Читать книгу Wenn die Faust des Universums zuschlägt - Dr. med. Johannes Wimmer - Страница 6
Ein Wochenende in Paris
Juli 2019
ОглавлениеVon draußen fällt das warme, bernsteinfarbene Sommerlicht durch die offenen alten Holzfenster, die vom Boden bis zur Decke des Hotelzimmers ragen. Ein leichter Wind wölbt die Gardinen sanft in den Raum hinein vor. Von dem zwischen den Pariser Häuserzeilen versteckten Platz, der unterhalb unseres Zimmers liegt, sind ab und zu Stimmen vorbeiflanierender Paare zu hören, die sich leise unterhalten. Ein paar Minuten zuvor haben Clara und ich noch dort unten gestanden und die bunte Fassade der kleinen Oper bestaunt, die neben unserem Hotel liegt. Ein Pärchen fragte uns, ob wir ein Foto von ihnen machen könnten. Es ist ein Bilderbuchabend in Paris.
Nun sitzen wir an dem winzigen runden Tisch in unserem Hotelzimmer und sind unschlüssig, ob wir die Lampen am Bett und auf dem antiken Sekretär anmachen sollen, da dann das für Frankreich so typische Licht von draußen verschwinden würde. Dieses besondere Straßenlicht, an dem man immer erkennt, dass man in einem anderen Land ist, sei es bei einer nächtlichen Autofahrt, im Nachtzug oder eben im Hotel, wo es sich in den Gardinen, mit denen der Wind spielt, abzeichnet.
Clara ist im vierten Monat schwanger und wir sind nach Paris gekommen, um noch einmal innezuhalten, bevor das Abenteuer Familie ins nächste Kapitel geht. So ein Tag ohne Verabredungen und Termine ist für mich der größte Luxus. Nichts machen, bloß treiben lassen.
Einfach nur genießen fällt mir allerdings nicht besonders leicht. Ich denke dann oft, das stünde mir nicht zu. Clara dagegen ist ein tiefenentspannter Mensch. Das liebe ich an ihr, sie nimmt das Leben, wie es ist, und macht immer das Beste daraus. Selbst wenn ich denke, dass es doch schon das Beste ist, macht sie es noch ein bisschen mehr besonders. Das ist ihre große Stärke. Genuss wird bei ihr großgeschrieben.
Das Erstaunlichste aber ist, dass ich ein unerschütterliches Vertrauen zu ihr habe. Ihr scheint es genauso zu gehen. Irgendwie sind wir, egal was passiert, füreinander da. In unserer Beziehung läuft alles rund. Es fühlt sich an wie beim Flippern, wenn ich als Teenager die Kugel hinter der Glasscheibe im Automaten immer wieder hochschoss, sie perfekt übers Spielfeld rollte und klingelnd ihre Punkte machte. Wäre ich nicht schon mit dieser Frau zusammen, ich würde alles tun, um sie für mich zu gewinnen.
Wir haben also beschlossen, uns während des Wochenendes in Paris einfach nur treiben zu lassen. Morgens kauften wir uns ein paar englischsprachige Zeitungen an einem kleinen Kiosk neben dem Louvre, in dem ein älterer Mann mit einer unvergleichlichen Ruhe saß, während in dem kleinen Radio neben ihm Jazz spielte. Danach gingen wir zu einem kleinen Bistro, das Clara von ihren früheren Parisaufenthalten kennt, um dort in aller Ruhe zu frühstücken. Wir setzten uns an einen der vielen kleinen Tische, die sich auf dem Bürgersteig reihen, blätterten ein wenig in den Zeitungen und schauten den Passanten und dem Treiben auf der Straße zu. Wie sehr ich diese Momente mit Clara genieße, ohne Worte können wir die Welt auf uns wirken lassen. Meine Gedanken fangen an, freier zu werden und sich von all den Dingen, die mir sonst im Alltag auch mal Kopfzerbrechen bescheren, zu lösen.
»Wie die kleine Maus wohl aussehen wird?«, sagte Clara.
Ich blickte zu ihr rüber. Auf ihrem Teller waren nur noch ein paar Krümel von dem köstlichen Croissant übrig. In der einen Hand hielt sie ihre große Schale Café au Lait, die andere lag ruhig auf ihrem noch kaum sichtbaren Babybauch. Die Vorfreude auf unseren Nachwuchs strahlte mir aus ihrem Gesicht entgegen. Ein entzückender Anblick. Ich bin genauso euphorisch wie Clara, ein Kind zu bekommen. Aber eben auch ein skeptischer Mediziner, der sich ungern zu früh freut. Am liebsten würde ich erst im 8. Monat Familie und Freunden von der Schwangerschaft erzählen, während Clara sich kaum bändigen kann, die gute Nachricht nicht zu früh zu teilen.
»Hoffentlich kommt sie nach der Mutter …«, antwortete ich. »Aber bevor es so weit ist, habe ich noch eine Überraschung für dich.«
Ich hatte mir vorgenommen, die Reise nach Paris mit der Suche nach einem Verlobungsring zu verbinden. Zu Hause in Hamburg war das nicht möglich. Clara und ich finden zwar immer schöne Momente zusammen, aber meist erst abends. Außerdem wollte ich einen entsprechend schönen Rahmen schaffen, den wir genießen konnten, räumlich und zeitlich.
»Du hast ja immer genaue Vorstellungen davon, was dir gefällt und was nicht. Und bei einer Sache will ich nun wirklich nicht danebenliegen. Jetzt sind wir in der Stadt der Liebe«, ich betonte Liebe etwas übertrieben albern, »das ist doch der perfekte Ort, um nach einem Verlobungsring Ausschau zu halten.«
Clara griff nach meiner Hand, drückte sie fest und nickte.
Wir winkten dem Kellner, um zu zahlen. Dann machten wir uns mit leichten Schritten in Richtung Geschäftsstraßen auf. Die Schaufenster in den wunderschönen Altbauten und Arkaden erschlugen uns fast mit all den prunkvollen Schmuckstücken. Wir gingen in einige Juwelierläden, duckten uns vorbei an breit gebauten Türstehern, von denen ich den Eindruck hatte, dass sie uns fast ein wenig widerwillig in die Geschäfte ließen, und wurden von eleganten, wohlduftenden Verkäuferinnen beraten. Doch so richtig fündig wurden wir nicht.
Claras Kommentar war entweder »Der ist doch viel zu teuer!« oder »Ich glaube, das bin ich nicht!«. Nach einer Weile hielten wir auf dem Gehweg zwischen Luxusboutiquen und Hotels an und überlegten, was wir jetzt machen wollten, als ich eher beiläufig in das Schaufenster schaute, vor dem wir stehen geblieben waren. Es gehörte zu einem der ältesten Juweliere Frankreichs und irgendwie machte sich in mir ein Gefühl breit, dass wir richtig waren.
Wir klingelten und wurden durch die alte Holztür mit eingefasstem Kristallglas eingelassen.
»Die sind alle wunderschön, ich kann gar nicht sagen, welcher mir am besten gefällt«, sagte Clara, nachdem uns die Verkäuferin eine Auswahl an Ringen gezeigt hatte. »Ich weiß nicht, vielleicht habe ich für heute genug Ringe angeschaut.«
»Wir müssen heute ja keinen kaufen«, sagte ich. Denn insgeheim formte sich in mir ein Plan. Ich wusste, mit welchem Ring ich Clara überraschen konnte, und würde noch einmal allein wiederkommen, um ihn zu kaufen.
In wohligem einvernehmlichem Schweigen verließen wir den Laden und schlenderten weiter durch Paris. Am Nachmittag kauften wir uns in den Galeries Lafayette alles, was wir für ein nächtliches Picknick im Hotelzimmer brauchten. Das ist uns lieber, als schick essen zu gehen. Allerdings mussten wir uns ein wenig bremsen, da es in Hotelzimmern ja typischerweise nur einen kleinen Kühlschrank gibt. Als wir zurückkamen, räumten wir die Fläschchen der Minibar in den Kleiderschrank und füllten »unseren Kühlschrank« mit Wein, französischem Käse, Aufschnitt, Butter und kleinen Gürkchen auf.
Jetzt erstrecken sich alle Köstlichkeiten auf dem Tisch in unserem Hotelzimmer: ein Glas Wein für mich und Wasser für Clara, Käse und Schinken verschiedenster Art auf dem Wachspapier, in das sie eingepackt gewesen waren, daneben das bereits angebrochene Baguette. Das Gurkengläschen findet kaum noch Platz auf der kleinen gedeckten Tafel.
Der Anblick des Käses bringt uns beide zum Schmunzeln, da er erst nach einer längeren Diskussion an der Theke in unseren Einkaufskorb fand. Scheinbar sehen die Franzosen es mit dem Rohmilchkäse in der Schwangerschaft weniger eng als wir Deutschen. Da ich nun mal gar kein Französisch spreche, versuchte Clara der Verkäuferin klarzumachen, dass es für uns schon wichtig wäre, ob der Käse nun pasteurisiert sei oder nicht. Die Dame lächelte uns an, aber ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie beim besten Willen nicht verstand, was wir von ihr wollten. Erst als eine jüngere Kollegin zu Hilfe kam und ihr unser Anliegen erklärte, verstand sie und lachte auf. Dann verdrehte sie charmant die Augen, machte mit der Hand eine wegwischende Bewegung und übergab an die jüngere Kollegin. Diese sagte uns auf Englisch: »Na ja, die älteren Franzosen halten davon nicht so viel, da wurde in der Schwangerschaft zum Mittagessen auch mal ein Glas Wein getrunken.«
Dass es ohne Französischkenntnisse mit der Kommunikation selbst in einer weltgewandten Stadt wie Paris nicht so ganz leicht werden würde, hatte ich schon direkt bei unserer Ankunft im Hotel feststellen dürfen. Da Clara eine ausgesprochene Liebe zu Blumen, aber auch einen ausgewählten Geschmack hat, wollte ich sie mit einem Strauß überraschen. Ich mailte und telefonierte mit dem Hotel hin und her. Das war aber gar nicht so leicht, denn meine floristischen Kenntnisse sind etwa ähnlich gut wie mein Französisch. Nachdem der Ideenaustausch mit dem Concierge nirgendwo hingeführt hatte, schrieb ich »alles außer Rosen« in meine letzte Mail. Clara ist kein besonderer Fan von Rosen und ich bin nicht der Typ, der so ein Wochenende in der Stadt der Liebe mit den Blumen der Liebe überkitscht. »Magnifique« lautete die prompte Antwort des Concierge, man werde sich darum kümmern.
Als wir bei der Ankunft unser Zimmer betraten, leuchtete uns ein großer, wundervoller Strauß aus – ich musste zwei Mal hinsehen – Rosen entgegen. Clara reagierte mit ihrem herzergreifenden Lachen, während mir ein wenig die Luft wegblieb, so wie früher, wenn ich als Schüler bei etwas erwischt worden war, das ich nicht hätte machen dürfen.
»Ich habe gesagt, KEINE Rosen«, war das Einzige, was ich in dem Moment rausbrachte.
Zum Glück waren es sehr schöne wilde Rosen, nicht rot, sondern weiß und pink. Entweder mag Clara Rosen mittlerweile doch ein wenig oder sie genießt das Bouquet zumindest in Paris. Der Strauß wandert, so wie sie das bei uns zu Hause auch macht, stets mit ihr mit. Vom Sekretär zum Nachttisch, ins Bad und wieder zurück. Jetzt hat er sogar noch Platz auf dem kleinen Picknicktisch gefunden.
»Meinst du, so aus strenger ärztlicher Sicht, dass mir die kleine Maus das eine Mal Rohmilchkäse und Foie Gras verzeihen wird?«
Clara ist die Leidenschaft für kulinarische Köstlichkeiten in die Wiege gelegt worden. Deshalb ringt sie, seit wir wissen, dass sie schwanger ist, immer wieder mal mit sich, auf alles, was ihr so gut schmeckt, verzichten zu müssen.
Ich strecke die Arme in die Luft und gebe mich geschlagen.
»Übrigens bin ich von Johnny Junior nicht so begeistert«, wirft Clara auf einmal ein, während sie sich ein Stück vom Baguette abbricht. Anscheinend will sie die Gunst der Stunde nutzen. Bevor wir losgeflogen waren, hatten wir nämlich überlegt, welchen Namen wir dem Kind geben würden. Jeder listete fünf Mädchen- und fünf Jungennamen auf. Wir verteilten Punkte und machten ein Ranking. Falls das Kind ein Mädchen werden würde, sollte es Maximilia oder kurz Maxi heißen. Darin waren wir uns schnell einig.
»Wir können ja noch über Johnny Junior verhandeln«, antworte ich und schiebe ihr grinsend den Rohmilchkäse rüber.