der Themenschwerpunkt dabei vom Sport über einen kurzen Abstecher in die neuesten Schmutzgeschichten aus der Politik zu Sex und Celebrities. Eigentlich war es immer das gleiche, das hatte er schnell erkannt. Ihm sollte es Recht sein, es erleichterte jedenfalls sein Leben jenseits der öffentlichen Ordnung.

Um das musste er sich nun auch kümmern. Während die Bürger von Fall die Abenddämmerung begossen, ging er durch das Gewölbe nach hinten zum Verschlag am Fluss. Er öffnete die schweren Türen und beugte sich in die niedrige Kammer, die Box war unversehrt.

Nun kam der unangenehmste Teil seiner Arbeit und er musste ihn leider immer noch selbst machen. Es wurde Zeit, dass er jemanden fand, der ihm half.

Er zwängte sich auf einen kleinen Hocker und schloss den Verschlag. Dann schaltet er das Licht ein. Gebückt unter der niedrigen Decke, die nach altem Stein roch, macht er sich ans Werk.

Der Deckel ließ sich mit einem leisen Quietschen abheben und die Lampe leuchtete genau in die Box. Im Inneren waren Steine.

Zumindest sah es so aus. Wer genau hinsah erkannte: die Steine hatten alle ein kleines Schwänzchen.

Einen nach dem anderen nahm er die Steinchen aus der Box, zupfte das Schwänzchen heraus und steckte es verkehrt herum als wasserdichten Stöpsel wieder in das Loch, bis es ganz in dem Steinchen verschwand. Wenn man es nicht wusste, war es nun fast unmöglich zu erkennen, dass das keine Steine waren. Vielmehr war das Schwänzchen eine Antenne und beim Herausziehen wurde die Unterbrechung der Stromzufuhr beendet. Das Steinchen wurde damit eingeschaltet und verwandelte sich in ein Empfangs- und Sendegerät, hergestellt in China, das er in eine Schüssel legte.

Nach und nach widerholte er die Prozedur, bis er hundert Sender hatte. Die steckte er sich in die Tasche, verschloss die Box wieder, löschte das Licht, öffnete die Türen. Vorsichtig blickte er nach allen Seiten. Niemand war in der Nähe, das war gut. Mit mühsamen Verrenkungen kroch wieder aus dem Verschlag.

Nun zog er los zu seinem Abendspaziergang. Seine Bekannten wussten, er wollte bei seinen Spaziergängen alleine sein. Der Ruf des schrulligen alternden Mannes war der Preis wobei er, wie er fand, auch die Aura des geheimnisvollen pflegte, was ihm wiederum guttat. Heute war Deggendorf dran, die untere Vorstadt, beim Pferdemarkt bis zum Friedhof, eine Ecke der Stadt, in der besonders viele Ärzte wohnten und arbeiteten.

Alle dreißig Schritte schmiss er einen der steinchengleichen Sender in eine halbwegs geschützte Ecke. Schutz vor Feuchtigkeit war nicht schlecht, wichtiger war der Schutz vor Kehrmaschinen und vergleichbaren Gefährdungen. Am besten waren Ecken hinter Mülltonnen, allerdings durfte er sich auch nicht zu auffällig in die versteckten Winkel der Stadt bewegen.

Zur Tarnung hatte er einen Zweig, mit dem er herumspielte und immer wieder Stückchen abbrach und wegwarf. Marotten alternder Männer halt. Mit dem Zweig konnte er auch noch den einen oder anderen Sender an eine sichere Stelle schieben, ohne dass es sonderlich auffiel.

Auf Menschen traf er allerdings kaum. Ältere Leute saßen auf Balkonen und sahen nicht herunter, jüngere waren um diese Zeit woanders unterwegs. Die einsamen Alten, die am Fenster saßen, gab es hier nicht mehr, sie verrotteten vor dem Fernseher.

Nach einer knappen halben Stunde war die Tasche fast leer und er hatte das Revier durch. Er schnippte einen letzten Stein in einen Pflanzkübel vor einer Apotheke und machte sich auf den Rückweg. Diese Route müsste er erst wieder in 3 Monaten gehen.

Zum Zollhaus zurück schlenderte er erst noch durch die Deggendorfer Innenstadt mit ihrem langgezogenen Platz. In den unzähligen Cafes und Kneipen der provinziellen Barockhäuser saßen die Deggendorfer und tranken Bier oder Sprizz. Selbstzufriedene, kräftige Menschen, die nicht viel sprachen, in der Platzmitte mahnte die Kirche. Er ging gerne über diesen Platz, aber er gehörte hier nicht dazu. Er war Wirt in Fall, das war etwas anderes.

Auf dem Heimweg am Fluss entlang und genoss das leise Plätschern der Enten. Sie tollten herum und jagten sich gegenseitig. Möwen standen stolz auf kleinen Flößen aus verlorenen Brettern und trieben den Fluss herab. Die Dämmerung senkte sich langsam über das sommerstille Städtchen und er war zufrieden. Kurz vor dem Zollhaus drang das Geräusch von Fahrradreifen durch das Treiben der Kleintiere. Leise doch kraftvoll schob sich ein Mensch auf diesem ach so eleganten Fortbewegungsmittel durch die milde Luft, er mochte das.

Der Mensch war blond und weiblich, eine dünne Bluse drückte sich im Fahrtwind an einen gutgebauten Körper, er sah zweimal hin. Er erkannte sie: sie war von der Polizei. Routiniert rollte sie aus, bremste vor seinem Zollhaus, schloss ihr Fahrrad an und ging hinein.

Im letzten Moment bog er ab und ging von hinten hinein, über den Verschlag und durch das Gewölbe zu seiner privaten Terrasse. Sollte die Polizistin ihn sprechen wollen, sollte besser sonst keiner zuhören.

Er schnappte sich eine halbleere Flasche Weißwein, füllte ein Glas, packte Salzgebäck auf einen Teller, bröselte den Tisch ein wenig ein und setzte sich. Kaum hatte er eine entspannte Haltung gefunden, hörte er auch schon Flynn näherkommen. „Vermutlich ist er hier auf seiner Terrasse, warten Sie, ich sehe nach.“ Schnell griff er sich sein Smartphone und tat beschäftigt.

„Gerhard, da ist jemand für Dich“, Flynns Kopf schob sich hell über das Tor.

„Hoffentlich ein Dame“, rief er launig zurück und sah Flynn an. Der drehte sich um, wie um sich zu vergewissern. „Ja, schon.“

„Schick sie rein.“ Er stand schwungvoll auf und drückte den Torknopf. Am Tor stießen sie fast zusammen. Er war fast einen Kopf größer als die Polizistin und tat sich schwer, sie anzusehen, so nah war sie.

Geschmeidig drückte sie sich an ihm vorbei und baute sich an einer lichteren Selle auf, in sicherem Abstand.

„Ich kenne Sie“, ohne Begrüßung eröffnete er das Gespräch. „Aber woher?“ er zögerte, „ich muss passen.“ Mit einem Achselzucken beantwortete er den skeptischen Blick. Die Dame wirkte auf ihn neugierig und gleichzeitig lebensfroh, ja fast frivol. „Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten?“

Endlich begann sie zu sprechen. Sie stellte sich als Greta Shetter vor, von der Polizei Fall. Er unterbrach sie, dass er sich jetzt erinnere, hier aus dem Zollhaus, er wäre nie darauf gekommen dass sie Polizistin ist. Sie lachte warm und fröhlich und er ging hinein und holte ihr ein Glas.

„Ich darf doch?“, er war schon am Einschenken.

„Meinen Sie nicht, ich bin vielleicht im Dienst?“

„Als Polizistin sind Sie immer im Dienst und da Sie nicht nie etwas trinken dürfen, dürfen Sie auch jetzt trinken.“

Das hatte gesessen, sie musste einen Moment nachdenken.

„Und wenn ich mit dem Auto da bin?“

„Dann ist das Ihr Problem, ich denke, das könnten Sie lösen.“ Er schenkte ihr das Glas randvoll ein.

„Ich bin tatsächlich dienstlich hier.“

„Das habe ich schon befürchtet. Ich halte mich zwar für attraktiv, aber dass eine fast unbekannte, viel attraktivere Frau so hübsch angezogen ungefragt privat auf meiner Terrasse auftaucht … , da bin ich dann doch Realist.“

Mit Freude sah er die Polizistin schamvoll zu ihrem Dekolletee herunterblicken. Danach verlor er kein weiteres Wort mehr in dieser Richtung.

Sie prosteten sich zu und sahen sich, als sie tranken, abschätzend in die Augen, dann wurde sie ernst.

„Es gab heute einen Todesfall“, legte sie los.

„Ich habe von einem Unfall draußen am Fluss gehört.“

Sie musterte ihn.

„Ein Auto ist die Böschung herabgestürzt, der Fahrer ist ertrunken“, bestätigte sie ihn. „Was genau geschehen ist, versuchen wir noch herauszubekommen.“

„Und deshalb sind Sie hier?“

„Ja, genau.“

„Interessant.“

„Aber bevor wir weiter darüber sprechen,“ lenkte Greta ab, „was machen Sie hier so alles?“, sie setzte nach, „Für einen Kiosk mit kleiner Kneipe und Terrasse ist das hier ja viel zu groß, oder?“

Hinter der frivolen Fassade steckte eine waschechte Polizistin. Anerkennend lehnte er sich zurück.

„Ich bin Wirt“, erklärte er, setzte sei Glas ab und schwieg erst einmal. Und sah sie an.

Sie sah zurück, wartete auf die Fortsetzung und schwieg auch.

Jetzt ging das Spiel los, wer länger das Schweigen aushält.

Sie gewann.

„Als Wirt stellt man Fremden etwas zur Verfügung, was diesen nützt“ erklärte er philosophisch. „Der Gastwirt ernährt seine Gäste“, setzte er fort. „Wussten Sie, dass ‚Gast‘ der Magen ist?“ Er erkannte an ihrem fragenden Blick, sie wusste es nicht. „Gastrologie, Gastritis, Gastronomie, … das ist griechisch. Der Gastwirt ist der Magenfüller, ganz einfach.“

„Dann hat sich mein Besuch hier ja schon gelohnt“, lächelte sie süffisant und drehte ihr Weinglas am Stängel zwischen den Fingern. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich mit Mägenfüllen begnügen.“

„Das tue ich ja auch nicht“, jetzt schmunzelte er nachdenklich, überlegte, wie er seine Ehre retten konnte. „Ich habe ja gesagt, ich bin Wirt, ich habe nicht ‚Gastwirt‘ gesagt.“

„Und was ist der Unterschied?“

„Ich stelle Räume für Veranstaltungen, ich vermiete Zimmer, ich vermittle auch das eine oder andere Geschäft, wenn es passt. Schließlich habe ich hier ja eine zentrale Position in Fall.“

„Zentral, wie man es nimmt“, meint sie nachdenklich. „Aber es kommen bestimmt viele vorbei, kann ich mir zumindest denken.“

„Es kommen alle vorbei. Sage ich Ihnen.“

Kaum hatte er das gesagt, befürchtete er, das war womöglich ein Fehler.


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