Читать книгу Love is pain - Donom Maska - Страница 11

Meilensteine

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Auf den Dating-Apps bin ich nun zum fünften oder sechsten Mal seit unserer „Trennung“, hab den Überblick verloren. In manchen Momenten rede ich mir ein, das Leben muss weitergehen, ich muss andere Männer kennenlernen, Dates haben, bevor ich Jack Hand in Hand mit einer anderen sehe. Ich muss auch wieder aus diesem Loch herausfinden, also lade ich alle runter, melde mich an, wische lustlos. Sobald mich dann einer anschreibt, stelle ich fest, ich bin nicht soweit. Ich hab keine Lust. Ich hab einfach keinen Bock, mit anderen Männern zu schreiben, sie zu treffen. Dann lösch ich alles wieder, nur um ein paar Tage später wieder von vorne anzufangen.

Mein Kopf sagt, du musst weitermachen. Also noch mal alles runterladen, mich zwingen zu schreiben, witzig sein, interessiert wirken, während es mir das Herz zerreisst und ich dabei hemmungslos weine. Ich mach Dates ab, zu denen ich dann nicht hingehe, wenn es soweit ist. Dann lösche ich wieder alles, zurück auf Anfang. Schön im Kreis.

Ich schäme mich bei dem Gedanken, wenn Jack wüsste, dass ich auf diesen Apps bin, er hat sowas nicht nötig und macht sich über seine Freunde lustig, die drauf sind. Ich lösche alles wieder. Nur, um mich ein paar Tage später wieder anzumelden, weil ich weitermachen muss. Ich zwinge mich. Nicht aufgeben, es muss weitergehen. Also dranbleiben.

Heute hab ich wieder ein Date. Wie er heisst, was er macht, was er sucht, weiss ich nicht. Müsste ich alles nachlesen. Ich merk mir nichts von den Typen, weil es mich nicht interessiert. Aber sollte es schon nachlesen bevor ich dort auftauche, sonst wird es peinlich. Will ich überhaupt hingehen? Will ich jetzt duschen, mich schminken, schön anziehen, in die Stadt fahren, lächeln, Fragen stellen obwohl mich die Antworten gar nicht interessieren, belangloses Zeug von mir erzählen, mit den Wimpern klimpern, interessiert wirken? So tun, als wär ich eine fröhliche, aufgestellte, witzige, charmante Frau während ich einfach nur weinen will? Nein, auch diesmal hab ich keine Lust. Die wievielte Absage ist das jetzt? Auch da hab ich den Überblick verloren.

November 2014

Die Beerdigung ist durch, ich bin wieder in meiner Hölle, bestehend aus Nichts. Tagsüber starr ich weiterhin den Chat an. Ich schreibe mit niemand, ich starr einfach rein, stundenlang. Der Einzige, der mir hin und wieder Ablenkung bietet, ist Steve. Die Gespräche mit ihm über Gott und die Welt lenken mich ab, er ist aber tagsüber selten da. Er ist chatsüchtig und würde sich auch gerne von dieser Sucht befreien und auch ich suche einen Weg, dem Ganzen wegzubleiben. Wir schliessen einen Pakt. Wir vereinbaren, wann und wie lange wir online sind, damit wir das kontrollieren können. Der Verlierer zahlt einen Kaffee.

Ich bin Projektleiterin und wenn ich mich im Büro nicht als Solche betätigen kann, dann wenigstens in meinem Privatleben. Ich nehme mein Leben wie ein Projekt in Angriff. Ich erstelle eine Liste mit Meilensteinen, die ich erreichen will, um das Projekt „Zurück ins Leben“ erfolgreich abzuschliessen. Erster Meilenstein, ich stell mich meiner Angst, Männer mit meinem Aussehen und meiner Art zu enttäuschen. Ich will mit Steve was trinken gehen. Da ich an ihm als Mann gar nicht interessiert bin, dürfte mich seine Enttäuschung bei meinem Anblick, nicht allzu sehr verletzen. So gesehen, ist er der perfekte erste Onlinetreff. Ich muss und will es hinter mich bringen.

Natürlich hält sich Steve sehr gut an seine Zeit, ich versage schon am dritten Tag. Also muss ich den Kaffee bezahlen. Am Montag darauf wollen wir uns nach Feierabend treffen. Ich bin nicht mal aufgeregt. Bin ganz cool, bin ja auch nicht an ihm interessiert. Ich stelle ihn mir als kleinen, hässlichen Giftzwerg vor, aber mit ihm zu schreiben ist lustig und unterhaltsam.

Als ich am verabredeten Ort auftauche, steht vor mir ein Mann, der besser aussieht als in meiner Vorstellung. Nicht, dass er gut aussieht, weit entfernt von meinem Geschmack, aber ich hab ihn mir schlimmer vorgestellt. Er ist kleiner als ich, blaue Augen, so ein richtig Grüner mit Wuschelfrisur. Es fehlen nur noch die Birkenstöcke an den Füssen, aber ist ja November. Wir unterhalten uns. Besser gesagt, ich rede und rede, er ist sehr schüchtern, still. Das pure Gegenteil von dem giftigen Mann, den er online abgibt. Real kriegt er den Mund kaum auf. Ausserhalb der virtuellen Welt ist er ein Mann, der sich duckt, wenn Frau die Stimme erhebt. Er hatte schon etliche Affären, mit Worten weiss er umzugehen. Warum er sie real trotzdem flachlegen kann, liegt daran, dass es entweder verheiratete, sexuell frustrierte Frauen sind, die endlich wieder erobert werden wollen oder Singlefrauen mit Minderwertigkeitskomplexen oder psychischen Problemen, die alles annehmen, was sich bietet, weil ja keine Alternativen da sind. Er erzählte mir von diesen Frauen, die er im Laufe seiner jahrelangen Chatsucht kennengelernt hat. Allesamt haben eine sehr labile Persönlichkeit.

Nach einer Stunde verabschieden wir uns. Ich freu mich, ich hab es geschafft. Ich lebe noch und das war doch gar nicht so schlimm. Ich bin im Bus als ich von ihm eine Nachricht erhalte „Versteh das jetzt nicht falsch, aber du bist eine verdammt attraktive Frau, dazu noch witzig, geistreich und intelligent. Wieso bist du Single?“ Danke, danke, mein Ego hebt grad für einen Moment ab.

Dieses Treffen hat mir tatsächlich gutgetan, ändert aber nichts an meiner inneren Hölle. Ich bin bei Manda, meiner Kosmetikerin. Seit Jahren bekämpfe ich die Kinnhaare. Tausende sind weg, aber die Haare spriessen und gedeihen weiterhin fabelhaft. Während Manda mit der Nadel Haar für Haar an die Wurzel geht, erzählt sie, sie hätte sich auf einer Dating-App angemeldet und gleich einen tollen Mann kennengelernt. Sie haben sich getroffen und es hat zwischen ihnen sofort gefunkt. Sie schwebt auf Wolke Sieben, könne nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, sie denkt nur noch an diesen Mann. Sie ist überglücklich.

Auf dem Heimweg denke ich darüber nach. Nein, solche Dating-Apps sind sicher nichts für mich. Da, mein Bild der Welt präsentieren, ist ein öffentliches Versagenseingeständnis. Zu Hause angekommen, lässt mich das Thema aber nicht los.

Ich komme nicht aus dem Haus raus. Alle die ich anschreibe, haben entweder keine Lust oder keine Zeit, etwas zu unternehmen. Ich sitz im Büro oder zu Hause rum, fühl mich nutzlos, allein, einsam, hab niemand zum Reden, ich erleb nichts, das Leben zieht einfach an mir vorbei. Vielleicht wäre das eine Gelegenheit, einfach aus dem Haus rauszukommen. Ich will keinen Mann, ich bin grad mitten in der Hölle, weine sobald ich zur Tür rein komme und höre erst auf, wenn ich die Wohnung wieder verlasse. Manchmal weine ich auch im Büro. Nein, ein Mann ist das Letzte, wofür ich im Moment den Kopf habe, aber ich könnte rauskommen, ich könnte reden, ich könnte wenigstens für eine Stunde an etwas anderes denken als an mich selbst. Ausserdem ist da der Meilenstein, auf Menschen zugehen, mich der Angst vor Ablehnung stellen. Irgendwo muss man ja anfangen.

Also schaue ich mir mal an, was es da so an Angeboten gibt, lade alles runter. Tinder geht nur mit Facebook, das will ich nicht. Ich stelle ein Bild von mir rein, auf dem kaum was zu sehen ist, nur meine Konturen, aber nicht das Gesicht. Ich will nicht, dass irgendjemand mich erkennt. Prompt schreiben mich ein paar Typen an. Viele auf der Suche nach einer Affäre oder einfach nur Sex. Nein danke, nicht interessiert, ich such nur Unterhaltung, ich will einfach nur neue Leute kennenlernen. Badoo lösche ich am Abend wieder. So verzweifelt bin ich nun doch noch nicht. Andere bleiben weiterhin aktiv.

Am Sonntag schreibe ich mit Marco. Er wohnt in der gleichen Ecke wie ich und geht auch gerne spazieren, also vereinbaren wir, am Nachmittag einen Spaziergang zu machen, er wird den Cappuccino mitnehmen.

Als ich auf ihn zugehe, wirkt er nicht ganz so cool, wie auf den Fotos, Die Mütze soll der letzte Schrei sein, mir gefällt sie nicht. Sie dient, die beginnende Glatze zu kaschieren. Ich bin überrascht, dass er, als hier geborener Italiener, so schlecht Deutsch spricht. Schriftlich hab ich nichts gemerkt, aber Real ist die Aussprache furchtbar. Es ist auch kein Cappuccino sondern Eiscafé im November. Egal, wir laufen los, reden. Besser gesagt, ich stelle Fragen, er antwortet knapp. Meist mit Ja oder Nein. Nach ein paar Metern drückt er mir einen Kuss auf die Wange. „Hee, was soll der Scheiss?“ motze ich ihn an. Er meint, ich wär ihm so sympathisch, er wollte mir halt nur ein kleines Küsschen geben. „Lass das“ zicke ich ihn an. Ich hab ja gesagt, bin nur an Unterhaltung interessiert und nicht mehr. Während wir Laufen kommt er immer näher, so dass er fast an mir klebt. Ich fordere ihn auf, wieder Abstand zu nehmen. Tut er gleich, nur um ein paar Meter weiter, wieder an mir zu kleben.

Ich finde es anstrengend, dauernd rumzuzicken ausserdem ist nichts mit Unterhaltung. Ich stell Fragen und er antwortet weiterhin nur knapp, wie bei einem Verhör. Er selbst stellt kaum fragen, dafür schmeisst er nur so mit Komplimenten um sich, die bei mir aber so gar nicht ankommen. Für Komplimente könnte ich mich bedanken, aber beim Rumschleimen würge ich nur. Als wir auf dem Rückweg sind, lädt er mich zu sich auf einen Kaffee ein. Nein danke. Das versteht er aber nicht „Du bist Single, ich bin Single also warum stellst du dich so an!“ Das ist mir echt zu blöd, ich hab keinen Bock mehr, ich nehm das Tram. Er schreibt mir, ob wir Morgen Essen gehen wollen. Nein, will ich auf gar keinen Fall. Er verspricht, sich nicht mehr so doof zu verhalten. „Nein danke, kein Interesse.“

Eine Woche später, Samstag, schreibt mich Ronald an. Wir schreiben kurz hin und her und er fragt, ob wir am Nachmittag einen Kaffee trinken wollen. Ja klar, ist ja der Sinn der Sache, dass ich rauskomme und rede. Ich bin einverstanden, wir verabreden uns für 14 Uhr in der Stadt. Auf seinem Profilbild kann ich auch nicht viel von ihm erkennen, aber so wichtig ist es nun auch nicht, oder? Gerade als ich dabei bin, die Schuhe anzuziehen, schickt er mir noch ein Selfie und ich erschrecke bei dem Anblick. Scheisse, mit dem werde ich mich in der Stadt blicken lassen. Es ist mir peinlich. Ich überlege, wie ich jetzt noch absagen kann, aber es fällt mir nichts ein. Erstens wäre es gemein abzusagen, nachdem er mir ein Bild von sich geschickt hat und zweitens bin ich ja eh nicht an ihm als Mann interessiert, sondern einfach nur an der Tatsache, aus dem Haus rauszukommen. Trotzdem ist es mir peinlich, mit einer hässlichen Kröte gesehen zu werden. Ich hoffe, niemand den ich kenne, läuft mir über den Weg.

So stehe ich da und warte, völlig demotiviert. Doch zu meiner Überraschung sieht er in Natura echt gut aus. Gross, kurze, braune Haare, braune Augen, sportlich, positive Ausstrahlung und sehr sympathisch. Wieder mal bestätigt sich, Selfies sehen einfach Scheisse aus.

Wir spazieren zum Café, bestellen und unterhalten uns währenddessen. Er ist die erste halbe Stunde sehr aufgeregt, ich total cool. Kein Schwein sieht mir an, dass ich eine depressive Kuh bin. Eine Rolle spielen kann ich perfekt. Ich bin witzig, klug, charmant, frech. Ach, mit mir macht es ja so Spass.

Seine Nervosität legt sich und das Gespräch wird sehr interessant und lustig, die Zeit fliegt einfach davon. Die zwei Stunden kommen mir vor, wie eine Viertelstunde. Er ist seit vier Jahren Single, hätte gerne wieder eine feste Beziehung und hat sich auch gerade neu auf der App angemeldet. Ich erkläre ihm, dass ich keinen Mann suche, für wasauchimmer, sondern einfach neue Leute kennenlernen will. Durch meinen Job hab ich sehr viel Freizeit, die ich jetzt irgendwie ausfüllen will. Ich finde ihn sympathisch, wir können uns sehr gut unterhalten und eine gute Freundschaft kann ich mir durchaus vorstellen, mehr nicht. Wir verabschieden uns und beschliessen, das auf jeden Fall zu wiederholen.

Er schreibt mir danach auch oft, aber seine Nachrichten finde ich furchtbar. Zwar tun seine Komplimente meinem Ego gut. Er fand mich sehr sympathisch, attraktiv, intelligent und witzig und würde sich freuen, mich wieder zu treffen. Er ist ganz und gar nicht enttäuscht von mir. Offenbar sehen andere nicht das Gleiche, was ich sehe, wenn ich in den Spiegel schaue. Aber er versucht geistreich zu erscheinen, sich gekonnt auszudrücken und das ganze Geschreibe passt überhaupt nicht zu dem Typ, mit dem ich mich zwei Stunden lang unterhalten habe. Real war er witzig, gesprächig, gesellig, ganz normal, aber schriftlich verstehe ich diesen philosophischen Scheiss überhaupt nicht. Es klingt alles so unnatürlich, nicht authentisch. Er will mich wohl mit klugen Worten beeindrucken, aber der Schuss geht nach hinten los. Ich schreib ihm kaum noch zurück.

Eines Nachts erhalte ich eine Nachricht von ihm, er sei süchtig. So wäre das Ganze nicht gedacht gewesen, aber er kann nicht mehr aufhören. Tja, was soll ich ihm darauf antworten?

Schreib ja daneben noch mit vielen und lese oft, einige haben sich angemeldet, um eine Frau für was Festes zu finden, aber die Frauen auf den Apps sind leicht zu haben, Mann muss sich nicht mal gross bemühen und das sind halt nun mal Männer. Natürlich sagt keiner nein.

Einige schreiben mir regelmässig. Es langweilt mich. Wenn ich schreiben will, kann ich genauso gut chatten. Sie erzählen mir ihren Alltag, aber es führt zu nichts. Ich will raus, nicht jeden Tag erzählen, wie mein langweiliger Tag war, wie ich jetzt zu Hause vor dem TV hocke, wie ich jetzt ins Bett gehe. Ich versteh die Typen nicht. Offensichtlich wollen sie den Kontakt aufrecht halten, aber es kommt kein, lass uns was trinken gehen. Es kommt noch zu zwei weiteren belanglosen Treffen. Die Unterhaltungen helfen schon ein bisschen, bieten Ablenkung. Ich gehe weiterhin in Therapie und rede mir alles von der Seele, ich muss die Schubladen leeren.

Anfang Januar lösche ich die Apps wieder. Ich brauche sie nicht mehr. Es hat mir aber gut getan. Ich hatte keine Angst vor den Treffen gehabt, ich war nicht nervös, konnte mich ganz gut unterhalten und es hat meinem Ego gutgetan. Ich hab ein bisschen Daten geübt und festgestellt, es läuft besser als gedacht.

März 2015

Melde mich wieder an. Ein weiterer Meilenstein steht auf meiner Liste. Sex! Ich will hier einen Mann für Sex finden. Mein letzter Sex ist 11 Jahre her und es ist ein wichtiger Meilenstein, den ich unbedingt erreichen muss. Ich will jemanden an mich, meinen Körper, heranlassen. Ich hab Angst davor, aber ich muss es tun. Was andere können, kann ich doch auch. Sex ohne Gefühle.

Zwar ist die App voller Männer, die für Sex nur allzubereit sind, aber so einfach ist das auch wieder nicht. Bei keinem, der mich da anschreibt, kann ich mir das auch nur ansatzweise vorstellen.

Am Sonntagmorgen schreibt mich Marius an. Er sucht eine feste Beziehung, ich antworte „Dann such weiter.“ Wie bescheuert ist das denn, eine feste Beziehung auf einer App suchen? Eine Beziehung entwickelt sich aus einem Kennenlernen heraus oder eben nicht. Er schreibt trotzdem munter weiter, fragt, ob wir nicht trotzdem einen Kaffee trinken könnten. Ja warum nicht, es ist Sonntag, mir ist langweilig und hab ja sonst nichts vor und niemand zum Reden.

Wir treffen uns am Nachmittag in der Stadt. Er ist sehr gross, riesig, über 1.90. Obwohl er drei Jahre jünger ist als ich, hat er schon ziemlich viele graue Haare, aber sonst sieht er nicht schlecht aus und braune Augen hat er auch. Wirkt sympathisch. Wir gehen ins Café, nehmen einen Cappuccino, setzen uns hin und reden, was man halt so mit einem völlig Fremden am Anfang bespricht. Immerhin beherrscht er die Kunst der Konversation. Mich stören seine Schuhe. Er verdient sicher nicht schlecht, bei seinem Beruf, aber die Schuhe sehen aus als hätte er sie von seinem Grossvater geerbt, der sie für die Feldarbeit nicht mehr brauchen konnte. Kauf dir endlich neue Schuhe, würd ich ihm so gern sagen.

Während wir reden, hält er plötzlich inne, ist still, starrt den Boden an. Ich warte einen Moment, der mir dann aber zu lange dauert und frage „Ist was?“ Er räuspert, entschuldigt sich, meint, er hätte mich da stehen sehen und hätte sich einfach auf Anhieb in mich verknallt, ich sei so der Hammer und jetzt ist er ein bisschen nervös und weiss nicht so recht, was er sagen soll. „Aha“ antworte ich nur, mehr fällt mir auf Anhieb auch nicht ein.

Ich versuch die Konversation wieder zum Laufen zu bringen, aber ein paar Minuten später, starrt er wieder gedankenverloren auf den Boden „Und was ist jetzt?“ frage ich etwas genervt. Er stottert und druckst ein bisschen rum und sagt dann „Weisst du, ich bin ein sehr feinfühliger Mensch. Ich kann sehr gut Spüren und ich spüre, dass wir eine tolle Beziehung haben werden.“ Von mir kommt wieder nur ein gedehntes „Aahaa“ mit hochgezogenen Augenbrauen. Er ist noch nicht fertig „Ich sehe uns zusammen eine tolle Beziehung haben. Ich weiss es einfach. Wir passen so toll zusammen und wir werden eine Tochter haben. Ist grad ein sehr schönes Bild“ er lächelt verträumt „Wir werden sehr glücklich sein und wir werden eine wunderschöne Tochter haben. Das ist einfach so. Aber du musst die Mauer, die du um dich gebaut hast, einreissen.“

Ich starr ihn an, mein Mund öffnet und schliesst sich, aber kein Ton kommt raus. Mein Hirn versucht zu verarbeiten, ob er wirklich das gesagt hat, was ich glaube gehört zu haben. Für einen Moment bin ich überfordert, dann pruste ich los „Du bist ja völlig verrückt! Wir kennen uns erst seit fünf Minuten!“ Ich kann nur lachen, auch wenn ich das nicht wirklich witzig sondern komplett bescheuert finde. Aber auf so was war ich definitiv nicht vorbereitet.

Er sieht für einen Moment beleidigt aus, sammelt sich wieder, schwafelt weiterhin von dieser Tochter. Davon, dass ich eine sehr starke Mauer um mich habe, dass ich sie einreissen muss, um das Glück hereinzulassen, wir passen einfach perfekt zusammen, er weiss das ganz sicher und ich muss es einfach zulassen „Sträub dich nicht dagegen.“ Meine Worte prallen an ihm ab, ich werde langsam sauer. Ich hasse es, wenn man mir nicht zuhört. Bin auch durcheinander. Quasselt der Typ beim ersten Date wirklich von Kindern? Der ist doch völlig durchgeknallt. Da er so lächerliches Liebesgesülze von sich gibt und ständig „unsere gemeinsame Tochter“ erwähnt, seh ich ihn auch nicht als potentiellen Sex-Kandidaten. Er ist im Dienst und sein Handy meldet sich, mit den Updates ist was nicht in Ordnung, er muss los. Ich bin froh, ich hab nämlich nichts mehr zu sagen. Wir verabschieden uns. Ich will ihm zwei Küsschen geben, aber er packt und küsst mich. Es ist sehr kurz, aber ok. Küssen kann er.

Ich sitz im Tram und lache innerlich, kann immer noch nicht glauben, dass mir das passiert ist. Einer der beim ersten Date schon von Kindern spricht. Ich stelle mir vor, wenn eine Frau beim ersten Date von Kindern reden würde, würde sie nur noch eine Staubwolke sehen. Der Typ würde wie eine Rakete davonfliegen, bevor sie den Satz überhaupt zu Ende gesagt hat. Mir bleibt aber auch nichts erspart.

Er schreibt mir die ganze Zeit, wie toll ich bin und wiederholt diesen „reiss die Mauern ein“ Schrott vom Date. Ich denke nach. Küssen kann er und ich muss mich auch nicht um ihn bemühen, er steht bereit, ich muss nur zugreifen. Ich will diesen Meilenstein unbedingt erreichen, also Augen zu und durch? Alternativen? Keine. Ich ändere meine Meinung und beschliesse mit Marius Sex zu haben.

Er schreibt mir den ganzen Abend. Ich versuch ihn von diesem Thema Kind und Beziehung wegzubringen, das könnte mir meinen Plan noch vermasseln. Hört dann auch endlich damit auf, lädt mich am Freitag zu sich ein, einfach ein gemütlicher Abend, damit wir uns besser kennenlernen. Keine Hintergedanken, meint er. Ich hab etwas anderes im Sinn, sage das natürlich nicht. Also besuche ich ihn. Ich bin wieder mal überhaupt nicht aufgeregt, weil er mir ziemlich egal ist, nur mein Meilenstein zählt.

Er hat eine sehr schöne Wohnung mit Blick auf den See in einem Quartier für die Mehrbesseren. Schon das betrachte ich als einen Erfolg, bei einem Mann zu Hause zu sein ohne zu zittern, oder panisch davonzurennen. Er zeigt und erklärt mir alles als würde ich da gleich einziehen. Während er mit mir durch die Wohnung wandert und alles erklärt, denke ich nur, mach‘s kurz, ich will es endlich hinter mich bringen. Er will dann auch noch reden, kuscheln. Oh Mann, von allen Notgeilen auf dieser App, gerate ich auf so einen. Nicht reden, damit kann es nur noch schiefgehen. Wir sitzen auf dem Sofa, reden zunächst und es kommt wie gewollt. Oder doch nicht ganz.

Ich hab ja wirklich ein Talent, in die Kloschüssel zu greifen. 11 Jahre kein Sex und dann lande ich ausgerechnet bei einem, mit einer kleinen Gewürzgurke im grössten Dickicht. Während wir dabei sind, frage ich mich die ganze Zeit, wie konnte seine Ex DAS fünf Jahre lang ertragen? Da kann man ja nicht mal einen Orgasmus vortäuschen. Woher soll ich wissen, ob das Würstchen drin, draussen oder grad auf Toilette ist? Mal abgesehen von dem ekligen Urwald da unten, ich wage gar nicht runterzuschauen, hab nur kurz gefühlt und meine Hände nur noch oberhalb der Brust behalten, gibt er auch noch furchtbar peinliche Geräusche von sich und redet auch noch. Ich will ihn anschreien „Halt die Klappe, dirty talk hast du echt nicht drauf! Und diese Geräusche, LASS ES!“ aber ich beisse mir auf die Zunge. Endlich ist es vorbei, geschafft! „Wow, das war der Wahnsinn“ meint er. Ja, Wahnsinn war das tatsächlich. Im Bad kann ich den Wahnsinn kaum fassen, ich will nur noch lauthals loslachen, aber glaube, das würde nicht so gut ankommen.

Er macht mir einen Kaffee mit seiner furchtbar teuren Kaffeemaschine. Währenddessen hält er mir einen Vortrag über Kaffeemaschinen und wie man Kaffee richtig kocht. Ich seh ihn ausdruckslos an und nehme ihn das erste Mal bewusst wahr. Bisher hatte ich immer nur meinen Meilenstein im Kopf, jetzt seh ich mir den Mann, der mir zu diesem Meilenstein halbwegs verholfen hat, an und was ich sehe, gefällt mir überhaupt nicht. Er sucht eine Frau, die ihn bewundert, der er die Welt erklären darf, die an seinen Lippen hängt und sein Ego poliert. Da bin ich eh die Falsche dafür.

Er fragt mich, ob ich Zucker will, ich antworte, auf jeden Fall. Er hält mir gleich einen Vortrag, wie Zucker den Geschmack des Kaffees zerstört. „Das ist mir egal, ich trinke meinen Kaffee mit Zucker.“ Er aber gibt nicht auf, mich überreden zu wollen, den doch mal ohne Zucker zu trinken. „Ja danke, ich bin 38, ich hab schon mal in meinem Leben Kaffee ohne Zucker getrunken. Ich mag es nicht. Also könntest du mir bitte den Zucker geben.“ Er hört nicht auf, mir einzureden, den ohne Zucker zu trinken „nimm doch wenigstens einen Schluck.“ Demonstrativ verdrehe ich die Augen, nehme einen Schluck, verziehe eine Miene „Bäh, scheusslich, kann ich jetzt bitte den Zucker haben.“ Er ist beleidigt und genervt, weil er mir nichts beibringen konnte, reicht mir aber den Zucker. Ich bin die Falsche, um dein Ego zu polieren, denk ich nur.

Ich nehme den Kaffee und gehe auf die Terrasse rauchen. Ich sitze da auf dem Sofa, die wunderschöne Aussicht vor mir, kann mich kaum noch halten vor Lachen. Da ich nicht laut lachen will, beisse ich die Zähne zusammen, aber mein Körper schüttelt sich, mir kommen die Tränen. Mann, hab ich die Arschkarte gezogen, was für ein Abend. Ich denke an Donky vor 20 Jahren und überlege, ob ich ihn suchen soll, um ihm mitzuteilen, dass er doch nicht der Schlechteste war, es geht noch schlimmer (Tatsächlich läuft er mir eine Woche später, nach 20 Jahren, über den Weg, bin aber doch nicht zu ihm hin, nur innerlich gelacht).

Ich beruhige mich etwas, gehe wieder rein. Ich will noch eine Stunde bleiben, so anständig will ich schon sein. Er bietet mir an, da zu übernachten, ich lehne ab „Aber das nächste Mal übernachtestet du hier“ sagt er bestimmt. Ich sag nichts, auch nicht, dass es ganz sicher kein nächstes Mal geben wird.

Er schaltet den TV ein und hält mir einen Vortrag über seinen wahnsinnig tollen, gebogenen Flat-Screen und den super Sound, den der produziert. Es kommt mir wie ein Verkaufsgespräch vor. Ständig linst er zu mir rüber, um zu sehen, ob ich auch ja begeistert bin. Ich verziehe keine Miene, schaue absichtlich gelangweilt rein. Noch mal, ich bin die Falsche für dein Ego. Dieser technische Schnick-Schnack geht mir am Arsch vorbei und ich werd auch nicht so tun, als wär ich davon begeistert.

Während er redet und redet, sehe ich mir die Wohnung an. Sie ist wirklich sehr schön, geschmackvoll und modern eingerichtet, aber unpersönlich. Fühl mich wie in einem Luxus-Hotelzimmer. Da schläft jemand, aber es lebt keiner drin. Ich schaue auf die Uhr, mein nächster Zug ist in einer Dreiviertelstunde.

Wir reden über Bücher. Er liest auch gerne und empfiehlt mir ein Buch, das ich unbedingt lesen muss. Jeder hätte dieses Buch zu Hause, meint er. Ich hab noch nie davon gehört. Er holt es aus dem Küchenschrank. Seine schöne Kochinsel ist nicht zum Kochen da, er kann nicht kochen. Sie dient für Bücher und Unterlagen.

„Ich hab 20 Seiten aus dem Buch gelesen, aber es ist der Wahnsinn. Musst du unbedingt lesen“ quasselt er, während er sich wieder aufs Sofa setzt. Aha.

Er liest mir tatsächlich daraus vor und nimmt das sehr ernst mit seiner Stimme, mit der Betonung. Ich starre ihn ernst und konzentriert an. Versuche krampfhaft so auszusehen als würde ich gespannt zuhören, aber bin damit beschäftigt, mich unter Kontrolle zu halten, damit ich nicht plötzlich lospruste. Das gibt Kieferschmerzen.

Endlich ist es an der Zeit zu gehen. „Tja sorry, dass ich dich unterbreche, aber ich muss den Zug erwischen. Du hast schön gelesen, danke“ ich nehme meine Tasche und ziehe die Jacke an. „Ja“ meint er, während er mir folgt. „Ich hab Übung darin, da ich auch für Radio und TV lese.“ Aha. Wirklich? „Ja, ich singe auch.“ „So so, was denn so?“ frage ich, während ich nach meinen Schuhen greife. Er nimmt sein Handy hervor, ich denke, er will mir was vorspielen, aber er räuspert sich und ich halte inne. Mit aufgerissenen Augen schaue ich zu ihm hoch und bete und hoffe und flehe „Bitte nicht! Bitte nicht! Bitte, bitte, bitte nicht! Ich halt es nicht mehr aus. Ich kann nicht mehr!“

Doch, tatsächlich.

Er fängt zu singen an. Scheisse, ich spür schon meine Zähne bröckeln. Ich kann meinen Kiefer nicht noch mehr zusammenbeissen. Oh Gott, halt durch, denke ich nur, halt durch, nur noch einen Moment. Er singt schlecht und die englische Aussprache von „Lady in red“ ist katastrophal. Es ist so peinlich.

Vor meinem inneren Auge spielt sich ein Film ab. Ich sehe ihn vor Dieter Bohlen stehen und singen. Dieter fragt ihn „Wer hat dir gesagt, dass du singen kannst?“ Er antwortet „Meine Freunde“. Dieter sagt „Such dir neue Freunde!“ Kann es sein, dass sich das tatsächlich so abgespielt hat, kommt mir irgendwie bekannt vor, oder bilde ich mir das ein? Aber ich kann nicht mehr, ich kann echt nicht mehr. Ich muss raus, bevor das hier sehr peinlich wird. „He, sorry, mein Zug“ bringe ich irgendwie durch gepresste Lippen raus und renn fast aus der Wohnung. In der Dunkelheit geb ich ihm einen flüchtigen Abschiedskuss und laufe, so schnell ich kann, davon.

Im Zug presse ich immer noch die Kiefer zusammen, im Tram sind sie immer noch zusammengepresst, ja nicht lockerlassen. Zu Hause springe ich gleich unter die Dusche und lache los. Es ist fast 1 Uhr nachts, Matteo fragt sich sicher, ob ich jetzt komplett verrückt geworden bin, aber ich kann es nicht mehr zurückhalten, ich kann nicht mehr aufhören zu lachen, unter der Dusche. Ich schüttle mich vor Lachen und aus voller Kehle.

Was für ein skurriler Abend. Trotzdem bin ich sehr erleichtert. Ich hab meinen Meilenstein geschafft, ich hab endlich jemand an mich herangelassen und hab es überlebt. Vor allem bin ich beruhigt, dass es immer noch genau gleich funktioniert wie anno dazumal.

Am nächsten Tag weiss sie nicht, wie ich ihm sagen soll, dass da nichts mehr laufen wird. Er wird sicher einen Grund wissen wollen und alles, was ich zu sagen habe, ist doch sehr gemein. Ich suche den ganzen Tag nach den richtigen Worten, aber es will mir schlicht nichts Ungemeines einfallen.

Am Abend schreibt er mir „Du empfindest nicht das Gleiche wie ich“ Ich antworte „Nein“. Dann kommt von ihm „Du fandst den Sex sicher langweilig“ Ich denke, langweilig ist nicht gerade das richtige Wort. Eher furchtbar oder tragisch-komisch, aber das will ich ihm so nicht schreiben. Was soll ich ihm sonst sagen? Ich starre noch auf WhatsApp und suche nach geeigneten Worten, da schreibt er sich schon in Rage. Irgendwas von, die Katze hat gegessen, die Katze ist jetzt satt, sie will die Maus nicht mehr. Ich will ihm schreiben, nein leider ist die Katze nicht satt, von dem Würstchen kann keine Katze satt werden, aber lasse es. Ich überlege immer noch, was ich schreiben soll, von ihm kommt dann, so lasse er nicht mit sich reden, das hätte er nicht nötig. Ich muss lachen, ausser „Nein“ hab ich kein weiteres Wort geschrieben. Es ist ein Manipulationsversuch, aber damit kommt er bei mir nicht weit. Ich schreibe ihm einfach „Ok, bye bye.“ Beinah hätte ich noch geschrieben, danke dass du es so einfach gemacht hast. Das war’s.

Ich habe meinen Meilenstein erreicht, lösche seine Nummer und auch die Apps.

Erst im August 2015, an einem langweiligen Sonntagvormittag hab ich einen weiteren Versuch unternommen. Aber ein Treffen später, das zwar ganz ok war, wieder alles gelöscht.

November 2015 gehe ich mit Xena essen und sie schlägt mir vor, ich sollte mich doch auf einer dieser seriösen Partnervermittlungen anmelden, da wären die Männer sicher qualitativ besser als auf den Gratis Apps. Ich lasse mir das durch den Kopf gehen, denk mir, hab auch schon für dümmeres Geld ausgegeben und es wär schön und langsam an der Zeit, einen Freund zu haben.

Ich frag wieder die Suchmaschine, was es so gibt, stöbere, melde mich auf einer nicht billigen Seite an. Angeblich verliebt sich alle 11 Minuten jemand online. Da ich nicht zu der schnellen Sorte in diesem Bereich gehöre, buche ich vorsorglich ein ganzes Jahr. Treff mich auch in der ersten Woche mit einem Lehrer, der 10 Jahre alte Fotos im Profil hat. Das Kaffeetreffen ist nett, aber nie im Leben wird daraus mehr. Er ist langweilig. Nachdem ich mich nicht mehr gemeldet habe, obwohl er mich für ein Abendessen eingeladen hat, ist die Botschaft wohl angekommen.

Der Rest der Männer auf dieser Seite ist verbraucht, langweilig, Torschusspanik, verzweifelt, nicht mein Typ. Das war definitiv herausgeschmissenes Geld. Je teurer die Seite, desto hässlicher und verzweifelter die Männer.

Ende Dezember sind alle um mich herum gestresst, mir ist wieder langweilig also versuche ich es noch mal mit den Apps. Kaum bin ich drauf, hab ich ein Match mit Andreas. Wir tauschen ein paar Nachrichten und verabreden uns für den kommenden Montag zum Apéro.

In dieser Woche treffe ich Xena zum Mittagessen. Xena redet mir ins Gewissen, ich soll nicht schon nach einem Date entscheiden, das wird nichts. Ich muss mir Zeit lassen, die Männer kennenlernen. Sie hat ihren Mann auch sechs Monate gekannt bevor sie zusammenkamen. Ich denke über ihre Argumente nach, vielleicht hat sie Recht und ich muss mir wirklich mehr Zeit lassen. In meinem Leben ist zu viel vorgefallen, ich öffne mich sehr schwer anderen gegenüber, erst recht Männern. Da kann ich doch nicht erwarten, dass ich mich schon beim ersten Date auf jemanden einlasse. Also nehm ich mir vor, bei Andreas nichts beim ersten Date zu entscheiden, ausser es wird furchtbar. Sollte er sympathisch sein, werde ich mir Zeit nehmen und ihn kennenlernen, bevor ich entscheide. Mach jetzt einen auf Erwachsen.

Am Montag nach der Arbeit gehe ich hin. Wieder mal von Aufregung keine Spur. Ich bin schon da als er schreibt, er sei noch im Stau, aber komme bald. Ich setz mich schon mal hin. Er kommt ein paar Minuten später. Gross, braune Haare, braune Augen, normale Figur, ganz nett. Wir unterhalten uns. Er fragt nach meinem Sternzeichen, er ist Wassermann. Ich starre ihn an und denke, steh auf und geh. Gibt es denn nur noch Wassermänner auf diesem Planeten? Von denen habe ich nun wirklich die Schnauze voll. Ronald, Marius, Mike, alles Wassermänner. Aber dann schüttle ich den Gedanken wieder ab.

Er ist geschieden, zwei Kinder, gutes Verhältnis zur Ex, seit 3 Monaten auf der App, hatte vier Dates, drei waren mal gar nichts, die vierte hatte ihm ganz gut gefallen, sie haben sich auch mehrmals getroffen, aber sie war zu sehr auf weitere Kinder fixiert. Da ihm das zu schnell ging, hatte er den Kontakt abgebrochen.

Von mir scheint er begeistert zu sein, sagt das auch immer wieder, ich gefalle ihm, sei sympathisch, witzig, klug und attraktiv. Danke, danke, welche Frau hört das nicht gerne. Es ist ganz nett. Nach einer Stunde verabschieden wir uns. Er will mich nach Hause fahren, ich lehne ab. Weil ich weiss, was er sich erhofft. Ich will ihn nicht küssen, bin nicht scharf auf ihn. Aber ich will jetzt gar nichts entscheiden. Es war eine nette Stunde mit guter Unterhaltung. Also erst mal schön kennenlernen.

Am nächsten Tag schreibt er, es wäre ein schönes Date gewesen, er findet mich sehr sympathisch und würde mich gerne besser kennenlernen. Ja, ich will ihn auch erst mal kennenlernen. Wir verabreden uns für Freitagnachmittag auf einen Kaffee. Aber Freitagmorgen sagt er ab, weil er noch viel zu tun hat, danach geht er eine Woche Skifahren. Trotzdem schreibt er hin und wieder und wir verabreden uns für Montag nach seinem Urlaub zum Apéro und dann zum Abendessen.

In der ersten Januarwoche ist er am Samstag zurück und ich schreib ihm. Frag, wie es ihm geht, da ich sonst nie als erste schreibe, ergibt sich mal eine Gelegenheit, interessiert zu wirken. Er antwortet „Ganz gut, nur sehr müde. Halt viel frische Luft und Skifahren“ Ich lese die Nachricht, eigentlich eine ganz normale Nachricht, aber sie erwischt mich wie eine schallende Ohrfeige.

Ich kann selbst nicht erklären, was mich stört, aber es fühlt sich an, als würde ich verarscht werden. Ich bin sehr traurig, gibt es denn keine ehrlichen Männer mehr? Ich kann es mir nicht erklären, die Nachricht ist nicht schlimm, aber wenn er mir geschrieben hätte „sorry, störst mich grad beim Sex mit einer“ hätte es sich nicht schlimmer angefühlt. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, den noch mal zu treffen. Irgendwas stimmt mit ihm einfach nicht, er ist ein Lügner.

Am nächsten Tag denk ich mir, vielleicht hab ich mir irgendwas eingebildet oder irgendeine Hormonstörung oder der Mond ist grad voll oder leer oder was auch immer. An der Nachricht war ja nichts Schlechtes. Er ist müde, kam ja grad aus den Skiferien zurück. Alles ganz normal eigentlich. Ich beschliesse ihn doch zu treffen und erst dann zu entscheiden.

Aber am Montag hab ich den ganzen Tag das Gefühl, er wird absagen und es stört mich nicht mal. Ich warte nur noch auf seine Nachricht. Aber die kommt nicht. Ich starr mein Handy an und denke, na los, sag schon ab, ich hab keine Lust nach Hause rennen, duschen, anziehen, schminken und umsonst in die Stadt fahren. Aber es bleibt ruhig.

Zu Hause sitz ich auf dem Sofa, starre wieder mein Handy in der Hand an „Mach schon. Muss ich jetzt echt unter die Dusche?“ Es kommt nichts. Na gut, ich steh auf, um unter die Dusche zu gehen und da vibriert es endlich. Er entschuldigt sich, er sei erkältet, hat gehofft, es würde doch noch gehen, aber es macht keinen Sinn, es gehe ihm wirklich nicht gut. Tja was für eine Überraschung, ich schreib nur „Gute Besserung“ und hake ihn ab.

Drei Tage später meldet er sich wieder, fragt, ob ich sauer sei. Es tue ihm leid, aber er wäre wirklich krank gewesen. Ich antworte, das wär schon die zweite Absage gewesen, wir lassen das, ich hab keine Lust mehr.

Am nächsten Morgen erhalte ich eine lange Nachricht, in der er sich erklärt und höflich entschuldigt, bittet, ob wir uns doch noch mal sehen und zusammen Essen gehen könnten. Ich denke den ganzen Tag darüber nach. Vielleicht hab ich mich wirklich in etwas verrannt und mir eingebildet, verrückt genug bin ich ja. Hab ja eh nicht alle Tassen im Schrank. Am besten urteile ich bei einem zweiten Date, also sage ich ihm am Abend zu.

Wir verabreden uns wieder in der gleichen Bar. Ich bin pünktlich, er steckt wieder mal im Stau. Also einmal kann man das noch durchgehen lassen, aber fahr doch das nächste Mal ein paar Minuten früher los, denke ich schon verärgert. Das ist schon mal der erste Minuspunkt an diesem Abend. Er kommt dann mit 20 Minuten Verspätung an und während er auf mich zukommt, denke ich nur "Nie im Leben! Auf den werd ich nie scharf!" Damit ist er für mich schon Geschichte. Es ist gelaufen. Deshalb ist er aber kein schlechter Mensch. So schlimm, dass ich ihn jetzt einfach da stehen lasse, ist er ja nicht also bemüh ich mich wenigstens um nette Unterhaltung. Nur, dass das einfacher gedacht als getan ist.

Beim zweiten Date müssen wir alle Themen vom ersten Date noch mal wiederholen. Besser gesagt, er stellt mir die gleichen Fragen und ich gebe die gleichen Antworten. Er weiss aber Nullkommanichts mehr von mir. Echt jetzt? So rein gar nichts ist ihm in Erinnerung geblieben? Wie kann er sagen, ich wär interessant, wenn er gar nichts mehr über mich weiss? Ständig gibt er: Ah ja? Wirklich! Geil! Schön! von sich und ich denke, das Gleiche hast du letztes Mal schon gesagt. Ich hab ein Dauer-Déja-Vu. Er sinkt in meiner Gunst nur noch tiefer. Der Abend wird langsam anstrengend.

Wir gehen zum Restaurant rüber, weil wir ja Essen wollen. Das bereue ich nun, aber geh trotzdem mit. Doch mich stört einfach ALLES an ihm! Seine Hände, seine Fingernägel, sein Kinn, seine Lippen, jeder Quadratmillimeter seiner Haut, seine Stimme. Mit jeder weiteren Minute entdecke ich mehr und mehr, dass mich einfach nur noch stört. War er auch schon beim ersten Date so ein arrogantes, verzogenes Arschloch? Ich achte auf Dinge, auf die ich bisher noch nie bewusst bei einem Date geachtet habe, aber jetzt inspizierte ich alles und zwar gründlich.

Hinzu kommt, dass er eine Nachricht erhält, die ihn aufregt. Er erzählt mir die Vorgeschichte und ich sag ihm offen meine Meinung dazu. Meiner Ansicht nach hat er das Ganze falsch angepackt und muss sich sicher nicht über die andere Person aufregen. Er nimmt sich meine Worte zu Herzen. Wenigstens kann ich ein bisschen rumzicken.

Ich esse sehr schnell, wir bezahlen. Eigentlich halb/halb. Ich lege noch Trinkgeld drauf und er sackt das mit einem "oh, wir haben zu viel hingelegt" ein. Ich lach beinah laut aus, während ich den Kopf schüttle. Draussen zünde ich mir eine Zigarette an und halte sie die ganze Zeit demonstrativ vor dem Mund, nicht dass er noch auf die blöde Idee kommt, mich küssen zu wollen. Als mein Tram kommt, wünsche ich ihm einen schönen Abend und steig ein. Unser Date hat gerade mal zwei Stunden gedauert, aber ich hatte das Gefühl, es seien mindestens fünf gewesen.

Am nächsten Tag fragt er, ob es an der Geschichte mit der Nachricht liegt, dass ich ihn jetzt nicht mehr mag. Ich schreib zurück, es hat nicht gefunkt und wir passen nicht zusammen. Er findet es schade, meint, wir können ja trotzdem in Kontakt bleiben und dann mal schauen was passiert ;-).

Was soll dieses Scheisszwinkern? Ich lösch seine Nummer, er kann mein Profilbild auf WhatsApp nicht mehr sehen, hat den Wink sicher verstanden.

Also Nein, ich brauch keine zwei Dates, um herauszufinden, dass da nie was wird. Entweder es funkt gleich oder nie.

Da ich im Büro immer noch chatte, aber mit einem neuen Namen, schreib ich seit August mit Mike. Verheiratet, sucht nach Spass. Ja dann such mal schön weiter. Er blieb trotzdem dran, liess sich von meinen frechen Sprüchen nicht beirren und gab zurück. Das gefiel mir, es war ein lustiges Abklatschen. So begann unsere Unterhaltung und wir chatteten öfters mal.

Er ist sehr lange verheiratet, kinderlos und sexuell frustriert. Gemäss seiner Beschreibung sieht er aus wie George Clooney. Ja ok, wenn das tatsächlich der Fall wäre, hättest du es nicht nötig im Chat nach Frauen zu suchen, aber träumen darf man ja. Am Anfang bestand unsere Konversation aus frechen, lockeren Sprüchen und entwickelte sich mit der Zeit in eine Beinah-Onlinefreundschaft. Wir erzählten uns diese und jene Anekdote aus dem Leben oder Alltag, immer in Kombination mit Humor. Das Beste an der ganzen Sache war, mit ihm verging die Zeit sehr schnell, weil es mir Spass machte, mit ihm zu diskutieren.

Zwischendurch liess er aber immer den arroganten, reichen Schnösel raushängen. Ja George Clooney hat Kohle und will noch mehr. Ist an allen möglichen Veranstaltungen, an denen er zwar schön teilnimmt, aber es erscheint mir alles sehr oberflächlich. Mit seiner Frau scheint er sich überhaupt nicht zu verstehen, sie spielen heile Welt, und obwohl er nie wirklich über sie herzieht, lese ich zwischen den Zeilen, dass er sie regelrecht hasst. Er gibt ihr die Schuld an seinem Unglück. Als ich ihm mal sage, dass er ja auch nicht der Jackpot ist, versteht er es nicht. Er bringt doch das Geld nach Hause, zahlt alles, er achtet nur auf das Beste vom Besten, sie erlebt viel „Aber du schenkst seit Jahren deine Aufmerksamkeit irgendwelchen Frauen im Chat und versuchst die zu beeindrucken, statt deine Frau.“ Versteht er nicht. Ja gut, kann mir egal sein.

Meine Zeit im Büro ging schneller vorbei und das zählte. Aber mit der Zeit gewöhnte ich mich auch daran. Ich gewöhnte mich an seine Aufmerksamkeit und konnte er nicht online kommen, wusste ich nicht, wie ich mich beschäftigen soll. Ich war nicht auf ihn als Mann fixiert sondern auf seine Aufmerksamkeit. Bekam ich die nicht, war ich deprimiert. Ich wusste, dass es nicht gut ist, aber ich kam nicht raus.

Im Januar meinte er, er sei mit seinen Freunden an der alljährlich stattfindender Party, die ein paar Tage läuft, ob ich auch komme. Wär doch schön, wenn wir nach all den Monaten auch endlich mal von Angesicht zu Angesicht reden könnten. Natürlich meldete sich sofort meine Angst vor Ablehnung. Trotz all der Dates und Egopolitur, war sie immer noch da. Die Angst, zu enttäuschen, nicht zu genügen. Aber ich musste mich dem stellen, also wollten wir uns dort treffen. Chatana wollte auch mit und Xena würde später dazu stossen.

In der Woche vor der Party finde ich Mike endlich über die Suchmaschine. Ja ok, George Clooney sieht anders aus, aber egal, ich will ja eh nichts von ihm. Da er nicht weiss, wie ich aussehe und ich ja angeblich nicht, wie er aussieht, befürchtet er, wir werden uns nie finden. Ich weiss ja, wie er aussieht, sag ihm das aber nicht. Wir überlassen das dem Schicksal, meine ich. Doch als wir dort sind, stelle ich fest, das war eine blöde Idee. Ich würde hier meinen eigenen Sohn nicht finden, geschweige denn einen völlig Fremden, den ich nur von Bildern kenne. Ich drehe mit Chatana ein paar Runden. Nein, keine Chance, dass ich den hier finde.

Ich halte an, weil mein Handy vibriert, Xena ruft an und mein Blick fällt auf den Typ vor mir. Scheisse das ist Mike. Ich schau noch mal genau hin. Ja das ist er tatsächlich. Ich bin aufgeregt, aber tipp ihn an. Er ist schockiert, woher konnte ich wissen, dass er es ist. Tja, ich bin halt schlau.

Er zahlt mir einen Drink und wir unterhalten uns. Der Mann, der vor mir steht hat überhaupt nichts mit dem Mann online gemeinsam. Er ist unglaublich dünn, zerbrechlich, sowas geht beim Sex doch kaputt. 1.75 waren auch schon grösser, sehr schüchtern. Kein Charme, keine freche Klappe, nichts. Ich bin am Anfang doch etwas aufgeregt, immerhin unterhalte ich mich mit ihm seit Monaten und nun steht er vor mir. Ich such nach dem Mann, mit dem ich so viel geredet, gelacht habe, aber ich finde nichts. Trotzdem haben wir einen sehr lustigen Abend, dank seinen Kumpels, die es verstehen, Party zu machen und es ist eine lustige Nacht.

Ich kann mit Mike aber nicht mehr so chatten wie vorher. Wenn er mit seinen frechen Sprüchen, dem Übertriebenem kommt, hab ich eben diesen realen Mann vor mir und es funktioniert nicht, es stimmt nicht mehr überein und ich kann es nicht ignorieren. Er sieht eben aus wie ein Chatter. Halt wie jemand, der online nach Affären sucht. Es passt. Ich logg mich immer seltener ein und wenn, dann jeweils nur kurz. Mittlerweile hab ich einen Blog erstellt und kann meine Zeit dort totschlagen.

Da mir und Chatana die Party gefallen hat, beschliessen wir Anfang Februar noch mal hinzugehen.

Neben anderen, die ich auf den Apps kennengelernt und getroffen habe, schreibe ich schon eine Weile mit Daniel. Er schreibt mir regelmässig, erzählt viel aus seinem Alltag. Er schreibt mir alles über sich, aber lädt mich nie auf einen Kaffee ein oder sonst irgendwie in Richtung Date. So langsam wird mir das auch zu blöd. Er hält den Kontakt aufrecht, aber wofür genau?

Schon eine Woche vorher hab ich ihm erzählt, ich gehe am Freitag an diese Party. Am Freitag schreibt er dann, er ist vielleicht am Abend mit einem Freund an der Party und was ich so vorhabe. Ich antworte, hab ja schon gesagt, dass ich auch da sein werde. Es kommt nichts mehr. Du liebe Güte, was ist denn bloss mit diesen Typen los? Nichts, kein wir sehen uns dort oder irgendwas, einfach nichts. Auf dem Weg zur Party schreib ich ihm „Sag hallo, wenn du da bist“

Als ich mit Chatana die Runden drehe, fällt mir ein Typ auf, der Daniel sein könnte und ich hoffe, er ist es nicht. Erinnert mich an den Typ aus „Harry Potter“, der sich in eine Ratte verwandelt. Kurz vor Mitternacht erhalte ich eine Nachricht von ihm, wo bist du? Ich beschreibe es ihm und was ich anhabe, aber er ist offenbar nicht in der Lage, mich zu finden. Wir schreiben uns hin und her, aber er findet mich einfach nicht. Ich kann jetzt nicht weg, halte Ausschau nach ihm und während ich die Leute inspiziere, fällt ER mir auf. Unsere Blicke treffen sich, Jack kommt auf mich zu. Ich halt die Luft an.

Ich lösche die Apps, ich geh kaum noch in den Chat. Ich beende all meine, über Monate angesammelten WhatsApp Kontakte. Auch wenn mir im Büro langweilig ist, ich kann mich nicht mehr mit denen unterhalten seit Jack.

Als ich seine letzte Nachricht erhalte, lade ich alles wieder runter. Ich weiss, dass ich wütend bin und es deshalb tue. Mir ist auch bewusst, dass ich morgen traurig seine werde und alles wieder lösche.

So melde ich mich an, lösche wieder, melde wieder an und so weiter.

Love is pain

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