Читать книгу Wo die Seele aufblüht - Doris Bewernitz - Страница 6
Meine grüne Seele
ОглавлениеIch habe eine Frau gekannt, die von morgens bis abends nichts anderes tat, als Unkraut auszureißen und dabei vor sich hin zu schimpfen. Es war, als führe sie einen Krieg. Ihr Feind war die Natur. Kaum tauchte ein Stück Moos in ihrem Rasen auf, schon begann sie, dieses auszurupfen, kaum zeigten sich ein paar gezackte Löwenzahnblätter, griff sie zu einer harpunenartigen Grabegabel und stach diese samt Wurzel aus, kaum wuchs eine wilde Kamille auf ihrer Terrasse, holte sie ein schreckliches Gerät hervor, schloss einen Schlauch an eine Gasflasche an und richtete eine Flamme auf sämtliche Terrassenfugen. Selbstverständlich hatte auf ihren Gemüsebeeten kein Klee, kein Vergissmeinnicht, kein Hahnenfuß, Schöllkraut oder wilder Mohn etwas zu suchen. Ihr Garten glich einem geputzten Zimmer, und sie war stolz darauf.
Dieser Garten lag neben dem meiner Mutter. Als Kind machte ich instinktiv einen Bogen um ihn, denn die Frau guckte immer so grimmig. Sie hatte eine steile Falte auf der Stirn, vor der ich mich ebenso fürchtete wie vor ihrem Flammenwerfer.
Wie unterschiedlich Gärtnerinnen und Gärtner als einzelne Menschen auch sein mögen, eines haben sie alle gemeinsam: Sie entscheiden über das Verhältnis von Wildnis und Kultur in ihrem Garten. Und an diesem Punkt gehen die Meinungen sehr auseinander. Der eine meint, die Natur werde es schon besorgen, irgendetwas wächst ja immer, und ein Garten sei dazu da, der verlorengegangenen Wildnis wenigstens auf dreihundert Quadratmetern wieder eine Chance zu geben.
Praktisch an dieser Haltung ist, dass sie keine Mühe macht und keinen Muskelkater auslöst. Höchstens Ärger, mit den Gartennachbarn nämlich, die das anders sehen. Manche haben eben ein Problem damit, wenn die Samen von Brennnessel, Goldregen oder Weidenröschen scharenweise über den Zaun geweht werden oder wenn Giersch und Quecke sich aufmachen, unter dem Zaun hindurchzuwachsen und die Rosen- oder Gemüsebeete flächendeckend zu erobern. Dann beschweren sie sich bei ihren wildnisliebenden Nachbarn. Und hören dann, deren Garten sei ein Ökogarten und Giersch ein sehr gesunder und leckerer Frühjahrssalat. Und schon ist der Ärger da. Man wirft sich auf der einen Seite Faulheit vor, auf der anderen Seite Kleingeist und Rasenmähermanie.
Und dann gibt es noch die, die unbedingt etwas gegen Wildnis haben und trotzdem nicht den ganzen Tag arbeiten wollen. Die betonieren ihren Garten kurzerhand zu und lassen nur ab und an kleine Inseln stehen, in die sie ordentliche Pflanzen aus dem Baumarkt setzen.
Bevor ich einen eigenen Garten hatte, hätte ich mir tatsächlich nicht träumen lassen, mit welcher Geschwindigkeit Wildpflanzen wachsen und vor allem, wie schnell und üppig sie sich vermehren. Einerseits möchte ich ja schon eigene Gestaltungsideen umsetzen, andererseits will ich nicht zum Sklaven des Gartens werden und den ganzen Tag darum kämpfen, dass die Rosen, Stauden und Salatköpfe die Invasion von Quecke und Ahorn überleben. Man kann es nun als brutal ansehen, dass ich daumengroße Ahornbäumchen auszupfe, sobald ich sie entdecke, immerhin könnten das wunderschöne Bäume werden, und haben wir davon nicht immer zu wenig? Bedenkt man aber, dass es pro Saison ungefähr dreitausend solcher Bäumlinge sind, die ich entferne, wird klar, wie der Garten in ein paar Jahren aussähe, wenn ich es nicht täte.
Auf der anderen Seite wachsen manche Wildpflanzen, die ich gern hätte, partout nicht in meinem Garten. Zum Beispiel liebe ich Adonisröschen über alles. Ich habe mir Samen besorgt, ich habe Pflanzen in speziellen Wildpflanzenhandlungen gekauft und sie gesetzt, doch sie blieben nicht da. Irgendwann gab ich es auf und sah ein, dass ich ihnen wohl nicht die geeigneten Bedingungen bieten konnte.
Was Natur und was Kultur, was wild und was erwünscht, hängt also vom Betrachter ab. Selbst auf den Begriff Unkraut kann man sich nicht mehr verlassen. Auch unser Getreide wurde einst als Unkraut bezeichnet. Andererseits gibt es Pflanzen wie den Giersch, die so raumeinnehmend sind, dass ich beim ersten Auftreten radikal dagegen vorgehe. Eine Freundin von mir, die einmal einen vergierschten Garten übernahm und vier Jahre lang mit allen erdenklichen Methoden versuchte, den Giersch zu entfernen, weil sie auch mal etwas anderes anbauen wollte, wandte sich schließlich an einen Fachmann und fragte ihn, was sie denn noch tun könne. Ob es überhaupt eine Lösung gäbe. Ja, sagte der, die gäbe es. Sie solle sich einen neuen Garten suchen.
Beim Giersch ist es also eindeutig. Aber wird der Sellerie, den ich gesät habe, von einer Handvoll sich ausbreitender Wild-Akeleien bedroht? Stören sich meine Rosen an den Vergissmeinnichtwolken, die sich im Mai um sie herum erheben? Sind Fingerhut, Waldmeister, Kamille oder Klatschmohn, die bei mir alle von allein wachsen, Unkräuter oder nicht? Ich kann natürlich alle sich selbst aussamenden Wildpflanzen zu Unkräutern erklären, sie ausreißen, ich kann einen endlosen Kampf führen und mir anschließend gratulieren, dass in meinem Garten nur das wächst, was ich will. Doch abgesehen von einer zermürbenden Sisyphusarbeit wird diese Haltung auf Dauer etwas mit mir machen. Je mehr ich kämpfe, umso mehr Hass wird sich in mir ansammeln. Da ich nur noch Unkräuter suche, um sie auszureißen, werde ich irgendwann nur noch Unkräuter erblicken. Ich werde mir das Schönste nehmen, was ein Garten zu bieten hat. Ich werde weder Zeit noch Muße haben, mich in der Freundlichkeit des Vergissmeinnicht, der Schönheit der Akelei, der Anmut der Digitalis oder dem Duft des Waldmeisters zu verlieren.
Es liegt wohl ein großer Reiz darin, die eigene Idee von der Welt wie einen Besitz anzusehen, der verteidigt werden muss. Insofern glaube ich, man ist nie „Sklave des Gartens“. Eher Sklave der eigenen Vorstellungen und Ideale von einem Garten. Ein sicheres Zeichen dafür, dass man diesen Zustand erreicht hat, ist, den Garten als Belastung zu empfinden und bei seinem Anblick nur noch an Arbeit zu denken.
Natürlich wollen wir gestaltend tätig sein. Und ein Garten ist gestaltete Natur. Aber man sollte sich immer der Verführung bewusst bleiben, die aus dem Zusammenspiel von eigenem Perfektionismus, ordnungsliebenden Nachbarn, deutschen Kleingartengesetzen und Hochglanz-Gärtnerei-Reklame erwachsen kann.
Für meine grüne Seele, die dem Unperfekten huldigt, gibt es in meinem Garten eine Ecke, in der ich nichts tue. Dort kommen kein Spaten, keine Hacke und keine Samentüte hin. Es ist eine Ecke neben der Dusche, ein recht schattiger, unwirtlicher Platz. Dort wuchs nichts, was ich aussäte. Irgendwann entschied ich, der Natur dort ihren Lauf zu lassen, nichts mehr zu tun und nur noch zu beobachten, was passiert.
In diesem Frühjahr schoben sich dort plötzlich ein paar kleine Spitzen aus der Erde. Zuerst dachte ich, es werden die üblichen Ahornbäume. Doch dann fiederten sich die Blätter immer mehr auf und kleine gelbe Blüten erschienen. Es waren Adonisröschen.