Читать книгу RUN - Sein letzter Deal - Douglas E. Winter - Страница 7
EIN UHR MORGENS
ОглавлениеRenny Two Hand sitzt quasi mitten auf dem Tablett, trinkt Bud Light aus einer Flasche und fischt sich eine neue Zigarette aus einem zerknautschten Päckchen auf der Bar. Irgendein Rock-and-Roller, mit gebrochener Stimme und längst tot, kräht monoton vor sich hin und hält noch nicht mal die gleiche Tonhöhe wie diese Zahnarztbohrer-Gitarren. Fünf Ein-Dollar-Scheine stehen wie kleine Zelte auf der Bar, und Two Hand starrt geradewegs auf die Fotze von dieser Tänzerin, als gäbe es kein Morgen.
Betest du manchmal?, fragt er.
Wofür?, frage ich ihn, und er schaut einfach durch mich hindurch und fragt: Betest du manchmal?
Shawnee, so heißt die Tänzerin, haha, lässt ihre verrucht wirkenden Haare herunterhängen, und sie kommt zu mir rüber, und sie will mich. Ich weiß, dass sie mich will, weil sie lächelt, ein kleines, verschlagenes Lächeln, und dann dieses kleine Zwinkern, als sie an mir vorbeistiefelt und ihre High Heels im Takt zur Musik klackern. Also will sie mich. Ja, klar. Sie will, dass ich noch ein paar grüne Scheine mehr auf die Bar lege, und wenn ich das tue, kriege ich den guten alten Hippy-Hippy-Shake, und dann wandert sie weiter zu dem nächsten Typen und dann zum nächsten und zum nächsten, immer noch lächelnd, immer noch zwinkernd, immer noch mit den Hüften wackelnd und immer noch so, als würde sie einen wollen. Süßes Ding, studiert wahrscheinlich Psychologie oder Soziologie an der George Mason University und geht mit einem der männlichen Studenten von dort, wenn sie nicht gerade hinten in der Gasse Blowjobs verteilt.
Ich beuge meinen Kopf zu Renny Two Hand hinüber, versuche mir auszumalen, was er mir eigentlich in dieser Nacht voller Zigarettenrauch, billigem Aftershave, Gossenrock-Gitarren und Gebrabbel im Dauphine Steak House zu sagen versucht, und dann höre ich dieses Bellen. Es ist ein fieses Bellen, die Art von Bellen, das irgendwie plötzlich aufsteht und sagt: Ich bin eine Glock.
Da sitze ich so auf meinem gemütlichen Stuhl, nicke mit dem Kopf zu der Musik von der Band mit dem toten Typen, kümmere mich um meinen eigenen Kram und um die nackte Dame, die oben auf der Bar herumstolziert, versuche sehr angestrengt, über Bud Light anstatt den morgigen Tag nachzudenken, und mit diesem Bellen in meinem Ohr wird mir klar, dass ich einer simplen Tatsache nicht entfliehen kann:
Waffen sind mein Leben.
Also ziehe ich mechanisch Rennys Chesterfield hervor und drehe mich auf dem Barhocker herum, und da ist dieser verdammte Idiot, der von einem der Tische an der Tanzfläche zurücktaumelt. Sein Stuhl kippt nach hinten um, und mit der einen Hand schiebt er eine Kellnerin im knackengen Spandex beiseite, während er mit einer Glock 19 in der anderen herumwedelt. Dieses Arschloch.
Nicht, dass ich was gegen die Glock 19 hätte. Ist meine Lieblingswaffe. Jetzt im Moment habe ich zwei von denen dabei: Eine draußen im Handschuhfach meines Mustang, die andere eng an meinem Rücken, hübsch verstaut in einem Bianchi-Holster.
Seine Version ist nett. Es ist das Originalmodell aus Polymer, von der manche Leute – die dummen Leute – glauben, dass man damit durch die Flughafensicherheit spazieren könnte. Die G19 ist kompakt, wiegt mit einem Fünfzehn-Schuss-Magazin achthundertfünfzig Gramm und der Abzug geht butterweich. Vielleicht ist es nur das Bellen, das mich stört. Es zu hören, wenn es nicht aus meiner eigenen Waffe kommt. Das ärgert mich. So wie wenn man eine Beretta 80 abfeuert, diese kleinen .22er, die irgendwie britzeln, wenn man abdrückt. Oder die MAC-10. Auf Automatik hört die sich an wie eine pissende Katze.
Ich mag meine Waffen gern laut. Sind wir mal ehrlich, wenn einem die Scheiße bis zum Hals steht, so hoch, dass es Zeit zu schießen ist – na ja, dann sollte man eine klare Ansage machen. Die alte Springfield 1911A1, .45er Standardmodell der Army, brüllte wie ein Ochse los und jagte allem und jedem einen Höllenschreck ein. Was recht hilfreich war, denn mit Ausnahme von ein paar waschechten Profis, tat man sich verdammt schwer, mit den langen Dingern aus mehr als einem halben Meter Entfernung noch irgendetwas zu treffen. Aber die .45er klang so, wie sie aussah: groß und böse. Ich bewahre meine in einer Truhe auf, ganz oben auf dem Dachboden, zusammen mit meiner alten Uniform, einem Bild meines Highschool-Schwarms – der alten Schlampe – und einer Landkarte der Staaten.
Da gehört sie hin: Zur Ruhe gelegt, ein weiterer begrabener Traum.
Denk' nicht mal dran, sage ich mir, und dann sage ich es laut zu Renny Two Hand, der endlich aus seinem Dämmerzustand aus Bier und Babes aufgetaucht ist und mitbekommen hat, dass irgendwas vor sich geht. Sein Blick wandert von dem Arschloch auf der Tanzfläche zu mir und dann zu dem Aufschlag an seinem rechten Hosenbein hinunter, wo sich ganz sicher schweres Gerät mit einem Lauf und einem Abzug und – so wie ich Two Hand kenne – einem großen Magazin verbirgt. Ich schnappe ihn an seiner Jacke, bereit, unsere beiden Hintern zum Notausgang und raus aus diesem Schlamassel zu schieben. Schwierigkeiten sind etwas, das man nie gebrauchen kann.
Jedenfalls steht da in diesem Durcheinander dieses gut bewaffnete Arschloch aus dem Hinterland, Manassas vielleicht, mit abgewetzten Jeans, dem Metallica-T-Shirt auf Rezept, darüber ein Flanellhemd und bestimmt fünf Bier zu viel. Er schüttelt seinen schmuddeligen blonden Kopf und tänzelt langsam zurück zur Jukebox. Die Band mit dem toten Typen – jetzt fällt es mir wieder ein, Nirvana heißt die – beginnt, in doppelter Geschwindigkeit zu singen. Müht sich noch kurz ab, um dann loszubrüllen. Das Arschloch hat also eine Glock. Ein volles Magazin vielleicht, und er hat einmal abgedrückt. Da könnten 'ne Menge Leute draufgehen und von den Sanis später rausgerollt werden, aber irgendwie sieht es nicht danach aus; keine Chance, dass der Typ es ernst meint. Außer sich zu prügeln und zu ficken meinen Besoffene selten etwas ernst, und wie die meisten Besoffenen ist dieses Arschloch zu beidem nicht mehr fähig.
Im Moment zeigt die Kanone auf das Linoleum hinunter. Der erste Rausschmeißer, ein kahlrasierter Marine, wahrscheinlich aus Quantico, der sich hier etwas dazuverdient, tritt auf den Plan und spult die gute alte Alles-klärchen-immer-mit-der-Ruhe-Routine ab. Die Hände ausgestreckt, lächeln und nicken, lächeln und nicken, einen Schritt näher, noch einen Schritt.
Der Marine deutet an die Decke, und als das Arschloch nach oben sieht – ich sagte doch, dass er ein dummes Arschloch ist – verpasst ihm der Marine einen Schlag, den Kommentatoren beim Boxen gern einen satten rechten Haken gegen den Kiefer nennen. Aus und vorbei. Der Typ ist fertig.
Ich sehe zu dem Tisch hinüber, wo die ganze Aufregung angefangen hatte, und da ist noch so ein Dünnbrettbohrer, gleiches schwarzes T-Shirt, gleiches Flanellhemd, gleiche Jeans, und er starrt seinen linken Oberschenkel an, als hätte sich dort ein Auge gebildet, das ihn anzwinkert. Er sagt: Oh Momma, oh Momma, und wischt sich schwarzes Blut von einer Hand in die andere, so als wäre es Schmierfett.
Ich sehe auf die Uhr, und es ist beinahe ein Uhr morgens. Letzte Runde Blut und Alkohol. Jeden Moment wird ein Bullenwagen hier eintrudeln. Deshalb:
Das war's dann, Leute.
Ren, sage ich, lass' uns Feierabend machen.
Ja, sagt er. Feierabend.
Er kippt den Rest seines Bud Lights hinunter und hievt sich von seinem Barhocker. Kaum zu glauben, dass er noch gehen kann.
Ich werfe noch einen Fünfer für die reizende Shawnee auf die Bar, sie wackelt mit ihren Titten für mich, und wir sind raus.
Während ich draußen auf dem geteerten Parkplatz die kalte Luft inhaliere und versuche, den Zigarettenrauch aus der Nase zu bekommen, erwischt mich einer dieser Twilight-Zone-Gedanken, und dieses Mal ist es die Vorstellung, dass, während wir abgelenkt waren, die gewaltige Vorstadt von Springfield, Virginia, in ein tiefes, schwarzes Loch gesogen wurde. Dann erst wird mir klar, dass der Strom entlang der Backlick Road und ihres Labyrinths aus Mini-Einkaufshäusern ausgefallen ist und wie sehr ich die Dunkelheit hasse.
Ich bugsiere Renny zu dem Mustang. Nur ein paar Bier, das ist alles. Das jahrhundertealte Versprechen, von Mann zu Mann. Wir hatten unsere paar Biere, machten unser Geschäft, tauschten die Schlüssel aus, und aus Sieben wurde Neun, und wir hatten noch mal ein paar Biere, und gegen Elf war die Bar voll mit Reihen von leeren Flaschen und Dollarscheinen. Eigentlich ein netter Saufabend, bis dann das Bellen dazwischenkam.
Ich versuche Renny an Donnerstag zu erinnern, warum wir die Schlüssel getauscht hatten, aber er zieht die übliche Show ab, gestikuliert herum, versucht einen klaren Kopf zu bekommen und sucht ganz sicher nach einem cleveren Schlusssatz. Ein unrasierter Shakespeare mit wackeligen Knien.
All die Kneipen und Parkplätze dieser Welt sind am Ende nur eine Bühne.
Ah, der Geruch von Blut nach Mitternacht, lässt er schließlich mich und den schwarzen, schwarzen Himmel und die rotblauen Lichter der Polizeiautos wissen, die die Franconia Road heruntergedonnert kommen. Es ist der Geruch von –
Das ist keine Pause; das ist ein Loch. Sein Gesicht verliert die Fassung, und er wirft dem Dauphine Steak House einen langen Blick zu, als hätte er seinen besten Freund, nämlich mich, darin zurückgelassen. Die Stille will nicht weichen. Ich stehe da, bis ich es nicht mehr aushalte.
Der Geruch von … was?, frage ich ihn.
Er dreht sein Gesicht wieder zu mir, ein nichtssagender Vollmond, und dann sagt er: Du fährst.
Er hakt seine Finger in seinen Gürtel, zieht sich die Jeans hoch und klettert schwankend ins Auto.
Das ist mein Partner, Reynold James – aka Renny, aka Two Hand, aka The Wrap. Oder für Sie: Der, der alles Mögliche anfängt, aber nie etwas zu Ende bringt.