Читать книгу Love is pain - Donom Maska - Страница 8

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August 2014

Mittags esse ich meist mit der Arbeitskollegin Salba in der Fresshalle. Sie weiss, dass ich langsam durchdrehe, sie hört mir zu, weiss wie es ist, da sie selbst nicht viel zu tun hat und diesen Job und das Umfeld seit Jahren kennt. Sie versteht mich. Sie ist mit Depression und Zusammenbruch bestens vertraut, hat sie schon hinter sich. Das ist Teil dieses Jobs.

Wir tauschen uns aber auch über anderes aus, zum Beispiel Bücher. Sie liegt mir mit dem Buch „Gut gegen Nordwind“ ständig in den Ohren, ich müsse es unbedingt lesen, wir müssen darüber reden. Ich hab früher sehr viel im Zug gelesen, aber ich hab mich mit meinem neuen Leben und der vielen Freizeit noch nicht zurechtgefunden, ausserdem kann ich mich momentan auf gar nichts konzentrieren. Ich friste mein apathisches Dasein, versuche irgendwie den Tag über die Bühne zu bringen. Zwar kaufe ich nach wie vor Bücher und der Stapel wird immer grösser, aber ich lese nicht. Weil sie aber so hartnäckig ist und meine Reaktion auf das Buch nicht erwarten kann, lade ich es runter und lese es fast in einem Atemzug. Es ist witzig, eine Achterbahn der Gefühle, inspirierend. Ein tolles Buch.

Nach der Lektüre mache ich einen Waldspaziergang, sitze auf der Bank, rauche und denke darüber nach, wie ich meine Zeit im Büro irgendwie ausfüllen könnte. Ich weiss einfach nicht mehr, womit ich mich beschäftigen könnte. Das Buch fällt mir ein. Ich denk darüber nach, wie schön es wäre, Mailfreunde zu haben. Aber selbst wenn ich viele Kontakte hätte, wer hat schon den ganzen Tag Zeit, mit mir zu mailen und worüber? Andere Menschen arbeiten in ihren Jobs, niemand hat so viel Zeit wie ich. Da kommt mir die Idee, dass es doch so Chats gibt, in dem sich Leute unterhalten. Die früheren Talk-Show-Sofasurfer fallen mir ein. Da gibt’s sicher ein paar, denen tagsüber langweilig ist und mit denen ich mich unterhalten könnte. Ich nehme mir vor, am nächsten Tag die allwissende Suchmaschine zu fragen.

Tags darauf suche ich tatsächlich und lande, jungfräulich in diesem Bereich, in der Quatschbox. Ich versuche ein halbwegs vernünftiges Profil zu erstellen und mich durch die Funktionen zu navigieren, da bekomm ich schon die erste Nachricht von Adi. Wir schreiben hin und her, nichts Weltbewegendes. Einfach belangloses Zeug, aber gepaart mit Humor. Die Unterhaltung gefällt mir, die Zeit vergeht und seltsamerweise fühlt es sich sehr vertraut an. Ich fordere ihn auf, sich zu beschreiben, was er dann auch tut. Er beschreibt zuerst sein Äusseres, dann seine Wünsche und Ziele, wie er sich selber sieht, was er mag. Jedes einzelne Wort trifft mich. Ich schreibe nichts, ich lese jeden Satz, der von ihm kommt und mit jedem werde ich trauriger. Ich weiss selbst nicht weshalb. Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, ein wildfremder Mensch hat mein eigenes Inneres so gut erfasst. Ich weiss gar nicht, was ich zurückschreiben soll, es hat mich grad voll getroffen. Seine Worte berühren mich. Er trifft mich in der Seele.

Ich gehe rauchen, er merkt, dass ich abwesend bin, da nichts zurückkommt. Als ich wieder da bin, ist da eine Melancholie. Auch er spürt sie. Wir verstehen uns irgendwie ohne Worte. Es ist vertraut, das Gefühl ist sehr vertraut. Es ist, als wissen wir bereits alles vom anderen, es ist uns nur nicht bewusst. Wenn ich eine Frage stelle, er antwortet, ist bei mir dieses „Das wusste ich eigentlich“-Gefühl und bei ihm ist es genau das Gleiche. Ich verstehe es nicht, bin irritiert.

Ich habe mir fest vorgenommen, keine Treffen, keine privaten Kontakte, nur ein bisschen Unterhaltung während der Arbeitszeit. Ich will nicht eine dieser asozialen Talkshow-Tussis werden, die sich im Internet verlieben oder Dates verschaffen, das würde mein Ego nicht ertragen. Bloss Unterhaltung, damit ich den Tag schneller über die Bühne bringe. Aber nach dem ersten Chat mit Adi fürchte ich, das wohl unterschätzt zu haben. So habe ich mir das nicht gedacht, das ist gar nicht gut. Chatten ist ja verführerischer als ich dachte.

Adi muss gehen und ich unterhalte mich mit anderen. Da ich neu bin, werde ich von allen Seiten angeschrieben, aber bei keinem anderen ist es das gleiche Gefühl. Mit allen anderen Chattern ist es ein ganz normal, so wie ich es mir auch vorgestellt habe. Also liegt es wohl doch nicht am Chatten als Solches sondern am Mensch Adi selbst, warum auch immer. Aber immerhin ist der Tag schnell um.

Ich chatte nun täglich mit Adi. Wir verstehen uns ohne Worte, wir berühren uns nur durchs einfache Dasein. Wir kennen uns, ohne etwas voneinander zu wissen. Wir haben Spass, machen Witze, klopfen Sprüche oder reden über dieses und jenes. Es ist für beide, wenn auch sehr schön und vertraut, auch sehr verwirrend. Wir können uns auf unerklärliche Weise spüren, nicht nur, wenn wir online sind sondern die ganze Zeit. Wir wissen einfach, wann es dem anderen nicht gut geht, wann der andere glücklich ist, wann traurig. Wir wissen es einfach.

In meinen Gedanken rede ich ständig mit ihm und hab das Gefühl, er hört mich. Er schreibt in einer Nachricht, in seinen Gedanken redet er immer mit mir und hat das Gefühl, ich höre ihn. Wir sind uns sicher, es gibt einen Grund, warum wir uns begegnet sind und warum wir so ein Gespür füreinander haben, aber wir wissen nicht, welchen. Das kann kein Zufall sein.

Einmal meint er, wir sind Seelenverwandt. Da kommt mir Albert in den Sinn. Er tauchte auf, um mir eine Lektion zu erteilen. Ist es das? Muss mich wieder ein Seelenverwandter daran erinnern, wer ich bin, mir einen Spiegel vorhalten? Ist Adi ein zweiter Albert?

Da er in seinem Job mehr zu tun hat als ich, schreiben wir uns sehr viel über die Mailbox. Wir sind wie eine Art Tagebuch füreinander. Ihm schreib ich, was mir durch den Kopf geht und er mir auch. Jede Minute, die er erübrigen kann, verbringt er online. Er nimmt sich sogar manchmal den Freitag frei, weil ich ja auch frei habe, damit wir miteinander chatten konnten. Es ist schön, aber auch beängstigend. Wir arbeiten nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt, wohnen auch in der gleichen Stadt, aber ich will ihn nicht treffen, genug Ausreden habe ich. Immer einen Grund, warum ich ihn nicht treffen will. Aber im Grunde hab ich einfach Angst.

Adi ist jemand mit einem angesehenen Job, viel beschäftigter Mann, nach aussen erfolgreich, zielstrebig, gefragter Macher. Er ist getrennt, aber ist sich nicht sicher, ob er sich auch tatsächlich scheiden lassen will. Sie will wohl keine Trennung, setzt ihn mit den Kindern unter Druck und auch die Finanzen sind ein Grund, warum er darüber nachdenkt, es vielleicht doch noch mal zu versuchen. Ein Grund ist sicher auch, was er nach Aussen präsentiert. Eine Scheidung wäre nach aussen hin peinlich. Er redet nie schlecht über sie, ich lese aber zwischen den Zeilen und in seinen Gefühlen, da ist viel Wut.

Wir haben den gleichen Humor, das sorgt für Vergnügen im Büro. Wir haben die gleichen Wert- und Moralvorstellungen, wir denken genau gleich, wir fühlen genau gleich. Aber ich will ihn nicht treffen. Ich hab Angst, er ist enttäuscht, wenn er mich sieht. Ich hab Angst, die Ablehnung in seinen Augen zu sehen. Immerhin hab ich ein Bild von ihm im Kopf, geformt durch seine Worte, und das ist perfekt. Er ist 1.82 gross, sportlich, da er gerne Squash spielt und in der Freizeit viel mit dem Fahrrad unterwegs ist. Braune Haare, braune Augen und im Anzug unterwegs. In meiner Vorstellung ist er ein humorvoller, intelligenter Adonis.

Drei Monate ist er fester Bestandteil meines Alltags. Als wäre es das normalste der Welt, jemanden zu fühlen, obwohl man ihn noch nie gesehen hat. Also am Ende doch Talkshow-Tussi. Ich seh mich bei RTL II auf der Couch sitzen und jammern „Ich hab mich im Internet verliebt.“

Immer wieder schaltet sich der Kopf ein und sagt, das alles ist Einbildung, aber ich schmettere den Gedanken immer wieder weg. In manchen Momenten bin ich überglücklich, am liebsten würde ich fliegen. Dazwischen sitze ich lethargisch in einem Loch bestehend aus Angst, Einsamkeit, Traurigkeit. Der seelische Schmerz ist mein ständiger Begleiter, er erdrückt mich, lässt mich nicht atmen, lässt mich nicht klar denken. Von Tag zu Tag wird es schlimmer. Nur in den Momenten, in denen ich mit ihm chatte, beruhige ich mich, weil er da ist, weil ich da bin. Ich lebe nur noch in diesen Momenten. In diesen Augenblicken lache ich, habe Freude. Ich bin in der Gegenwart. Ist er weg, falle ich in ein Loch aus Nichts und negativen Gedanken. Er weiss auch nicht mehr, wie er mir helfen kann. Er spürt, dass es mir immer schlechter geht, weiss aber nicht weshalb und weiss nicht, wie er mich noch aufmuntern soll, damit es anhält.

Wir diskutieren immer öfters über das Thema Treffen. Er versteht nicht, wieso ich kein Vertrauen in ihn habe. Wir streiten und missverstehen uns absichtlich. Er versteht meine Angst nicht, ich sag ihm ja auch nicht, warum ich solche Panik habe, ihn zu treffen. In meiner Vorstellung ist er schön, intelligent, witzig und ich hässlich, fett, langweilig und krank im Kopf. Ich kann mich dem einfach nicht stellen. Ich will die Enttäuschung in seinen Augen nicht sehen. Ich kann nicht, reagiere panisch nur schon beim Gedanken daran.

Auf den Tag genau drei Monate nach unserem ersten Chat, lädt er mich spontan zum Abendessen ein. Er hat am Abend im Chat auf mich gewartet und mir unzählige Nachrichten geschrieben, damit ich endlich online komme. Er hat selten Zeit, abends zu chatten und ich bin auch nicht drin, aber wenn er Zeit hat, dann geht er online, schreibt mir immer wieder in die Mailbox „komm online“ und ich folge jedesmal wie blind, obwohl ich gar nicht rein will, laufe ich zum Laptop und logge mich ein, als würd ich ihn rufen hören.

Auch diesmal, er wartet auf mich. Ich lehne die Einladung robust ab. Wir haben das Thema schon ausdiskutiert und es sei erledigt. Er ist sehr verletzt und zwischen uns bricht es, wir werden uns nicht einig. Er ist sehr getroffen wegen meiner heftigen Ablehnung. Er beendet es. Er loggt sich aus und ich starre noch eine ganze Stunde auf den Satz „Es ist beendet.“

Ich lese ihn, aber er kommt nicht an, ich fühle in dem Moment nichts. Wie betäubt mache ich mich bettfertig. Ich fühle immer noch nichts. Erst als ich im Bett liege und mich schlaflos hin und herdrehe, kommt es langsam an. Es ist beendet.

Es trifft mich. Der Schmerz trifft mich heftig. Mein Handy ist neben mir und ich starre drauf, ich hab das so sichere Gefühl, er kämpft mit sich, ob er anrufen soll. Ich fühle ihn mit sich kämpfen und flehe, ruf an. Er hat meine Nummer. Aber er tut es nicht. Ich gehe mitten in der Nacht online, und sehe, dass er fünf Minuten vorher drin war, aber schon wieder weg ist. Gegen Morgen schlafe ich endlich ein.

Love is pain

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