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I. Einführung › 3. Aussagekraft von Statistiken und Lagebildern im Zusammenhang mit Clankriminalität

3. Aussagekraft von Statistiken und Lagebildern im Zusammenhang mit Clankriminalität

Die für Polizeiarbeit wichtigste Statistik ist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Die PKS zählt sämtliche registrierte, also die bei der Polizei zur Anzeige gebrachten Straftaten (durch Bürger angezeigt oder eigene Ermittlungen), sobald sie an die Staatsanwaltschaft kommuniziert werden. Sie stellt kein Abbild der Kriminalitätsrealität dar, sondern dokumentiert lediglich das sogenannte Hellfeld. Der Anteil an Kriminalität, der von den Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt und somit nicht registriert wird, wird als Dunkelfeld bezeichnet.

Das absolute Dunkelfeld stellt den Teil der Kriminalität dar, der weder durch die PKS noch durch Dunkelfeldforschung aufzuhellen ist, es sind völlig unbekannte Straftaten, die auch als doppeltes Dunkelfeld bezeichnen werden. Die registrierten Straftaten der PKS stellen das Hellfeld dar; sie werden nach Aufnahme einer Anzeige und Abgabe des Sachverhaltes an die Staatsanwaltschaft in der PKS abgebildet. Die Vorgaben der PKS-Erfassung sind bundeseinheitlich. Die Größe des Hellfelds ist somit abhängig vom Kontrollverhalten der Polizei und dem Anzeigeverhalten der Bevölkerung. Die Dunkelziffern (der in Zahlen gefasste Anteil nicht bekannter Straftaten) variieren je nach Delikt. Die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung und damit die Größe des Hellfelds hängt von verschiedenen Faktoren ab. Je nach Deliktsart variiert die Nähe zur Realität durch das Anzeigeverhalten. Daher kann in den meisten Fällen nicht von einem realen Ansteigen oder Absinken von Kriminalität gesprochen werden, wenn die Entwicklungen der PKS diskutiert werden.

Neben der tatsächlichen Änderung des Kriminalitätsaufkommens und damit der Kriminalitätsrealität können sich folgende mögliche Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Zahlen in der PKS auswirken:

Anzeigeverhalten,
polizeiliche Kontrollintensität,
Änderung der statistischen Erfassung,
Änderung des Strafrechts.[1]

Generell enthält die PKS Informationen zu den registrierten Fällen, aber auch zu Tatverdächtigen und Opfern (z.B. Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, ggf. Beziehung Täter und Opfer). Die Aussagekraft der PKS muss immer im Hinblick auf ihre methodischen Schwächen und generellen Grenzen betrachtet werden. Beispielsweise können sich Gesetzesänderungen oder auch Erfassungskriterien auf die Erfassung niedergeschlagen haben. Dennoch ist es das umfassendste Instrument zur Kriminalitätserfassung, das zur Verfügung steht. Trends in der Kriminalitätsentwicklung lassen sich damit skizzieren. Die PKS erfasst keine Steuer- und Straßenverkehrsdelikte (mit Ausnahme der Verstöße gegen §§ 315, 315b StGB und § 22a StVG), Straftaten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen wurden, Ordnungswidrigkeiten sowie keine sog. Staatsschutzdelikte der politisch motivierten Kriminalität (PMK).[2]

Der Begriff „Fälle“ umfasst vollendete Fälle und strafbare Versuche. Als aufgeklärt gilt eine angezeigte Straftat dann, wenn ein vorläufiger Tatverdächtiger ermittelt werden konnte (sprich, wenn dessen Namen bekannt ist).

aufgeklärte Fälle × 100
AQ = Aufklärungsquote =
bekannt gewordene Fälle

Dieses Vorgehen und die Bezeichnung dessen als Aufklärungsquote ist jedoch umstritten. Häufig zeigt sich im weiteren Ermittlungsverlauf, dass sich diesbezüglich noch sehr viel ändern kann (beispielsweise keine Erhärtung des Tatverdachtes o.ä.). Die Aufklärungsquote (AQ) bedeutet folglich nicht, dass ein Täter für eine angezeigte Tatverurteilt wurde. Somit transportiert die Aufklärungsquote häufig eine falsche Vorstellung in das öffentliche Bewusstsein.[3]

Das Dunkelfeld muss im Kontext der Organisierten Kriminalität (OK) und auch Clankriminalität je nach Deliktsfeld unterschiedlich hoch eingeschätzt werden. Beispielsweise werden Drogendelikte auch als Kontrolldelikte bezeichnet.[4] Ein Kontrolldelikt ist eine Straftat, deren Auftreten durch Kontrollen von Polizei oder Sicherheitspersonal überhaupt erst festgestellt wird.[5] Mit anderen Worten: Ohne Kontrollen bleibt sie unbemerkt. Dies führt zur unvermeidlichen Konsequenz, dass, je mehr Polizeibeamte eingesetzt sind, desto höher die Anzahl der registrierten Straftaten in diesen Bereichen ist, also der Eindruck erweckt wird, die Kriminalität steige an,[6] weil die Anzahl der erfassten Fälle in der PKS steigt. Wie hoch das Dunkelfeld bei Kontrolldelikten ist, lässt sich entsprechend schwer einschätzen.

Innerhalb der Familienclans kommt es, wie dargestellt häufiger zu Rohheitsdelikten untereinander. Werden diese im öffentlichen Raum ausgetragen, ist das Hellfeld entsprechend hoch. Findet die Gewalt jedoch im privaten Raum statt, kann sie häufig nicht durch die Polizei registriert werden. Dies betriff beispielsweise häusliche Gewalt. Wenn jene Delinquenz als solche auch von den Betroffenen, also den Opfern, erkannt wird, betrifft dies vor allem Personen aus dem gleichen Kulturkreis. Dass diese Anzeige erstatten, ist aufgrund folgender Gegebenheiten unwahrscheinlich:

1. Bedeutet eine Anzeige die strafrechtlich relevante Meldung gegen ein Mitglied aus der Familie/Community, dies wird als Verrat an allen Mitglieder empfunden;
2. hat der potentielle Anzeigensteller nicht selten Angst vor Vergeltung, da es allgemeine Norm innerhalb der Community ist, die Angelegenheit untereinander zu regeln;
3. empfindet ein eventueller Anzeigensteller eine zu große Scham, dass ein Familienmitglied/Verwandter bzw. einfach eine Person aus der eigenen Community gegen die Gesetze des Landes verstößt;
4. besitzt ein solcher insgesamt kein Vertrauen in die Polizei und die Sicherheitsbehörden im Allgemeinen, oder
5. kennt derjenige zwar den Vorgang, empfindet aufgrund von Unkenntnis oder gelebten Regeln in einer Familie aber keinen Verstoß gegen geltendes Recht.[7]

Auch Betrugsdelikte als Betätigungsfeld innerhalb von Clankriminalität sind hinsichtlich ihrer Registrierung und das Hell-Dunkelfeld-Verhältnis durch die Polizei nicht allgemein einzuschätzen.

Es zeigt sich also, dass nicht alles erfasst werden kann und die Hell-Dunkelfeld-Relation von Delikt zu Delikt variiert. Auf Basis der PKS allein kann daher die Clankriminalität nicht vollständig eingeschätzt werden. Daneben liefert die PKS keinerlei Zusammenhänge zwischen Taten, Personen und Gruppen. Entsprechend bedarf es Lagebilder, um das Phänomen Clankriminalität darstellen zu können.

Info-Box Polizeiliche Lagebilder sollen einen umfassenden Überblick über komplexere Kriminalitätsphänomene geben und damit einen kriminalpolitischen Konsens über die Gefahren dieser schaffen.[8] Eine Basis ist generell auch die PKS. Allerdings sind deren Datensätze anonymisiert, auch werden keine ethnischen Zugehörigkeiten erfasst. Daher bietet die PKS nur wenig Möglichkeiten zur Auswertung von Kriminalität, die unter Clankriminalität zu subsumieren ist.[9] Stattdessen müssen für Lagebilder zur Clankriminalität standardisierte Analysemodelle genutzt werden, um eine Selektion der entsprechenden Fallinformationen vornehmen zu können.[10] Der Vorteil in den Lagebildern liegt darin, dass man die einzelnen Kriminalitätsphänomene (z.B. Rauschgifthandel, unterschiedliche Arten von Betrugsmaschen, etc.) darstellen und erläutern kann. Generell sind Lagebilder als Verschlusssache (VS-NfD) zu behandeln. Öffentliche Lagebilder beinhalten nur einen ausgewählten Teil der Informationen.

Die ersten öffentlichen Lagebilder zum Phänomen Clankriminalität sind 2019 und 2020 herausgegeben worden. Auf sie wird unter Kapitel II näher eingegangen. Für die Einschätzung zur Dimension von Clankriminalität sind sie eine unerlässliche Hilfe, sie bieten allerdings, wie eben auch die PKS, keinen Anspruch auf Vollständigkeit.[11] Das schlägt sich auch auf die beobachtete Entwicklung nieder: Wenn sich die erfassten Zahlen in den Lagebildern der nächsten Jahre verändern, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass Kriminalität zu- oder abgenommen hat. So können die durchgeführten Kontrollen zu mehr erfassten Delikten geführt haben, was nicht automatisch bedeutet, dass die Kriminalität auch real angestiegen ist. Ebenso können sich auch die notwendigen Schutzmaßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie auf die Clankriminalität ausgewirkt haben. Dies kann sowohl zu realen Anstiegen (z.B. im Bereich von Betrugsdelinquenz durch vermeintliche Corona-Tests oder durch Erschleichen von staatlichen Hilfeleistungen),[12] als auch in realen Abnahmen (z.B. von Rohheitsdelikten im öffentlichen Raum), aber eben auch zu schlichtweg nicht-registrierter Kriminalität durch den Wegfall der Kontrollen führen, der sich nach der statistischen Erfassung wie ein Absinken der Kriminalität liest.

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