Читать книгу Zulassung zur Abschaffung - Die heillose Kultur - Band 2 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 10
ОглавлениеKulturanalyse und Gefühle ergänzen sich: Alles, was in der Kultur vor sich geht, geht Behandler an – und umgekehrt: Was mit Behandlern passiert, sollte jeden Bürger interessieren
Die „Kultur“ ist ein riesiger, beweglicher, sensibler, manchmal unscheinbarer und dann wieder massiv in der Mitte der Gesellschaft stehender, Menschen entweder zerreißender oder zusammenführender und solidarisierender wie integrierender Organismus. Er wird beeinflusst und gelenkt durch Vergangenes wie Gegenwärtiges – und neuerdings verschärft durch Zukünftiges: Klima, Arbeitslosigkeit, Bildungsmissstände, Aggressionen, Terror, Steuergesetzgebung, Verwicklungen in internationale Konflikte und Kriege – und vieles mehr. All das, was in der Vergangenheit politisch und wirtschaftlich ignoriert wurde, schlägt in der Gegenwart offenbar unerbittlich zurück und lässt die Zukunftsprognosen zum Maß der aktuellen Aufarbeitung von Richtlinien zur Schadensbegrenzung werden.
Selbst angesichts der Vielfalt der zu behebenden Missstände sind die menschlichen Grundbedürfnisse nicht zu vernachlässigen, sondern zu beachten und zu befriedigen – denn ansonsten schlagen diese ebenfalls in naher Zukunft zurück.
Die Konflikte scheinen sich sogar aufgrund der Entwicklung im Gesundheitswesen auf die Gegenüberstellung, die hier im Buch aufgezeigt wird, zuzuspitzen: Welcher Wert ist auf den ersten Platz in einer Gesellschaft zu setzen? Ökonomie oder Heilung? Selbstwert oder Mehrwert? Das Koan (ZEN: eine Art Rätsel, um Grenzen zu überschreiten), wie beides zur gleichen Zeit zu verwirklichen wäre, liegt als Lösung nicht vor. Kultur entsteht und wächst aus gesellschaftspolitischen Entscheidungen und Einflüssen, die Entwicklungen hervorbringen. Die Globalisierung lässt Gesellschaft, Politik und Mensch zum Anhängsel der Wirtschaft werden. Die Frage, wie mit wirtschaftlichen Einflüssen umgegangen wird und was inhaltlich für welche Interessensgruppe verpflichtend ist, spielt eine wichtige Rolle. Daraus ergeben sich Fragen: Wie leben Menschen zusammen? Wie sieht die Basis für ihr Leben aus? Wie werden sie von Politikern und Wirtschaftsmanagern behandelt? Wie werden Patienten behandelt? Wie werden Ärzte/Mediziner politisch behandelt? Wie werden Psychologische Psychotherapeuten behandelt? Wie stellt sich gegenwärtig „Demokratie“ da? Wie wird mit relevanten außenpolitischen Fragen umgegangen? Wie wird in den Medien berichtet? Abstrahiert von den vielen „Wies“ zielt der Kern der Fragen auf Gerechtigkeit, Gleichheit, Existenzsicherung und Gesundheit.
Das menschliche Wesen und was es ist und sein könnte wird nicht fokussiert. Je nach Antwort auf diese Wies kann Kultur mobilisierend oder lähmend auf die in und mit ihr lebenden Menschen wirken. Kultur ist ein Sammelbecken aller Bestrebungen von Menschen, und ihr Ausweis sind die Geisteshaltungen einer Gesellschaft. Unsere derzeitige Kultur zeigt zwar vielerlei Ergebnisse, doch vor allem zwei Stränge stehen im Vordergrund: 1. Technologie und Ökonomie glänzen. 2. Menschliche Werte und Unterstützungen für Bedürftige gibt es lediglich qua Gesetz – in der Praxis ist beides schwer zu erringen. Der Mensch an sich ist zum Rohstoff geworden, seine Arbeitskraft dient der Erwirtschaftung des Mehrwerts. Und nun führt die Mehrwertschaffung direkt in den lebendigen Leib des Menschen hinein – durch die Gesundheitswirtschaft. Eigentlich, so könnte man sarkastisch formulieren, ist das Gros der Menschen aus Sicht des „Oben“ entmenschlicht. Der Mensch ist ausschließlich zum Objekt, zu Material für Profit degradiert. Insofern ist der Minimalstandard an Bildung, Chancen und Gesundheitsfürsorge ausreichend. Das ist für Niemanden wirklich neu und wurde zig Mal in unterschiedlicher Form bereits von anderen gesagt. Damit richtet sich das wirkliche Problem in der Demokratie auf die Frage, wie Bürger, Patienten oder generell Menschen sich mitteilen können, um gehört zu werden. Politische Entscheidungen erweisen sich, gelinde gesagt, in der Umsetzung oft als Erniedrigungen.
Bei Familienpolitikern war 2007 besonders das folgende afrikanische Sprichwort beliebt:
„Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“
Die deutsche Umsetzung in der Praxis belegt das Gegenteil: In dem neuen Steuerminderungsantrag für Kinderbetreuung müssen die Eltern, die Familienmitglieder zur Betreuung einsetzen, völlig widersinnig glaubhaft machen, dass Mutter/Vater, Tante/Onkel ihren „Job wie Fremde“ ausführen! Können sie dies nicht glaubhaft darlegen, dann, man ahnt es schon, gibt es keine Steuerminderung. Wo bleibt da die „Familienideologie“? Oder misstraut man dem Bürger schon wieder? (Abgesehen davon, dass der Begriff „Dorf“ darauf schließen ließe, es handele sich um eine Gemeinschaft von Menschen, die sich gut kennen und die einander vertrauen!) Doch die Familienministerin bzw. der anonyme Gesetzgeber legt Wert darauf, dass es sich bei Kinderbetreuern um Fremde und wie Fremde agierende Personen handelt.
Dieses kleine Beispiel macht deutlich, wie sich qua Bedeutungshorizont der Sprung von Vertrauen (Dorf) ins bürokratische Misstrauen (Familie) vollzieht. Wollte man mit dem Zitat belegen, dass fremden Menschen, also Nicht-Verwandten, zu vertrauen ist? Mehr als der eigenen Familie? Spiegelt sich hier ein geschichtlich nicht gelungener Wandlungsprozess vom Fremdenhass aus der Hitlerzeit zu Fremdenbevorzugung in der Nachkriegszeit bis heute wider? Ist der eigenen Familie nicht mehr zu trauen? Oder ist dem System Familie im Verhältnis zum Staat nicht mehr zu trauen, weil der „Clan“ den Staat betrügen könnte? Wobei tatsächliche Clans aus anderen Kulturen sich in Deutschland ohne Einschnitt mittels Regeln und Überprüfung ausbreiten konnten (siehe Heisig, 2010). Dann allerdings muss weiter gefragt werden, warum die Politik Familien anderen Lebensgemeinschaften gegenüber in vielerlei Hinsicht vorzieht.
Ist dieses Beispiel als genereller Mistrauensantrag von Politik und Staat an Menschen in Deutschland zu verstehen? So oder so, in der deutschen Auslegungspraxis wird differenziert und ausgegrenzt, wobei, nebenbei gesagt, die Wurzel des politischen Motivs im Misstrauen und nicht im Vertrauen aufzuzeigen ist:
Das heißt, Deutschland versteht sich nicht als großes Dorf, in dem ein Mensch dem anderen Menschen über den Weg trauen kann. Dies sei mal „nebenbei“ festgestellt …
Die Bürokratie fungiert auch hier als grobes Sieb, durch das viele Antragsteller fallen werden. Meistens geben Bürger bereits im Vorfeld auf; denn sie kennen diese Prozedur schon und wissen, dass die gesetzlich verankerten Vergünstigungen auf sie nicht zutreffen werden. Und da wären wir dann wieder: Minimalstandard für das „Unten“ reicht. Das hehre Ziel der Gleichbehandlung verkommt zum bloßen Lippenbekenntnis. Da hilft auch keine Schuluniform – die von Kindern von oben und von unten gleichermaßen getragen werden! Aber die Bürger müssen geschützt werden: durch Anti-Terrorgesetze – mit denen die Bürger gleichzeitig kontrolliert werden können. Wandelt sich unter unseren allen Augen die Demokratie zur Staatspolitik, um die vermeintlich demokratischen und ambivalent wirksamen Werte zugunsten der Wettbewerbsideologie der kapitalistischen Wirtschaftsform zu garantieren? Doch auch die Großunternehmen zeigen sich brüskiert, weil sie meinen, in ihrer wirtschaftlichen Freiheit beschnitten zu werden.
Wer in diesem Deutschland, ob auf der Manageretage oder der Arztpraxis, denkt eigentlich noch an seinen Nachbarn im Dorf? Wo wird gearbeitet, gelebt und gesund gepflegt? Wie will man mit einer ökonomischen Zielrichtung Krankheiten heilen? Eine solche Kultur heilt nicht die vorhandenen Krankheiten, sondern bringt neue hervor: Suchterkrankungen, rheumatische Symptome und Wirbelsäulenerkrankungen, psychosomatische Erkrankungen, Krebs und nicht zuletzt Aids und Ad(H)S. Denn wo Armut und Arbeitslosigkeit herrschen, wird Sexualität als Ablenkungsmanöver und Ersatz für ein lebensunwertes Leben instrumentalisiert. Sex ist heute über die Medien jederzeit abrufbar. Für die Politik fungiert Sex als allgemeines, kostenloses Beruhigungsmittel und die Wirtschaft verdient sehr gut daran.
Zu Zeiten Sigmund Freuds sollte auf Sexualität verzichtet werden. Sie sollte als Kraft und Energie in die Arbeit fließen und der Gesellschaft zu Gute kommen. Sigmund Freud sprach von Sublimieren. Er hat seinerzeit bedacht, Sexualität durch die kulturell notwendig zu leistende Arbeit im Menschen sublimieren zu lassen. Aber er hat nicht bedacht, fehlende Arbeit und Lebenssinn durch kulturell notwendig zu produzierende Sexualität zu sublimieren! Ein verantwortungsbewusstes Gesundheitswesen hätte sich um diese Dinge ebenso zu kümmern wie eine fürsorgliche Politik. Voraussetzung wäre jedoch eine klare Werteorientierung. Wo sind Verantwortlichkeit und Menschlichkeit versandet? Wie viel Leid, Schmerz, Katastrophen und Krankheiten kann sich der Kapitalismus noch leisten? Man leiste(te) sich zusätzlich Ausuferungen von Aggression und Gewalt in Familien und konkurrierenden Interessensgruppen aller Schattierungen – mit verheerenden Auswirkungen, die von der kleinsten Zelle der Gesellschaft, der Familie, und noch kleiner, bis in jeden Menschen, und noch kleiner bis in die Zellen von Menschen hinein einerseits und andererseits bis in die Hierarchien, und letztlich am Kontostand gemessener Konkurrenz im so spielerisch klingenden Wort „Wettbewerb“, reichen. Selbstredend unter Mitwirkung von Wissenschaft und Gerichtsbarkeit wird der große Geist gegenwärtiger Kultur genährt, gehegt und bewahrt.
Die Semantik von Kultur assoziiert mit einem Gefühl, als säße man noch im Sandkasten, hätte alle Freiheiten, mal eben mit der Schüppe und Händchen Welten erstehen zu lassen, ist eine lukrative Feder, die Menschen immer wieder glauben lässt, es ginge ihnen gut. Zumal Feuerwerksspektakel nicht mehr nur auf Silvester beschränkt bleiben, sondern zu allen Gelegenheiten am Himmel leuchtend ein Gefühl der Extraklasse vermitteln: Gefühlen kann freier Lauf gelassen werden. Gereinigt wird mittels Feuer ganzjährig und der alte Geist zieht durch die Lande, getrieben durch den Wind des Wettbewerbs, der ihn auf Fußballplätzen dem Licht aussetzt: Fußballspieler, eine moderne, höchst teure und empfindliche Ware, an der natürlich verdient wird.
Man darf auf Zeiten hoffen, in denen ebenso um Patienten, die man tatsächlich gut zu behandeln vermag, so dass sie gesunden und geheilt auferstehen, gezankt und geboten wird? Sarkastisch muss hinzugesetzt werden: Weil an Patienten und Kunden nicht wie an Fußballspielern verdient wird, klappen menschliche Existenzen wie menschliche Körper gegenwärtig wie Kartenhäuser ebenso spielerisch leicht zusammen wie Banken. Kultur ist ein Vehikel des Geldes und leider keine Form gelungenen Gemeinschaftsleben: Kultur und kulturelle Veranstaltungen werden zum Joker, indem mit den Gefühlen, mit den Universalien des menschlichen Wesens, gezielt gespielt wird. Es wird der Schein durch Pokern um Gefühle erweckt – und man glaubt ihm, man hätte Kultur.
Die bisherige medizinische Forschung hat in dieser kapitalistischen Kultur eine Unzahl iatrogen verursachter (durch ärztliche und medikamentöse Behandlung verursachte) Erkrankungen hervorgebracht, die dringend einer kritischen Analyse bedürfen. Entsprechende Veröffentlichungen und generell zum Gesundheitswesen mehren sich unaufhaltsam.{2} Alle Berichte zeigen und belegen, dass ein anderer Wert als Heilung von Menschen zugrunde gelegt wurde. Die Untersuchungen zeigen, es ging immer um Geld. Aber ändert sich etwas dadurch?
Was oder wie sollte noch kommuniziert werden, dass diese Stimmen gehört werden, sprich Umsetzung hin zum Besseren für Menschen erfahren? Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten sind aufgrund der Flut an Informationen über politische Entscheidungen bzw. Reformen und das Erleben ihrer Auswirkungen in Mensch und Kultur seit Jahren persönlich und beruflich emotional überfordert. Ihre Existenz wird in Frage gestellt, um wirtschaftspolitische Ziele zu verwirklichen. Mediziner, Psychologische Psychotherapeuten und Patienten müssen nun die Folgen der jahrzehntelangen ärztlichen Standespolitik ausbaden. Unterdessen kochen die ärztlichen Standesorganisationen und Funktionäre weiter ihr Konkurrenzsüppchen und rufen in den zuständigen Gremien zu gesetzlichen Bestimmungen gegen Psychologische Psychotherapeuten und gleichfalls immer wieder gegen andere Facharztgruppen auf, damit sich niemand sicher wähnt im System und zur Unterordnung bereit ist.
Doch die ärztlichen Standesorganisationen sind weder die Vertreter der Medizin noch der gesamten Behandlerschaft in Deutschland. Solidarität und Einigkeit in grundsätzlichen Zielen im Hinblick auf das Gesundheitswesen sind so kaum zu erzielen. Überall herrscht ein Hickhack, egal wohin man in dieser Wettbewerbsgesellschaft schaut. Statt eine klare, gemeinsame Linie zu vertreten, steckt man den Kopf – zugunsten vermeintlicher eigener Vorteile – vor den Konsequenzen für kranke wie gesunde Menschen in den Sand. Schade. Denn die Reformen führen nicht zur Gesundheit, sondern fördern Krankheiten, Falschbehandlungen und Chronifizierungen. Und die Behandlerschaft sinkt in den Augen der Öffentlichkeit immer tiefer – gleichwohl sie keine direkte Verantwortung dafür trägt. Doch stellt man ernsthaft die Frage, wer denn Verantwortung trägt, erhält man immer die gleiche Antwort: Ich war’s nicht! Denn das System will niemand anzweifeln. Schließlich ist alles so schön demokratisch, viele sind als Fachleute beteiligt und eine Schar williger Untertanen zahlt.
Niemand will seinen Fuß politisch auf den Boden stellen, wo Ursachen fühlbar würden. Dieser Boden würde zu viel Selbsterkenntnis fordern und damit Scham freisetzen. Aber eben diese eingehende Selbstreflexion scheint mir zurzeit notwendig: Woran glauben wir alle denn noch wirklich? Welche Bedeutung messen wir generell unseren Gefühlen und dem Ziel der Heilung und Gesundung bei? Das gegenwärtige Gesundheitssystem ist Zeugnis eines pathologischen Geistes, der ausschließlich ökonomische Gesichtspunkte in Reformen verwirklicht und ausgerechnet im Gesundheitswesen Macht- und Kontrollansprüche einsetzt und gegen Menschen durchexerziert. Es wird ein Exempel statuiert: Enteignung und Auflösung der Berufsidentität der Ärzte- und Psychologischen Psychotherapeuten. Sie alle können nicht mehr so handeln, wie sie es von Berufs wegen wollen und – völlig widersinnig zum wirtschaftlichen Anliegen im System – sollten. Wie sollen Inhalte des Hippokratischen Eides eingehalten werden, wenn völlig andere Leitlinien im Gesundheitswesen einzuhalten sind? Es sei denn, sie ändern gemeinsam die Inhalte im Gesundheitswesen und/oder setzen ihre Existenz aufs Spiel!
Das sollte jedem Bürger zu denken geben: Wenn Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten die Berufsidentität und finanzielle Sicherheit politisch entzogen werden kann, wer sagt dann, was und wer wen heilt? Wenn die Behandler nicht entsprechend ihrer gesellschaftlich wichtigen Funktion und ihrer Berufsidentität primär heilend tätig werden – und das will die Mehrheit der Behandler – und sie der ökonomisch ausgerichteten Gesundheitspolitik Grenzen setzen, dann erscheint alles möglich.
Der Mensch an sich ist nicht veränderbar. Er besitzt eine Grundausstattung an Bedürfnissen und Gefühlen, die (zu) ihm gehören. Die Anpassungsfähigkeit an Unmöglichkeiten im Gegensatz zu Freuds Unbehagen in der Kultur ist daher begrenzt. Krankheiten sind das Opfer, das man an Leib und Seele bringt, und sie zeigen gleichzeitig Grenzen auf. Nun lassen sich Grenzen mit Medikamenten, Doping und der Inkaufnahme weiterer oder anderer Symptome noch ein wenig ausdehnen. Gesund werden kann man so aber kaum. Die auf Heilung bedachte innere Stimme des Behandlers muss niedergetrampelt, zum Schweigen gebracht werden, weil sie nicht zu den ökonomischen Leitlinien passt. Behandler sind kulturpolitisch nicht mehr mit Ansehen und Einfluss ausgestattet.
Kurz: Sie haben nichts mehr zu sagen, nur noch zu funktionieren. Können demokratisch gewählte Volksvertreter dieses Lehrstück des Abbaus von Berufsidentität tatsächlich so durchexerzieren? Den Grund, Boden und Standort von Behandlung und Behandler einfach wegstrukturieren, bürokratisieren und die Patienten gleich mit? Die Behandlung rückt von den Behandlern weg. Stattdessen geben andere Berufsgruppen vor, wie viele Patienten in welchem Zeitraum und vor allen Dingen wie zu behandeln sind. Was als „Krankheit“ anerkannt wird, ist festgelegt, und wem was verschrieben werden darf, kann aus Listen abgelesen werden. Der Behandler selbst wird zur Schablone, die, unter der Voraussetzung vollständiger Akzeptanz, Änderungen von Behandlungsinhalten nach Gutdünken, sprich, ärztlicher Erfahrung, nicht vorsieht. Nur was in den Leitlinien und Verordnungen als „wissenschaftlich anerkannt“ gilt, ist abrechnungsfähig: Heilungswissen, jahrelang erworbene Intuition, Können und Fachwissen haben in den Hintergrund zu treten, werden ersetzt durch „wissenschaftlich anerkannte Module“ und generelle Durchführungsbestimmungen.
Mediziner oder Psychologische Psychotherapeuten müssen sich nur noch fragen, ob sie diese Berufshandschuhe überziehen wie einen Handschuh oder ein Kleid und bereit sind, sich mit ihnen zu identifizieren. Seele, Gefühle, eigene Vorstellungen vom Menschen und Behandler sind getilgt, sobald der ökonomisierte Einheitsanzug passt.
Die Kluft – im doppelten Wortsinne – symbolisiert vollständigen Verzicht auf Heiler und Heilung. Die Widersinnigkeit liegt auf der Hand: Konkurrenz schließt Gemeinsamkeit aus. Es ist ein gesetzlich gesteuerter Konkurrenzkampf, genannt Wettbewerb. Wie beim Sackhüpfen ist der Platz eng und verbaut, Füße und Hände sind ihrer normalen Beweglichkeit entledigt, eingeschränkt. Keiner kommt richtig voran. Es sei denn, er bestellt sich eine Sänfte aus wissenschaftlichen Kooperationen und fusioniert mit Pharmazie oder Kapitalgebern von Oben, die ein Geschäft mit ihm wittern und ihn für ihre Kapitalinteressen einspannen wollen. Letztlich hat er den Titel, der durch Fremde, durch die Wirtschaft, die von Mensch, Behandler und Heilbehandlung keine Ahnung haben, vermarktet werden kann.