Читать книгу Marx und Nietzsche mischen sich ein - Die heillose Kultur - Band 1.1 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 11
ОглавлениеMitleid
Nach Arthur Schopenhauer sind die eigentlichen Wurzeln des Handelns 1. Eigennutz (Interesse), 2. Mitleid und 3. Grausamkeit.
„Eigennutz bzw. Egoismus, der nur das eigene Wohl will, ist die Haupttriebfeder menschlichen Handelns, hat jedoch keinen moralischen Wert.
Ebenso Grausamkeit, die das fremde Weh will. In einer grundsätzlich durch den Egoismus und Grausamkeit des Willens bestimmten Welt, die Dantes Hölle dadurch übertrifft, dass Einer der Teufel des Anderen sein muß, ist Mitleid – d. h. das fremde Wohl wollen, und zwar aller lebenden Wesen –, die alleinige echte moralische Triebfeder, der feste Bürge für das sittliche Wohlverhalten. (...) Es beruht nicht auf Begriffen, Religionen, Dogmen, Erziehung, sondern es liegt in der menschlichen Natur selbst und gehört nirgends zu den, fremden Göttern’. Daher hat es eine reale Wirksamkeit und ist die wahre Grundlage der Moral.“ (Schopenhauer, Arthur, 2005, S. 155)
Der Alptraum des Kapitalismus liegt folglich im Gewissen und in der Seele jedes Einzelnen: Er handelt im günstigsten Fall nur zum eigenen Wohle, was keinen moralischen Wert hat, wie Schopenhauer urteilt. Grausamkeit will das fremde Weh. Im Kapitalismus wird auf alle Mittel zurückgegriffen und sie gezielt eingesetzt, die den Profit mehren. Auch diejenigen, deren Schädlichkeit bekannt ist. Eine Nebenwirkung des Kapitalismus ist Grausamkeit. Stichwort: Grenzwerte. Hier ist Grausamkeit, das Weh der anderen Menschen (nicht einmal in jedem Falle bewusst) wollen und für das eigene Wohl auf dem Konto zu sorgen, um sich alle Freiheiten dieser Welt zu gestatten, die mit Geld zu kaufen sind, zu konstatieren. Besonders jedoch ist Grausamkeit in Form von Gleichgültigkeit und Ignoranz, die weder von Verantwortung noch Folgen entbinden, zu finden. Gesteigert wird Grausamkeit durch bewusste Entscheidungen, Menschen mittels psychologischer Tricks und /oder Manipulationen und psychotherapeutischem Wissen sowie wissenschaftlichem Grundlagenwissen in jeder Form, hinters Licht zu führen und sie somit auf Wege zu dirigieren, die einzig dem eigenen Wohl der Urheber dienen. In der Regel ist das Ziel von Entscheidungen, Profit zu erzielen. Es geht nicht um primäre Bedürfnisbefriedung wie, dass jeder Mensch zu essen und ein Dach über dem Kopf habe, in Frieden und Sicherheit leben könne, und Kinder ihren Fähigkeiten und ihrer Intelligenz gemäß unterstützt werden. Mittels Intelligenz und kommunikativer Wohlüberlegtheit wird alles benutzt, um die kapitalistische Gralssuche zu perfektionieren: aus allem wird Profit gemacht. Dafür wird Mensch, Land, Erde, Luft und Zukunft geopfert. Werden Grenzen in der Wirtschaft und der Politik überschritten, die dem Menschen schaden, haben Menschen diese Grenzüberschreitungen in sich mittels ihrer Psycheund ihrem Körper auszugleichen – um ihre Seele zu schützen. In der Gegenwart kommt der Mensch an seine Grenzen, dies tun zu können.
Es könnte nun eine Aufstellung folgen, wie viele Menschen täglich verhungern, kein Dach über dem Kopf haben, missbraucht, vergewaltigt und hinters Licht geführt werden, und dadurch Schaden an Leib und Seele erfahren, sprich, wie viele Menschen auf die eine oder andere Art zusammenbrechen, weil die psychischen Abwehrleistungen für dieses Szenario des Wettlaufs, wer die Elite ist und wer die meisten Gewinne macht, nicht mehr standhalten. Krankenstandsziffern steigen im körperlichen und seelischen Bereich weltweit. Krankenkassen klagen und wollen ihrerseits Gewinne machen (dazu mehr in Band 2 und 3)
Es ist bekannt, unter welchen Bedingungen zum Beispiel Chinesen leben – trotzdem den Standort dorthin zu verlegen, um an billigen Arbeitskräften zu partizipieren und damit den Gewinn zu steigern, kann nicht als humanistische Tat, weil man Arbeit geben will, Darstellung und Akzeptanz finden. Oder die wirtschaftlichen Handlungen von Siemens in Ungarn, dessen langer Arm nun arme Menschen als Geschäftsführer für 15 Euro verkleidete und die infolgedessen wegen Steuerhinterziehung belangt werden, können nicht als „Hilfsleistung“, sondern als „Ausnutzleistung“ gewertet werden! Nokia ließ Mitarbeitern ihre Kündigung sachlich aus dem Fernsehen mitteilen. Die Mitarbeiter werden sich „bedanken“ für diesen Moment der Kündigung, den sie ihr lebtag nicht vergessen werden.
Das zu ziehende Fazit kann also nur lauten: Klare Wertebestimmung – der Mensch und seine Seele muss an erster Stelle in der Gesellschaft stehen und darf nicht zum Zweck der Gewinnerwirtschaft weiterhin gedemütigt werden.
Mitleid oder Mitgefühl für Menschen sind notwendig für eine grundlegende Um- und Neuorientierung. Weitere Proben und Ideen, wie Gefühle manipuliert und benutzt werden, indem von Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit und gleichem Recht für alle gesprochen, und das Gegenteil verwirklicht wird, sind out.
Zu differenzieren wäre, dass Mitleid oftmals eine Ungleichheit zwischen demjenigen, der mitleidet und demjenigen, der das Leid erfährt, assoziieren lässt. Derjenige, der andere Menschen bemitleidet steht sozusagen auf höherer Stufe – das ist hier aber nicht von Schoppenhauer gemeint: Gemeint ist, ein Mitfühlen auf gleicher, menschlicher Ebene. Dazu wäre es notwendig, dass jeder Mensch seine eigene emotionale Geschichte sicher wüsste, und sie als Bezugspunkt für das Begreifen dessen, was ein anderer gerade erlebt und fühlt, für sich zur Verfügung zu haben. Zum Beispiel differenzieren sich arme und reiche Menschen nicht dadurch von einander, dass sie unterschiedlich „fühlen“ oder „mitfühlen“. Menschen empfinden Mitgefühl! Tritt heutzutage der Faktor Arroganz hinzu, könnte man von „Mitleid“ sprechen: Der nicht vom Leid betroffene Mensch stellt sich in irgendeiner Form über den anderen – und sei es, dass er sich freut, nicht selbst betroffen zu sein. Eine weitere Steigerung wäre Schadenfreude: Sich freuen, wenn dem anderen ein Leid widerfährt...und man selbst nicht betroffen ist. Oder, ein Mensch erlebt innerlich eine Erhöhung (für die er nichts getan hat...), weil er ein Leid, das einem anderen angetan wurde, nicht erleben musste. Diese Erhöhung kann als Reaktion sekundenschnell eintreten, und wird manchmal als sekundenschnelle Distanzierung bemerkt: Selbst dann, wenn der betreffende Mensch, der vom fremden Leid hört, dies gar nicht möchte... Hier könnte es sich um einen seelischen Beleg dafür handeln, dass der das Leid Hörende in sich selbst das eigene Leid abgespalten hat...und nichts davon wissen will. Bei dem, was im Rahmen der Missbrauchsdebatte in 2010 in Deutschland mitgeteilt wird und wurde, dürften diese Erfahrung nicht wenige Menschen an sich selbst gemacht haben...unvermittelt gehen sie innerlich auf Distanz... Niemand will Opfer sein...niemand will sich selbst so sehen und wahrnehmen, wie er gerade den anderen Menschen, dem Furchtbares zugefügt wurde und dies mitteilt, wahrgenommen hat... Aus dieser Warte betrachtet, könnte das Missbrauchsthema in einem ungeheuren emotionalen Zuwachs an Bewusstheit in jedem Menschen gipfeln, das, richtig verstanden, in einer Vergebungssituation gipfeln könnte: Den Splitter im Auge des anderen sehen, aber den eigenen Balken nicht...
Die Täterseite fördert selbst redend noch weitere und andere Aspekte von Missbrauch, die ebenso wie bei Opfern, auf verschleierte und verheimlichte Familien- und Sozial- und Politikgeschichte verweisen, zu Tage. Wie sich in dieser Hinsicht Mitleid, Mitgefühl und Verständnis einerseits und Bestrafung, berufliche Konsequenzen und öffentliche Sichtweisen entwickeln, bleibt abzuwarten.
Bei dem Ausmaß an Missbrauch, Vergewaltigung und Gewalt in Deutschland (und sicherlich auch weltweit) ist die Frage, wie das möglich ist, nicht weit.
Mir drängt sich hier der Gedanke auf, das man Menschen den Krieg politisch nicht als Sondersituation weiß machen sollte: Im Krieg werden Männer zum Töten gezwungen – und man tut politisch und gesellschaftlich so, als sei dies kein Problem, da dazu passend die entsprechenden politischen und militärischen Gesetze geliefert wurden und werden. Man tut, als funktionierten Seele und Psyche so, als könne Menschen die Erlaubnis zum Töten gegeben werden und sie diese nach dem Krieg dann einfach von ihrem „inneren Konto“ löschen könnten, weil sie ja auf Befehl militärisch und politisch legitimiert gehandelt haben. Wie wir wissen, ist das nicht wahr. Kein Gesetz, ob politisch oder militärisch oder durch beide begründet, kann die Gewissensbildung und die Verantwortlichkeit jeden einzelnen Menschen für seine Seele abkaufen: Männer, die im Krieg waren, die töten mussten und noch vieles andere mitmachten, wie Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern und Frauen des gegnerischen Landes, des Feindes, leiden darunter. Aber ein Soldat, der nach Hause kommt, dessen Land gesiegt hat, hat keine öffentlich-moralische Grundlage auf die er sich beziehen könnte, um seinen Sieg über den Feind als Niederlage vor seinem Gewissen und seiner Seele kundzutun. Er gälte und gilt dann als Weichei, Versager oder als durch den Krieg Geschädigter, als der, der eben nicht hart genug war, zu verkraften, was von ihm verlangt wird. Es ist davon auszugehen, dass Männer in den Familien geheim zu halten hatten, was sich in ihrer Seele abspielte, wollten sie nicht noch mehr als geschädigter Mann in Familie und Gesellschaft stehen. Hat ein Land und damit die den Krieg führenden Männer verloren, dann besteht erst Recht der Selbstschutz nicht noch zur Niederlage die eigenen seelischen und psychischen Qualen und Gewissensanpassungsversuche mitzuteilen... Es besteht also Grund zur Annahme, dass das generelle Abspalten und Geheimhalten der emotionalen Erlebnisse aus Kriegszeiten zum einen für die unmittelbar betroffenen Männer, ehemals Soldaten, zu einem psychischen Desaster führten, die sie so weit wie möglich geheim hielten oder in Selbsttherapieversuchen versuchten im Alltag zu handhaben. Weiter besteht Grund für die Annahme, dass diese Geheimnisse aus dem Krieg, die Leiden und Qualen, sich gleichfalls auf deren Kinder im Alltag aufgrund des Verhaltens der ehemaligen Männer auswirkten und auf Enkel, in dem sie nun in Friedenszeiten sich getrieben fühlen, zu missbrauchen, zu vergewaltigen und Gewalt auszuüben? Wenn sich diese Hypothese bestätigt, dann ist das der schlagendste Grund, ab sofort auf Kriege zu verzichten, will man das Leben seiner Kinder, Enkel und weiterer Nachfahren nicht in die Barbarei, in ein Leben in sogenannten „Friedenszeiten“ wie im Krieg befördern: Nur, das es dann keine Feinde sind, sondern allgemein Menschen, die Ziel von Missbrauch, Vergewaltigung und Gewalt werden.
Auch an dieser Stelle wäre die Quintessenz das aus der Erkenntnis resultierende Wissen und dessen Reflexion auf unsere gegenwärtige Welt, Entscheidungen zu fällen, die Grundbausteine für eine Welt, für ein Leben, zu legen, das aus Täter-Opfer-Beziehungen hinausführt – statt sie zementiert. Viele der Täter, die Millionen von Männern zu Tätern machten, sind tot. Millionen von Erbtätern leben noch. Es gilt, Opfern in jeder erdenklichen Form beizustehen, ihnen zu helfen und deren Leid annähernd zu begreifen. Es gilt weiter dafür zu sorgen, dass Täterschaft aufhört, egal in welcher der vielfältigen Formen ausgeübt. Dafür ist Verstand, Gefühl, Reflexion und Mitgefühl angeraten, wenn diese Diskussion ins falsche Fahrwasser gerät und einzig zur Verfolgung das Horn geblasen wird und damit eine Hoffnung versucht zu nähren, die Realität und das Gewordensein, die Geschichte, verfehlt.
Mitgefühl ist also Wissen um das eigene, wie um das fremde Leid. Mitleid ist eine (völlig ungerechtfertigte) Erhöhung des eigenen Lebens dem fremden Leben gegeben über. Mitgefühl brauchen wir als Menschen, um im Menschsein zu wachsen. In diesem Zusammenhang zitierte ich in Band 1Camus, auf den ich genau an dieser Stelle nochmals verweise: Auf, dass Krieg und Terror endlich aufhöre, ein weder Opfer noch Henker sein. (Camus, 2006)
Wie noch in anderen Zusammenhängen nachzulesen sein wird, weiß man Oben gar nicht, wie Unten gelebt wird. Man weiß gar nicht, wie ethische Handlungsgrundlagen aussehen müssten (vgl. z.B. „Frische Leichenteile weltweit“ in Band 3).
Auf politischer Ebene zeigen sich Kapitalisten, Manager oder Wirtschaftsführer harmlos und erscheinen gern wie „Bürger“ hinsichtlich des Grundgesetzes, obwohl mit der Wirtschaftsform Basis, Leib und Leben unserer Gesellschaft festgelegt ist.
Politiker haben genau zu prüfen, für was sie von Wählern gewählt und legitimiert wurden, in ihrem Auftrag zu tun! Die beiden Stühle, die ihnen der Kapitalismus in Form der Besitzenden und der Besitzlosen hinstellt, sind zu prüfen. Die Wahl, entweder für Unten oder für Oben politisch tätig zu werden, verfehlt den politischen Auftrag und zeigt die Zwiespältigkeit zur Umsetzung dessen, was mit Demokratie und Grundgesetz ursprünglich gemeint war. Wird dieser Auftrag einseitig gehandhabt, bleibt es politisch bei der Reise nach Jerusalem – es ist immer ein Stuhl zu wenig da. Aber genau dieser Stuhl muss her und mit Werten für Menschen ausgestattet werden: Niemand darf zurückbleiben, ausgegrenzt und geopfert werden. Unten bekommt Deutschland bislang noch keinen tragfähigen Stuhl, noch Bretter oder Boden, um ihn aufzustellen. Für Unten bleibt nichts übrig und es muss dennoch Entscheidungen von Wirtschaft, Gesundheitswirtschaft und Politik emotional und finanziell tragen. Unten darf auf Almosen in der Warteschlange hoffen. Besitzende und Politiker nehmen Platz: Welch’ zynische Farce, sich in einer Welt, in der alles zu Bruch geht, hinzustellen und mit wirtschaftlichen Erfolgen, unter denen zig Millionen Menschen leiden, zu prahlen. Bilder mit geschädigten Menschen in Katastrophengebieten oder Arbeitsämtern, heruntergewirtschafteten Stadtteilen, Pleitenziffern und Kapitalisten, die dies durch ihre Entscheidungen herbeigeführt haben, gehen nicht gleichzeitig und auf einander verweisend um die Welt: Diese verschiedenen Realitäten werden in der Öffentlichkeit konsequent auseinander gehalten: Armut hier, Reichtum da. Was haben beide miteinander zu tun? Sie gehören doch wie siamesische Zwillinge zusammen: Reichtum ist nicht ohne Armut in unserem System denkbar! Sie sind die eineiigen, und dennoch ungleichen Zwillinge in unserer Kultur. Reichtum existiert durch Abhängigkeit im Innenverhältnis, im Außenverhältnis haben die Reichen nichts mit den Armen zu tun. Es wird Politikern überlassen, für Ausgleich zu sorgen, den Besitzlose mittels Steuern selbst finanzieren müssen – ebenso wie die folgenreichen Pleiten, Folgen und Zerstörungen aus dem Bereich der Ökonomie. Verarmungszahlen und Arbeitslosenzahlen fallen immer wieder neuen und verharmlosenden Interpretationen anheim und die Börsenkurse und Gewinne der Firmen werden als nationales Ereignis gefeiert. Warum gibt es keine Fotos mit Menschen aus den armseligen chinesischen Vierteln, in denen die Ärmsten der Armen wohnen, und den Arbeit gebenden Managern der großen, ausländischen Firmen, die ihre Standorte verlagerten, um mittels billiger Arbeitskräfte ihre Gewinne zu erhöhen? Oder Fotos aus deutschen Städten, in die hinein die Industrie ihre Standorte verlagerte und den Menschen, die dort wohnen? Antwort: Dann bricht der Glanz dieses globalen Kapitalismus zusammen – dann sieht man, wie Oben und Unten in der deutschen Realität zusammengehören.
Wie sieht Werbung in Zeiten der Globalisierung aus? Ob Pharmaindustrie, Autobranche oder Energiewirtschaft: Alle benutzen schöne Naturaufnahmen, stellen sich in einem humanistisch-fortschrittlichen Lichte dar und wirken so authentisch, dass man gewillt ist, ihnen zu glauben: Die Menschen-, Tier- und Natur-, ja Lebensretter. Dagegen stehen die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen weltweit, die von etwas völlig anderem erzählen: Nämlich, wie es möglich ist, mittels Armut zu Reichtum zu kommen.
Dennoch, wird die Gesellschaft als Gemeinschaft verstanden, kann Rettung nur gelingen, wenn jene, die über die notwendigen Mittel verfügen mit denen, die in der Lage sind, sie zu erbringen, zusammenarbeiten. Das heißt: Unten und Oben haben Klartext miteinander zu reden. Die Werteordnung muss für beide gleich sein.
Der Mensch muss das Herz des Menschen wieder bewegen. Doch wie können sich Menschen gemeinsam so entwickeln, dass sie füreinander sorgen, sprich Mitgefühl und Mitleid im Schopenhauerschen Sinne empfinden? Mitleid empfinden Menschen, wenn jemandem zum Beispiel großes Unrecht widerfährt oder Katastrophen über andere hereinbrechen. Dann gibt es spontane Hilfsäußerungen überraschend vieler Menschen; auch von Seiten der Konzerne und Politiker. Aber sollte es nicht möglich sein, generell eine menschenfreundliche und hilfreiche Haltung einzunehmen? Das wäre schließlich der beste Katastrophenschutz, sei es in Natur oder sozialen Systemen. Um eine solche durch Mitleid getragene Haltung kulturell und weltweit zu etablieren, gibt es genügend Gelegenheiten:
„Das Gegenteil der Gewissenspein, deren Ursprung und Bedeutung oben erläutert worden ist, ist das gute Gewissen, die Befriedigung, welche wir nach jeder uneigennützigen That verspüren. Sie entspringt daraus, dass solche That, wie sie hervorgeht aus dem unmittelbaren Wiedererkennen unseres eigenen Wesens an sich auch in der fremden Erscheinung, uns auch wiederum die Beglaubigung dieser Erkenntniß giebt, der Erkenntniß, daß unser wahres Selbst nicht bloß in der eigenen Person, dieser einzelnen Erscheinung, da ist, sondern in Allem was lebt. Dadurch fühlt sich das Herz erweitert, wie durch den Egoismus zusammengezogen.“ (Schopenhauer, A., 2005, S. 53)
Demnach müssten Manager mit eng zusammengezogenen Herzen leben. Wie bekannt, gibt es den Herzinfarkt bei Männern im besten Alter. Es wurde in der Tat eine entsprechende Diagnose kreiert: Die Managerkrankheit. Denn derzeit wollen sie vor allem eines: Besitzstände wahren und alleine, jeder für sich, immer reicher werden. Sie haben Erfolg mit diesem Ziel, wie den obigen Statistiken zu entnehmen ist. Zum Ausgleich geht man ab und zu in die Kirche, veranstaltet Spendenpartys oder beweist mit einem großzügigen Beitrag „Ein Herz für Kinder.“ Aber dennoch hungern Kinder in Deutschland und werden von Anfang an benachteiligt, sind sie nicht in die richtige Familie hinein geboren.
Diese Kultur- und Gesellschaftsentwicklung reicht heute aber bei weitem, unter einem anthropologischen Blickwinkel betrachtet, nicht mehr aus, um Kultur und Gesellschaft insgesamt wachsen und gedeihen zu lassen. Eine derart gleichgültige Haltung, wie sie heutzutage Menschen normalerweise gegenüber an den Tag gelegt wird, ist uns Menschen als Gattungswesen, die wir denkende, bewusstseinsbegabte und mitfühlende Wesen sind, nicht adäquat.
Jetzt sind die Chronisten, die, die immer alles beim Alten und für sie selbst Gutem belassen wollen, an der Reihe: Sie müssen lernen loszulassen, begreifen, dass es dem menschheitsgeschichtlichen Fortschritt und einem guten Zweck dient, zu geben und damit möglicherweise zu verzichten. Das Leben lehrt: Geteiltes Leid ist halbes Leid – hier wäre der Spruch an der richtigen Stelle. Die besitzlosen Bürger leben Leid. Sie haben Verluste und Nachteile stets in Kauf genommen, wenn es der Wirtschaft schlecht ging – und nun auch noch, wo es der Wirtschaft gut geht! Jetzt sind Manager und Politiker aufgerufen, sich zu vergegenwärtigen, dass geteilte Freude (über Gewinne) doppelte Freude bedeutet, wenn sie die Hälfte gerecht an die Armen weiterreichen und gute Ideen von Unten, statt sie für sich klamm heimlich zu vereinnahmen, finanziell und uneigennützig zu unterstützen: Offiziell und nicht mit Tombola und Partieleben – einfach mal schlicht, klar und einfach. Es sollte über die Verteilung der Gewinnquote gesprochen werden. Sachlich sei angemerkt, Gewinnquoten besser nicht zu manipulieren: Es kommt sowieso raus.