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Blutlaus, Schildlaus und Konsorten

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April. Die Zeit, in der das Leben erwacht. Überall Auferstehung. Kraftvoll treibt es auf den Beeten. Innerhalb kürzester Zeit wachsen die Rosenblätter, belauben sich die Bäume, überholen die Kartoffeln und Sonnenblumen die Sellerie- und Kohlrabisetzlinge. Konnte man sich vor Kurzem nicht vorstellen, dass der Garten je wieder grün werden würde – nun ist der Beweis erbracht, dass das Leben stärker ist.

Aus demselben Grund werden nun aber auch Unmengen von Blattläusen munter, die jetzt plötzlich auf allen Trieben zu finden sind. Und die Blattrollwespen, die meine Rosenblätter wie heruntergekommene Wurstfabriken aussehen lassen. Und die Maden des Frostspanners, die die wenigen Blätter, die sich noch nicht rollen, zum Frühstück verspeisen. Und der auf- oder absteigende Rosentriebbohrer, der das Mark der Rosen frisst, der Dickmaulrüssler, das Lilienhähnchen, die Spinnmilbe, Zikade, Rebenpockenmilbe, Afterraupe, Blutlaus, Schildlaus, Blattwanze und wie sie alle heißen.

Und als wäre das nicht genug, schießen nun auch noch gruselige schwarze Pilze am Rande des Gemüse-beetes aus dem Boden, glänzende Schirme auf hauchdünnen, schleimigen Stielen. Und auch die anderen Pilze, die viel schrecklicheren, Rosenrost, Sternrußtau, Mehltau oder die furchtbare Monilia, die den halben Sauerkirschbaum dahinrafft und meinem geliebten Pfirsichbaum schwer zu schaffen macht, sind nicht mehr aufzuhalten.

Ein Wettlauf beginnt. Wer ist schneller? Die Pflanze oder die stechenden, saugenden, fressenden Insekten, die über sie herfallen? Die Pflanze oder das Pilzgeflecht? Besonders die jungen Triebe, die man so sehnsüchtig erwartet hat, werden jetzt mit Vorliebe attackiert, angebohrt, verstümmelt und infiziert, bevor sie überhaupt eine Chance haben, groß und wehrhaft zu werden. Die gerade erst entfalteten Pfirsichblätter verkräuseln sich rasant zu fürchterlich rotfleckigen, blasigen Gebilden, fallen ab und liegen wie ein einziger Vorwurf auf dem Weg. Ich werde furchtbar wütend! Meine geliebten Pflanzen! Wie soll ich das aushalten?

Nachdem ich eine Weile vor mich hin geflucht habe, greife ich zur Mülltüte und beginne, stundenlang kranke Blätter einzusammeln und abzuschneiden. Wenigstens sollen sich Pilze und Schadinsekten nicht auch noch im Boden vermehren. Ich hole sämtliche Stärkungsmittel hervor, die mir einfallen, ertrage den Gestank der Brennnesseljauche, koche Schachtelhalmsuppe und Knoblauchtee und hülle meine Pflanzen in eine Kraftwolke. Trotzdem muss ich ein paar Tage später erneut mit Mülltüte und Schere losziehen und mit ansehen, wie eine Rose, eine Azalee und der weiße Phlox der Invasion zum Opfer gefallen sind. Als ich die völlig zerfressene kleine Rose immer weiter herunterschneide und feststelle, dass sie bis in die Wurzel hinein ausgehöhlt und tot ist, packt mich eine entsetzliche Trauer. Ich grabe aus, was von ihr übrig ist und versenke es im Müllbeutel.

Ich kann nicht zaubern. Ich muss lernen, das Sterben auszuhalten. Heulen hilft ein bisschen.

Was mir auch hilft, ist die Entscheidung, trotz meines Unglücks nicht zum Baumarkt zu fahren. Ich werde kein Gift kaufen. Ich möchte es weder selbst einatmen noch in der Welt verbreiten, noch die wenigen Marienkäferlarven, die sich redlich mühen, die Läuse zu fressen, damit töten. Gift unterscheidet nicht zwischen Blattlaus und Regenwurm, nicht zwischen Rostpilz und Biene, nicht zwischen Frostspanner und Blaumeise. Dann opfere ich lieber ein paar Pflanzen.

Erstaunlicherweise sieht der Garten einige Wochen später immer noch recht lebendig aus. Die meisten Pflanzen haben Laus, Pilz und Made tapfer widerstanden, haben neue Blätter und neue Triebe geschoben, sich breitgemacht und die Lücken der Verstorbenen ausgefüllt. Rotschwanz, Nachtigall und Meise haben reichlich Lebendfutter für ihre Kinder gefunden. Und so ist das Gleichgewicht im Großen und Ganzen wieder hergestellt.

Bis zum nächsten Frühjahr. In dem ich vermutlich wieder zu lernen habe, dass im Garten eben nicht nur eine Hälfte der Wirklichkeit zu haben ist. Nur die ganze. Und zu der gehört der Tod ebenso wie das Leben.

Wo die Seele aufblüht

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