Читать книгу Daikims Sterne - Dorylis Romahn - Страница 5

Kapitel 2

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Auch Mirini ist es nicht gut ergangen in den Tagen, nachdem sie Tenaro zur Flucht verholfen hat. Der Heermeister ist außer sich gewesen vor Zorn, er hat brutal zugeschlagen, die Reitgerte blutige Striemen hinterlassen auf ihren Oberarmen, ihrem Gesicht, ihren Händen, mit denen sie versucht hat, es zu schützen. Die Tritte und Schläge der Hausherrin haben dunkle Flecken hinterlassen auf ihren Rippen und ihrem Bauch, ihr ist zwei Tage lang sehr übel gewesen. Ihr Blut drei Tage später gekommen, aber sie hat keinen Tee gehabt, die Krämpfe vier Tage lang ertragen, es hat sehr wehgetan. Sie haben ihr nicht einmal Zeit gelassen, sich zu erholen, sie haben sie zur Arbeit gezerrt gleich am nächsten Morgen, nachdem die Hausherrin sie in die kleine Hütte an der Mauer gestoßen hat. Kaum mehr als ein Verschlag, die ehemalige Schmiede, schon lange unbewohnt, seit das Haus des Heermeisters keinen eigenen Schmied mehr hat. Nur drei Bretterwände, die vierte bildet die Mauer mit dem Herd für das Schmiedefeuer, mit einem schrägen Dach. Gerade groß genug für ein Bett und einen winzigen Tisch, einen dreibeinigen wackeligen Hocker, eine Truhe hat sie nicht, nur Zapfen an den Wänden. Sie braucht sie auch nicht, das Kleid, das sie am Leib trägt, ist alles was ihr bleibt. Waschen wird sie sich wie die anderen Dienstboten in der Kammer neben der Küche, dort wird sie ihre kargen Mahlzeiten einnehmen morgens und abends, sie bekommt noch nicht einmal zu essen wie die anderen Dienstboten. Die Köchin hat ein Auge darauf, dass ihr niemand etwas zusteckt, sie hat den Heermeister verärgert, er wird wieder schimpfen über das Essen, bis er sich beruhigt hat. Sie tut kaum ein Auge zu in der ersten Nacht, das Bett ist ein Sack voll altem Stroh auf ein paar Gurten und sie hat nur eine dünne Decke. Sie kniet davor, bevor sie sich darauf legt. „Bitte, Melak, du großherziger und weiser Gott, bitte rette ihn. Mach, dass er zurückfindet in seine Heimat, zu seiner Familie. Ich bitte dich.“ Und sie glaubt fest daran, dass ihr Gebet erhört wird, auch wenn sie es nie erfahren wird.

Sie erwacht zeitig am nächsten Morgen, es ist noch nicht einmal richtig hell. Es ist noch früh im Jahr, erst der dritte Mond, noch kalt in der Nacht und am Morgen, sie zittert unter ihrer dünnen Decke. Sie hört die Eisen der großen Pferde auf dem Kopfsteinpflaster des Hofes, sie werden zur Tränke geführt, es ist die erste Arbeit des Tages im Haushalt. Erst die Pferde, dann die Hunde, dann erst sind die Menschen dran. Sie hat kaum Zeit, Hände und Gesicht zu waschen, das raue Tuch schmerzt an ihren Wunden. Ihre Morgenmahlzeit steht schon bereit, eine Scheibe des groben dunklen Brotes, das einmal in jedem Drittteil für die Dienstboten gebacken wird, ein Becher dünner Tee, kaum gesüßt. Sie bekommt noch einen schrumpeligen Apfel mit auf den Weg, dann wird sie losgeschickt zum Binsenschneiden. Und zurück kommt sie erst, wenn die Sonne am höchsten steht, keine Minute früher. Es ist ein trüber, regnerischer Tag, sie sieht die Sonne kaum. Sie kommt zu spät, die anderen sitzen schon beim Mittagsmahl, aber sie bekommt nichts. Erst wieder am Abend, so hat es die Hausherrin bestimmt. Sie kann kaum den Löffel halten, mit dem sie ihre dünne Suppe isst, sie hat den ganzen Nachmittag Binsen gespalten. Die langen dünnen Blätter haben scharfe Kanten, zu den Striemen auf ihren Handrücken haben sich noch unzählige Schnitte gesellt. Sie muss noch beim Säubern des Geschirrs helfen nach dem Nachtmahl der Familie, das heiße Wasser brennt an ihren Händen. Sie weint, als sie endlich wieder in ihrer Hütte ist, aber sie denkt an den jungen Mann. Der Heermeister ist heute den ganzen Tag unterwegs gewesen, aber der Block im Hof ist leer. Er hat ihn nicht gefunden. Gedankt sei Melak.

Tag hat sich an Tag gereiht, sie hat sich eingefunden in ihr neues Leben. Es ist hart und trist, und erfüllt von schwerer Arbeit. Ihre Wunden sind geheilt, sie sieht die Narben an ihren Händen und ihren Armen, sie wird sie auch im Gesicht haben. Sehen kann sie sie nicht, sie hat keine der silbernen Platten mehr, und das Wasser des Sees ist zu trüb, um etwas zu spiegeln, aber sie hat sie ertastet. Zwei auf der Stirn, sie überkreuzen sich, zwei auf der linken Wange, eine auf der rechten. Und eine im Mundwinkel, sie fühlt sich wulstig an unter ihren tastenden Fingern, Wunden an den Lippen heilen schlecht. Ihre Hände sind jetzt immer bedeckt mit kleinen schmerzhaften Schnitten, sie schneidet oft Binsen. Sie flechten keine Körbe daraus, sie werden gespalten und getrocknet, dann werden Dochte daraus gedreht und in flüssiges Wachs getaucht, sie dienen der Dienerschaft als Kerzen in der dunklen Jahreszeit. Mirini ist schlank gewesen, jetzt wird sie mager. Sie bekommt nur zwei Mahlzeiten am Tag, morgens eine Scheibe des groben dunklen Brotes, manchmal mit ein wenig gesäuertem Rahm darauf gekratzt, wenn der Liebhaber der Köchin in der Nacht bei ihr war, dann ist sie gut gelaunt und etwas weniger hartherzig. Dazu eine Schale dünnen Kräutertee, der dritte Aufguss aus der großen Kanne. Kaum gesüßt, manchmal schmeckt er bitter, wenn er zu lange gestanden hat. Einen verschrumpelten Apfel, eine geplatzte Pena, einen Granatapfel, der schon schimmelt am Stiel. Eine Stange Lauch oder eine Wurzel, an denen eine Maus genagt hat. Einmal einen der kleinen süßen Brotlaibe, übriggeblieben vom Vortag, weil der Heermeister überraschend mit seinen Männern an den Sitz des Fürsten gerufen worden ist. Abends eine Schale Gemüsesuppe, sie findet kaum einmal ein Stück Gemüse darin, und wieder eine Schnitte des groben Brotes. Sie bekommt nichts ab von dem Nachtisch, den die Köchin anschließend auf den Tisch der Dienstboten stellt, gesäuerter Rahm gesüßt mit Honig oder eingekochtem Granatapfelsaft, oder einer Mischung aus Äpfeln, Pirsi und Beeren. Es ist schmale Kost, sie wird kaum einmal satt davon, aber sie überlebt damit. Und jeden Abend kniet sie an ihrem Bett und betet zu Melak. Sie erbittet nichts für sich, sie erträgt, was sie zu tragen hat, sie betet nur um eins. Dass der junge Mann sicher heimgekehrt ist in den Schoß seiner Familie.

Und sie arbeitet hart. Binsen schneiden alle drei Tage, die Schnitte an ihren Händen heilen kaum noch. Sie sind wund und rissig vom Reinigen des Geschirrs und Wäschewaschen, manchmal laufen Tränen aus ihren Augen, weil sie das Brennen kaum noch ertragen kann. Besonders schlimm ist es, wenn sie die Abtritte gereinigt hat, es gibt zwei davon, einen für die Männer und einen für die Frauen. Sie halten sich zurück, sie betreten ihn nicht, wenn sie Wände und Sitz mit der scharfen Lauge abschrubbt, die Männer kennen diese Scham nicht. Sie muss oft auf die Seite treten, wenn sie hereinkommen, die Schnüre an ihren Hosen öffnen und das herausholen, nach dem die Frauen verzückt seufzen. Oder auch nicht, ein Teil der Wut der Hausherrin ist dem Umstand geschuldet, dass der Heermeister kein sanfter Mann ist. Er hat sie genommen in der Nacht nach der Flucht des jungen Mannes, er hat seine Wut an ihr abreagiert, er ist noch grober gewesen als sonst. Sie hat geblutet danach, die Hebamme, die sie hat kommen lassen, hat sie beruhigt. Nur ein kleiner Riss, wie nach einer Geburt, wenn der Kopf des Kindes zu groß ist oder zu schnell ausgetreten, er wird heilen. Aber es tut weh, sie kann kaum sitzen, Mirini hat es zu spüren bekommen. Und als sie drei Tage später gesehen hat, wie sie sich krümmt unter den Krämpfen ihres Blutes, hat sie ihr den lindernden Tee verweigert. Sie leidet Schmerzen wegen ihr, warum soll sie es ihr leichter machen?

Mirini steht mit abgewandtem Kopf, wenn sich die Männer des Haushalts neben ihr erleichtern. Sie weiß, was dort zu sehen ist, und sie weiß auch, was es bewirkt, wenn sich die Hand einer Frau sanft darauflegt. Sie hat es gesehen bei Drobar in der Nacht, bevor sie ausgeritten sind auf ihren letzten Feldzug. Er ist sanft und liebevoll zu ihr gewesen, hat sie auf sein Bett gezogen, seinen Arm um sie gelegt und sie zurückgehalten, als sie die Schnüre ihres Kleides hat öffnen wollen. Das muss sie nicht tun, er möchte nur eins von ihr. Dass sie ihre Hand dort hinlegt, wo er bisher nur seine eigene gespürt hat. Sie hat es getan, und was es bewirkt hat, hat sie überrascht. Sie hat sein leises Stöhnen gehört, sanft ihre Finger bewegt, er hat ihren Mund gesucht und sie zärtlich geküsst. Seine Hand unter ihr Kleid geschoben und sacht über ihre Beine gestrichen. Sie hat ihre Hand um ihn geschlossen, ihn sanft massiert und er ist in ihrer Hand gekommen. Hat geseufzt danach, sie ein wenig fester an sich gezogen und ist mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht eingeschlafen. Sie haben es noch einmal getan, am Morgen bevor er sich angezogen hat, und er hat sie am Tor zum Abschied geküsst. Zurückgebracht zu ihr haben sie ihn tot, und mit ihm den jungen Mann mit den tiefbraunen Augen mit den kleinen goldenen Funken darin. Und sie betet jeden Abend, dass er noch lebt, dass er zurückgekehrt ist in seine Heimat, dass er erleben wird, was die sanfte Hand einer Frau bewirkt, wenn sie sie dort hinlegt.

Und heute steht der vierte Korb in ihrer Fensteröffnung. Es ist nur ein Loch in der Mauer, man blickt daraus auf die kleine Gasse, die sich daran entlangzieht, es ist verschlossen mit einer hölzernen Klappe. Aber sie hört sie nie gehen, wer immer die Körbchen bringt, er kommt heimlich wie ein Dieb in der Nacht. In den frühen Morgenstunden, die kleinen süßen Brote sind immer frisch, manchmal noch warm vom Ofen. Auch dieser Korb ist wie die anderen in dem hübschen Muster geflochten, das sie nicht kennt. Die Speichen sind nicht gekürzt und zurückgebogen zu einem Rand, sie sind mit einem geflochtenen gelbroten Band zusammengebunden, um den Inhalt zu schützen. Sie kennt die Farben, das gleiche Gelb und Rot wie der Überwurf des jungen Mannes, wo man es noch hat erkennen können unter Schmutz und Blut. Sie findet auch heute wieder drei kleine Laibe Brot darin, eine Pena, prall und saftig, ein kleines geschnitztes Holzpferd und eine Phiole, gefüllt mit grünen Kügelchen. Mit einem Zettel umwickelt, „Medizin für blutende Frauen. Einfach schlucken, morgens zwei, abends drei, es lindert die Beschwerden.“ Geschrieben in einer steilen, fast kindlichen Handschrift, es ist nicht die des Mannes, dem der Medizinladen gehört, sie kennt sie von den Fläschchen, die manchmal neben dem Bett der Hausherrin stehen. Sie kennt nur den lindernden Tee, aber in den letzten Tagen haben ihr die Körbchen nur Gutes gebracht, sie versucht es. Es ist noch früh am Morgen, also zwei, sie schluckt sie mit einem Becher des abgestandenen Wassers, das in einem Krug auf dem winzigen Tisch steht, sie darf ihn erst wieder füllen, wenn er geleert ist. Es dauert nicht lange, bis sich ein warmes Gefühl in ihrem Bauch ausbreitet, und als sie sich an den großen Esstisch in der Küche setzt, sind die Krämpfe vergangen, die sie so sehr gequält haben die letzten beiden Male. Es wird ihr helfen, es leichter zu überstehen.

In der Küche herrscht große Aufregung, in zwei Tagen ist Sonnenwende, der Hausherr veranstaltet ein Fest zur Feier des längsten Tages. Seine jüngste Schwester hat sich angesagt, ihr erster Besuch, seit er ihr vor siebzehn Jahren ihr Kind aus den Armen gerissen und sie aus dem Haus gejagt hat. Er wird sie willkommen heißen als Gast, sie gehört nicht mehr zur Familie. Sie ist jetzt die Frau eines Ministers von Beth’nindra, und wenn sie hofft, das Kind zu sehen, wird sie enttäuscht werden. Es gibt kein Kind von ihr im Haushalt, nur noch eine Küchenmagd mit Narben an den Händen und im Gesicht, sie wird sie nur einmal zu sehen bekommen. Sie wird heute den Boden ihres Schlafzimmers reinigen, und das wird sie auch in den nächsten sechs Tagen jeden Morgen tun. In einem verschlissenen blauen Kleid, aber mit einem hübschen Tuch um den Kopf und einem gelbroten geflochtenen Band um den Hals, ein kleines geschnitztes Holzpferd baumelt daran. Sie werden sich begegnen auf dem Flur, Mirini wird das Tuch über ihr Gesicht ziehen und sich scheu mit gesenktem Kopf an die Wand drücken. Die jüngste Schwester des Heermeisters wird scharf die Luft einziehen, und noch zur gleichen Stunde wird sich ein Bote auf den Weg über den See zum Haus des Barar von Beth’kalar machen. Dort wird ein Pferd für ihn bereitstehen, und er wird es fast zuschanden reiten auf dem Weg zur Feste des Thain. Ein kleines geschnitztes Holzpferd, mit einer Öse auf dem Rücken, damit man ein geflochtenes gelbrotes Band hindurchziehen kann, sie hat es gesehen am Hals einer Dienstmagd im Haus des Heermeisters. Die Frau mit den grünen Augen ist gefunden. Der Plan des Yen-Meisters ist aufgegangen.

Tenaro hat lange gebraucht, um sich von der Folter zu erholen, er ist immer noch nicht ganz gesund. Leider ist nicht das eingetreten, was die Ärzte sich erhofft haben, das Fieber ist gesunken nach drei Tagen, aber zwei Tage später ist es zurückgekommen. Schlimmer als zuvor, es hat gewütet in ihm, sie haben die Naht an seinem Stumpf öffnen müssen, damit der Eiter abfließt, und der Arzt, der verantwortlich ist für die Gesundheit der Prinzen, hat mit dem Thain gesprochen. Das Schwert, das die Hand vom Arm getrennt hat, ist mitten durch das Gelenk gegangen, viele der kleinen Knochen, die das Handgelenk eines Menschen bilden, sind zersplittert, die stümperhafte Versorgung durch den Heiler des Heermeisters hat die Splitter nur noch tiefer ins Fleisch getrieben. Sie haben bei der letzten Operation viele entfernt, aber sie sind vorsichtig gewesen, sie haben so viel wie möglich vom unteren Arm des Prinzen erhalten wollen. Es hat nicht geholfen, der Stumpf ist wieder entflammt. Aber es bringt nichts, jetzt wieder ein Stückchen abzuschneiden, und in einem Drittteil vielleicht wieder, es wird ihn mehr schwächen von Mal zu Mal, irgendwann wird er es nicht mehr aushalten. Lieber jetzt einmal einen glatten Schnitt, der sich gut versorgen lässt und sauber abheilt. Tenaros Vater hat nur gefragt wo, und er hat schaudernd die Augen geschlossen, als der Arzt es ihm gezeigt hat. Er hat nur genickt, mit zusammengebissenen Zähnen, er hat es nicht aussprechen können. Der Arzt hat sich verbeugt und ist gegangen, und ein Drittteil später hat Tenaros Vater am Bett seines Sohnes gesessen und lächelnd in seine wachen Augen geschaut. Noch ein wenig verhangen, er hat Schmerzen, aber die Ärzte haben beschlossen, die Medizin, mit der sie ihn ruhig gehalten haben, nach und nach abzusetzen. Der Körper verlangt nach ihr, wenn man sie zu lange nimmt, und es bringt nichts, das Leben des Prinzen zu retten, nur damit er danach nach einer Medizin giert, die ihn früher oder später umbringen wird. Die Schmerzen sind jetzt erträglich, und sie werden weniger werden mit jedem Tag, den Melak werden lässt.

Und er erträgt sie tapfer, er kann sogar schon wieder ein wenig schief grinsen, als er seinem Vater erzählt, wie er in seine missliche Lage geraten ist. Vom Pferd gefallen, das ist ihm nicht mehr passiert, seit er vier ist, auch damals hat er sich einen Knochen im unteren Arm gebrochen. Der Stallmeister hat das Tier abtun wollen, ein Pferd, das einen Prinzen fallen lässt, verdient das Leben nicht, aber Tenaro hat darauf beharrt, es war sein Fehler. Was kann denn das arme Pferd dafür, wenn er zu dumm ist, im Sattel zu bleiben? Und zwei Drittteile später, an seinem fünften Geburtsfest, ist er auf ihm mitgeritten in dem Rennen zu seinen Ehren. Sie haben nicht gewonnen, dafür hat sein Arm zu sehr geschmerzt, aber sie sind noch lange Freunde geblieben. Und runtergefallen ist er danach nicht wieder. Das Pferd, von dem er diesmal gefallen ist, war eine junge Stute aus dem Stall der Kuriere des Thain. Tenaro leistet seinen Pflichtdienst bei ihnen ab, so halten es die Prinzen von Beth‘anu schon seit Generationen. Der Thain unterhält ein stehendes Heer, die Männer, die ihm angehören, verpflichten sich auf Lebenszeit. Nicht so die Prinzen, sie treten ein mit sechzehn, dienen die drei Jahre, die der Pflichtdienst dauert, an ihrem neunzehnten Geburtsfest werden sie ehrenhaft entlassen. In dieser Zeit haben sie kennen-gelernt, was es heißt, ein Soldat in der Armee des Thain zu sein, es lehrt sie, ihnen ein besserer Kommandierender zu sein. Und sie entsprechen damit dem Leitspruch, der rund um das Siegel mit den drei Sternen im Ring auf das rechte Schulterblatt des Sa’Rimar eingeritzt wird und gefärbt mit blauer Tinte, wenn er noch kaum der Windel entwachsen ist. Praesis ut Prosis Non ut Imperes. Sei Erster um zu dienen, nicht um zu herrschen. Ein Thain von Beth’anu dient seinem Volk, das macht ihn zu einem guten und gerechten Herrscher.

Die Stute hat noch kein Schlachtengetümmel erlebt, sie hat gescheut, als die beiden Männer plötzlich laut brüllend aus dem Schilf am Seeufer gesprungen sind. Es war auch sein Fehler, er hat sich ablenken lassen von der Vorfreude darauf, Metú wiederzusehen. Das Pferd ist gestiegen, er ist gefallen und hat versucht, sich mit der Hand abzustützen, dabei hat es ihnen Kan’to, der Meister, der sie eine Kampfkunst ohne Waffen aus einem Land fern im Osten gelehrt hat, als Erstes eingebläut. Wenn man fällt, egal wie, abrollen, nicht aufstützen. Fertig geworden ist er mit den beiden Männern auch mit einer Hand, die Platzwunde in der Augenbraue stammt von dem Sturz, der Schnitt auf seiner Wange von dem Schwert des zweiten Angreifers. Er hat mit einem Stich in die Brust dafür bezahlt, aber plötzlich hat der Reitertrupp aus Beth’narn vor ihm gestanden. Sechzehn Krieger und fünf der riesigen Hunde, und als er sein Schwert hat ziehen und es zum Zeichen seiner Kapitulation vor sich legen wollen, hat ihn der größte davon angesprungen und seine Hand zermalmt. Vieles von dem, was danach passiert ist, ist verschwommen, er kann sich kaum an den Weg erinnern, aber es ist nicht weit gewesen, sie sind noch am Abend des gleichen Tages vor dem Tor eines Hauses angekommen. Da hat er sie das erste Mal stehen sehen.

Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, in einem schlichten gelben Kleid. Sie hat sehr dunkles Haar gehabt, fast schwarz, es war in Flechten wie eine Krone um ihren Kopf gelegt, ein paar Löckchen haben sich um ihre Stirn und ihre Wangen gekringelt. Und sie hat Augen gehabt in der Farbe des Steins, aus dem die Statue geschnitten ist, die zuhause auf seiner Truhe steht. Jadin, so nennt der Yen-Meister den Stein, und ihre jadingrünen Augen haben sehr traurig auf den Körper des jungen Mannes geblickt, der tot über dem Sattel seines Pferdes gelegen hat. Dann hat sie ihn angeblickt, nur für einen Moment, und er hat gemeint, er kennt sie, er weiß, wer sie ist. Sie haben ihn weitergezerrt und an den Block gekettet, sie ist gekommen und hat ihm Wasser gebracht. Er hat ihr in die Augen gesehen und sie bei dem Namen genannt, der ihm durch den Kopf gegangen ist, Deneri, aber sie hat nicht reagiert darauf, und er kennt keine Deneri, er kann sich nicht erinnern, je eine gekannt zu haben. Es ist kein Name, der in Beth’anu geläufig ist. Sein Vater weiß, woher er ihn kennt, er wird es ihm auch sagen. Aber nicht jetzt, erst später, wenn es seinem Erstgeborenen wieder gutgeht. Jetzt muss er wieder schlafen, in ein paar Tagen werden sie ihn zurückbringen in die Zimmerflucht des Sa’Rimar in der Feste des Thain. Dann ist immer noch Zeit genug dafür.

Aber er teilt Tenaros Sorge um das Wohlergehen der jungen Frau, sie hat ihm geholfen. Der Heermeister von Beth’narn ist als kalter, oft unbeherrschter Mann bekannt, wenn er herausfindet, dass sie ihm die Flucht ermöglicht, ihm sogar ihr eigenes Pferd überlassen hat, wird er sie bestrafen. Und er straft hart, er erinnert sich noch an die junge Frau, die eine Zeitlang im Haus des Barar von Beth’kalar gelebt hat. Sie war die jüngste Schwester des Heermeisters, reisende Händler haben sie in der nördlichen Sandwüste in der Nähe eine Oase gefunden, verzweifelt, krank und halb verdurstet. Er hat ihr das Kind von der Brust gerissen, kaum dass es geboren war, und sie aus dem Haus gejagt, weil sie sich geweigert hat, ihm den Namen des Vaters zu nennen. Später hat sie geheiratet, den Sohn eines Ministers des Mar’thain von Beth’nindra, sie sind sich in Beth’kalar begegnet. Sie ist mit ihm glücklich geworden. Und sie ist die Deneri, an die Tenaro sich nicht erinnert, er war erst zwei, als er sie gekannt hat. Und wenn es stimmt, was er sagt, dann ist die junge Frau, die seinen Sohn vor dem sicheren Tod bewahrt hat, das Kind, das der Heermeister ihr aus den Armen gerissen hat. Aber in seinem Haushalt gibt es keine junge Frau mehr mit dunklen Haaren und jadingrünen Augen.

Der Thain wäre ein schlechter Herrscher, wenn er sich nicht die Möglichkeit verschafft zu erfahren, ob von dem Land, das sein Thainan schon zweimal angegriffen hat, eine Gefahr ausgeht. Auch Tenaros Vater hat seine Spione, und er bezahlt sie gut. Nicht in Beth’nindra, seine Frau ist die Schwester des regierenden Mar’thain, die beiden Länder unterhalten wie die Familien freundschaftliche Beziehungen. Sie besuchen sich gegenseitig, es gibt wenig, was dem anderen verborgen bleibt. Aber in Beth’narn sogar zwei, sie wissen nicht einmal voneinander. Sie waren dieses Mal gewarnt, als die Armee von Beth’narn einmarschiert ist, der Thain hat seine Armee gegen sie gestellt, sie waren ihnen drei zu eins überlegen. Aber der Heermeister von Beth’narn hat nicht nachgegeben, er hat seine Männer gegen sie geschickt, es war keine Schlacht, es ist ein Gemetzel gewesen. Wenige sind dem Heermeister gefolgt, als er endlich genug gehabt und den Rückzug angetreten hat. Es hat Tote gegeben auf beiden Seiten, die grausamen Bestien an der Seite der Männer von Beth’narn haben ihren Tribut gefordert, und sie scheinen neun Leben zu haben wie eine Katze. Sie haben auch wieder genug Verwundete in den blauweißen Umhängen von Beth’narn vom Feld getragen, sie lassen sie einfach liegen. Der Thain von Beth’anu hat ein paar dankbare Untertanen mehr.

Aber die Nachrichten, die den Thain erreichen, klingen nicht gut. Der Fürst von Beth’narn gibt seine Pläne nicht auf, er ist nach wie vor der Meinung, dass Beth’kalar an ihn hätte zurückfallen sollen, als der letzte Barar vor dreißig Jahren ohne Erben gestorben ist. Er wird es noch einmal versuchen früher oder später. Und ja, es hat eine junge Frau mit grünen Augen gegeben im Haushalt des Heermeisters, er hat sie sein Schwesterkind genannt. Dunkelhaarig, schlank, ein bezauberndes junges Mädchen, liebreizend und sanftmütig. Aber sie war nicht mehr anzutreffen bei seinem letzten Besuch, er hat vorsichtig nach ihr gefragt, die Hausherrin hat ihm erzählt, sie lebt nicht mehr hier, sie ist zu Besuch bei der Familie ihres Vaters. Und es wird ein langer Besuch werden.

Wo die angebliche Familie ihres Vaters wohnt, bekommt er nicht heraus, aber so schnell gibt er nicht auf. Und es gibt andere Möglichkeiten, er muss nicht die Hausherrin fragen. Dienstboten tratschen gern, wenn sie sich auf dem Markt beim Einkaufen treffen, der Liebhaber der Köchin steht in seinen Diensten, Händler, die Waren und Lebensmittel ins Haus des Heermeisters bringen, sehen und hören viel. Nach und nach wird klar, was sich wirklich abgespielt hat im Haushalt des Heermeisters. Sein Schwesterkind ist gar nicht verreist, es weiß doch niemand, wer ihr Vater ist. Sie ist nur kein Kind des Haushalts mehr, die Hausherrin lässt sie jetzt als Dienstmagd ihr Brot verdienen. Und so hübsch wie früher ist sie nicht mehr nach den Prügeln, die sie bezogen hat. Die Köchin findet es ungerecht, sie spricht darüber mit ihrem Liebhaber, es ist doch nie bewiesen worden, dass sie es war, die dem jungen Mann zur Flucht verholfen hat. Es muss jemand aus dem Haushalt gewesen sein, sonst hätte der Hund angeschlagen, die Stute ist nicht wie die Schlachtrösser der Männer, sie folgt jedem, der sie am Zügel führt, und die jüngste Tochter hat Mirini nie leiden können, sie ist nicht so hübsch wie sie. Wer weiß, wen oder was sie wirklich gesehen hat in der Nacht. Er hat sie nur auf den Verdacht hin so zugerichtet, aber sie ist ja selbst daran schuld, warum hat sie den Mund nicht aufgetan? Der ganze Haushalt ist drittteilelang in Aufruhr gewesen, langsam kehrt wieder Ruhe ein, und so schlecht scheint es ihr ja nicht zu gehen in ihrer Hütte mit dem Loch in der Mauer als Fenster.

Mirini. Tenaros Vater fragt ihn, ob er sich an den Namen erinnert, er hat ihm erzählt, dass der Sohn des Heermeisters sie geschlagen und beschimpft hat. Hat er sie da bei diesem Namen genannt? Aber Tenaro kann sich nicht erinnern. Es ist ihm schlecht gegangen, das Wasser, das ihm die junge Frau gebracht hat, hat kaum einmal gereicht, seinen Durst zu stillen, er hat Hunger gehabt, Fieber, Schmerzen, er hat sich immer öfter zurückgezogen auf die Suche nach seinem Yen’gi. Gefunden hat er es, als er gespürt hat, wie seine Hand von seinem Arm getrennt wird, danach erinnert er sich kaum an etwas. Er hat auf einer dreieckigen Wiese gesessen, in der Mitte zwischen drei stehenden Steinen, es ist dort ruhig und friedlich gewesen. Er hat sich leicht gefühlt, frei, er hat keine Schmerzen gehabt, keine Angst, er hat dort verweilen wollen für immer. Manchmal hat er das Gefühl gehabt, dass er nicht allein ist, dass jemand bei ihm ist, aber er hat nie eine andere Person gesehen, wenn er die Augen geöffnet hat. Er kann sich nicht einmal daran erinnern, ob er mit der jungen Frau gesprochen, ob er ihr gedankt hat für seine Rettung, sie setzt so viel aufs Spiel für ihn. Erst als er am See bei den drei roten Pfählen Metús entsetztes Aufkeuchen gehört hat, hat er wieder zurückgefunden, aber da ist er schon viel zu krank gewesen. Nein, er kann sich nicht erinnern an ihren Namen. Nur an ihre wunderschönen, warmen, jadingrünen Augen.

Er sitzt mit Metú auf dem Balkon seines Wohnzimmers in der Feste des Thain, als die Nachricht eintrifft, dass eine junge Frau gesehen worden ist, die das kleine geschnitzte Holzpferd an einem gelbroten geflochtenen Band um den Hals trägt. Er genießt die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht, seine Räume liegen nach Westen, es ist das warme weiche Licht des Nachmittags, das ihn umgibt. Es geht ihm viel besser, ganz gesund ist er noch nicht, und seine Mutter hat Recht behalten, er hat sich verändert. Er ist nicht mehr der draufgängerische Achtzehnjährige, der mit einem frechen Grinsen im Gesicht am Morgentisch erscheint, über seine Schwestern lacht, wenn sie sich wieder einmal lustig machen über die jungen Männer, die um sie herumschwirren wie die kleinen buntschillernden Vögel mit den langen Schnäbeln um die Blüten der Kletterpflanzen an den Balkonen. Sie aufzieht, dabei sind sie hässlich wie eine Erdechse, er schließt bei ihrem Anblick entsetzt die Augen. Seine Mutter hat ihn ausgeschimpft, sein Vater gelacht, so behandelt man junge Damen aber nicht, mein Sohn. Sie haben ihn beworfen mit kleinen Broten, er hat gute Reflexe, er hat sie gefangen. Und sich verneigt vor ihnen, das reicht jetzt für sein Morgenmahl, vielen Dank, ihr Lieben. Dann haben sie gemeinsam gelacht, zusammen gegessen und er ist gegangen, um seinen Dienst anzutreten. Er leistet ihn in der Garnison der Feste ab, das gibt ihm die Möglichkeit, ab und zu mit seiner Familie zu essen, ein wenig Bevorzugung wird dem Sa’Rimar zugestanden.

Aber was in Beth’narn geschehen ist, hat ihn verändert. Er ist ruhiger, ernster, sein Lachen nicht mehr so spontan, sein Lächeln kommt zögerlicher. Seine äußerlichen Wunden sind verheilt, die Narben in seinem Gesicht kaum zu sehen, er kann wieder auf dem Rücken schlafen, sein rechtes Handgelenk ist schon wieder fast so beweglich wie vor dem Bruch. Der Stumpf an seinem linken Arm ist verheilt, er trägt jetzt einen Verband und eine Kappe daran. Aus Bronze mit einer Auflage aus Gold, mit einem Scharnier, um das Anlegen zu erleichtern, mit den neumodischen Schnallen, und er kann sie schließen mit einer Hand. Nicht mehr lange, dann wird er auch wieder eine linke Hand haben, sogar mit beweglichen Fingern, der Goldschmied seines Vaters hat sich lange Gedanken darum gemacht. Eine massive Hand aus Gold ist zu schwer, und es ist zu weich, um daraus stabile Röhren zu formen. Also Bronze, mit einer Auflage aus Gold, aber es scheuert sich zu schnell ab an den Scharnieren der Finger. Also nur Bronze, und dann einen Handschuh aus dünnem Stoff darüber, gewebt aus hauchfein gesponnenen Goldfäden. Aber das Gewebe ist zu steif, die Finger lassen sich nicht biegen. Er versucht sich jetzt an einer Mischung, der Meister, der die Prinzen den Kampf ohne Waffen lehrt, hat ihn darauf gebracht. In dem Land, aus dem er stammt, steht es nur der höchsten Familie zu, sich mit Gold zu schmücken, aber es gibt ein Metall, das hart ist und wie Gold glänzt, wenn man es poliert. Wie Zinn, das silbern glänzt, wenn man es mit einer Paste aus Wasser und einem Pulver aus weichem weißem Stein scheuert, aber es ist eine Mischung, es enthält Kupfer und ein weiteres Metall. Im richtigen Verhältnis ergibt es ein goldfarbenes Metall, sie nennen es Mes’in, aber er ist sich der Zusammensetzung nicht sicher. Er hat schon Nachricht gesandt in seine Heimat mit der Bitte, ihm die Rezeptur zu senden, aber der Weg ist weit und führt durch zwei hohe Gebirgszüge. Drat’kalar, der Wassergeber, der im Osten von Beth’anu liegt und seine Grenze bildet. Danach folgen Meilen um Meilen, Tagesritt um Tagesritt Steppen, Grasebenen und Wüsten, bis man auf die Mauer um die Welt, Betain’it’Dromar, stößt. Hoch, mit schneebedeckten Gipfeln und schroffen Hängen, kaum zu überwinden, es gibt nur zwei Pässe, und man kann sie nur in der warmen Jahreszeit übersteigen. Es wird noch Monde dauern, bis der Bote zurückkommt, solange will der Goldschmied nicht warten. Kupfer hat er genug, auch andere, seltenere Erze, sie werden in den Hängen des Drat’kalar gefunden, und er hat die Unterstützung des Alchemisten des Thain. Sie kommen der Sache langsam näher.

Es sind die inneren Wunden, die ihm der erzwungene Aufenthalt im Hof des Heermeisters zugefügt hat, an denen er krankt. Er leidet unter Albträumen, Metú schläft auf einer Liege in seinem Zimmer, damit er ihn beruhigen kann, wenn er wimmernd und nass von Schweiß aufwacht mitten in der Nacht. Dann hat er wieder am Ufer des Sees gestanden mit seiner Hand zwischen den Fängen des Hundes, auf dem Kopfsteinpflaster im Hof des Hauses gelegen und den Biss der Klinge gespürt, das Zischen der Knute in seinem Rücken gehört. Und er schafft es nicht mehr, sein Yen’gi zu finden. Er sehnt sich zurück in die Stille und den Frieden der dreieckigen Wiese mit den drei stehenden Steinen, aber der Yen-Meister hat ihm gesagt, dass er es nicht erzwingen kann. In Beth’narn sind es der Schmerz und die Erkenntnis über das Schreckliche gewesen, das ihm angetan wird, die ihn dorthin gebracht haben. Er meditiert oft mit ihm, er lehrt Tenaro, die Erinnerung daran zu unterdrücken, aber er wird noch eine lange Zeit brauchen, bis er es überwunden hat. Und der Sa‘Rimar ist in tiefer Sorge um die junge Frau, die ihm geholfen hat.

Er erfährt nicht alle Nachrichten, die aus Beth’narn eintreffen, es sind der Thain und der Yen-Meister, die darüber beratschlagen, Tenaros Vater schätzt die Weisheit und den Rat des alten Mannes. Es wird mit jedem eintreffenden Boten deutlicher, der Heermeister verdächtigt sein Schwesterkind, ihn hintergangen, den jungen Mann befreit zu haben. Und wenn wahr ist, was der Liebhaber der Köchin berichtet hat, wird sie jetzt wie eine Dienstmagd behandelt und haust in einer kleinen Hütte mit einem Loch in der Mauer als Fenster, das auf die Gasse dahinter führt. Dann wird es schwierig werden, an sie heranzukommen, Dienstboten dürfen nicht ohne Auftrag aus dem Haus, sie verlässt es nur, um am Ufer des Sees Binsen zu schneiden. Und sie wird bewacht dabei, ein Wachposten des Hauses steht neben ihr, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommt, die scharfen Zähne der großen Echsen ihr nicht verlockender erscheinen als das Leben, das sie führt. Metú schlägt vor, es auf seine Weise zu lösen, dem Wachposten eins auf die Kappe, ihr einen Sack über den Kopf, ein Boot liegt bereit, die Fahrt über den See dauert nicht lange. Der Thain lacht, das wäre die einfachste Lösung, aber nicht am helllichten Tag. Es wird immer jemand in der Nähe sein, der Zeter und Mordio schreit, und sie wissen ja nicht einmal sicher, ob die junge Frau, die ein Tuch um den Kopf geschlungen hat und auch ihr Gesicht damit verbirgt, wirklich die ist, die sie suchen. Es kann mehr als eine junge Frau mit dunklen Haaren und grünen Augen geben, sie können nicht jede entführen, es weiß doch niemand, wie sie aussieht. Metú hat manchmal ein Mädchen mit dunklen Haaren gesehen, wenn er als Diener mit dem Verwandten des Thain im Haus des Heermeisters gewesen ist, aber er hat kaum einmal in ihr Gesicht gesehen, er würde sie nicht wiedererkennen. Tenaro ist der Einzige, der ihr Gesicht kennt, und ihn werden sie um nichts in der Welt noch einmal nach Beth’narn lassen.

Sie lassen die Gasse auskundschaften, das Loch in der Mauer ist schnell gefunden. Mit einer Klappe, die sich nach außen aufstellen lässt, um wenigstens ein wenig frische Luft in die kleine Hütte zu lassen, aber es ist nicht groß genug, um jemanden hindurchzuziehen, mag er auch noch so klein und mager sein. Und sie müssen sicher sein, dass die Person, die sie mitnehmen, wirklich die ist, für die sie gehalten wird. Sie muss herausgelockt werden aus dem Haus des Heermeisters, am besten spät am Abend, und sie muss ein Zeichen tragen. Aber wie sollen sie es bewerkstelligen? Der Yen-Meister schmiedet einen Plan.

Metú wird zurückkehren in das Haus des Mannes, der die Nachrichten einsammelt in Beth’narn, er ist bekannt dort als sein Diener. Sie können sie nicht herausbringen durch das Loch in der Mauer, aber sie können etwas hineinbringen zu ihr. Körbe geflochten aus Binsen in einem Muster, das sie nicht kennt, gebunden mit Bändern in dem Gelb und Rot der Überwürfe von Beth‘anu, sie wird es an Tenaro gesehen haben. Kleine Gaben, die ihr das Leben erleichtern, süßes Brot, Salbe für Hände und Gesicht, ein Armreif, mit dem sie auf dem Markt ihr karges Mahl aufbessern kann. Einen Zettel, wenn sie ein Kind des Haushalts war, wird sie lesen können, mit der Bitte um ein Treffen am Ufer des Sees bei den drei roten Pfählen. Ein feines Tuch, damit sie nicht mehr das raue Linnen tragen muss, Medizin, sie ist eine Frau, sie wird die Schmerzen spüren einmal im Mond. Und ein kleines geschnitztes Holzpferd mit einer Öse auf dem Rücken. Wenn sie die ist, für die sie sie halten, wird sie verstehen, was sie damit sagen wollen, sie wird sich erinnern an die Farben, und vielleicht, nur vielleicht wird sie das gelbrote Band durch die Öse ziehen und es wie ein Schmuckstück tragen zur Erinnerung an eine kleine Stute aus Beth‘nindra, die sie weggegeben hat, um einen jungen Mann zu retten, und die der Heermeister später tot in der Wüste gefunden hat. Und wenn sie es tut, wenn sie damit auftaucht am Ufer des Sees, dann schlägt deine Stunde, Metú. Dem Wachposten eins auf die Kappe, ihr einen Sack über den Kopf, ein Boot wird bereitliegen. Lass sie Zeter und Mordio schreien, nicht einmal der Heermeister von Beth’narn wird einen Krieg vom Zaun brechen wegen einer Dienstmagd. Auch nicht, wenn sie eigentlich sein Schwesterkind ist. Aber Metú wartet vergebens.

Und dann ist es ausgerechnet Deneri, ihre eigene Mutter, die sie damit sieht am vierten Tag ihres Aufenthalts im Haus des Heermeisters. Sie erkennt sie nicht, sie kann sie nicht erkennen, sie hat ja damals vor siebzehn Jahren kaum einen Blick werfen können auf das Kind, das sie geboren hat, noch nicht einmal sicher erkannt, ob es ein Mädchen oder ein Junge war. Und als der Heermeister ihr zwei Tage später einen Beutel mit kupfernen Plättchen vor die Füße geworfen und sie mit der Hundepeitsche aus dem Tor getrieben hat, hat sie nicht gewusst, ob es noch lebt. Sie sieht auch nicht viel von ihr, nur die Hand, die das Tuch vor ihr Gesicht zieht. Eine kleine Hand, gerötet und rau, bedeckt mit Narben und kaum verheilten Schnitten. Die Hand einer Dienstmagd, die hart arbeitet für ihr kärgliches Auskommen. Und sie drückt sich ängstlich an die Wand, als sie ihr begegnet am Morgen, als ob sie sich davor fürchtet, geschlagen oder aus dem Weg gestoßen zu werden. Das Kleid, das sie trägt, ist einmal blau gewesen, jetzt ist es verschlissen und fadenscheinig, und oft geflickt. Sie trägt keine Schuhe, sie wendet den Kopf ab, aber sie trägt ein gelbrotes Band um den Hals, an dem ein kleines geschnitztes Holzpferd baumelt. Nach dem Ausschau zu halten sie die Thaini von Beth’anu in einem Brief gebeten hat, als sie ihr geschrieben hat, dass sie zur Feier der Sonnenwende im Haus des Heermeisters von Beth’narn weilt, ihr Mann ist von ihm eingeladen worden. Die beiden Frauen kennen sich seit der Zeit, die Deneri im Haus von Beth’kalar verbracht hat. Sie hat oft dort gesessen mit dem kleinen Tenaro auf dem Schoß und geweint um ihr Kind, dann hat sie ihren Mann kennen und lieben gelernt und ist ihm nach Beth’nindra gefolgt, sie hat ihm Kinder geboren. Ist eine ehrwürdige Matrone geworden über die Jahre, Tenaro hat sie nicht erkannt, als er sie später noch einmal gesehen hat. Mit sechzehn, er hatte gerade seinen Dienst in der Armee des Thain angetreten, er hat in der Ehrengarde Spalier gestanden, als der Mar’thain von Beth’nindra mit seinen Ministern den Thain besucht hat. Stillgestanden und die Augen geradeaus, er hat nur etwas Rundes in einem grünen Kleid in die Arme seiner Mutter sinken sehen. Er hat es nicht in Verbindung gebracht mit der jungen Frau, die ihn vor vierzehn Jahren so oft in den Armen gehalten hat.

Der Plan des Yen-Meisters ist aufgegangen, jeder in Beth’narn, der in Diensten des Thain von Beth’anu steht, weiß jetzt, woran er die junge Frau erkennt. Aber sie kommen nicht an sie heran, sie verlässt das Haus nicht mehr. Geht nicht auf den Markt, schneidet keine Binsen mehr am See, der Korb, den Metú am fünften Tag ins Fenster stellt, steht am nächsten Morgen noch unberührt. Und sie sind entsetzt, als sie hören, was der Liebhaber der Köchin berichtet. Die junge Frau ist verschwunden. Die Köchin hat es ihm erzählt, sie ist am Abend in ihre Hütte gegangen und am nächsten Morgen nicht zu ihrem Tagewerk erschienen. Sie haben nachgesehen, sie war nicht zu finden. In der kleinen Hütte scheint es einen Kampf gegeben zu haben, das Bett war zertrümmert, der kleine Tisch zerschlagen und an dem wackeligen dreibeinigen Schemel haben sie Blut gefunden. Und am Türrahmen einen blutigen Handabdruck, die Köchin und der Hundemeister sind entsetzt zum Heermeister gelaufen und haben ihm berichtet davon, jemand hat Miri... die Dienstmagd aus der Hütte verschleppt. Der hat nur gelacht und nach seinem Morgenmahl verlangt. Nach ihr suchen lassen hat er nicht, nach dem Essen hat er sein Pferd satteln lassen und ist mit seinem ältesten Sohn aufgebrochen zum Haus des Fürsten, bald findet eine Ratssitzung statt. Es scheint niemanden zu kümmern, wo sie geblieben ist, es ist, als ob es sie nie gegeben hat, die junge Frau mit den dunklen Haaren und den jadingrünen Augen, die einmal das Schwesterkind des Heermeisters gewesen ist.

Und es scheint, dass der See sie verschlungen hat, es gibt kein Geflüster über sie auf dem Markt, die Köchin hat nichts mehr über sie zu berichten, am Seeufer schneidet keine Frau mehr Binsen und trägt dabei ein Tuch um Kopf und Gesicht geschlungen. Metú kehrt in die Feste des Thain zurück, er nimmt seinen Platz vor Tenaro wieder ein. Er ist sein Beschützer seit seiner Geburt, als er den kleinen Prinzen das erste Mal gesehen hat, war er einen Tag alt, und er ein Junge von 14 Jahren. In den Augen der Mek’tain ein Mann, und groß für sein Alter. Er hat ihn aufwachsen sehen, sein erstes Lächeln, seine ersten Schritte, seine ersten Worte. Auf seinem Schoß hat er gesessen, als die Ärzte an seinem dritten Geburtsfest das Siegel des Thain mit blauer Tinte in die Haut über seinem rechten Schulterblatt geritzt haben, er hat nicht viel gespürt davon, sie haben die Haut mit einer Paste aus Pflanzen betäubt. Von da an ist er mehr gewesen als ein kleiner Junge, er ist der Sa’Rimar von Beth’anu geworden.

Sie haben zusammen reiten gelernt, schwimmen in dem kleinen Fluss, der an den Hängen des Drat’kalar entspringt, sich an der Feste vorbei durch das Land schlängelt und nicht weit vom Haus des Barar in Beth’kalar in den See mündet. Lesen und schreiben, Metú hat die Unterrichtsstunden tapfer ertragen. Es liegt ihm nicht, er ist kein Gelehrter, aber er kann es. Immer noch in einer steilen, fast kindlichen Handschrift, er hat den Zettel geschrieben, den Mirini in ihrem dritten Korb bei dem Tuch aus Strauchwolle gefunden hat. Sie ist nicht gekommen, aber es war den Versuch wert. Er hat vieles nicht verstanden von dem, was Tenaro hat lernen müssen, aber er hat es eingesehen, er muss es wissen, er wird einmal der Thain sein. Die Kampfkunst ohne Waffen und die Übungen mit dem Schwert haben ihm besser gelegen, er kann ein Schwert wie Tenaro mit beiden Händen führen, er kämpft auch am liebsten beidhändig. Er ist groß, hat eine enorme Reichweite, er ist ein gefürchteter Gegner. In der Schlacht vor zehn Jahren hat er an der Seite des Thain gekämpft und vier der großen Bestien erschlagen, die mit den Kriegern von Beth’narn in den Kampf ziehen. Er ist verwundet worden damals, er ist kein schöner Mann. Eine Narbe zieht sich über sein Gesicht, auf der linken Seite vom Haaransatz über das Auge bis in den Mundwinkel, er hebt sich nicht, wenn er lächelt oder lacht. Das tut er viel und gern, nicht einmal die kleinsten Kinder in Beth’anu, in der Feste des Thain, in dem Dorf vor ihren Mauern fürchten ihn. Er mag grimmig aussehen, aber er ist ein sanftmütiger Mann. Gegenüber jedem, der ihm wohlgesonnen entgegentritt, wie er mit den Feinden des Thain oder seines geliebten Prinzen umgeht, steht nicht auf diesem Blatt geschrieben.

Als Tenaro mit sechzehn seinen Dienst angetreten hat in der Armee, hat der Thain Metú nach Beth’narn geschickt, in das Haus des Mannes, der ihn mit Nachrichten versorgt. Er ist ein entfernter Verwandter des Thain, er hat sich vor zehn Jahren als Früchtehändler dort niedergelassen, nach dem ersten Überfall auf Beth’kalar. Ist ein großzügiger Gastgeber gewesen, hat sich Freunde gemacht, er hört und sieht viel. Er hat Metú als angeblichen Diener in sein Haus aufgenommen, in Wahrheit war er es, der für ihn Nachrichten über den See gebracht hat. Nur während der zweiten Schlacht hat er ihn nicht schicken können, Metú ist eine auffällige Gestalt, er hat Nachricht geschickt und um einen zuverlässigen Kurier gebeten, es gibt etwas, dass der Thain dringend erfahren muss, es sind Schriftstücke zu überbringen. Dass Tenaro an diesem Tag der einzig verfügbare Kurier war, war einfach Zufall, dass er in die Hände des Heermeisters gefallen ist, Schicksal. Wenn er nicht auf die beiden Soldaten am Seeufer getroffen wäre, er hätte sein Ziel längst erreicht an dem Tag, nicht in seinem gelbroten Überwurf, sondern in der Kleidung eines einfachen Landmanns. Er hätte schon sicher mit Metú im Haus des Mannes gesessen, der nach dem Kurier geschickt hat. Und er hat noch Glück im Unglück gehabt, weil der Heermeister die Zeichen auf seinem rechten Schulterblatt nicht erkannt hat, die ihn als Sa’Rimar von Beth’anu ausweisen, kaum jemand kennt sie, sie werden geheim gehalten. Er hätte nicht lange gefackelt, ihn eigenhändig getötet, ohne Gnade, wenn er gewusst hätte, wen er vor sich hat.


Daikims Sterne

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