Читать книгу Spiritual Care in der Praxis - Doris Wierzbicki - Страница 9

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Vorwort

Stellen Sie sich vor, Sie werden mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Was würden Sie sich dann wünschen? Sicherlich einen Arzt, der Sie genau aufklärt. Aber wäre es nicht auch äußerst hilfreich, wenn dieser Arzt nicht fluchtartig das Zimmer verlässt, sobald er seine Mission erfüllt hat, sondern die im Moment hereinbrechende Ohnmacht mitaushält, Dasein, Aushalten – nur so ist es möglich, in Situationen, in denen nichts mehr hält und scheinbar alles zusammenbricht, Patientinnen und Patienten Halt zu geben.

»Herr Doktor, wie geht es eigentlich Ihnen, wenn Sie Patienten solch schlimme Nachrichten überbringen müssen?« Interessanterweise stellte eine 92-jährige Patientin diese Frage ihrem Internisten, der sie kurz davor darüber aufklären musste, dass sie an einem fortschreitenden Pankreaskarzinom leidet. »Nicht gut!« war die Antwort, dem ein Schweigen, ein miteinander Überlegen, ein Aushalten und »ein Ausschauhalten« nach den nächsten Schritten folgten. Nach dem intensiven Gespräch bat der einfühlsame Internist die Pflegefachfrau, sie möge mich verständigen und schrieb in die Kurve »Seelsorge«.

»Wie geht es Ihnen, wenn Sie Patienten solch schlimme Nachrichten überbringen müssen?« Mit dieser Frage trifft die Patientin mitten ins Schwarze. Als Ärztin oder Arzt, als Pflegekraft, Servicemitarbeitende, Reinigungskraft und Seelsorgerin oder Seelsorger ist der Einzelne immer mit seiner Person als Werkzeug gefragt, um auf die spirituellen Bedürfnisse von den zu behandelnden Personen heilsam eingehen zu können. Dies ist Aufgabe eines »Spiritual Care Giver«, der Schulung, Unterstützung, immer wieder Inspiration und ein aufbauendes Bildungskonzept braucht.

Schlimme Diagnosen sind nicht die einzigen Situationen, in denen spirituelle Bedürfnisse entstehen. Es sind Erfahrungen wie die, dass man nicht mehr so wie früher für sich selbst sorgen kann und in die eigene Wohnung zurückkehren kann. Die Gewissheit, dass man liebgewonnene Tätigkeiten nicht mehr ausführen kann. Die Frage, warum gerade mir das eine oder andere widerfährt. Gerade, wenn plötzlich Zeit ist nachzudenken, steigen Fragen aus dem Inneren der Seele hoch und kommen an die Oberfläche.

»Warum müssen meine Lieblingsenkel verstreut auf der ganzen Welt leben?« Das Gespräch mit einer anderen Patientin, das harmlos und oberflächlich begann, mündete in dieser Sinnfrage. Auch wenn sie deren Beweggründe völlig versteht, hätte sie ihre Liebsten so gerne um sich herum, gerade weil es mit ihren eigenen Kindern nicht ganz leicht ist. Am Ende dieses Gesprächs sagte die Patientin zu mir, die Tage zuvor am Knie operiert wurde: »Wissen Sie, das ist schräg, aber jetzt sind meine Schmerzen im Knie leichter.«

»So ein Personal kann man nur jedem Krankenhaus wünschen« (Zitat aus einem Patientenfragebogen). »Bei uns geschieht Heilung anders« (ärztlicher Leiter, Klinik Diakonissen Linz). »Seit der Implementierung von Spiritual Care brauchen wir weniger Supervision, weil die Mitarbeitenden auf sich und einander besser schauen. Wenn ich nach dem Befinden von Patientinnen und Patienten frage, bekomme ich eine viel differenziertere Auskunft« (Pflegedienstleitung, Klinik Diakonissen Linz). »Wir merken, dass die Krankenstände und die Fluktuation im Personalbereich zurückgegangen sind. Wir dürfen uns über Blindbewerbungen freuen. Auch wenn wir uns nicht aus diesen Gründen für die Implementierung von Spiritual Care entschieden haben, freuen wir uns über diese schönen Nebeneffekte« (Bereichsleiter Finanzen, Klinik Diakonissen Linz). »In der Zeit vor 15 Jahren hat der Geist noch Platz gehabt. Dann kam die Professionalisierung, die Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund. Das war nötig – es ist dadurch aber auch viel verloren gegangen, und es ist auch immer etwas kälter geworden. Jetzt mit Spiritual Care findet sich das auf einmal wieder: Ich als Mensch in der Arbeit mit meinen persönlichen Bedürfnissen und Anliegen und auch mit Ritualen, mit Spiritualität« (Regionalleitung Seniorenarbeit und Heimleiter, Haus Elisabeth).

Was bewegt Mitarbeitende der verschiedensten Führungsebenen mit ganz unterschiedlichen und auch unterschiedlich intensiven spirituellen Zugängen zu diesen Aussagen? Sie alle beobachten die positiven Auswirkungen der Einführung von Spiritual Care.

Das Buch möchte einen Weg aufzeigen, wie die Implementierung von Spiritual Care in einer Klinik gelingen und wie man den Versuch der Übertragung auf die Langzeitpflege angehen kann. Von der Recherche bis zur Umsetzung will das Buch vermitteln, wie es möglich ist, dass die Implementierung eines Fortbildungsprogrammes in Spiritual Care die Arbeitsatmosphäre verbessern, zu einer höheren Identifizierung der Mitarbeitenden mit der Institution und zu einem vermehrten Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten führen kann.

Untermauert mit wissenschaftlichen Studien, angereichert mit vielen Praxisbeispielen und Methoden der Umsetzung wird das Buch aufzeigen, wie es dieser Ansatz geschafft hat, zum »Ankerprojet Klinik Diakonissen Linz« für das Diakoniewerk Gallneukirchen (ein Unternehmen mit ca. 3.800 Mitarbeitende) zu werden. Mit »Ankerprojekt« (Benennung vom Diakonisch-theologischen Vorstand des Diakoniewerkes) wird die Klinik Diakonissen bezeichnet, weil hier der Implementierungsprozess am weitesten fortgeschritten ist und durch eine externe Mitarbeiterbefragung, viele Evaluationsergebnisse sowie beobachtbare Veränderungen dieser Fortschritt auch gut belegt ist. Daher greift das Diakoniewerk immer wieder auf diese Erfahrungen zurück. Die guten Ergebnisse aus der Klinik führten zu neuen Versuchen, ein ähnliches Konzept in eine weitere Institution des Diakoniewerkes einzuführen, einem sogenannten Pilotprojekt. Weiters wurde das »Innovation Center Spiritual Care in Organisations« (ISCO) mit Wissenschaftlich-kulturellem Beirat in Netzwerkpartnerschaft mit der Universität Basel und der Klinik Diakonissen Linz gegründet.1

1 Einige Auseinandersetzungen hatten wir hinsichtlich einer geschlechtergerechten Sprache und lernten dadurch einiges über unsere verschiedenen Sprach- und auch Kränkungserfahrungen. Unser Kompromiss: Wir benutzen hauptsächliche geschlechterneutrale Formulierungen und das »generische Maskulinum«, wenn es unumgänglich ist und wir alle Geschlechter meinen, und verwenden in den Beispielen vorwiegend weibliche Formen, um daran zu erinnern, dass sowohl die meisten Mitarbeitenden in Medizin und Kirche als auch Patienten Frauen sind.

Spiritual Care in der Praxis

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