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Wie in Trance

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Ich öffne die Tür, stelle die Einkäufe ab, ziehe Jacke, Schuhe und Uhr aus. Sobald ich zur Tür reinkomme, muss die Uhr weg. Den ganzen Tag bin ich mir gar nicht bewusst, dass ich eine anhabe, aber sobald ich meine Wohnung betrete, stört mich das Band um das Handgelenk, sie muss sofort weg. Ich renne auf die Toilette, meine Blase hat die Grösse einer Haselnuss, ständig muss ich auf die Toilette rennen. Erst dann bringe ich die Einkäufe in die Küche, räume alles ein, setz mich hin.

Feierabend. Genüsslich eine Rauchen. Wobei, genüsslich ist es schon seit einiger Zeit nicht mehr, ich kann kaum noch atmen, der Husten erinnert an einen Minenarbeiter und Lust hab ich auch keine mehr, aber ich zünde mir schon fast alle halbe Stunde eine an, weil ich nicht weiss, was ich sonst tun könnte.

Ich öffne den Laptop, der immer auf dem Küchentisch steht und nur für Updates runtergefahren wird, suche erst mal nach Jack. Eine Gewohnheit. Nachsehen, ob er neue Platten zum Verkauf hochgeladen hat. Nicht, dass ich etwas kaufen will, ich schaue nur nach, ob er in der Zwischenzeit drauf war, das würde mir zeigen, wie er ein paar Minuten seines Tages verbracht hat.

Nein, seit heute Morgen und dann wieder am Nachmittag als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, hat sich bei seinen Angeboten oder Kommentaren nichts verändert, er ist ja schliesslich am Arbeiten. Das hält mich nicht davon ab, mehrmals täglich draufzuschauen. Dann spiele ich eine Weile mein Früchtchenspiel, verbrauche die fünf Leben. Nicht, dass ich es noch gerne spiele, es langweilt mich schon lange, aber es beschäftigt mich eine Weile.

Ich logg mich in die Quatschbox ein, schaue nach, ob Mike, Adi, Alain oder Chatana online waren oder sind. Nein, keine Veränderung in den letzten zwei Stunden. Nicht, dass es mich wirklich noch interessiert, aber auch das beschäftig mich für einen Moment. Ich kann kurz mal an etwas anderes denken als an meinen Schmerz. Noch kurz Partnerbörse checken, ob jemand geschrieben hat. Ich schreibe sowieso niemandem zurück, lese und lösche alle Anfragen. Das Abo ist herausgeschmissenes Geld, aber immerhin sind wieder ein paar Minuten um.

Die zweite Zigarette ist auch schon verraucht. Heute muss ich nicht kochen, Matteo geht ins Training. Da er vorher nicht essen kann, koche ich montags und mittwochs nicht. Ich hab mir vorgenommen, heute Abend auch ins Fitnessstudio zu gehen, montags und mittwochs ist praktisch, da ich ja eh nicht kochen muss, aber dann frag ich mich, wozu noch? Ich muss nicht mehr schlank und straff aussehen, in nächster Zeit wird mich sowieso kein Mann nackt sehen.

Ich hab die letzten Wochen drei bis vier Mal die Woche trainiert, die Aussicht auf Sex mit Jack, war der beste Motivator, den ich je hatte. Aber Jack will mich nicht mehr. Es ist vorbei. Momentan kann ich mir gar nicht vorstellen, einen anderen Mann zu küssen, geschweige denn, scharf auf ihn zu werden und Sex zu haben. Ich verschiebe das Training auf Mittwoch, heute bin ich eh etwas verschnupft und müde.

Steh seufzend auf, schlürfe ins Wohnzimmer, setzte mich auf mein geliebtes, breites, braunes Sofa mit den vielen beigen Kissen. Ich liebe mein Sofa, aber das sieht man dem leider auch an. Schon lange möchte ich ein Neues, wenn auch am liebsten das gleiche Modell, in der gleichen Farbe.

Ich setz mich in den Schneidersitz und dann lasse ich die Tränen fliessen, die sich schon den ganzen Tag in meinen Augen gesammelt haben. Als hätte ich auf einen Knopf gedrückt und es sprudelt alles aus mir raus. Innerlich jauchze und schreie ich „Ich vermisse dich so sehr. Ich halt‘s nicht mehr aus!“ Nach ein paar Minuten versiegt der Tränenfluss. Der Tank ist leer. Das ist meine neuste Methode, abends die Wimperntusche abzuschminken, sehr effektiv, es bleiben keine Reste übrig.

Ich wisch das Gesicht, putz die Nase, schalte den Fernseher ein und starre meine neue Wohnwand an. Sie ist gross, hässlich, passt nicht in meine Wohnung, passt nicht zum restlichen Mobiliar, passt nicht zu mir. Was für ein Fehlkauf.

Die letzte war schon alt und leider dunkelbraun. Furchtbar, die sah nie abgestaubt aus. Auf dunkler Fläche ist der Staub immer da, das hat mich all die Jahre genervt, trotzdem hat sie zum Rest der Wohnung gepasst. Aber bei der hier hab ich ordentlich danebengegriffen.

Zu meiner Verteidigung kann ich nur anbringen, ich war verliebt und die Hormone spielten verrückt. Die Welt war voller bunter Schmetterlinge, die meinen Blick getrübt haben. Ich sass im Büro und stellte mir vor, wie ich Jack zu mir nach Hause einlade, dafür brauche ich natürlich unbedingt eine neue Wohnwand, ich schämte mich für die Alte. Vor sieben Jahren habe ich das Wohnzimmer neu möbliert, nun ist es höchste Zeit, alles zu ersetzen, moderner zu gestalten. So hab ich rumgesurft, eine gefunden, gleich online bestellt, ich hab ja kein Auto, um hinzufahren. Dummer Fehler, unglaublich dummer Fehler, ich weiss. Die wurde auch gleich drei Tage später geliefert und aufgebaut. Ich hab Geld, das ich eigentlich gar nicht habe, für so was zum Fenster rausgeschmissen. Nicht nur, dass sie nicht passt, Jack wird sie nun auch nie sehen, weil er nie zu mir nach Hause kommen wird. Genauso wenig, wie die neue Kaffeemaschine. Die alte war schon ziemlich verbraucht und ich hab eine neue bestellt, damit ich mich wegen der Alten nicht schämen muss, wenn ich Jack einen Kaffee mache. Die Neue steht seit Tagen, immer noch ungeöffnet, auf dem Küchenfussboden. Wozu auspacken, ich werd für Jack nie Kaffee kochen.

Ich zappe rum, schaue, ohne etwas zu sehen. Für Nachrichten hab ich kein Gehör, ich weiss nicht, was in den letzten Tagen auf der Welt geschehen ist, meine eigene ist wieder mal zusammengebrochen. Da morgens in der Küche und tagsüber im Büro immer das Radio läuft, hab ich mit halben Ohr mitbekommen, dass es Anschläge in Brüssel gegeben hat. Aber die Information ging durch mich hindurch. Sonst war ich immer gut informiert, hab tagsüber die Zeitungen gelesen, Kommentare, Bücher, viel gesurft. Jetzt ist da kein Platz mehr für den Rest der Welt. Wozu all dieses Wissen? Was nützt es schon?

Was ändert es an der Tatsache, dass ich kurz geglaubt hab, endlich auch mal richtig Glück zu haben, nur um dann festzustellen, dass ich wie gewöhnlich auf die Schnauze falle. Für Glück bin ich nicht gemacht. Ich hab keine Lust mehr aufzustehen, mich erholen, Staub abklopfen und weitergehen.

Liegen bleiben. Wozu aufstehen, ich fall ja doch wieder hin. Wozu wissen, wozu lernen, wozu bilden? Hat doch eh alles keinen Sinn.

Ich beschliesse, ein bisschen spazieren zu gehen. Kopfhörer rein, Musik an, laufen. Da kann ich in meine Fantasiewelt eintauchen. Da kann ich die sein, die ich will. Dort kann ich ihn noch küssen, seine Nähe spüren, mit ihm reden und lachen. In dieser Traumwelt ist er noch da und liebt mich. In der Realität ist nichts.

Aber ich kann nicht mehr abtauchen, so wie ich es früher immer konnte. Dieses Mal scheint die Flucht in den Tagtraum nicht zu gelingen, da ist diese Traurigkeit. Dieses Mal sitzt sie zu tief, um ignoriert oder überspielt zu werden.

Traurig war ich schon sehr oft in meinem Leben. Diesmal ist es wohl einfach einmal zu viel. Diesmal seh ich keinen Sinn mehr, aufzustehen. Matteo wird bald 20 Jahre alt, er braucht mich nicht mehr. Wie soll ich mich noch motivieren, zu funktionieren?

Daraus besteht mein ganzes Leben, aus funktionieren. Nur stellt sich nun die Frage, wofür denn? Vor mir ist nichts. Nichts worauf ich mich freue, nichts was ich noch erreichen möchte, nichts was mich interessiert, nichts wofür es sich noch zu kämpfen lohnt. Nichts. Nichts. Nichts.

Ich nehme die Hörer raus, laufe ohne Musik weiter. Das konnte ich früher nie, nicht mal ein paar Meter. Jetzt kann ich die Scheinwelt nicht mehr ertragen. Sie spendet mir keinen Trost, weil ich weiss, ich muss aus ihr in das Nichts der Realität zurückkehren. Ich laufe in den Wald. Ich hab vor kurzem einen Baum zuoberst entdeckt. Man kann sich gut hinsetzen, an ihn anlehnen, die Aussicht über die Felder geniessen und der Sonne abends beim Untergehen zusehen. Ich muss sowieso mal ein ernstes Wörtchen mit Gott reden, scheint mir ein geeigneter Platz für unser Gespräch zu sein.

Seit gestern habe ich eine Wut auf Gott. Ich hab ihn nie angezweifelt. Seit ich denken kann, weiss ich, fühle ich, es gibt einen Gott. Ich hatte mit den Religionen meine Mühe, schon als Kind, was mir viele Schläge im Religionsunterricht einbrachte. Aber an Gott hab ich nie gezweifelt. Ich hab mit meiner und allen anderen Religionen gehadert, aber nie mit Gott. Er ist immer da, er ist einfach da, das weiss ich. Aber jetzt bin ich wütend auf ihn.

Gott hat mich vergessen. Ich laufe irgendwo unter „Ferner liefen“. Der Teufel muss gar nichts tun. Er kann einfach ruhig dasitzen und zusehen, wie ich in sein Nichts falle. Mit 10 habe ich gehofft, wenn ich gross werde, wird alles gut. Mit 20 habe ich Angst, Schläge, Demütigung, Scham ertragen und gehofft, bald wird alles gut. Mit 30 hab ich gedacht, wenn ich meine Schulden zurückzahle und ein bisschen zur Ruhe komme, mich bemühe, wird alles gut. Jetzt mit fast 40 weiss ich, es wird nie gut. Es ist einfach nur ein anderes Schlecht.

Es war es nie und wird es nie sein. Dieses „Alles wird gut“ ist zureden, damit man nicht zusammenbricht. Ich wünschte, meine Eltern hätten nie Kinder gekriegt. So was wie die, sind unfähig, Kinder grosszuziehen. Meine Mutter kann sich glücklich preisen. Ihr Wunsch „hoffentlich wirst du nie glücklich“ hat sich vollends erfüllt. Voilà. Zufrieden?!?!

Aber ihr wird geholfen. Sie bittet und der Wunsch wird erfüllt. Was für eine Ausgeburt der Hölle bin ich dann, wenn ich mein Leben lang bitte und flehe und was? Nichts! Ich hab das grosse Los „Nichts“ gezogen. Wozu wurde ich überhaupt erschaffen? Weiss ich doch nicht. Gott hatte wohl grad einen lustigen Tag und wollte mal eine Witzfigur kreieren. Einen Hamster, der strampelt und strampelt und immer weiter im Schlamm versinkt, bis er untergeht.

Mich! Ich hab nach den Sternen gegriffen, wo ich doch wissen müsste, dass Glück nicht für mich vorbestimmt ist. Das ist nur den Guten vorbehalten, aber nicht mir. Ich gehörte und gehöre nicht in diesen exklusiven Kreis. Ich bin und war schon immer die Witzfigur, das sonderbare Ding, dass mit Kopfhörern herumläuft, träumt, auf der Schaukel bis spät in die Nacht vor sich hinträumt, sie würde eines Tages geliebt werden. Mit 39 laufe ich noch herum und träume, würde geliebt werden. Nimm die Kopfhörer raus, sieh dir die Realität an, du wirst niemals geliebt! Sieh der Wahrheit in die Augen. Das hast du nicht verdient, du bist nicht gut, du bist die Ausgeburt der Hölle.

Ja, ich hab in meinem Leben unglaublich viele Fehler begangen, aber die liegen weit zurück, ich hab doch daraus gelernt und mich weiterentwickelt. Seitdem hab ich kein Gesetz gebrochen, hab mir nichts zuschulden kommen lassen, hab keine verheirateten Liebhaber, nicht mal unverheiratete, gehabt. Hab niemandem ein Bein gestellt, damit er fällt, trat auf niemanden, der schon am Boden lag, versuche immer ehrlich, offen und gut zu sein. Ich kann nicht so ein schlechter Mensch sein, dass ich einfach keine Liebe verdient habe.

Aber ich fühl mich, wie der schlechteste Mensch, den es gibt, weil Liebe fast mein ganzes Leben lang einen Bogen um mich macht. Gute Menschen haben immer mal Glück, sie werden geliebt, nur ich nicht.

Doch Gott antwortet nicht. Er hat mich längst vergessen. So oft hat er mich beschützt, um mich am Ende zu vergessen. Rauch noch eine während dieses einseitigen Gesprächs, gehe wieder nach Hause. Dusche, esse ein Brötchen mit Marmelade, zappe im TV rum, bis es Zeit ist, schlafen zu gehen.

Ein weiterer Tag ist geschafft, durchkreuzen. Als wäre irgendwann in der Zukunft ein Termin festgelegt und wenn ich den erreiche, ist alles gut. Ich muss es nur irgendwie bis dahin schaffen, am besten schlafend. Ich lebe nicht in der Gegenwart. Entweder in der Vergangenheit oder in der sich nie erfüllenden Zukunft, aber sehr selten in der Gegenwart. In der Gegenwart ist nun mal nichts.

23 Uhr ist Schlafenszeit. Ich drehe mich noch bis 1 Uhr morgens hin und her, bis ich endlich in einen traumlosen Schlaf falle.

Love is pain

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