Читать книгу Zen im 21. Jahrhundert - Doris Zölls - Страница 10
Was ist Zen?
ОглавлениеKakua, der erste Japaner, der in einem Zen-Kloster in China war, wurde nach seiner Rückkehr vom Kaiser in Japan eingeladen, alles vorzutragen, was er in China erlebt hatte. Kakua zog eine Flöte aus seinem Ärmel, blies eine kurze Note, verbeugte sich höflich und ging. Er hat den Kern des Zen gezeigt. Dieser Augenblick ist die Manifestation eines Urgrundes, zu dem unser Verstand keinen Zutritt hat. Und es gibt nichts, was ihn nicht manifestieren würde.
Zen ist die Abkürzung des Wortes Zenna. Es ist die japanische Lesart des chinesischen Cha’an, das wiederum die Übertragung des Sanskrit-Wortes Dhyana ist und Sammlung des Geistes oder Versunkenheit bedeutet. Zen entwickelte sich in China im 6. und 7. Jahrhundert in der Begegnung mit dem Taoismus. Schriften und religiöse Übungen sind zur Erlangung dieser Erfahrung der Nondualität nutzlos. Der Weg zum Erwachen ist das Zazen, das Sitzen in der Versunkenheit. Alle dualistischen Unterscheidungen von Ich und Du, Subjekt und Objekt, wahr oder falsch sind in einer tiefen Erfahrung aufgehoben.
Zen lässt sich mit den folgenden vier Aussagen zusammenfassen:
1. Zen ist eine besondere Überlieferung außerhalb der orthodoxen Lehre.
2. Es ist unabhängig von den heiligen Schriften.
3. Es deutet unmittelbar auf des Menschen Herzen.
4. Zen ist die Schau des eigenen Wesens.
Die erste Übertragung dieser wortlosen Lehre finden wir in der legendären Geschichte von Buddha auf dem Geierberg. Buddha hielt schweigend eine Blüte in die Höhe. Kashyapa, sein Schüler, begriff und hatte die Essenz der wortlosen Lehre Buddhas erfasst. Zen führt in eine Erfahrung, es ist keine Konfession, auch keine buddhistische. Es kennt weder Vergangenheit noch Zukunft. Es vollzieht sich von Augenblick zu Augenblick.
Die ältesten schriftlichen Zen-Texte wie das Shinjin-meiund das Shodoka werden nicht müde, dies zu betonen. „Der höchste Weg ist nicht schwer, wenn du nur aufhörst zu wählen … Die kleinste Unterscheidung bringt eine Distanz wie zwischen Himmel und Erde … Je mehr Worte und Gedanken, desto weiter entfernt von der Wirklichkeit“ (Shinjin-mei). Oder der Text von Daio Kokushi: „O, meine lieben und ehrenwerten Freunde, die ihr hier versammelt seid: Wenn ihr euch danach sehnt, die donnernde Stimme des Dharma zu hören, gebt eure Worte auf, entleert eure Gedanken.“
Entleert eure Gedanken. Die Leerheit ist es, die mit allem kommuniziert. Nicht die Formen kommunizieren miteinander, sondern der nichtsubstanzielle Urgrund allen Seins. Alle Zähler haben den einen und gleichen Nenner. Dieser bringt die alles einbindende Erfahrung der Einheit hervor, aus der universales Wohlwollen und Liebe erwachen. Liebe ist die Grundstruktur der Wirklichkeit. Doch auch diese Aussage ist noch Bild und Gleichnis. Auch sie ist noch Analogie für das, was wirklich ist, und letztlich der Wirklichkeit unähnlicher als ähnlich. Der Bereich der Leere ist unser und aller Dinge tiefstes Wesen. Diese zeitlose Potenz offenbart sich als die vielen Dinge in der Zeitlichkeit. Wer dahin durchbricht, erfährt das, was Zen Kensho nennt.
Kensho ist ein erster Ausbruch aus der personalen Eingrenzung, der in die Erfahrung der Einheit führt. Wer auf dieser Ebene ankommt, sagt erschüttert: Ich könnte die ganze Welt umarmen. Der Mörder und Terrorist ist nicht ausgeschlossen. Es ist kein „Ich liebe dich“ oder „Du liebst mich“, sondern eine existenzielle Erfahrung der Einheit, die in ein absolutes Mitgefühl und eine grenzenlose Liebe führt.
Satori ist die zweite und eigentliche Erfahrung im Zen; eine Erfahrung der „Leere“, ein erschütternder Ausbruch aus der rationalen und personalen Eingrenzung, oft als „horror vacui“, als Horror der Leere erfahren. Die Reaktion ist manchmal auch schallendes Gelächter. Aber es ist kein Lachen über etwas, sondern ein irritierendes Überschreiten des normalen Weltverständnisses. Wirklichkeit wird als etwas ganz anderes erfahren, als das Ich uns ständig vormacht.