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Kapitel 6

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Dann endlich kommt die Nachricht, auf die sie gewartet haben, und so manches Stoßgebet wird an Melak gesandt, als die Kommandierenden es in den Einheiten verkünden. Die Schlacht ist geschlagen, der Krieg gewonnen, der Fürst von Beth’narn in seine Schranken verwiesen. Gefangengesetzt in seinem eigenen Haus, er hat es wie immer seinem Heermeister überlassen, seine Armee in die Schlacht zu führen. Der Kurier hat auch einen Brief des Thain an Tenaro überbracht, er lächelt, als er ihn liest. Es ist die Bitte an seinen Sohn, sich zu ihm zu begeben und sein nachträgliches Geburtsfestgeschenk in Empfang zu nehmen, er wird ernannt zum Nun’thain, er wird die Provinz Beth’narn verwalten. Narn’kalar, wie sie von jetzt an heißen wird, das Trockene am Wasser. Da kann er schon mal das Regieren üben, und wenn er Thain geworden ist, was hoffentlich noch lange dauern wird, wird es eine Baran werden wie Beth’kalar und an seinen jüngeren Bruder fallen. Damit er nicht die ganze Arbeit allein tun muss, es gibt genug zu regieren in Beth’anu.

Und Tenaros Lächeln wird noch breiter, als er den Kurier vor sich stehen sieht. Er hat ihm das Zeichen gegeben nach dem Gruß, locker stehen, der junge Mann steht immer noch Habacht, die Augen starr geradeaus, mit der geballten Faust auf dem Herzen. Er fragt ihn, ob er Befehl hat, sofort zurückzukehren zu seiner Einheit, der Kurier schüttelt den Kopf, sprechen kann er nicht vor lauter Ehrfurcht. Prima, dann bleibt er bei ihm, zu seiner persönlichen Verfügung, sie werden in ein paar Tagen gemeinsam reiten nach ... er liest es ab, Narn’kalar, er wird sich an den neuen Namen erst gewöhnen müssen. Und jetzt Abmarsch ins Küchenzelt, er hat doch bestimmt Durst und Hunger nach dem langen Ritt, und danach zurückmelden bei ihm. Und Metú, der wie immer bei Tenaro in seinem Zelt sitzt, grinst, als der junge Kurier fast über seine eigenen Füße fällt bei seiner allzu zackigen Kehrtwendung. Er ist achtzehn, der einzige Sohn seines Vaters, er leistet seinen Pflichtdienst ab bei den Kurieren des Thain, er wird in einem Jahr zurückkehren in seine Heimat und später die Sattelmacherei seines Vaters übernehmen. Aber er wird sich sein Leben lang erinnern an die zehn Tage, die er an der Seite des Sa’Rimar verbracht hat. Und der Sattel, den er an das Haus des Nun’thain von Beth‘draket schickt als Verbindungsgeschenk für Tenaro, ist fast zu hübsch, um ihn zum Reiten zu benutzen. Metú hat es schon immer gewusst, Tenaro ab‘Daikim ist der geborene Anführer. Aber der junge Kurier wird sehr enttäuscht sein, wenn er feststellt auf dem Weg, dass sein angebeteter Prinz auch nicht anders pinkelt als gewöhnliche Männer. Gelb und stinkend.

Er bricht nicht gleich auf, es gibt noch einiges für ihn zu tun in Beth’anu. Die Einheiten der Entsatzarmee auflösen wird sein Stellvertreter mit ihren Kommandierenden, die Männer werden mit Proviant versorgt für den Rückweg, sie werden auch die Nachricht verbreiten auf ihrem Weg, ihr Thain hat seinen Widersacher besiegt. Die Bewohner der Dörfer und Ansiedlungen zwischen hier und Beth’kalar werden zurückkehren, es ist der Mond nach der ersten Tag- und Nachtgleiche, sie werden ihre Arbeit wieder aufnehmen auf ihren Feldern und Höfen. Tenaro nimmt ihre Reihen ein letztes Mal ab, gesetzten Schrittes, aber er kann es nicht lassen, er reitet noch einmal zurück, im gestreckten Galopp, mit einem Lachen im Gesicht, sein Umhang weht hinter ihm. Sie jubeln ihm zu, er ist ihnen ein guter Oberkommandierender gewesen, er ist ihr geliebter Sa’Rimar, und er wird ihnen ein guter Thain sein, wenn seine Zeit gekommen ist. Er macht sich auf den Weg in die Feste, er will sich verabschieden von Mutter und Geschwistern, er wird sie lange nicht sehen. Nicht oft besuchen können, er muss erst hineinfinden in seine neue Aufgabe, er weiß ja noch gar nicht, was ihn erwartet in Narn’kalar, der neuen Provinz von Beth’anu, deren Nun’thain er jetzt ist. Und er will sich auch von Mekira verabschieden, in ihrem Bett hat er gefunden, was Mirini für ihn erbeten hat von Melak, dass er erleben wird, was die sanfte Hand einer Frau bewirkt, wenn sie sich auf ihn legt.

Er hat es erlebt, und es ist Mekiras Hand gewesen, die es ihm gezeigt hat. Sie ist eine junge Witwe, ein paar Jahre älter als er, sie arbeitet als Näherin in der Feste. Sie hat ihn einmal traurig sitzen sehen auf dem Rand eines Brunnens im Garten, er ist allein gewesen, Metú eigenen Geschäften nachgegangen, hier braucht der Prinz keine ständige Bewachung. Sie hat sich zu ihm gesetzt, sie haben sich unterhalten, dann hat sie seine Hand genommen. Sie geküsst und an ihre Wange gelegt, sie hat stillgehalten, als er sich zu ihr gebeugt und sie geküsst hat. Tenaro mag ein Sa’Rimar sein, er ist auch ein junger Mann, gerade einmal neunzehn, er hat auch die Bedürfnisse eines jungen Mannes. Er hat nicht viel Erfahrung, außer einem hastigen Versuch mit einem drallen Bauernmädchen in einem Heuschober während einer seiner Ausritte auf Griud hat er noch bei keiner Frau gelegen. Es ist gründlich danebengegangen, sie hat ihn ausgelacht, aber er hält sich zurück. Er weiß, was daraus entsteht, wenn ein Mann bei einer Frau liegt, der Arzt, der für seine Gesundheit verantwortlich ist, hat mit ihm darüber gesprochen. Und ein Kind von ihm, mit einer Frau, mit der er sich nicht verbinden kann, es hat schon einen Krieg deswegen gegeben. Er stellt den Dienstmägden nicht nach, er lässt die Finger von den Zofen, er weist sie zurück, wenn sie sich ihm allzu keck anbieten. Aber Mekira. Sie stammt aus einer der Bergprovinzen, ihr Mann ist Soldat gewesen in der Garnison der Feste, er ist nicht zurückgekehrt aus dem Feldzug vor einem Jahr. Eine hübsche Frau mit grauen Augen und dunklen Haaren. Vielleicht ist es die Farbe ihres Haars gewesen, das ihn zu ihr gezogen hat, sie haben sich getroffen am nächsten Tag, sie hat ihn mit in ihr Zimmer genommen und in ihr Bett. Bei ihr hat er erfahren, was passiert, wenn sich die sanfte Hand einer Frau auf ihn legt, und als er sie das erste Mal genommen hat, ist es für ihn ein schönes Erlebnis gewesen. Sie hat ihm gezeigt, wie ein Mann eine Frau zum Seufzen bringt, er hat von ihr gelernt, ein zärtlicher und sanfter Liebhaber zu sein. Und sie waren sich beide bewusst, dass es nicht für immer ist.

Er hat nicht oft bei ihr gelegen, aber nie bei einer anderen, das letzte Mal in der Nacht, bevor er aufgebrochen ist in das Feldlager der Entsatzarmee. Er hat sich liebevoll von ihr verabschiedet, vielleicht weil er im Grunde seines Herzens gewusst hat, dass es das letzte Mal sein wird, er nicht zurückkehren wird in die Feste. Er hat sich am Tor nicht zu ihr herabbeugen und sie zum Abschied küssen können, aber er hat an sie gedacht. Und an eine andere junge Frau mit dunklen Haaren und jadingrünen Augen, und er hat sich gewünscht, sie einmal so in seinen Armen zu halten. Jetzt ist er zurückgekehrt in die Feste, aber er findet Mekira dort nicht mehr. Er wird sie nicht wiedersehen, sie ist zurückgegangen in ihre Heimat, aber er wird sich immer mit einem Lächeln an sie erinnern. Sie ist die Frau, die aus ihm einen Mann gemacht hat, sie hat ihn gelehrt zu lieben, sie wird immer einen Platz in seinem Herzen haben, und sie teilt es sich mit jemand ganz Besonderem. Den Tenaro nicht mehr gesehen hat, seit er vor drei Jahren auf einer kleinen Stute aus einer Koppel geritten ist, aber vielleicht wird er jetzt endlich erfahren, was aus ihr geworden ist.

Sie umrunden das Südufer des Sees auf ihrem Weg zum Haus des ehemaligen Fürsten, und der junge Kurier erschrickt fast zu Tode, als Tenaro plötzlich Halt befiehlt, ihm die Zügel von Griud zuwirft und aus dem Sattel springt. So wie er es oft tut, einfach ein Bein über den Pferdehals schwingen und runterspringen. Griud mag es nicht, er macht dann einen Satz nach vorn, der junge Mann muss fest zugreifen, um ihn zu halten. Er fürchtet sich ein wenig vor dem großen schwarzen Pferd, nicht jeder kommt mit ihm zurecht. Er beißt, er tritt, er keilt aus, wenn ihm etwas nicht gefällt, nur Tenaro kann ihn reiten. Sein jüngster Bruder hat es mit fünf einmal versucht, die Prinzen lernen reiten, kaum dass sie laufen können. Er ist einfach vom Zaun auf Griuds Rücken gestiegen, hat seine Hände in die Mähne gekrallt und ihn mit den Fersen in den Bauch getreten. Nun mach schon, Pferd, beweg dich. Der hat sich nur umgesehen und den Kopf geschüttelt über so viel Dreistigkeit. Dann hat er ihn abgesetzt, er ist noch nicht einmal richtig gestiegen, nur ein wenig eingeknickt in den Hinterbeinen. Und als Tenaros Bruder von seinem Rücken gerutscht ist, hat er geschnaubt. Siehst du, das hast du jetzt davon, leg dich nicht mit jemandem an, der um so vieles größer und stärker ist als du. Er hat ihm nichts Böses getan, er hat ihm nur klargemacht, wer das Sagen hat. Tenaro hat gelacht, ihn mit einer Wurzel belohnt und seinen kleinen Bruder liebevoll getröstet. Und ihm zu seinem sechsten Geburtsfest ein Fohlen von Griud geschenkt, groß und schwarz wie er, aber mit dem sanftmütigen Wesen seiner Mutter.

Sie befinden sich schon auf dem Gebiet des ehemaligen Beth’narn, und Tenaro ist fast sicher, hier ist die Stelle, an der ihn der Heermeister damals gefangen genommen hat. Sie durchsuchen das Schilf am Ufer, zwei Männer mit gespannter Draq’ir’lai beobachten das Wasser, aber das Südufer ist zu seicht und zu schlammig für die großen Echsen, sie versinken darin. Sie finden das Schwert, das Tenaro damals fallengelassen hat, als der Hund seine Hand zermalmt hat, es steckt halb im Schlick. Eine einfache Waffe aus dem Bestand der Kuriere, das Leder, mit dem das Heft umwickelt ist, halb verfault, die Klinge rostig. Und eine silberne Gürtelschließe mit dem Kopf eines Pferdes darauf, solche Schließen tragen die Soldaten aus dem Reiterheer des Mar’thain von Beth’nindra, aber Tenaro weiß sicher, dass die beiden Männer die Farben von Beth’narn getragen haben. Und sie glänzt noch zu neu, einer der Reiter, die die Grenze hinter der Armee des Fürsten geschlossen haben, muss sie verloren haben. Sonst finden sie nichts, keine Überreste der Knochen des Pferdes, keine Uniformfetzen der beiden Deserteure, vielleicht haben sich die großen Echsen doch ans Ufer gewagt, dem Futter nicht widerstehen können. Tenaro steht lange am Rand des Sees und sieht über das Wasser, mit der Gürtelschließe in der Hand. Hier hat damals seinen Anfang genommen, was drei Tage später damit geendet hat, dass er ein An’tla hinter sich zurückgelassen hat. Denn das muss sie gewesen sein, eines der gütigen Wesen, die Melak aussendet, um Menschen in Not beizustehen. Er hat ihm schon tausendmal gedankt dafür, er hat ihn angefleht, sie noch einmal zu ihm zu schicken, aber niemand, der nach ihr gesucht hat, hat je eine Spur von ihr gefunden. Tenaro schuldet ihr viel, er schuldet ihr sein Leben, er möchte ihr danken, es vergelten an ihr, aber es scheint, sie ist wirklich ein An’tla gewesen. Erschienen, um ihn zu retten, und dann zurückgekehrt an die Seite Melaks, nicht mehr zu erreichen für ihn. Aber er wird die Suche nach ihr nicht aufgeben.

Tenaro findet seinen Vater in der großen Halle der Residenz des Fürsten, er sitzt zu Gericht. Es hat Plünderungen gegeben, und eine Frau ist gegen ihren Willen mit Gewalt genommen worden, das ist etwas, was sein Vater nicht duldet bei seinen Soldaten. Die Urteile sind schnell gefällt, auf Plünderung steht lebenslange Zwangsarbeit in den Steinbrüchen an den Hängen des Drat’kalar, Gewalt gegen eine Frau wird ausnahmslos mit Hängen bestraft. Und zwar immer, unbesehen des Standes oder des Ansehens der Person, die sie begangen hat, selbst ein Mitglied der thainanischen Familie würde dem nicht entgehen. Nur wenn das Opfer selbst um Gnade bittet für den Verurteilten, entgeht er seinem Tod, hier war es nicht zu erwarten. Der Verurteilte ist ein Kommandierender der Reiterei, er bittet um die Gnade des Thain, sie wird nicht gewährt. Tenaros Vater ist ein guter Thain, ein gerechter Thain, sein Gattinbruder, Mar’thain Kastir von Beth’nindra hält ihm oft vor, dass er zu nachsichtig ist mit seinen Untertanen, aber es gibt Dinge, bei denen auch er keine Nachsicht kennt. Jeder Mann in seiner Armee kennt die Strafen für die beiden Vergehen, wer sich nicht an die Gesetze des Thain hält, trägt die Folgen. Und kann nicht mit seiner Gnade rechnen. Das ist etwas, das Tenaro noch lernen muss, hart zu sein gegen die, die es nicht besser verdient haben. Der Thain wird einen Teil seiner Armee zurücklassen als Besatzungsarmee, wenn er der Nun’thain von Narn’kalar ist, wird er die Urteile fällen. Dann wird er lernen müssen, sein Herz zu verhärten gegen das Entsetzen in den Augen der Verurteilten, wenn ihrem Ersuchen um Gnade nicht nachgegeben wird. Es ist ein hartes Gesetz, aber es ist das Gesetz des Thain, und es wird durchgesetzt.

Aber noch ist es nicht soweit, erst muss er sich an etwas anderes gewöhnen. Er ist jetzt nicht nur eine Hoheit, sondern auch eine Exzellenz, und er droht es Metú an, als der ihn grinsend das dritte Mal so anspricht, noch einmal, dann haue ich dir meine goldene Hand auf den Kopf, und die ist massiv am Gelenk, es wird wehtun. Der grinst nur noch breiter, dir mehr als mir, und jetzt komm, Exzellenz, dein Vater erwartet dich zum Essen. Mit dem ehemaligen Fürsten, dann wird er wieder jammern und heulen, wie schlecht er doch behandelt wird. Vielleicht solltest du ihm deine goldene Hand auf den Kopf schlagen, schließlich war es sein Heermeister, der dir das angetan hat. Und es wird ihn vielleicht zum Schweigen bringen, ist ja nicht auszuhalten, das Gegreine. Und eines Fürsten nicht würdig.

Der Thain hat das Haus des Fürsten requiriert, es wird Residenz und Amtssitz des Nun’thain werden. Hier wird Tenaro wohnen, von hier aus wird er die Provinz regieren und versuchen, die Wunden zu heilen, die Geltungssucht und Unvernunft seines Herrschers dem Land geschlagen haben. Er und seine Familie sind umquartiert worden in das Dienstbotenhaus, sie sind eingeladen, am Tisch des Thain zu speisen, sie haben es abgelehnt. Nur der Fürst nimmt die Einladung gelegentlich an, aber nur, um sich zu beschweren über die Behandlung, die ihm und seiner Familie zu Teil wird. Dass er nicht zugelassen ist bei den Besprechungen des Thain, bei denen über die Zukunft seines Reiches entschieden wird, dass die Fürstin nicht mehr zweimal am Tag baden kann in dem goldenen Trog im Badehaus, dass der Prinz nicht mehr ausreiten und dabei seinen Reitknecht mit der Reitgerte verprügeln darf, dass die Prinzessinnen den Abtritt mit den kupferbeschlagenen Sitzen nicht mehr aufsuchen dürfen, sie müssen jetzt Nachttöpfe unter ihren Betten benutzen, und die stinken. Seine Älteste weint, weil sie die Bücher im Schreibzimmer nicht mehr lesen darf, das Morgenmahl wird ihnen nicht mehr an ihre Betten gebracht wie sie es gewohnt sind. Gedanken über das Wohlergehen der Bewohner seines Landes macht er sich nicht.

Die Familie des Fürsten wird nicht mehr bedient, sie wird bewacht, und ihnen ist nicht erlaubt, ihre Räume zu verlassen. Sie verweigern dem Thain die Ehrerbietung, die ihm zusteht, die Fürstin will nichts zu tun haben mit dem Mann, der plötzlich unter der Tür der großen Halle gestanden hat, mit einem blutigen Verband um den unteren Arm, und erklärt, ein gemütliches Zuhause, aber es ist jetzt nicht mehr ihr Zuhause. Die ältere Prinzessin jammert nach ihren Büchern, die jüngere nach ihrer Zofe, und der Prinz fürchtet sich vor dem Mann mit dem grimmigen Gesicht und den blau schimmernden Klingen, der immer einen Schritt hinter dem Thain steht. Sie haben ihn unter seinem Bett versteckt gefunden, als sie das Haus durchsucht haben, an einem Fuß darunter hervorgezogen, er hat geschrien, als ob er am Spieß steckt. Vor Angst in die Hose gemacht, er hat sich gebärdet, als ob es ihm ans Leben geht. Die Männer des Thain haben sich angesehen und mit dem Kopf geschüttelt, sie können verstehen, dass er Angst hat. Aber er ist der Sohn eines Fürsten, und er ist schon vierzehn, er sollte gelernt haben, sich würdevoller zu betragen. Selbst der jüngste Prinz von Beth’anu würde sich nicht so aufführen, und der ist erst sechs.

Aber auch Tenaro benimmt sich wenig würdevoll, als er die große Halle betritt, er grinst und verdreht die Augen, als ihn der Haushofmeister ankündigt. Seine Hoheit Exzellenz Tenaro ab‘Daikim, Sa’Rimar von Beth’anu, Nun’thain von Narn’kalar. Na das kann ja lustig werden, wenn das bei jeder Mahlzeit so ist, ist er schon verhungert, ehe er sich zu ihr an den Tisch setzt. Und auch sein Vater grinst ihm entgegen, dieser Mann benimmt sich majestätischer als seine Majestät der Thain. Sie umarmen sich zur Begrüßung, und dann prusten sie laut los, sie haben sich an etwas erinnert, das die Thaini einmal einer neuen, sehr von sich eingenommenen Hoffrau der Mar’thaini von Beth’nindra geantwortet hat, als die sie gefragt hat, ob sie ihren Mann stets mit Majestät anredet. Nein, so redet sie ihn nur an, wenn er in ihrem Bett liegt, sonst nennt sie ihn schlicht Deramo. Es ist ihr zu aufwändig, ihn immer mit Seine Majestät Deramo ab’Daikim, Thain von Beth’anu anzureden, bis sie damit fertig ist, hat sie schon wieder vergessen, was sie ihn fragen wollte. Der Thain und der Mar’thain haben Tränen gelacht, die Mar’thaini Schluckauf bekommen vom Kichern, die Thaini sanft gelächelt. Die Hoffrau ist sehr rot und sehr verlegen geworden, sie hat sich hicks zurückziehen hicks dürfen, und nachts in ihrem großen Himmelbett hat der Thain wieder gelacht, als seine Frau den Teil von ihm, auf dem ihre Hand gelegen hat, Majestät genannt hat, dann hat er sie zärtlich geküsst und mit ihr ihren jüngsten Sohn gezeugt. Versehentlich, seine Majestät hat ein wenig die Beherrschung verloren, der Arzt der Thaini war nicht begeistert. Sie ist schon fünfunddreißig, das ist kein Alter mehr zum Kinderkriegen. Er ist gesund und munter auf die Welt gekommen, aber Majestät haben sie ihn nicht genannt, das führt nur zu Verwechslungen. Er heißt Danuro nach seinem Ahnvater.

Tenaro ist der Sohn seines Vaters. Er hat viel von ihm, er sieht ihm sehr ähnlich, er hat sein freundliches Wesen und seine verbindliche Art geerbt, auch seine Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen, hat er von ihm. Er ist wie er ein geborener Anführer, aber er hat auch seine Härte geerbt. Sie zeigt sich, als sie dem Haus des Heermeisters einen Besuch abstatten. Es ist kein Höflichkeitsbesuch, es ist der Anfang vom Ende des Hauses eines grausamen Mannes.

Er reitet unter der Standarte des Nun’thain, das gelbrote Banner von Beth’anu mit einer liegenden goldenen Lanze anstelle des Siegels, die Bänder ein dunkles Violett, die Landesfarbe von Narn’kalar. Er hat sich grüne Bänder gewünscht, jadingrün wie die Augen seines An’tla, aber es ist schon vergeben. Es ist die Farbe der Provinz im Süden des Landes, Beth’terla, das grüne Land, auf deren endlosen Weiden die Herden gehalten werden, die das Thainan versorgen mit Fleisch, Leder, Käse und Wolle. Blau wie die Farbe des Kleides, das sie getragen hat, als sie ihn in der Nacht befreit hat, gehört zu Beth’kalar, es steht für das Wasser, an dem es liegt. Rot ist die Farbe des Thain, nur er, seine Familie und ihre Garden reiten unter dieser Farbe, die Provinz Beth’ab’Thain, in der sich die Feste und die Ländereien des Thain befinden, beansprucht Gold für sich. Das Land im Norden, Beth’draket, das geteilte Land, das zu einem Teil aus Wüste besteht, zeigt gelbbraun, ein silbriges Grau und Kupfer sind die Farben der beiden Bergprovinzen, Drat’irrim und Anu’betain, sie stehen für die Erze und Metalle, die dort geschürft werden, Silber im Norden, Kupfer im Süden. Es sind nicht mehr viele Farben übrig, schwarz ist die Farbe der Trauer, es wäre angemessen gewesen bei dem Zustand, in dem das Land sich befindet, aber Tenaro hofft, das bald zu ändern. Weiß ist die Farbe Melaks, seine Statue in seiner Halle und seine Altäre sind weiß. Er hat dieses dunkle Violett einmal gesehen an einem Kleid seiner Mutter, es ist eine Farbe, die sich nicht entscheiden kann. Dunkel, fast schwarz in der Nacht und der Dämmerung, strahlend violett im hellen Sonnenlicht. So wie die Provinz, deren Nun’thain er jetzt ist, dunkel, als es noch Beth’narn gewesen ist, strahlend, wenn es sich verwandelt in Narn’kalar.

Es ist das strahlende Violett, das der Heermeister erblickt, als der Reitertrupp vor seinem Tor haltmacht. Und er erkennt auch den dunkelhäutigen Mann, der neben dem Nun’thain reitet, der Diener eines Früchtehändlers, der früher oft in seinem Haus zu Gast gewesen ist und einmal nach dem Verbleib seines Schwesterkindes gefragt hat. Jetzt reitet er neben dem Mann, von dessen Wohlwollen die Zukunft, das Wohl und Wehe des Landes abhängig sind, dem er vierzig Jahre lang treu gedient hat. Zu erkennen an der Brosche, mit der sein Umhang auf seiner rechten Schulter befestigt ist. Ein ovaler Ring um drei Sterne, er hat dieses Siegel schon einmal gesehen. Ohne die liegende goldene Lanze darunter, damals ist es von Buchstaben umgeben gewesen. Den jungen Mann erkennt er nicht, Tenaro hat sich verändert seit damals. Er ist erst achtzehn gewesen, als er den Hof das letzte Mal betreten hat, noch sehr jung. Noch unfertig, sein Körper der eines jungen Mannes, nicht der des Reiters und Schwertkämpfers. Sein Gesicht ist glatt und rund gewesen, es hat noch nicht die kantige Kinnlinie der ab‘Daikim gezeigt wie heute. Die Narben in der Augenbraue und auf seiner Wange sind kaum zu sehen, nur helle Striche im Bronzeton seiner Haut, er ist dunkler geworden, er hat sich viel im Freien aufgehalten. Der erlittene Schmerz und die lange Krankheit haben Furchen gegraben in seine Haut, neben seinem Mund, neben seinen Augen, ihre Farbe ist noch die, die sie damals gezeigt haben. Tiefbraun, mit kleinen goldenen Funken darin, Mirini wird ihn erkennen daran. Nein, der Heermeister erkennt in ihm nicht mehr den jungen Kurier des Thain mit dem blauen Siegel auf dem rechten Schulterblatt. Und er hat mit zusammengebissenen Zähnen vor dem Fürsten gestanden, als der ihm ins Gesicht gebrüllt hat, wen er da in seiner Gewalt gehabt und hat entkommen lassen. Tenaro ab‘Daikim, der Sa’Rimar von Beth’anu. Der heute der Nun’thain von Narn’kalar ist, und der Mann, der über das Schicksal seines Hauses entscheidet.

Als Sa’Rimar hat Tenaro eine Leibgarde von zwanzig Männern gehabt, als Nun’thain reitet er unter dem Schutz einer halben Hundertschaft. Sie passen nicht alle auf den Hof, er ist sowieso schon fast überfüllt, er lässt sie mit dem Standartenträger auf der Straße zurück. Er verharrt einen Moment vor dem Tor, bevor er hineinreitet, da auf der rechten Seite hat sie gestanden. Auf das Pferd gestarrt, über dessen Sattel ein verhüllter Leichnam gelegen hat, und ein toter Hund. Sie hat erkannt, wer dort liegt, er hat die Trauer gesehen in ihren Augen. Er hat sich gefragt, ob er ihr Liebster war, aber hätte sie ihm geholfen, wenn es so gewesen wäre? Er hat das Gelb und Rot des Feindes getragen, aber etwas muss ihr der Tote bedeutet haben, er hat es an ihren Augen gesehen und ihre Traurigkeit gespürt.

Der Thain hat den Heermeister mit seinen Männern und seiner Familie in seinem Haus festsetzen lassen, sie werden bewacht von fünfzig Soldaten, und er hat die Träger der Draq’ir’lai angewiesen, die Hunde, die bei ihnen sind, ohne Zögern zu erschießen, wenn sie Anstalten machen, sie anzugreifen. Tenaro hat es ihm erzählt auf seinem Krankenbett, der Hund, der seine Hand zermalmt hat, hat nicht auf einen Befehl seines Herrn hin gehandelt. Er hatte sein Schwert kaum gezogen, es nicht mehr senken können zum Zeichen seiner Kapitulation, da hat er schon den Biss gespürt. Sie handeln nach eigenem Gutdünken, der Thain hat den Kommandierenden der Wachmannschaft angewiesen, darauf zu achten, dass sie es im Haus des Heermeisters nicht tun.

Tenaro hat einen Kurier vorausgeschickt, der sein Kommen angekündigt hat, der wachhabende Kommandierende hat den Heermeister und seine Männer im Hof Aufstellung nehmen lassen. Er selbst, schon älter, aber immer noch ein massiger Mann, grauhaariger, als Tenaro ihn in Erinnerung hat. Der älteste Sohn, sein Stellvertreter, mit einem grausamen Zug um den Mund, er steht starr, ganz Ablehnung, er kann sich nicht abfinden mit dem, was geschehen ist. Noch zwei Söhne, und zwei Männer, an die Tenaro sich nicht erinnert. Die Hände vor ihnen mit Handeisen und Ketten gefesselt, aber sie knien nicht, sie stehen aufrecht, sie verweigern Tenaro die Ehrerbietung, die ihm zusteht. Der Wachhabende brüllt einen Befehl, die Schäfte der Lanzen, die die Soldaten hinter ihnen tragen, sind hart, sie zwingen sie auf die Knie. Aber ihre Köpfe senken sich nicht. Tenaro nimmt es scheinbar gelassen zur Kenntnis, aber Metú erkennt an dem Ausdruck in seinen Augen, was er davon hält, er lenkt sein Pferd vorsichtshalber einen Schritt näher zu ihm, aber er hat sich in der Gewalt. Nur die Anspannung seines Kinns und seiner rechten Hand, die sich um das Schwertheft krampft, lassen erkennen, was ihn bewegt in diesem Moment. Seine linke steckt in einem ledernen Reithandschuh, sie hält die Zügel. Tenaro lässt seinen Blick über den Hof schweifen, er erkennt ihn wieder. Die Pforte in der Mauer, hinter der eine Koppel liegt, auf der eine kleine Stute aus Beth‘nindra gestanden hat. Sandfarben, mit dunkler Mähne und Schweif, ohne Sattel, nur mit Zaumzeug und Zügel. Er hört immer noch ihr leises Wispern. „Kannst du so reiten mit einer Hand?“ Er hat es nicht gekonnt, aber er hat es getan. Metú hat ihm erzählt, dass ein Stallknecht sie am langen Zügel in die Wüste gebracht und dort zurückgelassen hat, als Ablenkungsmanöver, sie haben gehofft, dass der Stallmeister sie findet und annimmt, dass er sich verirrt hat und in der Wüste verdurstet ist. Er hat sie tot gefunden, es hat einen Hund das Leben gekostet, weil er der Spur der Stute gefolgt ist. Er ist nicht darauf hereingefallen.

Tenaros Blick schweift weiter, das große Haus, das doppelflügelige Portal, aus dem seine Peiniger gekommen sind, mit einer Steinplatte daneben. Das Haus Siram. Sie ist in Stücke zerschlagen, die Namen darauf sind nicht mehr zu erkennen, nur einer, der letzte, fällt ihm ins Auge. Drobar. Ist das der Name des Mannes gewesen, der tot über dem Sattel gehangen hat? Der Block in der Mitte des Hofes, immer noch mit den Ketten und Eisen daran, er erinnert sich an ihren Biss. Dann fällt sein Blick auf die kleine Hütte, und seine Augen werden kalt. Nicht mehr als ein Verschlag, die Tür schließt nicht, sie hängt schief in den Angeln. Das Dach eingesunken, das rohe Holz der Wände gesprungen. Darin haben sie sein An’tla wohnen lassen? Er hat es nicht wissen sollen, sie haben es ihm nicht erzählt, er hat es zufällig gehört, als sie gemeint haben, er schläft tief. „Sie wohnt jetzt in einer Hütte direkt an der Mauer, mit einem Loch als Fenster.“ Wenn er sie findet, wie kann er je wieder gutmachen an ihr, was sie ihr angetan haben, weil sie ihm geholfen hat?

Er steigt ab, er kann es auch eleganter, es fällt nicht auf, dass er seine linke Hand dabei nicht benutzt. Er lässt die Zügel auf dem Sattel, Griud wird stehen bleiben, auch ohne dass ihn jemand hält. Er geht auf die Hütte zu, Metú ist ebenfalls abgestiegen und folgt ihm, ein Nicken, die verzogene Tür hält seinen kräftigen Händen nicht stand. Er starrt hinein in die trübe Düsternis, es steht immer noch ein Korb in dem Loch, das ein Fenster sein soll. Darunter die Trümmer von etwas, das einmal ein Bett gewesen ist, ein dreibeiniger Schemel, der jetzt nur noch zwei Beine hat, liegt darauf. Eine Maus sitzt mit zitternden Schnurrhaaren auf etwas, das wie die Fetzen eines Kleides aussieht, das vielleicht einmal blau gewesen ist. Sie sieht Tenaro einen Moment an, dann verschwindet sie in einer Ritze der Mauer. Die Überreste eines Tisches, Scherben eines Krugs, zertretene Binsenkörbe auf dem Boden. Tenaro erkennt das Muster, es wird von den Mek’tain benutzt, Metú muss sie selbst geflochten haben. Erstaunlich, dass ein Mann mit so großen Händen so etwas Zartes zustande bringt. Eine kleine Phiole, sie ist der Zerstörung entgangen, der Inhalt zu Staub zerfallen. Er will sich schon wieder abwenden, als ihm etwas ins Auge fällt. Ganz in der hintersten Ecke, zwischen den Trümmern des Bettes, halb verborgen unter den Überresten einer Decke. Ein Band, geflochten aus gelben und roten Strängen, mürbe und zerschlissen, und als er es aufhebt, hängt daran ein kleines geschnitztes Holzpferd. Er schließt seine Hand darum, er steht lange mit geschlossenen Augen. Nicht einmal das ist ihr geblieben, der Trost eines Spielzeugs für Kinder.

Metú hat den Schmerz in Tenaros Augen gesehen, als er in die Hütte gestarrt hat, sie sind kalt und hart, als er sich der Gruppe von Männern zuwendet, die im Hof auf ihn warten. Er sieht sie an, einen nach dem anderen, vier von ihnen halten seinem Blick nicht stand, sie senken ihre Köpfe. Nur der Heermeister und sein ältester Sohn nicht, er sieht es an ihren Augen, sie sind besiegt, aber sie geben sich nicht geschlagen. Er lächelt, selbst Metú läuft ein Schauer über den Rücken. Das Deuten seines Kinns ist kaum wahrnehmbar, nicht mehr als ein Heben des Kopfes. Es braucht vier Männer, um den Sohn des Heermeisters zum Block zu schleppen und ihn dort anzuketten. Er wendet sich schon ab, als er die Stimme des Heermeisters hinter sich hört „Ist das alles, was von der Ehre des Nun’thain von Narn’kalar“ er spuckt das Wort fast aus, als ob es ihm wie eine Gräte im Hals steckt, „zu erwarten ist? Einen Gefangenen quälen, der sich ehrenvoll ergeben hat?“ Er dreht sich um zu ihm, er zieht den ledernen Handschuh von seiner linken Hand. Er hebt sie, sie funkelt im Licht der Sonne. „Und das ist es, was ein Gefangener, der sich ergeben hat, von der Ehre des Hauses Siram zu erwarten hatte.“ Er geht die paar Schritte bis zum Block, an dem der Sohn des Heermeisters immer noch gegen die Ketten ankämpft, und seine Stimme ist leise, nicht mehr als ein seidiges Wispern. „Ich will wissen, wo sie ist. Morgen.“ Es ist das Lächeln, das über Metús Gesicht geht, das das Herz des angeketteten Mannes zu Eis erstarren lässt.

Griud scharrt mit den Hufen, er langweilt sich, aber noch ist Tenaro nicht fertig mit dem Haushalt des Heermeisters. Er begibt sich zu dem doppelflügeligen Portal, die Türblätter sind aus dem Holz eines Baumes geschnitten, der nur an den Hängen des Drat’kalar wächst. Schimmerndes Gelb, dunkle Maserung, auch die Türen der Feste bestehen aus diesem Holz. Sie erinnern ihn an Zuhause, an das Lächeln seiner Mutter, das Lachen seiner Schwestern, er will nicht tun, was er gleich tun wird. Aber dann sieht er ein Gesicht vor sich mit großen jadingrünen Augen. Dunkles, fast schwarzes Haar, die langen Flechten wie eine Krone um den Kopf gelegt. Ein paar Löckchen auf Stirn und Wangen, eine breite Stirn, gerundete Wangen, glatte Haut. Eine kleine Nase, ein sanft geschwungener Mund, er sollte lächeln und lachen, einem jungen Mann zärtliche Worte zuflüstern, nicht angsterfüllt wispern. „Du musst fort, sie werden dich sonst töten.“ Er hat es Metú sagen wollen, als er ihn bei den drei roten Pfählen sanft vom Pferd gezogen hat, sie hat Angst, du musst sie holen, sie werden sie bestrafen. Er hat es nicht mehr gekonnt, er hat es so lange nicht gekonnt, und dann ist es zu spät gewesen.

Er findet die Frauen des Haushalts hinter der Tür versammelt, wie er es erwartet hat. Und auch sie verweigern ihm die Ehrerbietung, die ihm zusteht. Als Nun’thain, als Sa’Rimar, als demjenigen, der über ihr weiteres Schicksal entscheidet. Wieder ist es nur ein leichtes Heben des Kopfes, auch ihre Wachen tragen Lanzen, sie brechen vor ihm in die Knie. Ihm hätte eine Verbeugung, die Andeutung eines Knickses genügt, selbst ein Nicken und ein Beugen des Kopfes, er erinnert sich an die Schmerzen in seinen zerschundenen Knien, als sie ihn vor dem Block darauf gezwungen haben. Er sieht sie an, eine nach der anderen. Die Frau des Heermeisters, ihr Blick ist trotzig. Eine der jungen Frauen versucht ein Lächeln, es gelingt ihr nicht. Er erkennt sie wieder, sie hat unter dem Portal gestanden und ihn betrachtet. Mit einer Pena in der Hand, sie hat sie langsam geschält, er hat den Duft der Schale gerochen bis zu dem Block, an den er gekettet war. Es hat seinen Durst nur verschlimmert. Dann hat sie sich einen der saftigen Schnitze in den Mund geschoben und sich mit einem verächtlichen Lächeln abgewendet. Sie hat kein Mitleid gehabt mit dem Gefangenen ihres Vaters, heute hat er es nicht mit ihr. Er wendet sich an den Truppführer der Wachmannschaft. „Die Residenz des Nun’thain benötigt Dienstmägde und Waschfrauen, sorgt dafür, dass sie morgen dorthin gebracht werden.“ Er hört ihr empörtes Zischen, als er sich abwendet, die Frau des Heermeisters protestiert, nur eine der Frauen richtet das Wort an ihn. „Bitte Exzellenz, ich habe ein kleines Kind, er ist erst sechs Monde alt. Darf ich ihn mit mir nehmen?“ Tenaro bleibt stehen, er wendet sich nicht um, aber er nickt. Sie wird mit einem der Söhne des Heermeisters verheiratet sein, er hat die verblassende Schwellung in ihrem Gesicht gesehen, sie scheinen alle schnell und gern zuzuschlagen. Er nimmt ihr ihren Mann, ihr Zuhause, ihre Stellung, ihr Kind wird er ihr nicht nehmen.

Tenaro verlässt das Haus, und als er durch das Portal tritt, ist er der Nun’thain von Narn’kalar. Während der letzten Stunde ist er ein junger Mann gewesen, ein Sa’Rimar, ein Kurier des Thain, der auf diesem Hof gequält und verstümmelt worden ist, jetzt hat er es überwunden. Er erteilt seine Befehle, sie kommen schnell und sicher. Der Heermeister und seine Männer werden in die Feste des Thain gebracht, in Ketten, er überstellt sie der Gerichtsbarkeit der Krone, der Thain wird über ihr weiteres Schicksal entscheiden. Die Hunde in den Zwingern werden ausnahmslos getötet bis auf die, die jünger sind als sechs Monde. Sie werden an den Jäger des Thain gesandt, sie sind stark und schnell, vielleicht kann man sie abrichten für die Jagd auf die wilden schwarzen Schweine. Die Frauen des Haushalts werden morgen zur Residenz des Nun’thain gebracht, mit ihren Kindern, sie werden nicht getrennt. Und was das Haus angeht, es wird ein Gefängnis daraus. Die Pforte in der Mauer wird mit Steinen verschlossen, der Block entfernt, die Hütte niedergerissen, das Holz verbrannt. Der Fürst und seine Familie werden hier einziehen, und sie werden scharf bewacht. Die Dienstboten werden entlassen, er gesteht ihnen nur eine Köchin zu. Sie werden sich ausschließlich im Haus und auf dem Hof aufhalten, keine Spaziergänge, keine Ausritte, keine Besucher. Und was den Gefangenen angeht, der an den Block gefesselt ist, ihn überstellt er in die Obhut von Metú. Er wird morgen über sein weiteres Schicksal entscheiden. Und bevor er auf Griud steigt, tut er etwas, das die Soldaten, die ihn dabei beobachten, nicht verstehen. Nur Metú kennt die tiefere Bedeutung, Tenaro hat ihm davon erzählt. Auf dem Rand der Pferdetränke steht immer noch die kleine irdene Schale, er füllt sie mit Wasser und bietet sie dem Gefangenen am Block an. Der verzieht nur verächtlich das Gesicht, Tenaro stellt die Schale vor ihm auf den Boden. Dort wird sie stehen bleiben, irgendwann wird auch er Durst bekommen, aber zu ihm wird kein An’tla kommen und sie ihm an die Lippen halten. Sie wird dort stehen bleiben, gefüllt mit klarem kaltem Wasser, so wie sie vor ihm gestanden hat, Stunde um Stunde, während er gelitten hat unter den Strahlen der unbarmherzigen Sonne und der Hitze des Fiebers seiner Wunden. Bis sie gekommen ist.

Tenaro kehrt in die Residenz zurück, ohne Metú, er wird ihn lange nicht wiedersehen. Er erhält eine Nachricht von ihm am nächsten Tag, nur ein paar Worte. „Ich weiß, wo sie ist. Ich hole sie.“ Er weiß nicht, was sich zugetragen hat im Hof des Hauses, er will es auch nicht wissen. Er kennt Metú so lange er denken kann, er ist sein Beschützer, seit er auf der Welt ist, ein umgänglicher sanftmütiger Mensch, der gern lacht. Aber er hat auch eine andere, eine finstere Seite, Tenaro hat sie nie kennengelernt. Er ist freundlich gegenüber jedem, der ihm wohlgesonnen entgegentritt, wie er mit den Feinden seines geliebten Prinzen umgeht, steht nicht auf diesem Blatt geschrieben.

Er wächst hinein in sein Amt als Nun’thain der Provinz Narn’kalar, aber als erstes organisiert er seinen Haushalt um. Er ist es leid mit dem Haushofmeister, er muss nicht dreimal am Tag vorgesagt bekommen, wer er ist und was er ist. Zu Tisch sitzen nur Leute mit ihm, die ihn kennen, manche davon schon sein Leben lang. Seine Hoheit Exzellenz Tenaro ab‘Daikim, Sa’Rimar von Beth’anu, Nun’thain von Narn’kalar. Wenn sie bis jetzt nicht wissen, wer er ist, werden sie es dadurch auch nicht lernen. Auch seine Mutter hat einen Haushofmeister, er ist schon ewig bei ihr, auch er ist majestätischer als die Majestäten, aber nur, wenn es sein muss. Wenn der Thain seine Nun’thainu empfängt, zum Beispiel. Dann kündigt er sie an als Seine Hoheit Tenaro ab‘Daikim, Sa’Rimar von Beth‘anu. Ihre Hoheiten, die Prinzessinnen Sirima und Derani. Seine Majestät Deramo ab’Daikim, Thain von Beth‘anu. Wenn die Familie unter sich ist, sind sie der Lausebengel, die Kicherlinsen und schlicht der Thain, sein jüngster Bruder die Springbohne und sein Bruder Mereno der Gelehrte. So haben sie ihn alle genannt, weil er immer mit einem Buch in der Hand anzutreffen ist. Sogar beim Gehen, er ist einmal über einen Blütenkasten im Flur der Feste gefallen, sein Handgelenk war geschwollen danach. Sirima und Derani haben ihrem Ruf als Kicherlinsen alle Ehre gemacht, der Thain hat ihn ausgelacht, die Thaini geseufzt. Und alle Blütenkästen auf den Fluren entfernen lassen. Sicher ist sicher. Es sind immer lustige Mahlzeiten gewesen am Tisch der höchsten Familie von Beth’anu.

So hält es auch Tenaro, es geht locker zu, wenn er mit Freunden und Vertrauten zu Tisch sitzt, formeller, wenn er Gäste empfängt. Er ist der Sa’Rimar, er ist ausgebildet worden für seine Aufgabe als zukünftiger Thain, er setzt jetzt um, was er gelernt hat. Er teilt die Provinz in Bezirke ein, so wie er es kennt aus Beth’anu, er setzt Richter und Verwalter ein, er muss sich nicht um jede Kuh, die vom Bullen des Nachbarn gedeckt worden ist, um jeden Apfel, der auf der falschen Seite des Zauns vom Baum fällt, selbst kümmern. Er ist der oberste Richter der Provinz, er liest die Urteile und wandelt sie um, wenn sie ihm ungerecht erscheinen. Er ist der Oberkommandierende der Besatzungsarmee, die sein Vater zurückgelassen hat, er besucht ihre Garnisonen. Viele der Männer kennen ihn, sie jubeln ihm zu, wenn er auf seinem schwarzen Hengst ihre Reihen abreitet. Er ernennt die Ältesten für die Standorte, an denen die jungen Rekruten ausgebildet werden, auch in Narn’kalar gilt jetzt der Pflichtdienst. Viele der Sechzehnjährigen sind vom Heermeister in die Armee des Fürsten gepresst worden, aber sie haben nie gelernt, Soldaten zu sein. Nur Hauen, Stechen, Draufschlagen, sie sind die ersten gewesen, die ihre Waffen haben fallen lassen, als die Soldaten des Thain sie gestellt haben. Er führt die Pflichtschule ein, jedes der Dörfer hat ein Versammlungshaus, es genügt, bis die Schulhäuser gebaut sind. Er bittet die weißen Schwestern um Hilfe, sie eröffnen Häuser für Kranke in den Bezirken, in ihnen werden die Männer gepflegt, die krank oder verwundet zurückgekommen sind aus der Schlacht. Er möchte sie nicht in die Hände der Heiler fallen lassen, er hat am eigenen Leib erfahren, was ihre Heilkunst wert ist. Er setzt die Steuerpflicht aus für ein Jahr, die Truhen des Fürsten sind überreichlich gefüllt, der Thain hat sie beschlagnahmt als Entschädigung für den Sieger, Tenaro bestreitet die Ausgaben für seinen Haushalt damit und bezahlt die Richter, Verwalter und Lehrer daraus.

Er öffnet die Vorratsspeicher, die der Fürst hat anlegen lassen, und verteilt die Nahrung, die er beansprucht hat für die Versorgung seiner Armee. Sie ist nicht zu ihr gelangt, der Mar’thain von Beth’nindra hat mit seinem Reiterheer die Grenze zwischen Beth’narn und Beth’kalar geschlossen, nachdem die Armee des Fürsten durchgezogen war. Er hat damit seinem Schwestergatten einen Gefallen getan, und viel zu tun gehabt haben sie nicht. Ein paar Deserteure gefangengesetzt, ab und zu einen Kurier abgefangen, Proviantwagen aufgehalten, es war mehr ein Manöver als ein Eingreifen in den Krieg. Der Bevölkerung im Land geht es schlecht, in der letzten hellen Zeit ist kaum geerntet worden, sie haben nicht viele Vorräte anlegen können, und es ist noch zu früh im Jahr für die neue Ernte. Die Männer, die der Heermeister in die Armee gepresst hat, sind zurückgekehrt, die Felder sind bestellt worden, aber selbst Melak kann nicht über Nacht aus einem Samenkorn Getreide machen, aus dem man Mehl für Brot mahlen kann, Kohlköpfe brauchen ihre Zeit zum Wachsen. Tenaro bittet seinen Vater um Hilfe, er lässt Brot und Gemüse verteilen, die Bevölkerung dankt es ihm damit, dass es ruhig bleibt im Land. Ab und zu ein kleiner Zwischenfall mit den Soldaten der Garnisonen, aber es gibt keine Aufstände, kaum Beschwerden, die Menschen in Narn’kalar lernen, was die Bewohner von Beth’anu schon wissen. Dass es ihnen besser geht mit einem Thain, der seinem Land dient. Praesis ut Prosis Non ut Imperes. Tenaro lebt, was die Buchstaben auf seinem rechten Schulterblatt ihm vorgeben.

Sie sind gar nicht so verschieden, die Menschen von Narn‘kalar und Beth’kalar, sie sprechen fast die gleiche Sprache, und sie teilen die gleichen Nöte und Ängste. Bald herrscht wieder reger Handel über den See, und auch die kleinen wohlschmeckenden Fische sind nicht mehr eine fast unerschwingliche Delikatesse. Immer noch teuer, aber sie werden nicht mehr mit Leben bezahlt. Die Fischerboote trauen sich jetzt öfter auf den See, sie werden nicht mehr so häufig angegriffen, wenn sie die prall gefüllten Netze einholen. Draq’ona, die Waffe die schützt, die Einheit, die auf der Beth’kalar-Seite des Sees unter Tenaros Oberbefehl steht, hat sich bewährt. Es gibt immer noch Echsen im See, sie sind immer noch gefährlich, aber sie sind jetzt leichter zu töten. Sie haben herausgefunden, dass die Bolzen der Draq’ir’lai auch die Panzer auf der Oberseite der Tiere durchschlagen, wenn sie nahe genug abgefeuert werden. Sie dringen nicht tief ein, sie töten die Echsen nicht, aber sie verwunden sie, und ihre Artgenossen erledigen dann den Rest. Der Barar von Beth’kalar gibt seinen Fischerbooten einen Soldaten mit einer Draq’ir’lai mit, sie schießen auf die Echsen, wenn sie versuchen, sich in das Netz zu verbeißen, meist können sie es dann unbehelligt aus dem Wasser ziehen. Und auch die Narn’kalar-Seite wird jetzt von Soldaten geschützt, die mit Draq’ir’lai bewaffnet sind, auch diese Einheit steht unter dem Oberbefehl des Sa’Rimar. Das Leben der Menschen am See wird leichter, ihre Ernährung abwechslungsreicher, aber noch sind die drei roten Pfähle am Ufer des Sees eine stete Mahnung, sich diesem vorsichtig und nicht ohne Schutz zu nähern.

Aber es gibt noch etwas, das den Menschen Sorge bereitet, auf beiden Seiten des Sees, auf den Ebenen im Süden, am Rand der Wüste im Norden, an den Hängen des Drat’kalar. Ihr junger, geliebter Sa’Rimar hat immer noch keine Frau an seiner Seite. Er wird zweiundzwanzig am Ende der dritten Jahreszeit, zur zweiten Tag- und Nachtgleiche feiern sie ein fröhliches Geburtsfest mit einem Feuerwerk zu seinen Ehren. Der Yen-Meister lebt jetzt in der Residenz des Nun’thain, Tenaro schätzt die Weisheit und den Rat des alten Mannes immer noch. Er meditiert oft mit ihm, und er schafft es jetzt öfter, sein Yen’gi zu finden. Und immer wieder hat er das Gefühl, dass er nicht allein ist auf der dreieckigen Wiese mit den drei stehenden Steinen, dass jemand bei ihm ist, der ihn ergänzt, die zweite Hälfte seines Ichs. Aber es entzieht sich seinen Blicken, wenn er sich umsieht, und es stimmt ihn traurig. Er sehnt sich nach einem Menschen, der zu ihm gehört, der sein Leben mit ihm teilt, aber wann immer er es versucht, es fehlt etwas. Mekira, sie hat seinen Körper befriedigt, aber sein Herz leer gelassen, sie haben beide gewusst, dass es nicht für immer ist. Eine der Töchter des Schatzkanzlers seines Vaters, er hat sich mit ihr eingelassen, als er am Beginn der dritten Jahreszeit seine Eltern besucht hat, es hat ihn hohl und unbefriedigt zurückgelassen. Es macht ihn rastlos, bald ist es auch in Narn’kalar kein ungewohnter Anblick mehr. Tenaro auf Griud im rasenden Galopp auf den Wegen rund um die Residenz des Nun’thain, allein, die Pferde seiner Garde können dem Tempo nicht folgen. Er sitzt oft mitten in der Nacht auf dem Balkon seines Schlafzimmers und starrt hinauf in den Sternenhimmel. Manchmal sieht er einen Stern fallen, und dann wünscht er sich etwas. Aber sein Wunsch geht nicht in Erfüllung. Es kommt einfach keine Nachricht von Metú.


Daikims Sterne

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