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Verdacht

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Mit einem Eiersandwich in der Hand saß Greta auf dem Balkon der Wache und studierte die Unterlagen. Die Kollegen hatten erstaunlich schnell gearbeitet und zufrieden kaute sie einen Bissen nach dem anderen, ständig in Sorge, Mayonnaise auf den Bericht zu tropfen. Aber sie hatte Hunger und war gierig.

Zuhause wurde der Linsensalat warm. Linda würde sicher einen großen Bogen darum machen und Thomas überreden, mit ihr eine Pizza zu bestellen. Ihre Familie war keinen Deut besser als der Rest der Welt, wie sie immer wieder einsehen musste. Voller Träume über eine bessere Welt, aber dann doch faul und bequem.

Aber ihre Familie war ihr Anker in der normalen Welt, ohne den sie hilflos davontreiben würde in der großen Freiheit des Ozeans der Versuchungen. Insgeheim wäre sie am liebsten Verbrecherin geworden, das war ihr wollüstiger Traum. Der Verbrecher, der aus eigener Kraft und Intelligenz sein Umfeld beherrscht, völlig ohne die stützende Kraft der Gesellschaft. Das hatte etwas Magisches für sie. Der sich nicht um all die Regeln schert, die das Leben versauern, sondern tut, was er für richtig hält, klug, mit Bedacht, aber ohne Skrupel.

Sie hatte sich aber nie getraut. Hatte sich vielmehr vor sich selbst beschützt und sich einen Beamtenjob und einen Sicherheitstechniker als Ehemann zugelegt. Doch die Wollust blieb und ihre stille Freude, mit dem Verbrechen auf Augenhöhe zu leben. Die gleiche Wollust, mit der sie nun tropfend und sabbernd den Eiersandwich aß, während sie versuchte, sich in ein Verbrechen zu versenken.

Am Tatort, so nannte sie es jetzt, war alles routiniert abgelaufen. Storm hatte sich nach ihrer Begegnung auf allen Vieren heldenhaft angestrengt, um seinen lüsternen Blick in ihr ungeschütztes Dekolletee vergessen zu machen und Drang hatte sich vorbildlich um das Auto gekümmert. Und obwohl Storm immer noch diensteifrig wie nie um sie herumstolzierte, beschloss Greta vorübergehend, ihm im Dienst in Zukunft die persönliche Herausforderung zu ersparen und sich korrekt zu kleiden.

Etwas anderes bewegte sie nämlich sehr viel mehr: der Bericht. Er wies, bei aller Beflissenheit, Spuren auf, die sie zur Verzweiflung trieben. Alle beide, Storm wie Drang, waren praktisch unfähig in Rechtschrift. Der kurze Text war so voller Fehler, dass er kaum als Beweismaterial taugte.

Sie wusste inzwischen: die beiden konnten eigentlich nichts dafür, doch Trost war das keiner. Storm wie Drang waren ganz gewöhnlich begabte Menschen, doch hatten sie beide im Zeitalter der automatischen Textkorrektur auf Computern und Mobilgeräten einfach nie schreiben gelernt.

Das kam nun gnadenlos heraus. Die Polizei hatte zwar inzwischen auch nicht mehr die mechanischen Reiseschreibmaschinen, auf denen Greta jahrelang Verbrechen und Ordnungswidrigkeiten protokolliert hatte, sondern ein zentrales Computersystem, aber das hatte keine automatische Rechtschriftkorrektur, was bei alle anderen Geräten längst Standard war. Aus einem einfachen Grund: Das Risiko, dass das System sich selbst seinen Text ausdachte, war einfach viel zu groß und ein Spezialsystem für die Polizei wollte kein Hersteller zu einem vertretbaren Preis anbieten.

Wenn sie sich zuhause über die grausame Schreibkunst ihrer jungen Beamten beklagte, rollte ihre Tochter Linda nur mit den Augen: „Mama, Du bist ja so was von gestern“ meinte sie dann und nicht einmal ihr Mann Thomas widersprach. Das ärgerte sie besonders. Stattdessen wedelte er mit Dokumenten seiner chinesischen Lieferanten und erklärte, die Chinesen hätten auch eine Bilderschrift.

Das war zwar richtig, aber Gretas Ansicht nach dennoch ein falsches Argument. Sie war der Meinung, Schreiben sei eine Kulturtechnik, die sich die Menschheit mühsam erarbeitet hatte. Ein kognitiver Prozess, der sich aus der steinzeitlichen Aufgabe herleitete, Tierspuren im Boden zu erkennen und diese in eine Vorstellung über das reale Tier zu übertragen. Zeichen in Bilder zu verwandeln, Bilder in Buchstaben, und sich so als Gruppe zu organisieren und zu entwickeln, das war echter menschlicher Fortschritt. Dies einfach den Maschinen zu überlassen, nur weil es so praktisch war, hielt sie für einen Fehler. Dennoch versuchte sie tapfer weiter, nicht auf das Papier zu tropfen, und las aufmerksam das Protokoll, bis es ihr zu bunt wurde.

„Wann lernt Ihr endlich, ordentlich zu schreiben!“, brüllte sie, als sie fertig war, durch das Fenster in die Wachstube, genervt von ‚Kurfe‘ und ‚Waser‘. „Das wird ja immer schlimmer“. „Geben Sie uns ein ordentliches Gerät, dann wird alles gut“, raunzte Storm. „Schreiben ist eine Kulturkompetenz“ schimpfte Greta dagegen. „Nur wer schreiben kann, kann auch richtig denken.“

„Ach was, in ein paar Jahren ist die Schrift abgeschafft. Mit Bildern geht das alles viel besser, dann haben wir auch endlich international keine Probleme mehr“, schaltete sich Drang dazwischen.

Greta, schon auf dem Weg zurück in die Wachstube, klatschte den Bericht auf den Tisch der beiden. „Bilder, ich will nicht wissen, was für Bilder Ihr im Kopf habt, wenn Ihr irgendwo hinglotzt. Ich will einen sauberen Bericht“.

Drang prustete los und Greta sah gerade noch, wie Storm mit hochrotem Kopf den Blick von ihrer Bluse abwandte.

Nun gab Greta auf. Sie nahm sich den Bericht wieder, setzte sich an ihren eigenen Tisch und notierte sich die wichtigsten Fakten auf einem Zettel, um sie dann mit Pfeilen und Linien zu verknüpfen.

Die Tropfen auf der Straße waren tatsächlich Bremsflüssigkeit und der Alfa hatte undichte Bremsleitungen. Korrodiert. Das konnte natürlich passieren, bei einem alten Auto. Die Stelle war auch nicht untypisch für Korrosion. Allerdings waren die restlichen Leitungen in einem astreinen Zustand, das machte sie stutzig. Sie wusste, dass in Zeiten, als Fahrzeuge noch nicht mit Sensoren komplettüberwacht waren, diese Art der Sabotage ein beliebtes Mittel war. Bei der Staatssicherheit der ostdeutschen Volksgenossen der DDR ebenso wie bei den Schergen der Mafia oder auch dem einen oder anderen weniger regeltreuen Mitbürger im eignen Land, zu anderen Zeiten.

Der Alfa, den sie aus der Donau gezogen hatten, war in Tschechien zugelassen und das offenbar immer gewesen. Der Halter war noch nicht ermittelt und das würde auch dauern. Aber sie hatte bereits Fotos, frisch geliefert aus der Verkehrsüberwachung. Immer derselbe Fahrer, meist in Begleitung eines weiblichen Bonbons, doch die entscheidenden Körperteile waren, im Gegensatz zu anderen Einblicken, entweder mit Kopftuch und Brille zur Unkenntlichkeit verhüllt oder wegedreht. Immerhin sahen Brüste und Schenkel stets ähnlich und somit nach einer dauerhaften Beziehung aus. Ganz wenige Male sah man den Fahrer mit Männern, doch auch dann immer gelassen. Als wüsste er, dass die grenzüberschreitende Unterstützung zur Verfolgung von Verkehrsverstößen nur auf dem Papier stattfand.

Der Fahrer war jedenfalls nicht Anton Vogel. Ob der aus Versehen oder geplant gestorben war, das musste sie jetzt herausfinden.

„Prüft einmal, wen Ihr von den Beifahrern kennt“, wies sie Storm und Drang schließlich an.

Ohne aufzusehen erklärte Drang betont nebenbei: „Wir haben sie schon durchgesehen“, zwei aus Fall sind dabei, die anderen müssten wir erst einmal zur Fahndung ausschreiben.“

„Mit Bildern kommen wir ja zurecht“, schoss Storm hinterher, ebenfalls ohne aufzusehen.

Greta lächelte beschämt. „Das ist schön“ meinte sie dann – und wusste nicht weiter. Schließlich fragte sie doch in das Schweigen der beiden hinein: „und, wer sind die beiden?“

„Der eine ist Gerhard Steinhörer, der Besitzer vom Zollhaus Paradies“ erklärte Drang schroff und zeigte mit dem Finger auf ein Bild, das von einer Kamera außerhalb von Fall stammte. „Der andere ist der Typ vom FitShop, dem Fitnessladen, ich weiß nicht wie der heißt.“

„Danke, ich schau sie mir an.“ Ein Abstecher zum Zollhaus wäre jetzt schon eine nette Abwechslung, dachte sich Greta und tatsächlich erinnerte sie sich an das Gesicht des Wirtes, jetzt, als sie es wusste. Vorher musste sie allerdings noch fertig die Unterlagen sichten.

Missmutig sah sie herüber zum Stapel aus der Werkstatt. Ölverschmierte Zettel, kaum lesbar, wirr. Sicher war nur: Herr Vogel hatte es zeitlebens mit der ordentlichen Buchführung nie sehr genau genommen. Das nützte ihr bei der Aufklärung allerdings wenig.



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