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2. Rhetorische Gewalt in der Politik5

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Schon die klassische Rhetorik widmete gewaltbesetzten, aggressiven, kampfbetonten Formen Aufmerksamkeit, so in der Sophistik und Eristik, aber auch in späteren Gestalten der Disputation, wenn zur Herabsetzung und Vernichtung eines Gegners dieser in Widersprüche getrieben wird; Barthes schreibt hierzu: „Der Syllogismus ist jene Waffe, die diese Liquidierung ermöglicht, die ständig geschärfte Klinge, die schneidet: Die Disputierenden gleichen zwei Henkern, die sich gegenseitig zu kastrieren versuchen. Diese so heftige neurotische Explosion musste kodifiziert, die narzisstische Verletzung eingeschränkt werden“6. Entsprechend habe man die Konfliktaustragung als Sport betrieben und sie genau geregelt. Die Moralisierung der Rhetorik und ihre Einbindung in Bildung und Kultur wurden allerdings bereits mit Cicero und Quintilian zu weithin anerkannten Ansätzen für eine zivilisierte Rhetorik.

Auf Druck und sprachliche Gewalt abstellende Kommunikation zeigt sich vor allem in einem Cluster von Sprecharten, die im Wesentlichen zu bezeichnen sind mit Wörtern wie warnen, mahnen, drohen, beschwören, Vorwürfe machen, beschuldigen, anklagen, beschimpfen und beschämen, verhöhnen, lächerlich machen, aufziehen etc.; eine destruktive Rhetorik will den Gesprächspartner in die Enge treiben, ihn beschädigen, ihn gar zum Schweigen bringen.

Elias Canetti hat in seinem Klassiker „Masse und Macht“ Sprechweisen der fehlenden Achtung und der Respektlosigkeit, mangelhaften Distanz („Man rückt anderen quasi auf den Leib“), der unzulänglichen Zurückhaltung, des Drucks, der Disziplinierung und der „Domestikation“ (Drohungen, Gebote, Verbote, Klagen, Hetze, Rache, Gerüchte, Geheimnisse), der Erniedrigung und Verletzung, vor allem in den verschiedenen Typen von „Massen“, analysiert und insbesondere auf das Aburteilen abgestellt, das keine Milde kennt, keine Differenzierung des Urteils, kein Abwägen und wenig Sachkenntnis, das mit unheimlicher Sicherheit und Bestimmtheit geschieht; es handelt sich um ein ins Maßlose gesteigertes Urteilen in Gestalt radikalen Abwertens, der Urteilende fühlt sich der Gruppe der Besseren zugehörig, er erhöht sich mit seiner beurteilenden Rhetorik (Verwandlung!), wobei die duale Klassifikation von Gut und Schlecht eindeutige Zuordnung und Klarheit stiftet. Canetti spricht bildlich vom gewaltsamen Eindringen in einen Feind mit Worten, ähnlich dem Eindringen eines Pfeils in einen Körper (Penetranz), und von einer Situation der weitgehenden Schutzlosigkeit7. Harry Pross hat in fast gleicher Weise in seinem Buch „Zwänge. Essay über symbolische Gewalt“ bemerkt, Sprache und Symbole generell könnten wirken wie Maschinengewehre, ihre Gewalt sei auf alle Fälle Mitursache für ungenügende Resistenz gegen politische Indoktrination und so für die Entfaltung brutaler Gewalt in den Totalitarismen der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Er definiert symbolische Gewalt als die Macht, „die Geltung von Bedeutungen durch Zeichensetzung so weit effektiv zu machen, dass andere Leute sich damit identifizieren“8. Obwohl der Begriff der symbolischen Gewalt äußerst weit gefasst wird im Sinne der Durchsetzung von Bedeutungen durch Erziehung, Sozialisation, Kulturation etc., werden doch die spezifischen Fragestellungen politischer Gewaltrhetorik durch Sprachlenkung, Ausübung von Kontrolle, Zwänge politischer Korrektheit, fanatischen Kampf für die Dominanz eigener Symbolwelt etc. thematisiert. Die Tendenz, die symbolische Gewalt zumindest zu arrondieren, kann „politischen Usancen zugehören, dem Bereich der ‚politics‘. Sie kann eine genau gezielte, politische Maßnahme sein im Sinne von ‚policies‘. Es kann schließlich der Grundordnung als solcher zugehören, dass sie, als eine Konstellation von Zeichen in einem allgemeinen Kommunikationsprozess verstanden, über sich hinausweist und den Geltungsbereich ihrer symbolischen Gewalt auszudehnen bestrebt ist (‚polity‘)“9. Voraussetzung für Demokratie ist bei allen auseinanderlaufenden Bestrebungen ein Minimalkonsens über Grundwerte und Grundordnungen, die mit symbolischer und vor allem auch physischer Gewalt unverträglich sind.

Ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Faktor für den Gewinn politischer Zustimmung ist die politische Glaubwürdigkeit10 von Personen, Ideen und Programmen; sie hat einen besonders hohen, in der jüngeren Vergangenheit wahrscheinlich eher noch gewachsenen Stellenwert. Sie ist ein wichtiger Imagefaktor für positive Selbstdarstellung und das „Marketing in der eigenen Sache", hat den Maßstab von Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit sogar etwas an den Rand gedrängt, geht einher mit Vertrauen, dessen Verlust große negative Konsequenzen hat, gerade auch für die persuasive Rhetorik in der Politik. Auffallend ist, dass der Typus der fanatischen, apodiktischen, aggressiven, gesinnungsethisch urteilenden Gruppe sich zumeist auszeichnet durch unbedingtes Vertrauen in die Glaubwürdigkeit ihrer Repräsentanten und deren Rhetorik: Dem Rhetor aus dem eigenen Lager schreibt man in besonders hohem Maße Eigenschaften zu wie Kompetenz, Qualifikation, Erfahrung, Fähigkeit, Intelligenz, Leistungsbereitschaft etc., vor allem auch eine Menge positiver ethischer Attribute. Glaubwürdigkeit erwächst hier vielfach weitgehend unbesehen, manchmal fast blind. In dieser gewaltbesetzten Rhetorik gibt es in der Regel eine starke Polarisierung zwischen der hohen Glaubwürdigkeit von Gruppenzugehörigen und dem großen Glaubwürdigkeitsdefizit der „ungläubigen“ anderen, die als Gegner mit ihrer bisweilen kritisch-distanzierten, ja ironischen Reaktion ihre Exklusion seitens der „Gutmenschen“ und „Besserwissenden“ noch befördern.

Rhetorische Gewalt ist ideologie- und systemimmanent im Totalitarismus, Fundamentalismus und Extremismus. Vor allem in totalitären Bewegungen und Herrschaftsformen ist verbale Gewalt in politischer Rhetorik integraler Bestandteil. Sie rechtfertigen ihren Herrschaftsanspruch mit dem Hinweis auf ideologische Überlegenheit, weltpolitische Sendung und tiefe Einsichten in die Interessen der Menschheit oder eines Volkes.

Eng umgrenzte Machtgruppen, wie z. B. Einheitsparteien, monopolisieren die Besetzung der Herrschaftspositionen. In solchen Gesellschaftssystemen gibt es graduelle Unterschiede der Mündigkeit zwischen Führenden und Geführten; die Führenden beanspruchen für sich allein die Fähigkeit, wichtige Entscheidungen zu fällen und Verantwortung zu tragen, während den Geführten aufgrund des Mangels solcher Qualitäten die Fähigkeit, Führungspositionen einzunehmen oder Vertreter zu wählen, nicht oder nur in beschränktem Maße zugebilligt wird. Weiterhin ist für solche Ordnungen bestimmend, dass offene Kritik und damit das Zutagetreten von Interessengegensätzen und Konflikten in der offiziellen Struktur nur im erlaubten Rahmen oder überhaupt nicht zugelassen werden. Interessenspannungen und Konflikte werden zu latenten, nicht manifesten Konflikten, zu denen dann umso mehr Anlass ist, je stärker die Frustrationen sind, die den Untergebenen zugemutet werden. Aggressionen dienen der Unterdrückung nicht erlaubter Bedürfnisse, der Unterwerfung von Minderheiten und schwächeren Gruppen in der Herrschaftshierarchie sowie der Bekämpfung der äußeren Systemfeinde. Auf der Seite der Herrschenden existiert eine latente Angst vor dem Manifestwerden von Aggressionen gegen die Herrschaftspositionen und ihre Monopolisierung, während auf der Seite der Beherrschten Angst besteht vor den Folgen, die ein offen ausgetragener Konflikt mit den herrschenden Gewalten nach sich ziehen kann. So ist Herrschaft ohne Auftrag tendenziell gekoppelt mit Gewaltandrohung und partiell mit offener Gewaltanwendung, um die herrschenden Normen und ihre Anerkennung zu sichern. Die Anerkennung in Form der Unterwerfung ist sehr oft mit Gewaltandrohung und manifester Gewaltanwendung verbunden11.

Diese Merkmale sind im besonderen Maße kennzeichnend für totalitäre Bewegungen und Systeme. Für sie lassen sich folgende Merkmale abstrahieren: das Fehlen der Gewaltenteilung, die Unterdrückung konkurrierender gesellschaftlicher Gruppen, die Konzentrierung der politischen Macht in der Hand eines Diktators bzw. einer Führungsgruppe, die Herausbildung eines Machtmonopols mithilfe eines autoritär gelenkten Herrschaftsapparates, die Aufhebung oder Einschränkung der rechtlichen Bindungen der politischen Macht (und damit der rechtsstaatlichen Prinzipien), die Eliminierung oder wesentliche Einschränkung der Freiheitsrechte der Bürger sowie der Mitwirkung sozialer und politisch autonomer Gruppen und Verbände am politischen Prozess, auch ein im Zusammenhang mit ideologischem Messianismus auftretender Aktionismus, der auf die Umgestaltung bzw. Disziplinierung der bestehenden Gesellschaft zielt. Die Rhetorik hat hier zumeist eine bedeutende Funktion. Es entsteht ja ein Legitimitätsvakuum, weil keine Rechtfertigung aufgrund traditioneller Institutionen die Herrschaft stützt noch eine echte demokratische Bestätigung vorhanden ist. Insbesondere Bewegungen und Systeme, die im Gegensatz zu mehr traditional orientierten autoritären Systemen grundlegende und umfassende Veränderung in Staat und Gesellschaft anstreben, ideologische Geschlossenheit und weitgehende Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft wollen, Gewalt nach innen und außen ausüben, sind auf permanente „Diktatur“ im Sinne dauernden fanatischen Sprechens zur Mobilisierung der Massen angewiesen. Die totalitären Ideologien mit ihren Zukunftserwartungen, ihren Mythen und Eschatologien, ihrem Sendungsbewusstsein, ihrer Berufung auf höhere Legitimität, ihren Umgestaltungs- und Umerziehungszielen, ihren Freund-Feind-Schemata bedürfen der indoktrinierenden Propagierung. Die Rechtfertigung durch das Charisma von Führergestalten ist auf die rhetorische Verbreitung der Vorzüge von Personen dringend angewiesen. Gewaltanwendung und Gewaltandrohung reichen zur Anerkennung der neuen Werte und Normen nicht aus, die Darstellung der Qualität der Politik in Form politischer Religion ist notwendig. Die Gründe für die Obligation der Beherrschten müssen immer wieder präsentiert werden in Dauerkampagnen ideologischer Rechtfertigung. Jede Macht, auch die ungerechteste, muss den Schein der Legitimität suchen, nicht selten in pseudoreligiöser Weise und mit Einsatz der verschiedensten Strategien rhetorischer Gewalt.

Hitler unterschied zwischen totalitärer Propaganda und Propaganda im totalen Staat. Totalitäre Propaganda habe die Machtergreifung durch „Zersetzung des bestehenden Zustands“ und die gleichzeitige „Durchsetzung dieses Zustands mit der neuen Lehre“ vorzubereiten. Sie solle den politischen Gegner lähmen und das Volk für den Sieg der Idee reif machen, „während die Organisation den Sieg erficht“. Totalitäre Propaganda gilt hier als wichtigstes Mittel zur Niederringung des Gegners und zur Eroberung von Macht und Herrschaft.

Aber auch in Herrschaftssystemen, bei denen die Beauftragung durch Wahlakte (Auftragsautorität!) erfolgt und die Überprüfung durch Kontrollorgane (Parlamente!) und eine kritische Öffentlichkeit (besonders durch die veröffentlichte Meinung) wahrgenommen wird, ist Rhetorik ein zentrales Element, um Einfluss und Macht zu gewinnen und Mehrheiten auf politische Ziele, Handlungen und Führungspersonen zu vereinigen12. Dabei gilt jedoch hier, wo verbale Gewalt eher eine Ausnahme darstellt, diese als unvereinbar mit demokratischer Ordnung herauszustellen und offen zu bekämpfen.

Politische Rhetorik der Gewalt

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