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Kapitel 4
ОглавлениеDer Bote, den der Meister in seine Heimat geschickt hat, ist fast ein Jahr unterwegs gewesen, und mitgebracht hat er nicht nur das Geheimnis, wie man Mes’in herstellt. Er hat auch eine neue Waffe im Gepäck, der Waffenmeister des Thain hat sie angeschaut und verächtlich geschnaubt. Draq’ir’lai, eine Waffe ohne Ehre, sie tötet aus der Entfernung. Wie ein kleiner Bogen mit einem Handgriff, er wird mit einer Kurbel gespannt, und die Pfeile sind nicht lang und dünn, es sind kurze dicke Bolzen mit einer gefährlich aussehenden dreischneidigen Spitze aus Eisen. Nicht mit der Reichweite eines Bogens, aber mit tödlicher Durchschlagskraft, sie durchdringt sogar einen dicken Lederpanzer, als Tenaro sie einmal erprobt auf dem Waffenhof der Garnison. Er kann sie handhaben, hält sie in seiner goldenen linken, spannt sie mit seiner rechten Hand. Der Bolzen durchschlägt den Panzer und dringt tief in den Pfahl ein, über den sie ihn gehängt haben, so tief, dass er kaum wieder herausgezogen werden kann. Eine grausame Waffe, kein Krieger von Ehre wird sie einsetzen bei einem Kampf gegen einen Gegner. Sie kämpfen Mann gegen Mann, Schwert gegen Schwert, selbst Pfeil und Bogen sind auf dem Schlachtfeld verpönt. Die Soldaten aus der Armee von Beth’anu bezeichnen auch die großen Hunde aus Beth’narn als Draq’ir’lai, sie stellen sich dem Kampf nicht. Sie greifen hinterrücks an, schnappen nach Schwerthand und Kehle, nur darauf bedacht, zu verletzen und zu töten. Der Krieger an ihrer Seite hat dann leichtes Spiel, viele der Toten, die Beth’anu zu beklagen hatte nach der letzten Schlacht, sind auf diese Weise gestorben. Es ist eine Taktik, die aufgeht, aber die Krieger aus Beth’narn werden verachtet dafür. Die riesigen Bestien sind nicht leicht zu töten, sie sind schnell und weichen den Schwertern aus, die gegen sie geschwungen werden, und die leichten Pfeile, mit denen der Thain sie hat beschießen lassen, richten kaum etwas aus gegen sie. Und es ist zu gefährlich, die Gefahr, den eigenen Mann zu treffen, ist groß. Und unehrenhaft, einen Gegner auf diese Weise zu töten, aber vielleicht hat der Bote des Meisters ihnen jetzt endlich etwas in die Hand gegeben, das die Gefahr durch die Hunde aus Beth’narn bannt.
Sie versuchen es an einer Rotte der wilden schwarzen Schweine, die in den Wäldern an den Hängen des Drat’kalar leben. Sie finden genug Futter dort, aber manchmal bekommen sie Appetit auf feinere Kost. Dann fallen sie über die Felder her, die zu Füßen des Gebirges liegen, es ist wenig übrig, wenn ihr Hunger gestillt ist. Sie lassen sich leicht vertreiben, durch laute Geräusche, durch blinkende silberne Platten, wenn es nur die Weibchen mit ihren Jungen sind, aber manchmal, wenn große starke Keiler bei ihnen sind, gelingt es nicht. Es sind gefährliche Tiere mit mächtigen, fast kreisrund gebogenen Hauern, es hat schon Tote und Verwundete gegeben bei dem Versuch, sie zu vertreiben, sie greifen gern und schnell an. Und auch sie lassen sich nicht aufhalten mit den schlanken Pfeilen, die mit den leichten Bögen verschossen werden, die in fast jedem Haus der Dörfer zu finden sind, für die Jagd auf Hasen und die bunten Vögel, die nicht fliegen können und an den Feldrändern leben. Der Thain veranstaltet zweimal im Jahr Treibjagden auf sie, immer zu den Tag- und Nachtgleichen, wenn er seine Ratssitzungen abhält, sie jagen sie heraus aus den schützenden Wäldern und töten sie mit großen Sauspießen. Ihr Fleisch ist essbar, es wird dann gut geschmaust in den umliegenden Dörfern.
Tenaro und Metú sind oft mitgeritten auf diese Jagden, und der große Mek’ta hat seine eigene Art, die wilden schwarzen Schweine zu töten. Er stellt sich ihnen in den Weg, und wenn sie dann auf ihren kleinen, fast zierlichen Hufen wutentbrannt auf ihn zustürmen, dreht er sich im wirklich letzten Moment elegant auf die Seite und zieht ihnen seinen Dolch über die Kehle. Auch Tenaro hat einmal eins der schwarzen Biester so getötet, mit fünfzehn, es hat ihm einen silberverzierten gebogenen Hauer als Armreif und Schläge von Metú eingebracht. Dem hat nämlich fast das Herz gestockt, als er gesehen hat, wie sein kleiner Prinz ausrutscht und fast vor die Füße des wütenden Tieres fällt, seinen Dolch hat er trotzdem sicher ins Ziel gebracht. Der riesige Kadaver ist auf ihn gefallen, Metú hat ihn mit einer Hand zur Seite geschleudert und Tenaro auf sein Knie gerissen. Er hat ihn schon tot gesehen, schwer verwundet, aufgeschlitzt von den scharfen Hauern des Tieres. Und als er ihn angegrinst hat unter dem Schweineblut, das sein Gesicht besudelt, da hat er ihn darüber gezogen und mit der flachen Seite der Klinge seines Dolches verdroschen. Der Thain hat danebengestanden und gelacht, auch wenn Tenaro ein Sa’Rimar ist, manchmal hat er einfach Schläge verdient. Drei Tage später hat er ihm den silberbeschlagenen Hauer geschenkt, aber bitte, Sohn, tu es nicht noch einmal. Ihm hat nämlich auch fast das Herz gestockt, als er ihn hat fallen sehen. Er trägt ihn an diesem feuchten nebligen Morgen, zur Erinnerung daran, dass er sich nicht einzumischen hat in die Jagd. Metú hat es ihm angedroht, wenn er sich mit dem Dolch vor ein Schwein stellt, er zieht ihn wieder übers Knie. Er hat bitte schön nur hier am Waldrand auf Griud zu sitzen, der weiß, wie er ihn in Sicherheit bringt, wenn doch einmal eins der großen Biester durchbricht. Meinetwegen auch mit der gespannten Draq’ir’lai in der Hand, aber benutzen wird er sie nicht. Und dann rettet er Metú das Leben damit.
Griud steht entspannt am Waldrand, er knabbert an einem Busch, er lässt sich nicht stören von dem Tröten und Trommeln, dem Scheppern und Gebrüll, das aus dem Wald zu ihnen herausschallt. Doch plötzlich hebt er den Kopf, er stellt die Ohren auf, da kommt was. Und sie hören es auch schon, das leise Grunzen des Tieres, das Schnaufen, das Rascheln der Beerensträucher, die den Boden bedecken, dann auch das Trappeln der zierlichen Hufe. Ein kleiner Keiler bricht aus dem Unterholz am Waldrand, Metú stellt sich ihm in den Weg. Er ist schnell erledigt, der Mek’ta bewegt sich für einen Mann seiner Größe und Statur mit fast graziler Leichtigkeit. Aber es bricht noch ein Keiler aus dem Wald, ein riesiges Tier mit gewaltigen Hauern, und es ist schnell. Metú versucht auszuweichen, aber diesmal rutscht er aus, der Boden ist glitschig von nebelfeuchtem Laub und dem Blut des Tieres, das verendet vor ihm liegt. Und Tenaro reagiert blitzschnell. Er schießt auf den Keiler, ohne zu zielen, er hält die Draq’ir’lai einfach nur in die Richtung des riesigen Tieres und drückt ab. Ein Blutschwall ergießt sich aus dem halb geöffneten Maul, seine Vorderbeine knicken ein, es fällt, sein Schwung trägt den Körper weiter auf Metú zu. Sie liegen fast Kopf an Kopf, der riesige Keiler tritt noch einmal, zweimal mit den Hinterbeinen, dann liegt er still. Tenaro und Metú sehen sich an. Sie haben eine Waffe gefunden, die den großen Hunden der Krieger aus Beth’narn Einhalt gebietet. Und vielleicht hilft sie sogar gegen die Gefahr, die das Leben der Menschen am Kalar’terla bedroht.
Sie reden darüber, als sie am Abend beim Essen zusammensitzen. Im Freien, neben einer Feuergrube, über der sich der kleine Keiler an einem Spieß dreht. Die Tiere sind umso schmackhafter, je jünger sie sind, das Fleisch der riesigen Keiler, die sich schon fortgepflanzt haben, wie der, den der Bolzen der Draq’ir’lai erlegt hat, schmeckt ranzig und bitter. Der Jäger des Thain hat den Kadaver aufgeschnitten und untersucht, es hat sie vor Grauen geschüttelt dabei. Es ist eine entsetzliche Waffe. Tenaro hat nicht gezielt geschossen, er hat auf einem Pferd fast zwanzig Längen entfernt gesessen, er hat nicht erwartet zu treffen, hat das Tier nur ablenken wollen, damit Metú Zeit hat, wieder auf die Füße zu kommen. Der Bolzen ist neben der Wirbelsäule in den Körper eingedrungen, hat die dicken Rippen gebrochen, die Lunge zerrissen, das Herz zerfetzt, er ist fast auf der anderen Seite wieder ausgetreten. Die Spitze ist dreischneidig, leicht verdreht, der Bolzen muss sich um seine Mitte gedreht haben während des Fluges, er hat sich regelrecht hineingeschnitten in den Körper. Sie wagen sich nicht vorzustellen, was diese Waffe im Körper eines Menschen anrichtet. Sie ist eine Draq’ir’lai, eine Waffe ohne Ehre, und sie trägt ihren Namen zurecht.
Aber auch die riesigen Hunde aus Beth’narn sind Draq’ir’lai, die Männer der Leibgarde des Thain, die bei ihnen am Feuer sitzen, haben alle schon gesehen, was sie anrichten auf dem Schlachtfeld. Sie warten nicht auf Befehle ihrer Herren, sie greifen an auch ohne sie, und sie geraten in einen regelrechten Blutrausch dabei. Pfeile können ihnen nichts anhaben, Schwerter treffen sie kaum, sie sind zu schnell, und einer der Männer hat einen Hund gesehen, dem ein Bein abgeschlagen worden ist, er ist trotzdem gesprungen und hat einem Mann die Kehle herausgerissen. Das ist eines ihrer bevorzugten Ziele, der Hals eines Mannes, die Schwerthand, sie reißen sie ab hinter dem Gelenk, sie zerbeißen die große Sehne an der Rückseite des Fußes selbst durch die ledernen Stiefel. Die Angegriffenen sind dann wehrlos, der Krieger, zu dem der Hund gehört, hat leichtes Spiel. Und sie geben dabei nicht einen Laut von sich, sie bellen nicht, sie knurren nicht, man hört sie nicht kommen im Getümmel der Schlacht. Sie tauchen auf wie aus dem Nichts, sie töten, dann verschwinden sie wieder und suchen ihr nächstes Opfer. Aber jetzt haben sie etwas gefunden, das ihnen Einhalt gebieten wird.
Und vielleicht hilft es sogar gegen die großen Echsen mit den langen Schnauzen, die im See leben. Auch die Bewohner von Beth’kalar haben Opfer zu beklagen, sie lauern manchmal im flachen Wasser in der Nähe des Ufers, und sie sind auch an Land schnell. Und kaum zu töten, ihre Körper sind gepanzert, eine Schwertklinge zerbricht daran. Wenn man es schafft, eine Lanze in ihr geöffnetes Maul zu treiben, oder in den Spalt zwischen den Panzern an Ober- und Unterseite, dann verenden sie manchmal daran, aber es erfordert viel Mut, sich ihnen in den Weg zu stellen. Schon mancher Krieger hat mit seinem Leben bezahlt, wenn er es versucht hat. Sie greifen Boote nicht an, aber sie verbeißen sich in den gefüllten Netzen, wenn sie an Bord gezogen werden, die leichten Boote kentern dann manchmal, und was einmal im Wasser ist, entkommt ihnen nicht. Fisch ist eine teure Delikatesse in Beth’kalar, und sie wird oft genug auch mit einem Leben bezahlt. Sie zerstören die Eier, wenn sie die Gelege am Ufer finden, aber der See ist riesig. Beth’narn und Beth’kalar liegen sich an einem schmalen südlichen Ausläufer gegenüber, es dauert einen Tag und fast noch die halbe Nacht, von einer Seite auf die andere zu gelangen. Und im Norden ist der See von Wüste umgeben, wer will sich dort auf die Suche machen? Die Anwohner des Sees haben gelernt, seine Ufer zu meiden, in der Nähe der Dörfer, die am Wasser liegen, patrouillieren Wachposten, die verhindern, dass sich Pferde, Hunde oder Kinder dem Wasser nähern, und doch kassieren sie ihren Blutzoll, die grausigen Bestien. Aber vielleicht hilft auch hier Draq’ir’lai.
Tenaro und Metú machen sich auf, es herauszufinden, aber sie reiten nicht mehr allein. Der Sa’Rimar ist einundzwanzig geworden, auf der Feier seines Geburtsfestes am Tag der zweiten Tag- und Nachtgleiche, drei Tage nach der Jagd, hat der Thain ihn im Kronsaal als seinen Nachfolger vorgestellt. Es ist ein schönes Fest gewesen, mit gutem Essen, Musik und Tanz und einem Feuerwerk zu Ehren des Sa’Rimar, der Yen-Meister hat die Kunst aus seiner Heimat mitgebracht. Der Koch hat ein paar der jungen schwarzen Schweine am Spieß braten lassen, sie haben allen köstlich gemundet. Der Mar’thain Kastir ab’Mereon von Beth’nindra ist angereist mit seiner Familie, er ist Tenaros Mutterbruder, und er hat ihm eine Krone geschenkt. Einen Stirnreif aus Gold, besetzt mit glitzernden blauen Steinen, Saf’fa genannt. Sie werden in einem Flussbett im Süden von Beth’nindra gefunden, der durch das Land der Mek’tain fließt, wenn man sie poliert, werden sie durchscheinend, und sie funkeln und sprühen blaue Blitze im Licht der Sonne. Sie sind sehr beliebt als Schmucksteine, aber sie sind selten und daher teuer, nicht jeder kann sie sich leisten. Sie begründen neben der Pferdezucht und dem Salzabbau einen Teil des Reichtums von Beth’nindra, meist sind es kleine Steine, aber nicht auf dem Stirnreif, den der Mar’thain Tenaro schenkt. Es sind fünf große, geschnitten wie der vierzackige Stern, das Siegel des Sa’Rimar, sie sind sehr wertvoll, eine Krone, die eines Prinz würdig ist.
Er trägt sie, als Deneri vor ihm in einen Hofknicks sinkt, und als sie sich wieder erhebt, weiß er, warum er gemeint hat, die junge Frau am Tor des Hauses der Heermeisters zu kennen. Sie ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Sein Vater hat ihm damals gesagt, woher der Name Deneri gekommen ist, aber er erkennt sie nicht wieder. Sie ist nicht mehr die magere junge Frau, gezeichnet von den Strapazen einer Flucht durch die Wüste, auf deren Schoß er einst gesessen hat. Er ist erst zwei gewesen damals, er hat sich nicht erinnert an sie, und sie hat sich sehr verändert. Heute ist sie eine muntere, rundliche Matrone, sie hat ihrem Ehemann fünf Kinder geboren, und ihre jadingrünen Augen funkeln vor Lebensfreude, sie blicken nicht traurig wie die, an die er sich erinnert. Immer noch, und er hat die Hoffnung darauf nicht aufgegeben, noch einmal in sie zu schauen. Sie stellt ihm auch ihre älteste Tochter vor, ein hübsches Mädchen, sie ist siebzehn, mit Haaren von der Farbe des Getreides, aus dem das helle Brot gebacken wird, und sanften blauen Augen. Der Sa’Rimar wird einundzwanzig, es ist an der Zeit für ihn, eine Frau zu erwählen, und sie sind nicht miteinander verwandt, auch sie hofft. Aber Tenaro kann sich nicht erwärmen für eine der liebreizenden jungen Frauen um ihn herum. Er behandelt sie alle mit der gleichen prinzlichen Höflichkeit, nicht eine erweckt mehr in ihm als erforderlich ist für ein freundliches Gespräch, einen Spaziergang im Garten, vielleicht auch einen Ausritt auf den Feldwegen rund um die Feste. Es wird viel geseufzt in den Betten der jungen Frauen während des drei Tage dauernden Festes, er ist wirklich ein bezaubernder junger Mann, und er ist der Sa’Rimar, aber es ist vergebliche Liebesmüh. Er nimmt sie nicht wahr, die Augenaufschläge, das verlockende Lächeln, die Kussmünder in seine Richtung. Er plaudert mit ihnen, er lächelt sie an, er tanzt mit ihnen, aber er ist nie allein mit ihnen. Sie haben keine Gelegenheit, ihm einen Kuss zu stehlen im Pavillon im Garten. Sie finden keinen Zugang zu seinem Herzen, es ist kein Platz darin für sie, er hat es schon vergeben, auch wenn es ihm noch nicht bewusst ist.
Metú weiß, an wen Tenaro denkt, als sie zusammen auf einem Balkon im Haus des Barar von Beth’kalar sitzen. Er blickt gedankenverloren über den See, sein Blick ist verhangen, seine Hände spielen unbewusst mit einem kleinen geschnitzten Holzpferd mit einem gelbroten Band daran, er trägt es immer bei sich. Als sie das letzte Mal hier gesessen haben, ist Tenaro bleich wie Milch gewesen, mit Schweißperlen auf der Stirn, es war das erste Mal, dass er sein Bett verlassen hat nach der letzten Operation. Nachdem der Arzt mit seinem Vater gesprochen und der nur mit zusammengebissenen Zähnen hat nicken können, um seine Einwilligung zu geben. Es hat geholfen, sein Leben gerettet, aber es hat Tenaro den halben Unterarm gekostet und dem Goldschmied einige durchgrübelte Nächte eingebracht, bis er einen Weg gefunden hat, die nachgemachte Hand so zu gestalten, dass der linke Arm nicht kürzer ist als der rechte. Metú hat an Tenaros Bett gewacht, und der Arzt hat ihm gesagt, wenn er danach verlangt aufzustehen, er darf es. Aber sehr vorsichtig, er wird taumelig sein am Anfang, vielleicht wird er sich auch übergeben, und er wird kaum stehen können, geschweige denn laufen. Er hat danach verlangt, und es ist gekommen, wie der Arzt es vorhergesehen hat. Aber Metú ist groß und stark, er hat ihn gestützt, sie haben es geschafft und eine kleine Weile zusammen auf dem Balkon gesessen. Dann hat er ihn wieder ins Bett getragen, er ist erschöpft eingeschlafen, aber am nächsten Tag ist es schon besser gegangen. Und dann jeden Tag ein bisschen mehr, einen Drittteil später hat er wieder allein aufstehen und auf den Balkon gehen können. Und immer hat er über das Wasser geblickt und sich gefragt, wie es ihr ergangen sein mag, der jungen Frau mit den jadingrünen Augen, der er sein Leben verdankt.
Heute sitzen sie hier und reden darüber, wie es möglich sein wird, die großen Echsen mit der Draq’ir’lai zu töten. Sie sind nicht allein, es sind zwei Männer aus der Leibgarde des Prinzen bei ihnen, zwei stehen vor der Tür des Raumes, zu dem der Balkon gehört, und vier patrouillieren auf dem Flur. Der Thain lässt seinen ältesten Sohn und Erben jetzt bewachen, er hat eine Leibgarde von zwanzig Männern für ihn ausgesucht, und sie sind hier in Beth’kalar, das liegt viel zu nah an Beth’narn, er hat sie verdoppelt für ihren Ausflug. Es sind meist junge Männer, viele kennen Tenaro von seinem Dienst bei den Kurieren der Armee, sie sind stolz darauf, zu seinem Schutz zu dienen. Sie werden ihn bis in ihren Tod verteidigen, eher sterben als zulassen, dass ihm etwas geschieht. Wenn er in Beth’anu ausreitet, hat er meist nur fünf von ihnen bei sich, mehr als Ehrengarde denn als Wache, dort droht ihm keine Gefahr, der Sa’Rimar ist beliebt bei den Bewohnern des Landes. Nur die jungen Frauen auf dem Fest zu seiner Ernennung zum Thronfolger hat es geärgert, immer sind sie um ihn herum. Stehen nicht weit entfernt von ihm, mit ernsten Gesichtern und der Lanze in der Hand, als ob ihm eine Gefahr droht von ihnen. Dabei bestand die einzige Gefahr darin, dass sie ihm sein Herz stehlen, das hätten auch sie nicht verhindern können, aber es war ja nicht zu erreichen.
Am nächsten Morgen machen sie sich auf herauszufinden, was eine Draq’ir’lai auszurichten vermag gegen den Schrecken, der den See beherrscht. Sie werden von den Männern aus Tenaros Leibgarde begleitet, fünf von ihnen tragen die neue Waffe, der Waffenschmied des Thain hat sie nachgebaut und sogar ein wenig verbessert, sie lässt sich jetzt leichter und schneller spannen. Die anderen haben lange Spieße mit scharfen Klingen bei sich, auch die zwanzig Krieger des Barar sind so bewaffnet. Auch ihm macht die Nähe zu Beth’narn Sorgen, im Hafen legen Boote an, die von der anderen Seite des Sees kommen, der Handel ist noch nicht ganz zum Erliegen gekommen. Und auch die Grenze an Land ist nicht weit entfernt, das südliche Ende des Sees gehört zur Hälfte zu Beth’narn. Sie wird kontrolliert, auch die Besatzungen der Boote, sie fangen immer mal wieder Spione ab. Es hat sich herumgesprochen bis zum Heermeister von Beth’narn, wer damals der Kurier war, der ihm entkommen ist, und er ist leicht herauszufinden aus einer Gruppe von Männern mit seiner goldenen Hand. Meist trägt er einen ledernen Reithandschuh darüber, ganz verbergen lässt es sich nicht. Sie ist einfach zu steif und unbeweglich, das Handgelenk lässt sich nicht beugen, man erkennt selbst in einem Handschuh, dass es keine echte Hand ist. Aber wenn der Heermeister von Beth’narn auf den Einfall kommt nachzuholen, was er damals versäumt hat, leicht werden sie es ihm nicht machen.
Tenaro hat die Augen verdreht, hoffentlich kriegen sie überhaupt eine der Echsen zu Gesicht, wenn sie wie eine Rotte wilde schwarze Schweine am See entlang trampeln. Metú hat gelacht, die werden kommen, mehr Füße, mehr Futter, und wenn nicht, ein wenig Planschen im Wasser wird sie schon herauslocken. Er wird es machen wie bei den wilden Schweinen, sich ihnen in den Weg stellen und mit gestrecktem Arm auf die Stelle zwischen den Panzern zielen. Ihn werden die Bolzen nicht durchschlagen können, aber wenn sie die lange Schnauze aufreißen, wird es noch einfacher sein. Nahe wird er nicht an sie heranmüssen, Tenaro hat damals aus fast zwanzig Längen Entfernung geschossen, und die Wirkung ist verheerend gewesen. Die Echsen sind größer als ein wildes Schwein, aus zehn Längen sind sie nicht zu verfehlen. Und wenn doch, ihr mit den Lanzen, drauf los wie einst Daikim auf die wilden Katzen, er würde es nicht schätzen, gefressen zu werden.
Und dann ist es fast zu einfach. Sie müssen gar nicht weit laufen, als sie das erste heisere Bellen hören, das die großen Echsen ankündigt. Sie haben ein Uferstück gewählt, an dem wenig wächst, sie können die Wasserfläche gut sehen, bald taucht die erste Kette von Luftblasen auf. Sie hören ein Platschen, dann springt eine riesige Echse mit aufgerissener Schnauze und lautem Zischen ans Ufer. Metú muss gar nicht zielen, er dreht sich nur mit gestrecktem Arm und drückt ab. Die Wirkung ist verheerend. Blut sprudelt aus dem Maul der Bestie, sie bäumt sich auf, dann kracht sie auf den Boden. Sie fällt auf den Rücken, ihre Füße rudern, als ob sie fliehen will, es dauert nicht lange, dann liegt sie still. Metú winkt einen der Lanzenträger zu sich, sie stoßen sie an mit der scharfen Klinge, aber sie rührt sich nicht mehr. Einer der Männer stößt einen Warnruf aus, da nähern sich noch mehr Ketten von Luftblasen, sie ziehen sich zurück. Aber die großen Echsen, die jetzt aus dem Wasser springen, sind gar nicht hinter ihnen her. Sie stürzen sich auf den Kadaver, der am Ufer liegt, ihre scharfen Zähne zerbeißen den Panzer auf der Unterseite des Tieres. Es ist ein abstoßender Anblick, mehr als einer der Männer, die ihnen aus sicherer Entfernung zusehen, erbricht sein Morgenmahl. Es dauert nicht lange, dann ist von der toten Echse nichts mehr geblieben als der obere Panzer. Und am Ufer wird es wieder still.
Tenaro und Metú sehen sich an. Das ging ja fast zu leicht, aber sie werden noch eine der großen Echsen töten. Und sie dann schnell wegschleppen vom Ufer, in den Schlachthof unter dem Haus des Barar. Sie aufschneiden und nachsehen, was sie getötet hat, so wie es der Jäger mit dem wilden schwarzen Keiler gemacht hat. Um zu sehen, was der Bolzen mit der dreischneidigen gedrehten Spitze angerichtet hat in ihrem Inneren, es wird ihnen helfen, eine Strategie zu entwickeln, wie sie am besten zu töten sind. Dass sie zu töten sind, hat der Morgen gezeigt, dass sie ihre Artgenossen als Futter nicht verschmähen auch, vielleicht kann man sie damit weglocken von den bewohnten Ufern des Kalar’terla. Damit auch die Menschen endlich etwas haben von dem See, das zu ihren Füßen liegt.
Es ist auch beim zweiten Mal nicht schwieriger, diesmal halten sie sich nicht lange auf, als die große Echse auf dem Rücken vor ihnen liegt. Sie binden ein Seil um die lange Schnauze, sie töten mit den Zähnen, selbst wenn noch Leben in ihr ist, wenn sie sie nicht öffnen kann, kann sie ihnen nichts tun. Und die Bolzen durchschlagen den Panzer auf der Unterseite des Tieres, Metú hat einen der jungen Männer angewiesen, darauf zu schießen, wenn sich die Bestie aufbäumt. Sie hat nicht einmal mehr mit den Füßen gerudert. Dann haben sie sie schnell ein Stück weggezerrt vom Ufer, sie sind nicht besonders schwer, und sie haben noch eine weitere Erkenntnis gewonnen dabei. Sie springen ans Ufer, sie sind schnell, aber sie entfernen sich nicht weit vom Wasser. Dann kriechen sie rückwärts zurück, mit weit offener Schnauze laut zischend, Metú hat einen der jungen Männer auf sie schießen lassen. Er hat schlecht getroffen, ihm haben die Hände gezittert, es braucht eine Menge Mut, sich ihnen entgegenzustellen, aber es hat genügt. Die anderen Echsen sind über das verwundete Tier hergefallen, sie haben Zeit genug gehabt, sich mit ihrer Beute vom See zu entfernen.
Jetzt wissen sie, wie sie zu töten sind, die großen Echsen mit den langen Schnauzen, und aus sicherer Entfernung, die Bolzen müssen sie nicht durchschlagen fast bis in den Ansatz ihres breiten Schwanzes. Der Barar wird eine Einheit aufstellen und mit Draq’ir’lai bewaffnen, es wird die Menschen am See schützen und die Bestien vielleicht vertreiben in ungefährlichere Gewässer. Er rekrutiert als erstes die zwanzig Männer, die er zu Tenaros Schutz mitgeschickt hat, sie haben schon gesehen, wie es gemacht wird, sie können es weitergeben an die, die sich zu ihnen gesellen werden. Tenaro überlässt ihm die fünf Draq’ir’lai, die der Waffenschmied in der Feste gebaut hat, und er bietet seinem Vaterbruder an, noch ein paar Tage zu bleiben, um sie einzuweisen in die Handhabung. Der Barar nimmt dankbar an, aber die Männer murren, sie sind Krieger, sie wollen nicht kämpfen mit einer Waffe ohne Ehre. Tenaro spricht mit ihnen, und es zeigt sich, was Metú schon gesehen hat bei der Schuleinweihung in dem kleinen Dorf an den Hängen des Drat’kalar. Er versteht es, Menschen für sich einzunehmen, er ist der geborene Anführer. Er erklärt es ihnen, ja, es stimmt, es ist eine Draq’ir’lai, sie tötet aus der Entfernung. Eine Waffe ohne Ehre. Wenn sie gegen einen Menschen eingesetzt wird. Ein Mann, der gegen einen anderen Mann steht in einer Schlacht, tritt mit einem Schwert in der Hand gegen ihn an, Auge in Auge, er setzt sein eigenes Leben dabei aufs Spiel. Und er fällt ehrenvoll, wenn der andere besser ist. Aber diese Echsen, haben sie Ehre? Sie haben ihnen gegenüber gestanden am Ufer des Sees, sie sind zurückgewichen vor ihnen, obwohl sie mit Schwertern und Lanzen bewaffnet waren. Ein Kind, das etwas im Wasser blinken sieht, eine Frau, die auf dem Weg nach Hause noch schnell ein paar Binsen schneidet, ein Fischer, der in Ufernähe ein Netz auswirft, damit seine Familie zu essen hat, welche Waffen haben sie gegen die Echsen? Sie haben keine Schwerter, sie haben keine Lanzen, und die Echsen kann man nicht töten damit. Aber mit einer Draq’ir’lai, selbst wenn sie nur verwundet werden, erledigen ihre eigenen Artgenossen den Rest, sie haben es selbst gesehen am See. Es mag eine Waffe ohne Ehre sein, aber sie erwirbt Ehre für den Mann, der sie führt. Weil er damit die beschützt, die sich nicht selbst schützen können vor einer Gefahr, der sie nicht gewachsen sind. Er selbst hat schon damit geschossen, um auf der Jagd einen Keiler davon abzuhalten, Metú aufzuschlitzen, und er hätte es auch heute Morgen getan, wenn der ihn nicht eingekesselt hätte zwischen fünf Bewachern. Das ist der Nachteil, wenn man ein Sa’Rimar ist, man darf nicht einmal seine Ehre selbst erringen. Die Männer lachen leise bei seinen letzten Worten, sie müssen nur auf seinen linken Arm schauen, er hat seine Ehre schon errungen. Sie verweigern sich nicht mehr, und der Sa’Rimar macht sie zu einer Einheit unter seinem Oberbefehl, er ernennt einen Hauptmann, und er gibt ihr einen Namen. Draq’ona, Waffe die schützt.
Tenaro sitzt mit der Familie des Barar zu Tisch an diesem Abend, er ist sein Vaterbruder, und er erhält von ihm einen Brief seines Vaters. Er ist erst vor kurzem eingetroffen, mit einem Eilkurier, es ist die Aufforderung des Thain an den Sa’Rimar, auf der Stelle zurückzukehren in die Feste. Nicht die Bitte, möglichst bald nach Hause zu kommen, es ist ein Befehl, dem Tenaro sich nicht widersetzen kann. Es muss etwas Ernstes dahinterstecken, sein Vater befiehlt normalerweise selten, er bittet seine Kinder, seinen Wünschen zu entsprechen. Tenaro bespricht es mit dem Barar, er beschließt, noch in der Nacht aufzubrechen. Es ist Vollmond, der Himmel ist wolkenlos, sie reiten auf einer breiten Straße und die Pferde kennen den Weg in ihren heimatlichen Stall. Die Leibwache aus vierzig Männern steht schnell bereit, Metú reitet neben Tenaro, und der Barar gibt ihm noch eine halbe Hundertschaft seiner eigenen Reiterei an die Seite, auch er hat Männer in Beth’narn, die ihm Nachrichten zutragen. Und die haben nichts Gutes berichtet in letzter Zeit. Es ist sicher das Beste, wenn der Sa’Rimar so schnell wie möglich heimkehrt in den Schutz der Garnison der Feste.
Es wird kein gemütlicher Heimweg, es ist ein Gewaltritt mit langen Galoppstrecken, eine Tortur für Mensch und Tier. Sie erreichen im Morgengrauen die Grenze von Beth’kalar, sie werden schon erwartet von einer Hundertschaft Reiterei aus der Garnison des Thain. Tenaro kennt den kommandierenden Offizier, sie ziehen sich für ein Gespräch in sein Zelt zurück, er ist blass, als er wieder herauskommt. Er hat die Befehlsgewalt übernommen, er erteilt seine Anweisungen. Die halbe Hundertschaft aus Beth’kalar wird zum Haus des Barar zurückkehren, wenn Männer und Pferde ausgeruht sind, seine Leibwache ihm zur Feste folgen nach einer Ruhepause. Er wird mit Metú auf frischen Pferden unter dem Schutz der Reiterei des Thain sofort aufbrechen, sein Vater erwartet ihn dringend, er braucht ihn an seiner Seite, der Fürst von Beth’narn macht Ernst. Und der Feind steht schon vor den Toren Beth’anus.