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3. Nikolaus und Alexandra

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Der russische Thronerbe Nikolaus Alexandrowitsch erblickte Prinzessin Alix zum ersten Mal im Juni 1884. Damals war er 16 Jahre alt und sie gerade einmal 12. Sie war zur Hochzeit ihrer großen Schwester Elisabeth mit Großfürst Sergei Alexandrowitsch, dem jüngeren Bruder des russischen Zaren Alexander III., nach Russland gekommen. Als sie da in der Kapelle des Winterpalais standen, warfen die beiden einander verstohlene Blicke zu. Vor ihrer Rückreise nach Darmstadt schenkte Nikolaus Alix eine kleine Brosche.

Alix war die Enkelin von Königin Victoria. Sie kam im Juni 1872 im beschaulichen Darmstadt zur Welt, als Tochter von Prinzessin Alice und Großherzog Ludwig IV. von Hessen und bei Rhein. Alix – so ihr Taufname, aus dem später, als sie zum russisch-orthodoxen Glauben konvertierte, Alexandra wurde – war ein hübsches, glückliches Kind. Die Familie nannte sie „Sunny“, ein Spitzname, der in ihrem späteren Leben leider so gar nicht mehr zu ihrer Gemütsverfassung passen sollte. Sie war der absolute Liebling ihrer Großmutter Victoria: „So hübsch“, sagte sie über das kleine Mädchen. „Das anmutigste Kind, das ich jemals gesehen habe.“

Erst fünf Jahre nach ihrer ersten Begegnung trafen Alix und Nikolaus wieder aufeinander. Nikolaus hatte sie nicht vergessen, und als Alix sich erneut in Russland aufhielt, machte er ihr den Hof. An den Abenden begleitete er sie zu Bällen und festlichen Diners, tagsüber nahm er sie mit zum Schlittschuhlaufen. Dass Alix seinem Charme widerstand, hatte in erster Linie religiöse Gründe: Sie war eine strenggläubige Lutheranerin und nicht bereit, für irgendjemanden ihren Glauben aufzugeben. Es war auch von anderen Freiern die Rede, unter anderem von Prinz Georg, dem zweiten Sohn von „Bertie“ (Albert Eduard), dem Prinzen von Wales. Im Jahr 1889 lehnte sie einen Heiratsantrag des Herzogs von Clarence ab, der nach seinem Vater, der nächste Anwärter auf den britischen Thron war. Königin Victoria wollte unbedingt, dass ihre geliebte Alix einen Engländer heiratete, aber Alix beeindruckte die Aussicht, Königin von England zu werden, wenig. Victoria machte sich immer mehr Sorgen, dass sich Alix am Ende doch noch für einen Russen entscheiden würde. Eine solche Ehe, schrieb sie, „kann sie nicht glücklich machen […]. Russland befindet sich in solch einem schlechten, verdorbenen Zustand, jeden Moment könnte etwas ganz Schreckliches passieren.“1 Das nächste Mal trafen sich Nikolaus und Alix im Frühjahr 1894 bei der Hochzeit ihres Bruders Ernst in Coburg. Nikolaus war wild entschlossen, sie endlich zur Frau zu gewinnen, aber sie tat sich mit der Entscheidung so schwer, dass sie in Tränen ausbrach. Ihre große Schwester Elisabeth, die alle Ella nannten, war selbst zur Russisch-Orthodoxen Kirche übergetreten, und sie redete Alix gut zu, um sie zu beruhigen. Es funktionierte, und am Ende nahm Alix den Antrag an.

Noch bevor sie und Nikolaus heiraten konnten, starb am 1. November 1894 im Liwadija-Palast an der Küste der Krim ganz plötzlich und unerwartet Zar Alexander III. Nikolaus war am Boden zerstört. Die Verantwortung, die mit einem Mal auf seinen Schultern lastete, war mehr, als er stemmen konnte. Unter Tränen wandte er sich an seinen Schwager, Großfürst Alexander Michailowitsch: „Sandro, was soll ich tun? […] Was wird mit uns geschehen, mit mir, mit dir und Xenia, mit Alix und Mutter, mit ganz Rußland? Ich bin nicht vorbereitet darauf, Zar zu sein. Ich habe nie einer werden wollen. Ich verstehe nichts von Regierungsgeschäften. Ich habe nicht einmal eine Idee davon, wie ich zu den Ministern sprechen soll.“2 Seine Worte waren auf entsetzliche Weise prophetisch.

Tags darauf empfing Alix erstmals die heilige Kommunion der Russisch-Orthodoxen Kirche, ab sofort hieß sie Alexandra Fjodorowna. Noch im selben Monat, am 26. November, heirateten Nikolaus und Alexandra im Winterpalais in St. Petersburg.

Sie führten eine glückliche Ehe. Ihre Liebe füreinander war so aufrichtig wie dauerhaft und blieb ihnen bis zu ihrem Tod erhalten. Trotzdem hatten sie kein einfaches Leben. Von Anfang an litt Alexandra sehr unter dem Druck, den das Dasein als russische Zarin mit sich brachte. Sie wollte nicht wahrhaben, dass ihre neue Stellung sie zu einer öffentlichen Figur machte und sie ihren neuen Untertanen gegenüber bestimmte Verpflichtungen hatte. Stattdessen bestand sie darauf, ein ruhiges, zurückgezogenes Leben zu führen, und wachte so unerbittlich über die Privatsphäre ihrer Familie, als sei sie bloß irgendeine unbedeutende Adlige in der deutschen Provinz. „Würde bringt Bürde“, wie man so schön sagt, doch Alexandra sah lediglich die Pflichten ihrer Untertanen der Krone gegenüber – davon, dass auch sie dem Volk gegenüber in der Pflicht stand, wollte sie nichts wissen. Dennoch vergaß Alexandra nie, wie viel Macht sie und ihr Mann als Herrscher über Russland besaßen, und sie gestattete keinerlei Vorschläge zu politischen Reformen, so behutsam sie auch sein mochten.

Die Privatsphäre, die Alexandra sich ausbat, trieb sie letztlich in die Isolation, sie fühlte sich allein und ungeliebt. Sie konnte einfach nicht nachvollziehen, warum sogar die entfernteren Angehörigen der Familie Romanow hinter ihrem Rücken über sie zu reden begannen, dabei kam der meiste Klatsch dadurch zustande, dass die Familie sich vom Leben des Herrscherpaars ausgeschlossen fühlte. Und das sollte tragische Folgen haben. Was Nikolaus betrifft, so war er zu kurzsichtig, um das Problem überhaupt wahrzunehmen, und zu schwach, um Alexandra dazu zu veranlassen, ihre Haltung zu ändern. Er war zu sehr auf sie angewiesen, als dass er ihr irgendwelche Vorschriften machen konnte. Alexandras Bruder sagte einmal: „Der Kaiser ist ein Engel, aber er weiß nicht, wie man mit ihr umgehen muß. Sie braucht einen ihr übergeordneten Willen, der sie beherrscht und der ihr gleichsam Zügel anlegt.“3 Alexandras wichtigste Aufgabe bestand darin, einen männlichen Thronfolger zur Welt zu bringen, und dass ihr das nicht gelang, machte ihr schwer zu schaffen. In den sechs Jahren zwischen 1895 und 1901 bekam sie vier Töchter – Olga, Tatjana, Maria und Anastasia –, aber keinen Sohn. Und langsam verlor Russland die Geduld.

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