Читать книгу Das große GU Babybuch - Dr. med. Manfred Praun - Страница 15
Die Geburt und die erste Zeit danach
ОглавлениеBestenfalls trugen Sie Ihr Baby 40 Schwangerschaftswochen als »Untermieter« in Ihrem Bauch. Dort war es nicht zu hell und nicht zu dunkel, kuschelig warm, nicht zu laut und nicht zu leise. Es konnte Daumen lutschen, verspürte keinen Hunger und genoss durch die enge Begrenzung seiner Höhle die ständige Anwesenheit seiner Mutter. Es mangelte ihm an nichts. Wen wundert es bei dieser Vorstellung, dass so manches Baby am liebsten noch länger dort drinnen geblieben wäre?
Babys Höchstleistungen
Auch Ihr Baby hat mit der Geburt eine wunderbare Leistung vollbracht. Ganz gleich, ob es ein wenig zögerlich mitgearbeitet hat oder ob es zur Kategorie der »Schnelldurchläufer« gehört, Fakt ist: Jetzt ist es endlich da und macht erst einmal große Augen. Sicher ist auch Ihr Baby neugierig, wen es ab jetzt erwarten kann, und sucht vielleicht Blickkontakt zu Ihnen. Um nun richtig glücklich sein zu können, wünscht es sich außerhalb seiner gewohnten Umgebung die gleichen Bedingungen: Es sollte nicht zu hell, nicht zu dunkel sein, kuschelig warm, nicht zu laut und nicht zu leise – vor allem aber möchte ein Säugling seine Mutter spüren und am liebsten für immer so nah bei ihr sein wie bisher. Um dieses Bedürfnis sehr bald erfüllen zu können, sollten Sie wenn möglich Ihr Baby gleich nach der Geburt in Ihre Arme schließen und auf Ihren freien Oberkörper legen.
Dieser innige Hautkontakt vermittelt Ihrem Kind Geborgenheit, und es kann auf Vertrautes zurückgreifen – es kann seine Mutter fühlen, riechen, hören und sogar sehen!
BONDING
Mit dem Begriff »Bonding« ist die innere Gefühlsverbindung gemeint, die Eltern zu ihrem Kind entwickeln. Forscher auf der ganzen Welt haben übereinstimmend festgestellt, dass besonders die ersten Minuten nach der Geburt für die Entwicklung des Urvertrauens von entscheidender Bedeutung sind. Je früher das Neugeborene die gleichen Bedingungen wie im Mutterleib verspürt, desto reibungsloser und harmonischer wird es in seiner neuen Umgebung aufwachsen können.
Geburt durch Kaiserschnitt
Bei einer spontanen Geburt spürt das Baby, dass eine Veränderung bevorsteht. Es fühlt die Wehen, den erhöhten Herzschlag der Mutter und ihre Verarbeitung des Schmerzes. Das Baby weiß instinktiv, dass es bald seine gewohnte Umgebung verlassen muss. Bei einem Kaiserschnitt ist dies nicht der Fall. Hier liegt das Baby in der Gebärmutter, ohne etwas von der bevorstehenden Geburt zu ahnen, bis sich diese überraschend öffnet. Fremde Hände heben das Baby heraus. Auf einmal ist es hell und ungewohnt laut, die Temperatur ist eine andere, und der bisher vertraute, enge Schutzraum ist nicht mehr da. »Was ist eigentlich hier los?«
Blitzgeburt fürs Baby
»Kaiserlich« entbundene Babys erleben die Geburt anders als solche, die durch den natürlichen Geburtskanal das Licht der Welt erblicken. Manche Kinder, die durch einen Kaiserschnitt geboren wurden, empfinden ihre Geburt als so plötzlich, dass sie anfangs nicht realisieren, dass sie überhaupt geboren sind. Dies kann sich beispielsweise durch ein unruhiges Verhalten äußern. Um das Gefühl zu bekommen, auf der Welt »gelandet zu sein«, ist es daher wichtig, sobald wie möglich die körperliche Nähe zu den Eltern spüren zu dürfen.
Vaters Großeinsatz
Wenn ein Vater an der Schwangerschaft seiner Partnerin teilnehmen konnte, wird dem Baby seine Stimme vertraut vorkommen. Alles Vertraute nach der Geburt hilft dem Säugling, entspannen zu können und sich nicht allein zu fühlen. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, dass der Vater nach einem Kaiserschnitt in den ersten Minuten das Baby übernimmt. Wenn es dem Kind gut geht, dürfen Sie es natürlich sehen und begrüßen, bevor es von der Hebamme und dem Arzt untersucht und versorgt wird. In der Regel ist der Vater willkommen, bei der ersten Untersuchung dabei zu sein, und bekommt dann nach wenigen Minuten das Baby auf den Arm, während Ihr Kaiserschnitt vernäht wird.
NICHT FÜR IMMER
Viele Frauen haben die Sorge »einmal Kaiserschnitt – immer Kaiserschnitt«. Dies ist nicht der Fall. Drei von vier Frauen haben trotz eines Kaiserschnitts beim nächsten Kind eine spontane Geburt.
Geburt mit Zange oder Saugglocke
Es kommt immer wieder vor, dass der Geburtsverlauf in der Ausschiebephase (früher auch Austreibungsphase genannt) stockt, weil aufgrund einer Wehenschwäche oder akuter Erschöpfung der Mutter nichts mehr vorwärtsgeht. Mitunter liegt das Baby schon tief im Becken und steht »vor der Türe«, wie die Geburtshelfer sagen. Erfahrungsgemäß hilft in diesen Fällen ein Geburtsinstrument, um dem Baby den Weg auf die Welt zu bereiten.
Die Zange
Als Geburtszange bezeichnet man zwei große Metalllöffel, die in die Scheide eingeführt und am Köpfchen des Babys angelegt werden. Sobald die Zange positioniert ist, zieht der Geburtshelfer vorsichtig synchron zu den Wehen und holt das Baby auf die Welt. Voraussetzung für den Einsatz der Zange ist ein vollständig geöffneter Muttermund und ein Köpfchen, das schon fast am Ziel ist.
Die Saugglocke
Dieses Geburtsinstrument kann auch dann eingesetzt werden, wenn das Kind noch weiter oben im Becken liegt. Dabei handelt es sich um eine Art Metallschüssel, die am Hinterkopf des Babys angelegt wird. Mithilfe einer Pumpe wird ein Vakuum zwischen Kopf und Glocke erzeugt und das Baby dann mit jeder weiteren Wehe aus dem Geburtskanal gezogen.
Auf der Welt angekommen, brauchen Babys viel Körperkontakt und Zärtlichkeit.
Babys »Nachwehen«
Viele Kinder, die mit Saugglocke, Zange oder Kaiserschnitt entbunden wurden, haben lange Zeit unruhige Schlafphasen und weinen viel. Das ist gut nachzuvollziehen, denn auf irgendeine Weise müssen sie ihr Geburtserlebnis verarbeiten. Hinzu kommt, dass Saugglockenkinder durch schmerzhafte Hämatome und eine mehr oder weniger große Beule schlichtweg Kopfschmerzen haben können (bitte nicht zu viel am Köpfchen streicheln). Oft hilft es den Babys, wenn sie die Enge verspüren und die Fürsorge bekommen, die sie bisher gewohnt waren. Schließen Sie also Ihr Baby in die Arme und drücken Sie es behutsam an Ihren Körper, sodass es sich eng umschlungen und wohlbehütet fühlt.
Alles andere als rosig
Kein Kind kommt mit einer schönen rosigen Gesichtsfarbe auf die Welt. Im Gegenteil: Die meisten Babys sind direkt nach der Geburt eher blass oder bläulich. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass erst mit den ersten eigenen Atemzügen Sauerstoff ins Blut kommt – und damit Farbe ins Gesicht. Solange das Neugebo-rene noch nicht abgenabelt ist, muss seine Lunge den Körper nicht allein mit Sauerstoff versorgen. Mit nachlassender Nabelschnurpulsation bekommt ein Baby seine rosige Farbe – das beginnt meist zuerst am Rumpf, danach am Kopf, später dann an Armen und Beinen. Spätestens wenn die Nabelschnur nicht mehr pulsiert, fangen die meisten Babys an zu schreien, und dieses Schreien ist willkommen, denn es liefert den Hinweis, dass es von nun an selbstständig atmen kann. Babys, die unmittelbar nach der Geburt abgenabelt werden, bekommen vom Geburtshelfer Startversuche, um den Schrei ertönen zu lassen. In der Regel wird es dafür sanft abgerubbelt, um seine Atmung zu stimulieren. In seltenen Fällen dient dazu manchmal auch noch der klassische Klaps auf den Po.
Der Apgar-Test
Der Zustand des Neugeborenen wird beim sogenannten Apgar-Test dreimal in kurzen Abständen beobachtet: das erste Mal eine Minute nach der Geburt und dann noch fünf und zehn Minuten nach der Geburt. Für das jeweilige Ergebnis gibt es Punkte, und zwar pro Kriterium von null bis zwei. Insgesamt werden fünf Kriterien abgefragt, sodass sich eine Höchstpunktzahl von zehn Punkten ergibt, die auf den bestmöglichen Gesundheitszustand des Babys hindeutet. Aber es besteht kein Grund zur Sorge, wenn Ihr Baby geringfügig unter der Höchstgrenze liegt: Die wenigsten Babys erreichen beim ersten Test sofort nach der Geburt einen Apgar-Wert von 10. Wichtiger als das erste sind das zweite und dritte Testergebnis. Bei einem gesunden Kind und einer »normalen« Geburt lautet der Standard-Apgar in der Regel 9/10/10. Bei der Durchführung dieses Tests müssen Sie nicht auf Ihr Baby verzichten. Die Geburtshelfer sind so routiniert, dass ein geschulter Blick aufs Baby für die Bewertung ausreicht. Das Testergebnis können Sie im Mutterpass und im gelben Vorsorgeheft nachlesen.
FÜNF KRITERIEN
Um 1950 entwickelte die Amerikanerin Virginia Apgar dieses nach ihr benannte Schema. Aus ihrem Namen lassen sich die fünf zu beobachtenden Kriterien ableiten:
A steht für Atmung
P steht für Puls
G steht für Grundtonus (Bewegung und Muskelspannung)
A steht für Aussehen (Hautfarbe) und
R steht für Reflexe.
BEWERTUNG DES AGPAR-TESTS | ||||
0 Punkte | 1 Punkt | 2 Punkte | ||
• | Atmung | Keine | Flach | Regelmäßig |
• | Puls | Nicht feststellbar | Unter 100 | Über 100 |
• | Grundtonus | Schlaff, keine Bewegung | Wenig Bewegung | Aktive Bewegung |
• | Aussehen | Blass/blau | Rosa Körper, Arme/Beine blau | Ganz rosa |
• | Reflexe | Keine | Macht Grimassen | Schreit |
pH-Wert-Messung
In den meisten deutschen Kliniken wird zusätzlich zum Apgar-Test noch der pH-Wert des Blutes ermittelt. Manche Kliniken messen darüber hinaus den Kohlendioxid- und Sauerstoffpartialdruck im Blut, was genauere Aussagen über die Sauerstoffversorgung während der Geburt zulässt. Dazu werden fürs Baby völlig schmerzfrei einige Tropfen Blut aus der Nabelschnur entnommen, idealerweise nach dem Abnabeln und möglichst vor der Geburt der Plazenta.
Augenprophylaxe
Um die Augen des Neugeborenen vor möglichen schweren Augeninfektionen zu schützen, bieten einige Kliniken prophylaktisch Augentropfen an. Dabei handelt es sich um je einen Tropfen Silbernitratlösung, der – nur mit Zustimmung der Eltern – in jedes Auge getropft wird. Dank ihrer Hilfe konnte bereits vor über 100 Jahren die Anzahl der Erblindungen nach Augenentzündungen bei Neugeborenen deutlich reduziert werden. Auslöser für solche Entzündungen sind etwa durch die Geburt übertragene Erreger der Geschlechtskrankheit Gonorrhö (»Tripper«). Erfahrungsgemäß bereiten diese Tropfen dem Baby einen brennenden und unangenehmen Schmerz, mitunter schließt es eine Weile die Augen. Auch vorübergehende Bindehautentzündungen als Folge der Tropfen sind nicht selten.
Die erste Vorsorgeuntersuchung
In der ersten Stunde nach der Geburt ist auch bereits die erste Vorsorgeuntersuchung, die U1, durch einen Kinderarzt oder Geburtshelfer fällig (mehr dazu auf >).
Das erste Bad
Danach steht in den meisten Kliniken ein Bad für das Neugeborene an. Das Strampeln im warmen Wasser ist fast so schön wie in Mamas Bauch. Sollte das Baby noch Käseschmiere am Körper haben, wird diese ganz bewusst nicht abgewaschen. Denn diese Schicht, die Babys Haut im Bauch der Mutter vor dem Fruchtwasser schützte, zieht nach der Geburt in die Haut ein. Sie ist ein natürlicher Hautschutz, der unbedingt genutzt und nicht etwa aus optischen Gründen entfernt werden sollte. Nach dem Entspannungsbad bekommt das Baby schließlich seine erste Windel, um dann friedlich und gut erholt in den Armen der Eltern zu landen. Nach so vielen Strapazen auf einmal ist für Mutter und Kind nun ein längerer, wohlverdienter Schlaf fällig.