Читать книгу Zulassung zur Abschaffung - Die heillose Kultur - Band 2 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 8
ОглавлениеDer Sprung ins kalte Wasser
Einer Untersuchung der Gmünder Ersatzkasse zufolge, nahm die ambulante Psychotherapie „innerhalb von sieben Jahren um 61 % zu: Im Jahr 2000 waren 0,55 Prozent der Versicherten in Deutschland in Behandlung, im Jahr 2006 bereits 0,88 Prozent, ergab eine Studie des Institutes für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung, MHH Hannover (im Auftrag der Gmünder Ersatzklasse).“ Diese Studie diente nicht dazu, die Notwendigkeit der Aufstockung von Psychotherapieplätzen aufgrund der Zunahme psychischer Erkrankungen zu belegen, sondern die mäßige Wirksamkeit hinsichtlich Kostenreduzierung in anderen Bereichen des Gesundheitswesens darzustellen: „Die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung und der BVVP bezweifeln die Relevanz der Studie: der Anstieg der Psychotherapiepatienten auf 0,88 Prozent der Versicherten sei relativ bescheiden – gemessen daran, dass der reale Bedarf bei etwa 7 % liege. Und: Die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen genüge nicht als Maßstab zur Bewertung des psychotherapeutischen Ergebnisses.“ (Pabst Science Publishers, http: .pabst-publishers.de; 5. März 2008. Studie: .GEK.de - GEK-Report ambulant-ärztliche Versorgung 2007).
Mit der Gegenüberstellung des realen Bedarfs psychotherapeutischer Arbeit in der Bevölkerung einerseits und andererseits dem generellen Ansinnen von Krankenkassen, diesem Bedarf nicht realitätsgerecht nachkommen zu wollen, werden Untersuchungszusammenhänge ersonnen, die quasi die Unwirksamkeit von Psychotherapie belegen sollen - damit ist der politische Diskurs in Deutschland kurz und bündig grob benannt. Dabei wird eine Berufsgruppe, Psychologische Psychotherapeuten, gegen die andere, Ärzte oder besser und genauer formuliert Mediziner, ausgespielt – oder auch tiefenpsychologische Psychotherapie gegen Verhaltenstherapie. Im Rahmen des vorliegenden Band 2 zur Heillosen Kultur wird das politische Mittel der Spaltung von Berufsgruppen, um letztlich Unterfinanzierungen zur Einsparung von Kosten im Gesundheitswesen zu begründen, thematisiert.
Nebenbei bemerkt könnte der durch die Gmünder Krankenkasse interpretierte Zeitraum von sieben Jahren darauf zielen, den Psychologischen Psychotherapeuten zu unterstellen, Patienten zu versorgen, die keiner Versorgung bedürfen. Wir sind als Facharztgruppe seit April 1999 offiziell als Diplom-Psychologen zur Psychotherapieausübung unter der Bezeichnung Psychologische Psychotherapeuten (PP) unter dem Dach der Kassenärztlichen Vereinigung zugelassen und werden in diesem Rahmen für die Gesetzlichen Krankenkassen tätig. Da bundesweit cirka die Hälfte der bis 1999 im Gesundheitswesen tätigen Diplom-Psychologen mit Fachgebiet Psychotherapie nicht zugelassen wurden, muss es andere Gründe als unsere Zulassung geben, die abgerechneten Leistungen bei der Krankenkasse zu begründen. Interessanter ist die Tatsache, dass der Psychotherapiebedarf und das Psychotherapieinteresse in der Bevölkerung gestiegen sind. Diesen Bedarf spürt jeder PP in seiner Praxis: Es müssen Wartelisten geführt werden, da wir dieser Nachfrage nicht prompt nachkommen können.
Das Anliegen dieses Buches ist, Menschen in Deutschland über die berufspolitische Lage meiner Berufsgruppe, Facharztgruppe, aufzuklären: Dieses Thema sollte jeden Menschen in Deutschland interessieren. Niemand kann ausschließen, nicht vielleicht doch einmal Unterstützung und Hilfe von uns zu benötigen. Aber nicht nur aus dieser persönlichen Perspektive ist dieses Thema von Wichtigkeit. Es ist auch gesellschaftspolitisch, wie ich im Band 1-1.2 ausführlich darstellte, von existenzieller Bedeutung für Menschen. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang stichwortartig an Descartes Paradigma vs. Leibkonzept Nietzsches und die Marxsche Entfremdungsformel, in der sich Karl Marx zentriert der Frage zuwendet, wie der Mensch zum Menschen stehe. Der grundsätzliche Blick auf Menschen folgt in der Gegenwart der Gesundheitswirtschaft und ihrer Intention, Gewinn und Kapital aus dem Gesundheitswesen, sprich aus einerseits Patienten und andererseits Psychologischen Psychotherapeuten und Ärzten, zu erwirtschaften. Diese wirtschaftliche Intention und politische Praxis empfinde ich als Widerspruch zum Heilungsauftrag des Hippokratischen Eides und dies gab mir die Motivation, das vorliegende Buch zu schreiben – ebenso wie den Band 3, der sich dann vertiefend mit der Darstellung der Gesundheitswirtschaft in unserem Leben befasst. Nun forderte im Herbst 2007 die Psychotherapeutenkammer dazu auf, Patienten und Krankenkassen über die unmögliche Honorarsituation der psychologischen Psychotherapeuten zu informieren – dies traf ebenso ein eigenes wie das Anliegen meiner Berufskollegen. Insofern wird auch das Thema Honorare im vorliegenden Buch Darstellung finden.
Wenn ich also einerseits die Dringlichkeit und Notwendigkeit von Behandlungen für Patienten und andererseits das allgemeine Interesse der Krankenkassen in Bezug auf unsere Berufsgruppe an den Anfang des Buches stelle, dann ist damit gleichzeitig gesagt, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass wir als Berufsgruppe überhaupt existieren. Aus dem Titel des Buches ist zu entnehmen, dass wir als „Psychologische Psychotherapeuten“ offiziell in die Kassenärztliche Vereinigung (KV) integriert wurden. Aber haben wollte man uns nicht – und das will man auch jetzt noch nicht – oder eben so, wie Rainer Richter es wie oben zitiert formulierte: Psychotherapie als Ergänzung der Medizin. Denn so kann man uns auch wieder weiter unterordnen, billige Psychologische Psychotherapeuten in ärztlichen Praxen und Kliniken anstellen und das heißt, vor allen Dingen an uns verdienen und zusätzlich ein modernes gesundheitspolitisches Verständnis als Feder an den Hut der Mediziner stecken. Gründe und Auswirkungen im Berufsalltag, Bedeutung unseres Berufsrechtes und das ausgeklügelte Vorgehen von Medizin und Ärzten im Fachbereich Psychotherapie und dem Gebiet der Psychosomatik lassen nur den Schluss zu, dass wir wieder abgeschafft werden sollen: wohl nicht formal als Psychologische Psychotherapeuten, aber bezüglich unserer Berufsinhalte und unserer Berufsrechte. Hinzu tritt die miserable Honorarsituation, wegen der wir seit 1999 klagen – letztendlich ohne Erfolg trotz Angleichung unserer Honorare auf den geforderten Ursprungswert von vor 10 Jahren. Es gibt immer wieder Fallen in den ausgeklügelten Honorarberechnungen und politischen Argumentationen, die das Gegenteil von dem verwirklichen, was wir einerseits für die Versorgung von Patienten und andererseits für unsere berufliche Existenz fordern.
Nun steht im Rahmen der Gesundheitswirtschaft der Ausverkauf unserer Berufsfachgruppe in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) aufgrund eines im Vergleich mit Ärzten eingeschränkten Berufsrechtes bevor. Ärzte können Psychologische Psychotherapeuten, aber Psychologische Psychologen keine Ärzte anstellen bzw. Psychologische Psychotherapeuten können MVZen nicht selbstständig und unabhängig von Ärzten gründen und leiten. Damit verliert unsere Berufsfachgruppe neben anderen Begleiterscheinungen ihre Eigenständigkeit – beziehungsweise wird auf Dauer stillschweigend in ärztlichen Hilfsdiensten und Modulen von der Bildfläche in der Gesundheitswirtschaft verschwinden. Denn zusätzlich wird, dem cartesianischen Paradigma folgend, für Störungsbilder symptomorientiert Modul-Medizin und Modul-Psychotherapie entwickelt: das bedeutet, die Geschichte eines Menschen und die Gründe, weshalb es zu Erkrankungen kommt und kam, fallen weg – es wird nur noch Pflaster-Medizin betrieben. Die Geschichte des Menschen wird dann auch im Gesundheitswesen reduziert bzw. ausrangiert. Symptome dirigieren Behandlung, Leben und Gewinne. Dokumentiert werden sollen auf der Gesundheitskarte aus Kostenersparnisgründen alle Symptome, Behandlungen und Medikamente. Mit diesen Daten werden weitere von Patienten zu bezahlende Tarife ersonnen, mit denen Fehler im Gesundheitswesen kostenmäßig aufgefangen werden. Für die Psychotherapie werden seit Januar 2008 Zulassungen davon abhängig gemacht, Nutzennachweise hinsichtlich verschiedener Störungsbilder vorzulegen – neben den bisher geforderten anerkannten Psychotherapieverfahren, können nun auch Psychotherapiemethoden, „die diese Bandbreite nicht aufweisen, sondern hochspezifisch für bestimmte Störungsbilder entwickelt wurden, GKV-Leistung werden.“ (Deutsches Ärzteblatt, PP, Heft 1, Januar 2008, S. 6) Das bedeutet Modul-Psychotherapie, die ähnlich wie in der Verhaltenstherapie, Symptome bekämpft und sich weder für generelle Lebenszusammenhänge noch individualgeschichtliche Zusammenhänge interessiert.
Aber mehr denn je erscheint es im gesamtgesellschaftlichen Kontext von immenser Wichtigkeit und Bedeutung, geschichtlich allgemeine und individuelle Zusammenhänge zu verstehen und aus diesem Wissen heraus Menschen psychotherapeutisch und medizinisch zu behandeln. Das Symptom, die Krankheit ist Fingerzeig der Seele, aber nicht Ursache. Verstehen Menschen diese Zusammenhänge generell oder in ihrer persönlichen Entwicklung nicht, werden sie immer wieder krank werden und nicht verstehen, warum sie krank werden oder auf eine bestimmte Art und Weise reagieren und immer neue Symptome hervorbringen. Die Seele wird keine Ruhe geben, bis die Zusammenhänge, weshalb der Mensch krank wurde, emotional klar geworden sind – ebenso wird die Seele keine Ruhe geben, bis Menschen unter einer ethisch und moralisch klaren und allgemein verbindlichen Werteordnung gemeinsam leben werden.
Generell gilt: Psychische Erkrankungen sind europaweit auf dem Vormarsch. Von daher kann jetzt schon festgestellt werden, dass Psychologische Psychotherapeuten bezüglich ihrer Tätigkeit in der Bevölkerung notwendiger denn je sind: Psychotherapeuten mit tiefenpsychologischen und psychoanalytischen, mindestens aber geschichtlichen und besser noch, einem sich offen haltenden Verständnis für das Wirken der Seele im Menschen. Eine Aussage wie „Psychische Erkrankungen sind europaweit auf dem Vormarsch“ muss zum Nachdenken hinsichtlich der Gründe über diese Faktenlage anregen – und nicht ausschließlich ein ökonomisch gesteuertes Denken wie reduzieren wir Leiden von Menschen ganz schnell auf Symptome und schaffen sie aus der Welt. Symptomreduzierung trägt nicht zur Kostensenkung bei – sondern ist nur als Informationsmaterial für Statistiken der Krankenkassen gut und stimmt die Versicherten gut lesbar auf Symptom- und Diagnoseorientierung ein. Der Mensch, der verschiedene Symptome nacheinander ausbildet, fällt dann in verschiedene Cluster der statistischen Berechnungen. Ein und derselbe Mensch taucht anonymisiert an verschiedenen Stellen in der Statistik auf: einmal als quasi geheilt, soll heißen, Symptom getilgt und einmal als Träger eines neuen Symptoms, dass in Folge auftritt, WEIL DER LEBENSZUSAMMENHANG UND DASS WAS DIE SEELE BERÜHRT, IN DIESEN MODUL-PSYCHOTHERAPIEN ODER MEDIZINISCHE BEHANDLUNGEN ERGÄNZENDEN PSYCHOTHERAPIEN NICHT BERÜCKSICHTIGT IST. Die Seele gibt keine Ruh’ auch wenn die Ökonomen der Gesundheitswirtschaft und die Politiker im Gesundheitswesen dies gern so hätten. Angemerkt sei vorweg, dass ich keinesfalls gegen verhaltenstherapeutisch tätige Kollegen im vorliegenden Buch anschreibe: Aber ich schreibe an gegen die Politik der Verhaltenstherapie im Fachbereich Psychotherapie – und ebenso gegen das standespolitische Denken der Medizin im Fachgebiet der Psychosomatik, die sowohl die tiefenpsychologischen und die verhaltenstherapeutischen Bereiche aus dem Fachbereich der Psychotherapie herausfallen lassen möchte.
Ein Bündel Ruten bricht man einzeln! Die erste Rute für Psychologische Psychotherapeuten wurde mit der Zulassung des Fachbereichs 1999 mittels völliger Unterfinanzierung gebrochen, als jeder Kollege sich einzeln überlegen musste, wie er damit seine psychotherapeutische Leistung in Deutschland anbieten und sein privates Leben zu finanzieren gedenkt. Natürlich klagten wir als Fachbereich. Dieses gesittete Vorgehen entlang geltenden Rechts hat aber bis heute keine grundsätzliche Wirkung in der Verbesserung der Honorierung unserer Leistungen gezeigt. Die Psychologischen Psychotherapeuten fallen auf die Spaltungspolitik der Medizin und Mediziner herein – das sollte zu denken geben und zu einer gemeinsamen Berufsidentität der Psychologischen Psychotherapeuten finden lassen, wie sie die nun aufgeführten Mitteilungen in Bezug auf akut einzurichtende Versorgungsmaßnahmen für Patienten dringend ans Herz legen. Was für Deutschland gilt, gilt gleichfalls für Österreich:
1. Mental Health Europe Konferenz in Wien (E-Mail: Huber, 2. Juni 2007; s. Literaturverzeichnis). Die aktuelle Studie „Costs of Disorders of the Brain" macht den dringenden Handlungsbedarf im Bereich der Förderung von psychischer Gesundheit deutlich: Depressionen, Psychosen, Angsterkrankungen und Burnout-Syndrom sind nur einige der Krankheiten, die sich in den vergangenen Jahrzehnten verbreitet haben. Rund ein Viertel aller Österreicher leidet im Laufe eines Jahres unter einer psychischen Erkrankung. Laut Schätzungen der Kommission waren im Jahr 2005 europaweit 59,6 % der 18- bis 65-Jährigen von psychischen Störungen betroffen. „Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Wirtschaft, Politik sowie Gesundheitswesen sind hier gefordert, entsprechende Maßnahmenpläne zu entwickeln.“ (Elisabeth Muschik, Stv. Obfrau pro mente austria und Vizepräsidentin Mental Health Europe, in: E-Mail, Huber 2.6.2007). Der Ausbau von Betreuungsangeboten in den Mitgliedstaaten und die Aufklärung, Integration und Prävention stehen im Vordergrund.
Völlig widersinnig werden zeitgleich Psychologische Psychotherapeuten unter Androhung des Zulassungsentzugs gezwungen, zu den unten aufgeführten Honoraren zu arbeiten – ohne Berücksichtigung der eigenen Existenz. Zulassungen sollen entzogen, aber keine neuen hinzugenommen werden! Ebenso sieht es aus beim Verkauf eines halben Kassenarztsitzes: Man kann keinen halben Kassenarztsitz zurückkaufen. Dies ist eine zusätzliche Facette des Hintergrunds für das vorliegende Buch.
Zudem soll die „Psychotherapeutenkammer“ in „Landeskammer für Psychologische Psychotherapeuten und Psychologische Psychotherapeutinnen sowie Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen“ umbenannt werden. Der Grund dürfte auch hier ärztliche Standespolitik sein, die „ihre“ Ärzte nicht genügend repräsentiert sieht, wobei die in diesem Fachbereich tätigen Ärzte durch ihre „Ärztekammer“ vertreten werden. Die Bezeichnungen Psychotherapeutenkammer und Ärztekammer ähneln sich zu sehr. Da muss Distanz gewahrt werden! Das könnte ja fast schon assoziativ nach „Gleichstellung“ und damit nach etwas klingen und riechen, dass die ärztlichen Standesorganisationen definitiv nicht wollen: Nämlich nach Psyche und Seele!
Nebenbei bemerkt ist es so, dass 160 KV-Sitze für Psychotherapie nicht mit Ärzten in der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe (KVWL) besetzt werden können – offenbar haben die Ärzte kein Interesse. Es ist den Ärzten bei den Honoraren, für die wir arbeiten müssen, nicht zu verdenken! Der gute Arzt hält gemäß der ehrwürdigen Ideologie des Gottes in Weiß Ausschau nach lukrativeren Fachbereichen – aber auch in anderen ärztlichen Fachbereichen ist es um die Honorare nicht gut bestellt. Dennoch ist der ärztliche Wille zur Differenzierung und Distanz zu Psyche und Seele ungebrochen – es sei denn, man kann auch hier wieder an ihnen, an Psyche und Seele, verdienen! Dies wird hinsichtlich der standesärztlichen Politik im Fachbereich der Psychosomatik im vorliegenden Buch klar herausgestellt werden. Die Tatsache, dass so viele ärztliche Psychotherapiesitze nicht besetzt sind, belastet die Versorgungssituation in Westfalen – denn die unbesetzten Arztsitze werden auf Grund einer Schutzklausel nicht an die Psychologischen Psychotherapeuten weitergegeben. Bundesweit sind es 1.800 für Ärzte reservierte Praxissitze, die nicht für den Fachbereich Psychotherapie besetzt werden.
Diese unbesetzten Sitze werden dennoch in der vertragsärztlichen Bedarfsplanung als besetzt berücksichtigt. So werden Planungsbereiche als überversorgt und deshalb gesperrt ausgewiesen, in denen im ungünstigsten Fall 40 Prozent der Versorger gar nicht existieren. Im September 2008 teilt die Bundespsychotherapeutenkammer mit, dass die Bundesregierung die Mindestquote für psychotherapeutisch tätige Ärzte nicht – wie bisher im Sozialgesetzbuch V vorgesehen – auslaufen lässt, sondern nur von 40 auf 20 Prozent absenkt. „Dabei kann bereits jetzt ein großer Teil der ärztlichen Praxissitze aufgrund eines gravierenden Nachwuchsmangels nicht besetzt werden. Die Mindestquote für psychotherapeutisch tätige Ärzte trägt damit systematisch zur Unterversorgung psychisch kranker Menschen bei. In Ostdeutschland können deshalb gut 500 Praxissitze nicht mit Psychotherapeuten besetzt werden. Die Gesetzesberatungen werden zeigen, ob die berufspolitischen Interessen der Ärzteschaft Vorrang vor dem Abbau der Unterversorgung psychisch kranker Menschen haben.“ (BPtK-Newsletter, Bundes Psychotherapeuten Kammer, September 2008, S. 1) Allein diese Entwicklung mit den vorliegenden Zahlen hinsichtlich nicht besetzter psychotherapeutischer Arztsitze provoziert politisch offenbar bei den Ärzten eine Initiative, um sich dennoch im „Psychotherapiegeschäft“ ärztlich zu behaupten. Da kommt ein Verständnis, das Psychotherapie als „Ergänzung medizinischer Behandlungen“ zerlegt und reduziert und weiter, politisch per Gesetz definiert und ökonomisch in Module aufspaltet, gerade Recht. Ergänzt um ein Berufsrecht, das Psychologische Psychotherapeuten abhängig in ihrem beruflichen Handeln werden lässt, zeigt sich eine Zulassung zur Abschaffung von Psychologischen Psychotherapeuten, die ehemals von einer Zulassung zur freiberuflichen Tätigkeit der psychologischen Psychotherapie mit all’ ihren unzähligen Psychotherapiemethoden träumten.
Auch der Aufbau und Ausbau, wie junge Diplom-Psychologen in den Genuss einer Psychotherapieausbildung kommen und wo sie als frisch gebackener psychologischer Psychotherapeut im Sinne des Berufes tätig werden können, ist in vorwiegend ärztlicher Hand. Denn unsere Honorare als niedergelassene Psychologische Psychotherapeuten sind so niedrig, dass wir es uns trotz Änderungen des Berufsrecht der letzten Jahre bezüglich der Anstellung eines Kollegen nicht oder nur unter großen Rechenkünsten und Entbehrungen leisten könn(t)en, einen solchen Schritt zu wagen.
Psychologische Psychotherapeuten stehen auf der Warteliste für Jobsharing-Angebote von Kollegen, die sie als Übergangslösung aufgreifen bis sie selbst einen freien Kassenarztsitz kaufen können. Dank Leistungsbegrenzungsklauseln bedeutet dies, die Arbeit von zwei Psychotherapeuten im Job-Sharing darf die vorher allein getätigte Leistungsfallzahl nicht übersteigen – arbeiten also zwei, dürfen sie nicht mit doppelt so vielen Patienten arbeiten wie allein, obwohl der Bedarf an Psychotherapie vorhanden ist! Insgesamt gibt es zu wenig zugelassene Psychologische Psychotherapeuten geht man vom Bedarf in der Bevölkerung, wie oben zitiert, aus und nicht von der Zahl der durch das Gesundheitssystem festgelegten Zulassungen. Die Wartezeiten für Patienten verlängern sich insgesamt erheblich.
Die Wartezeiten werden sich auch in der Zukunft für Patienten nicht zum Positiven verändern, folgt man der gegenwärtigen Politik:
Im September 2011 bahnt sich ein weiterer Skandal für den politischen Umgang mit den Psychologischen Psychotherapeuten an.
Die BundesPsychotherpeutenkammer teilt mit, dass psychisch kranken Menschen weitere Verschlechterungen drohen. Seit langem ist bekannt, dass für Patienten lange Wartezeiten bestehen, wenn sie eine Psychotherapie beginnen wollen.
Im Rahmen des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes droht nun bundesweit die Schließung von ca. 6.000 Psychotherapiepraxen in überversorgten Planungsbereichen bestünden!
Wie ist es möglich, dass in Deutschland Menschen, die der psychotherapeutischen Hilfe bedürfen, sich in Wartelisten eintragen und das Bundeskabinett ein „Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung“ verabschiedet, das die Situation für Patienten im Extrem verschlechtern wird.
Sprich: Dann bekommen noch weniger Menschen die Möglichkeit für eine anerkannte psychotherapeutische Behandlung und die Wartezeiten werden sich drastisch weiter verlängern. Es ist insofern nicht von VERBESSERUNG, sondern von VERSCHLECHTERUNG zu sprechen. Wie in den anderen Büchern 1-1.2 mitgeteilt, handelt es sich hier um eine Verkehrung des Gemeinten: Gesagt wird Verbesserung, und verwirklicht werden soll Verschlechterung. Die gesetzlichen Krankenkassen benutzen die Politik, um ihre Ziele der Kostenreduktion zu verwirklichen und, wie bereits beschrieben, die privaten Versicherungen schieben eine Riegel vor zu viel „Psyche“ von Menschen und deren Erkrankungen mittels Ablehnung von Versicherungsnehmern, wenn sie die private Versicherung wechseln - oder von der gesetzlichen in die private Versicherung wechseln wollen.
Nun ist es interessant zu wissen, wie es zu einer derartigen, völlig widersprüchlichen Situation in der Gesundheitswirtschaft kommen kann. Die Lösung liegt in Deutschland nicht weit von Beurteilungen, die zu Einstufungen führen. Im Newsletter der BundesPsychothrapeutenkammer ist nachzulesen:
„Dortmund gehört in der Bedarfsplanung zur ,Sonderregion‘ Ruhrgebiet. Das heißt: Die Großstädte des Ruhrgebiets werden nicht als Großstädte eingestuft, sondern als Kreisstädte. Deshalb liegt der offizielle Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungsplätzen in Dortmund deutlich unter dem Bedarf von anderen deutschen Städten. In Düsseldorf oder Köln gelten 38,8, Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner als ausreichend, in Dortmund sind es nur 11,4. Tatsächlich arbeiten in Dortmund 21 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner. Deshalb gilt die Stadt mit 191 Prozent als ,überversorgt‘. Würde Dortmund nicht als Kreis-, sondern als Großstadt in die Bedarfsplanung eingehen, wäre es dagegen mit 56 Prozent erheblich.“ (BPtK-Spezial Ausgabe Juni 2011 in: BPtK-Newsletter, Ausgabe 3/2011, Kasten S. 3)
So, es wird mal wieder etwas definiert und schon kann das Versorgungsgebiet Dortmund gegen jeden Verstand und Denken als überversorgt eingestuft, Praxen durch die KVen aufgekauft und Patienten nicht behandelt werden.
Die im Auftrag der Wähler arbeitenden Politiker rutschen auf die Stufe von „Definierern und Einstufern“ in der gesundheitspolitischen Landschaft ab, bestimmen über Leben, Krankheitsverläufe und Lebenswege. Sie haben das Sagen! Dafür bedarf es außerordentlicher Scheuklappen, um nicht zu sagen, man möchte die Psychologische Psychotherapeutenschaft dezimieren und mit ihnen die Versorgung von Menschen, die unter psychischen Krankheiten leiden, reduzieren.
Der Slogan, Denken ist Handeln, lässt fragen, für wen in der Politik gedacht und gehandelt wird! Oder wird schon gar nicht mehr überlegt und gedacht, sondern nur noch gehandelt?
Als Behandler denkt man sich ja, wenn man für einen Patienten, der keine psychische Erkrankung hat und zu einer probatorischen Sitzung in der Praxis erscheint, man dis auch so der Krankenkasse mitteilen und trotzdem die entsprechenden Ziffern abrechnen kann... Man denkt weiter, es handele sich um einen Irrtum, wenn einem dann die Sekretärin nach Rücksprache mit der KVm sagt, man müsse eine Diagnose benennen, sonst könne man nicht abrechnen! Ich habe meien Sekretärin noch einmal anrufen lassen: Nein, wenn ich Geld haben möchte für meine Arbeit, dann muss ich eine Diagnose stellen! Unnötig zu sagen, dass ich empört war!
Aber, da steckt natürlich wieder etwas anderes hinter: Diagnosen aus dem psychotherapeutischen Bereich könnten ja Zusatztarife irgendwann einmal fällig werden lassen, oder dienen dazu, dass private Krankenkassen ihre Versicherungsnehmer im Vorfeld, wenn sie eine derartige Diagnose haben, von einem Versicherungsverhältnis ausschließen können! Hieran ist abzulesen, wie in Deutschland gedacht wird! Dies sei mal eben so nebenbei mitgeteilt!
Andererseits: Wären noch mehr Psychotherapeuten, ob psychologisch oder ärztlich tätig, würde sich die Honorarsituation noch weiter verschlechtern. Aus politischer Sicht müsste man also sagen: Ständige latente Unterversorgung im gesetzlichen Versicherungswesen ist gewünscht, da die Budgets dann nicht erhöht werden müssen – oder die Ärzte und psychologischen Psychotherapeuten müssten noch weniger verdienen als bereits jetzt schon (Vgl. auch Kapitel: Die Bedeutung des Psychotherapeutengesetzes – kassenärztliche Zulassung für Diplom-Psychologen – und die danach folgenden Kapitel!)
Wie der wachsende Bedarf an Psychotherapie in der deutschen Bevölkerung gedeckt werden soll, ist schleierhaft. Das von den KVen zur Verfügung gestellte Honorar-Budget orientiert sich an dem aus dem Jahr 2003 und reicht schon seit Jahren nicht mehr aus, um unsere Leistungen fachgerecht zu bezahlen. Der dramatische Punktwerteverfall wurde von der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung in einem offenen Brief veröffentlicht (Mitgliederrundbrief 3.2007). Gleichzeitig wurden Mitteilungen für Krankenkassen, KVWL und Patienten gestaltet, die in den Praxen ausliegen, um auf die dramatische Situation aufmerksam zu machen.
Im Einzelnen geht es um folgende Honorare:
Biografische Anamnese 50 Min 6,94 Euro (BKK: 40,61)
Probatorische Sitzung 50 Min 7,92 Euro (BKK: 46,35)
Psychotherapeutisches (Krisen-)Gespräch 1,48 Euro (BKK: 8,68)
Bericht an den Gutachter (Gutachten) 7,53 Euro (BKK: 44,02)
Diese aufgeführten Honorare für Abrechnungsziffern wirken mindernd auf die Praxiseinnahmen und sind zeitintensiv. Sie müssten mindestens in gleicher Höhe wie die Sitzungshonorare liegen – aber genauer betrachtet, höher.
Beispiel: In probatorischen Sitzungen wird das Problem des Patienten genau differenziert und spezifiziert: Wie ist es in der Lebensgeschichte des Patienten platziert? Welche anderen Einflüsse aus Familie und Gesellschaft gab es/gibt es? Wie verhalten sich die verschiedenen Einflüsse zueinander? Welche Ressourcen hat der Patient um das Problem/die Symptomatik/die Krankheit zu lösen? Wie wird die Motivation des Patienten zur Bearbeitung eingeschätzt? Was ist sein Ziel in der Psychotherapie? Dann wird das Problem (Symptom/Krankheit) des Patienten im Zusammenhang der Lebensgeschichte eingeordnet, um prognostisch einzuschätzen, ob die für die eigene Methode vorgesehene Anzahl der durch die Krankenkassen bezahlten Einzelsitzungen realistisch ist. Dann muss der Psychotherapeut erwägen, ob er tatsächlich der „persönlich richtige“ Therapeut für den Patienten ist: Einmal aufgrund der Chemie zwischen Patient und Psychotherapeut und einmal bezüglich der eigenen Einschätzung seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten. Dann muss er klären, ob das zu behandelnde Problem mit seiner eigenen Methode optimal im Sinne des Patienten behandelt werden kann. Zusammenfassend kann gesagt werden: In jedem Psychotherapeuten läuft ein umfangreicher Film an Fragen und Entscheidungen innerlich ab, um zur Entscheidung zu gelangen, den Patienten selbst zu behandeln, oder ihn an einen Kollegen mit gleicher Methode oder mit einer anderen Methode arbeitend weiter zu leiten, damit er gesund wird. Die Honorare vermitteln aber ein Bild, als sei es ein „Guten Tag“ sagen, ohne grundlegende Bedeutung: Für 7,85 Euro kann kein Bürger in Deutschland auch nur 1 Minute einen Handwerker am Telefon sprechen.
Beispiel: Der Monteur einer namhaften Elektrofirma zur Überprüfung der Waschmaschine stellte nach 10 Minuten eine Rechnung über 80,56 Euro aus. Sie setzt sich zusammen aus: Arbeitswerte 17,40 / Wegewerte 34,80 / Kfz.- Pauschale 14,50 und 19 % MwSt. und 1,00 Ersatzteile (ein Spray, das einen knopfdrucklang auf das Sieb in der Waschmaschine einwirkte). Arbeitsbeginn: 10.00 Uhr, Arbeitsende 10.15 Uhr. Datum: 26.07.2007. Anzumerken ist, dass diese Service GmbH den Verbrauchern auch den Weg und die Abnutzung des Fahrzeugs des Monteurs/Dienstleistungserbringer bezahlen lässt – es handelt sich also nicht um eine fachlich spezifizierte Aufgliederung der Leistung. Der Verbraucher zahlt, was die GmbH zahlen müsste, damit der Monteur beim Verbraucher an den Elektrogeräten stehen darf, um zu arbeiten.
Aber das ist Normalität in Deutschland – keineswegs die Ausnahme. Beispiele finden sich wie Sand am Meer und insofern werden Sie als Leser um dementsprechende Erfahrungen reicher geworden ebenso gesegnet sein. Gesteigert werden können derartige Rechnungen nur noch durch zu bezahlende Rechnungen für Leistungen, die nicht zum erhofften Erfolg führen, wie bei meinem Auto, das nicht mehr richtig zieht: Drei Tage steht das Auto in der Werkstatt, der Motorradriemen wird ausgewechselt, weil er bei einem bestimmten Kilometerstand ausgewechselt werden sollte, obwohl er noch in Ordnung war, wie sich dann herausstellte – das Auto zieht immer noch nicht. Rechnungshöhe 650,00 Euro, Schaden nicht behoben. Eine weitere Werkstatt wird konsultiert: Diese findet heraus, was ich bereits vermutete, nämlich dass der Turbo kaputt sei. Die Rechnung folgt auf den Fuß und beträgt insgesamt 450,00 Euro. Der Meister kann mir aber nicht zusichern, den Motor bei der Reparatur des Turbos wieder so herzustellen, dass er läuft, wie er sollte. Diese Reparatur würde minimal bei ca. 1.100 Euro liegen. Das Auto zieht also infolgedessen immer noch nicht, ich habe über 1.100,00 Euro ausgegeben und bin nicht wirklich schlauer und flotter mit dem Auto unterwegs als vorher.
Wären unsere Leistungen in der Psychotherapie ähnlich wie bei Handwerkern differenziert, müsste ein Honorar von überschlagen und überspitzt mindestens 350,00 bis 500,00 Euro (ohne Abzug der Fahrtkosten aufgrund der Steuergesetzgebung – man wohnt in Praxisnähe) am Ende einer probatorischen Sitzung auf dem Praxistisch liegen: Denn in unsere Leistung fließen das jahrelange Studium, die zusätzlichen psychotherapeutischen Ausbildungen, die Vielfalt an bereits behandelten Patienten, die erst eine Differenzierung durch Praxis, Erfahrung und Fähigkeit im Psychotherapeuten hervor bringen, in jedem Augenblick des Gesprächs mit dem Patienten mit ein. In unserem Bereich hieße das: Je mehr Berufsjahre, desto teurer die Sitzung, desto wahrscheinlicher der Erfolg im Behandlungsfalle – Ausnahmen bestätigen auch hier wie immer die Regel. In dieses Honorar würden selbstverständlich die Ausstattung der Praxis mit und ohne Sekretariat einfließen und die Anfahrtswege zur eigenen Praxis, um Patienten behandeln zu können, mit einbezogen. Und selbstredend müssten die Leistungen auch von der Krankenkasse in Urlaubs- oder Krankheitszeiten übernommen werden, wie es in früheren Zeiten bei Psychoanalytikern Gang und Gäbe war: Patienten zahlen durch – so, wie es bei vielen Musik-, Hausaufgabengruppen- und Nachhilfelehrern selbstverständlich akzeptiert und geregelt ist.
Die Zeit der Regeneration, um diesen Beruf ausüben zu können, muss bezahlt werden. Die Krankenkassen und die KVen haben nicht nur eine offizielle Fürsorgepflicht ihren Versicherten, sondern auch ihren Leistungserbringern, nämlich uns, gegenüber.
Gleichzeitig sind nun endlich die von Patienten aus unterschiedlichen Gründen nicht wahrgenommenen Sitzungen (Thema "Durchzahlen") abrechnungsfähig zu stellen: Es ist ein Unding, dass man uns zumutet, Menschen einen Therapieplatz, und damit Zeit, zur Verfügung zu stellen, die dann nicht bezahlt wird, wenn die Sitzung nicht stattfindet! Patienten bekommen auf lange Zeit wöchentliche Termine von uns, die auch dann für diesen Zeitraum von den Krankenkasen zu finanzieren sind. Und nicht, so wie gegenwärtig, dann nicht abrechnungsfähig sind. Denn wir haben den Druck, sozusagen aus dem Stand täglich für eine volle Praxis zu sorgen, die im Falle von nicht wahrgenommenen Sitzungen, eine leere Praxis und zusätzlich, leere Konten und ggf. Abmahnungen der KVen nach sich ziehen: denn aus der Abrechnung sind dann lediglich die stattgefundenen Sitzungen ablesbar.
Mein Vorschlag wäre also der, dass Kollegen die Leistungen, wie sie in probatorischen Sitzungen automatisch und reflexartig erbracht werden, auflisten, sammeln und als Einzelleistungsziffern zusammenstellen und mit Honoraren, wie sie in einer probatorischen Sitzung erbracht werden, abrechnungsfähig aufgeführt an den entsprechenden Stellen vorlegen.
Wir leben alle in einer Leistungsgesellschaft – weshalb wir sekündlich bis stündlich fachspezifisch Leistungen erbringen sollen, die nicht bezahlt werden, entbehrt jeglicher Grundlage und ist nicht nachvollziehbar: Zumal wir als Facharztgruppe überall in unserer Kultur, ob beim Bäcker, bei Servicefirmen, Autowerkstätten oder Sanitärbetrieben fast ein Sauerstoffzelt bei Präsentationen der Rechnungen benötigen, wie eine Verkäuferin bei Karstadt dies formulierte: „Passen Sie auf, ob Garantiezeiten in ihrem Kaufvertrag vereinbart sind, sonst benötigen sie ein Sauerstoffzelt, wenn Sie die Rechnungen von Handwerkern bekommen!“ Greift man Lieferungs- und Montagekosten für Möbel auf, wie ich sie mir im Juli 2008 bei Ostermann anlässlich des Kaufes eines Bettes mitgeteilt wurden, baut man es besser selbst auf. Bei Anlieferung innerhalb des Ortes werden 50 Euro fällig. Die Montage kostet 100 Euro, „weil es sich um eine qualifizierte Fachleistung handelt“, so die Erläuterung des Verkäufers. Kauft man ein Luxusauto, sollte man es unterlassen mit dem Verkäufer über den Verkaufspreis zu verhandeln, auch bei Mercedes Benz, weil sie ausschließlich über Provisionen verkaufter Automobile verdienen! Das würde man bei einem international tätigen Automobilhersteller nicht vermuten. Geht man in den Hellwegmarkt, findet man Verkäufer, die einem Rosen, die an Stöcken angebunden sind, als Stockrosen verkaufen wollen, wenn man überhaupt einen Verkäufer in den großen Hallen ausmachen kann! Als Kunde hat man ein Knöpfchen zu drücken, das als Klingel fungiert, damit der Verkäufer von einer Halle zur nächsten eilen kann, weil Personalkosten eingespart werden. Service? Hat man zu bezahlen! Freundlichkeit? Hat nichts mit dem sachlichen Vorgang im Verkaufsvorgang zu tun! Wer also den Standort nicht verlagert, spart am Orte an Personalkosten. Fachwissen? Darf man nicht verlangen! Ausbildung bekommt der Verkäufer von den Käufern, die ihn aufklären, was „Stockrosen“ sind! Diese Betriebe interessieren sich auch nicht dafür, ob Bürger das Geld für die Produkte besitzen. Wenn wir also alle in einer Leistungsgesellschaft gemeinsam leben und arbeiten, dann gilt dies ebenfalls für Honorare in unserem fachärztlichen Bereich der psychologischen Psychotherapie. Psychologische Psychotherapeuten wurden jahrelange gezwungen, mit einer Mindestanzahl von Kassenpatienten zu Honoraren in oben genannter Höhe zu arbeiten. Ihnen wurde mit Entzug der Kassenzulassung gedroht, wenn sie es nicht taten. 2006/2007 waren 45 Zulassungen von Psychotherapeuten vom Entzug durch die KVWL bedroht – undifferenziert nach den Gründen, warum es zur Androhung des Entzuges kommt, kann gesagt werden, dass dieser gesamte Vorgang einmalig in Deutschland war. Weder durch Klagen noch durch vermittelnde Gespräche wurden unsere Honorare bis März 2009 auf eine akzeptable Höhe gebracht.
Ende Oktober 2006 berichtete die Financial Times Deutschland, Kassenzulassungen sollten nur noch befristet vergeben werden und Verlängerungen nur erfolgen, wenn Kassenpatienten zügig Termine bekommen. Dazu ist nur sarkastisch anzumerken: Da spricht offenbar ein mit absoluter Unkenntnis Geschlagener. Denn die Wartezeiten kommen nicht zustande, weil man in der Praxis säße und Däumchen drehte. Das Gefüge der Wartezeiten ist komplexer angelegt, wie aus dem vorliegenden Buch an verschiedenen Stellen deutlich werden wird. Offenbar fängt man bei den Psychologischen Psychotherapeuten mit der verschärften Politik zur Arbeitsverpflichtung zu völlig indiskutablen Honoraren an.
Steht ein unentgeltlicher Arbeitsdienst für Psychologische Psychotherapeuten bevor, der durch die KVWL unter Androhung des Zulassungsentzuges durchgesetzt werden soll?
Der KV-Empfehlung, Praxiseinnahmen über die Behandlung von Privatpatienten anzuheben, damit man überhaupt noch über die monatlichen Runden kommen kann, stehen öffentliche Verurteilungen und Verteufelungen seitens der Ärzte gegenüber: Sie bekommen den schwarzen Peter, als „Zweiklassenmediziner“ zu arbeiten, zugeschoben. Diese Empfehlung für Ärzte soll offenbar keine Gültigkeit für Psychologische Psychotherapeuten haben: Denn, wenn sie verpflichtet werden, Kassenpatienten zügig Termine unter Androhung des Entzugs der Kassenzulassung zu vergeben, werden sie weder durch einen anderweitigen Nebenjob noch durch Privatpatienten ihre Honorareinnahmen steigern können – und gehen pleite. Folgt man der Information der Financial Times, so kann dies als ein Weg zur Abschaffung der psychologischen Psychotherapeuten verstanden werden: es gibt noch weitere Wege, die Berufsausübung zu verunmöglichen. So klagen Psychologische Psychotherapeuten seit 1999 auf angemessene Sitzungshonorare. Nichts Wesentliches passiert. Zusätzlich erbringen alle Psychologischen Psychotherapeuten genauso wie die Ärzte für Psychotherapie zahlreiche Leistungen kostenlos – weil sie nicht abrechnungsfähig sind. Sprich, es gibt keine Leistungsziffern zur Abrechnung.
Zu Anfang des Jahres befragt man in verschiedenen Kulturen ein Orakel, wie das Jahr wohl werde. Das deutsche Ärzteblatt aus dem Januar 2008 erspart den Gang zum Orakel gleich zweimal:
Es geht um die Honorare 2009 – 2008 wird gleich übersprungen und man kann direkt daraus schließen, dass es sowieso zu keiner Erhöhung der Honorare in meinem Berufsfachbereich kommt. Der mitgeteilte Inhalt klingt delphisch und widersprüchlich.
Hören wir Dieter Best, Mitglied im Beratenden Fachausschuss Psychotherapie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): „Mit dem EBM 2008 kann man leben“ – das freut uns zu hören, wäre hier zu entgegnen.
Weiter: 2009 würde die regional unterschiedliche Honorarsituation beendet – dann bekommen alle gleich hohe Honorare. Das sei positiv, bewertet Dieter Best – wobei noch unklar ist, durch welche Richtung die Gleichheit der Honorare, ob nach unten oder nach oben, erzielt wird.
Weiter, und jetzt wird es interessant: „’Von 2009 an sehen wir aber auch ein Riesenproblem auf uns zukommen’, ergänzt Best. Zwar ist er überzeugt, dass die Politik Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten insgesamt mehr Honorar zugestehen will. Doch wir sind in Sorge, dass sich das für unsere Berufsgruppe nicht positiv auswirkt.’ Bisher liegt der Punktwert der Psychologischen Psychotherapeuten bei rund 5,1 Cent. Der Orientierungswert für 2009 dürfte nach Bests Kenntnis aber eher bei 3,7 Cent liegen. Angesichts dieser Diskrepanz würden die Psychotherapeuten nicht einmal von der Punktmengenerhöhung profitieren, die sie an sich schon in diesem Jahr als Folge der Umsetzung aktueller Kostenstudien verbuchen können: ‚Wenn der Orientierungswert in dieser Höhe liegt, würden wir 2009 einen Honorarverlust von rund 10 % hinnehmen müssen.’ Da es mit großer Sicherheit nur einen Orientierungswert geben wird, könnte eine Lösung aus Bests Sicht darin bestehen, für psychotherapeutische Leistungen einen Zuschlag von mindestens zehn Prozent vorzusehen: ’Sonst kommen wir nicht auf eine angemessene Vergütung.’“ (Deutsches Ärzteblatt, PP, Heft 1, Januar 2008, S. 9)
Zu Anfang des Artikels (S. 8) heißt es: „Der KBV-Vorstand geht fest davon aus, dass es zumindest von 2009 an mehr Honorar für niedergelassene Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten geben wird.“ Offenbar kann in der KBV nicht berechnet werden, ob es nach oben oder nach unten geht mit Honoraren, wie der Einschätzung von Herrn Best zu entnehmen: An keiner Stelle wird mitgeteilt, wie hoch das Honorar denn nun sein wird und schon gar nicht wird mitgeteilt, dass es tatsächlich höher sein wird als gegenwärtig. Dieter Best mutmaßt: Es wird bedeutend niedriger sein. Das andere ist, dass man uns wieder ein Jahr unter Spannung halten will und mit Blick auf die Zukunft hoffnungsfroh jeden Morgen die Praxis aufschließen lassen möchte: Jedoch hinsichtlich der Honorare ohne Grund.
Dann ist weiter anzumerken, dass auch die Best’sche Berechnung völlig im Dunklen bleibt. Ich beziehe mich einfach und schlicht auf den Punktwert in der folgenden Betrachtung: Der Unterschied von 5,1 bis 3,7 Cent ist mit 1,4 Cent zu beziffern – und das sind nicht „rund 10 %“ weniger (dann wären es 0,51 Cent), sondern 1,4 Cent sind nun meinerseits großzügig statt ab- , aufgerundet rund 1/3 von der Bezugsgröße 5,1 Cent. Und das wären, nun meinerseits großzügig abgerundet, rund 30 % weniger als das bisherige im Vergleich mit dem prophezeiten Honorar für das Jahr 2009. Da ich nun davon ausgehe, dass Dieter Best richtig gerechnet hat, wäre somit die Frage, in welcher Berechnung die Differenz von ca. 20 % aufschlägt und wie sie „stillschweigend“ ausgeglichen wird, um die restlichen 10 % Minus, von denen Dieter Best spricht, mittels Extrazuschlag auszugleichen, um auf das gleiche (niedrige) Honorarniveau wie in 2008 zu gelangen? Wobei festgestellt werden muss, dass wir weder wissen, wo dieses liegen wird und die obigen Ausführungen weiterhin belegen, dass wir durch diese Honorarpolitik unterfinanziert werden. Die Aussage der KBV, wir könnten 2009 mit einem höheren Honorar rechnen, ist nirgends zu entnehmen.
Für 2008 ist bereits Anfang März pro Sitzung das Honorar um 3,00 Euro niedriger als in den Vormonaten zu konstatieren. Soll das heißen, wir sollen nun wieder für Einhaltung des bisherigen Honorars klagen, wohingegen von Erhöhungen des Honorars die Rede war?
Mit dem real anzunehmenden Honorar für 2009 ist dann jede Psychologische Psychotherapeutenpraxis pleite bzw. gleicht fehlendes Einkommen individuell wieder irgendwie aus?
Nun wäre doch das Orakel zu befragen: Wieso bekommen wir dann 2009 höhere Honorare? Weiter: Was nährt den Glauben, dass, wie Dieter Best meint, die Lösung darin bestünde, dass wir außerordentlich sozusagen 10 % Zuschlag extra bekommen könnten, die jeder theoretischen und praktischen Erfahrung widerspricht?
Weiter: Worin ist dann die Erhöhung unseres Honorars zu erblicken? Es wäre dann doch lediglich das Honorar erzielt, das wir gegenwärtig bereits haben bzw. schon nicht mehr haben?
Worin ist das Gute zu erblicken: Da doch insgesamt das Honorar 2009 unter Einbeziehung der Inflationsrate dann weit unter dem gegenwärtigen Honorar läge? Vielleicht liegt das Gute doch ausschließlich in dem Satz: „Mit dem EBM kann man 2008 leben.“
Aus dem Artikel ist summa summarum zu schließen: 2009 ist nicht mehr mit den Honoraren zu leben.
Dann gehen wir als Berufsfachgruppe vollends Pleite, nachdem wir uns jahrelang finanziell durchgeschleppt haben. Im Gesundheitswesen stellen sich Abschaffungen und Insolvenzen still und klammheimlich dar – im Unterschied zu Arbeitplatzeinsparungen und Standortverlagerungen wie bei Nokia, Siemens, Henkel und anderen Akteuren in der Mitte der gesellschaftlichen Bühne heißen. Die Konsequenzen, wenn dem so sein sollte, sind freilich noch weit reichender als in diesen Fällen – persönlich und gesellschaftlich: Dann werden Patienten nur noch mit Psychopharmaka, Psycho-Pflastern und Medikamenten versorgt.
Wollen Sie, lieber Leser, so eine Medizin und Modul-Psychotherapie, die Ihre Lebenszusammenhänge und Ihre Seele nicht als primäre Basis in Behandlungen einbezieht? Wollen Sie Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte, die schlecht bezahlt werden? Überlegen Sie bitte einen Moment, wie Sie eine Arbeit verrichten, die dauerhaft schlecht bezahlt wird und bei der Ihnen Ihre berufliche Identität stückchenweise am lebendigen Körper abgesäbelt wird und das, obwohl Sie zig Fachausweise und Ausbildungen vorlegen mussten, um in den Genuss einer solchen Tätigkeit in diesem System zu kommen!
Sehen Sie, da müssen Sie innerlich Berge versetzen, um dennoch ihre Arbeit gut zu verrichten!
Nun folgen Sie mir bitte noch einen Augenblick! Richard David Precht zitiert in seinem viel gelesenen Buch „ Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ (2007) eine Untersuchung des Psychologen Marc Hauser von der Harvard Universität. Es geht um folgende Situation: „Ein Waggon rast völlig außer Kontrolle über das Gleis direkt auf fünf Gleisarbeiter zu. Sie, lieber Leser, stehen an der Weiche und sehen den führerlosen Wagen heransausen. Wenn Sie die Weiche nach rechts umstellen, können Sie das Leben der fünf Männer in letzter Sekunde retten. Der einzige Haken dabei ist: Wenn der Waggon nach rechts abbiegt, überfährt er ebenfalls einen Gleisarbeiter – allerdings nur einen einzigen. Was würden Sie tun?“ (2007, S. 169)
Dann wurde die Versuchsanordnung durch Marc Hauser variiert: Sie stehen nicht an der Weiche, sondern auf einer Brücke über dem Gleis. Neben Ihnen steht ein dicker Mann, den Sie auf die Schiene stoßen müssten, um den Waggon von den fünf Gleisarbeitern abzulenken.
Precht weist darauf hin, dass sich 300 000 Menschen diese beiden Fragen bisher gestellt haben. Das Ergebnis bezüglich Frage 1: „Fast jeder der Befragten würde die Weiche umstellen. Er würde den Tod von einem einzigen Menschen in Kauf nehmen, um das Leben von fünf Männern zu retten. Frage 2: Nur jeder Sechste würde den dicken Mann von der Brücke schubsen, um das Leben der fünf Männer zu retten. Die große Mehrheit würde es nicht tun.“ (Precht, 2007, S. 170)
Precht: „Ist das nicht ein seltsames Ergebnis? Ob ich die Weiche umstelle oder den Mann von der Brücke stoße – das Resultat ist doch in beiden Fällen das Gleiche? Ein Mann stirbt, und fünf werden dadurch gerettet. Von der Bilanz der Toten und Überlebenden her gesehen gibt es keinen Unterscheid. Und doch scheint es einer zu sein. Ob ich den Tod eines Menschen in Kauf nehme oder ob ich ihn selbst herbeiführe, ist ganz offensichtlich nicht dasselbe. Psychologisch macht es einen erheblichen Unterschied, ob ich aktiv oder passiv für den Tod von Menschen verantwortlich bin. Im ersten Fall habe ich das Gefühl, einen Mord zu begehen, selbst wenn ich damit das Leben anderer Menschen rette. Im zweiten Fall ist es eher das Gefühl, Schicksal zu spielen. Zwischen aktivem Tun und passivem Unterlassen liegen gefühlte Welten. Und bezeichnenderweise unterscheiden auch die Strafgesetzbücher nahezu aller Länder sehr genau zwischen mutwilligen und unterlassenden Handlungen.“ (Precht, 2007, S. 170; Block M.E.)
Überträgt man diese Untersuchung auf das Gesundheitswesen und die darin arbeitenden Psychologischen Psychotherapeuten und Ärzten, so stehen sie jeden Tag vor der Notwendigkeit, eine Auswahl an Patienten, die sie behandeln, zu treffen: Nehme und behandele ich einen Privatpatienten oder einen Kassenpatienten? Diese Entscheidung nimmt ihnen keiner ab. Es ist auf der tieferen Ebene auch eine Frage, ob ich meine finanzielle und menschliche Existenz gegen die Existenz des Patienten stelle. Welcher gebe ich mehr Gewicht? Wen und wie viele behandele ich? Was kann ich selbst gerade noch verkraften und weis dennoch nicht, wie ich die Steuern bezahlen kann?
Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich persönlich jeden Tag aufs Neue viele solcher Entscheidungen für oder gegen Patienten treffen muss (und mit diesen Entscheidungen fertig werden muss), weil die Krankenkasse ggf. die notwendigen Maßnahmen nicht erstattet und mir bewusst ist, dass ich sie dann selbst bezahlen muss: und dies zusätzlich bei nicht diskutablen Honoraren. Oder ob Politiker aus großer Ferne Gesetze und Verordnungen verabschieden, die genau in den Kern der gesundheitlichen und finanziellen Belange von Menschen, von Patienten und Psychologischen Psychotherapeuten und Ärzten, zielen und letztlich ein „Du oder Ich“ gesetzlich fixieren, das letztlich mit der Notwendigkeit von „Kostenreduzierung“ begründet wird und für Millionen von Menschen Weichen stellen, die nicht zur Heilung und Gesundheit führen (können). Die nicht auf Heilung zielende Maxime des Handelns durch Ökonomisierung von Behandlungsinhalten ergänzen ein Medizinverständnis, das ausschließlich reduktionistisch Symptome behandelt– an Leben und Leiden von Menschen vorbei. Es verbürgt nur eins, Gewinne in der Gesundheitswirtschaft und Inflation von ärztlicher und psychotherapeutischer Berufsidentität. Letztlich wird sich niemand freiwillig in ein solches System einordnen wollen: Studenten studieren kaum noch Medizin, und wenn doch, dann gehen sie anschließend ins Ausland.
Es macht einen Unterschied, ob man die Zahlen von Menschen, die keiner ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung zugeführt werden können, nur hört, oder ob man im System sitzt und daran mitzuwirken gezwungen ist. Politiker und andere in der Gesundheitswirtschaft mitmischenden Berufsgruppen, die massgebliche festlegen, wie und wie viel wir zu arbeiten haben und mit welchen Methoden, haben keinen direkten Zugang zu Patienten. Von der von ihnen eingenommenen Vogelperspektive ist es natürlich leicht, Behandlungen für Patienten und Honorare der Behandler zu dezimieren. Denn sie erleben und sehen die Not nicht, die sie damit verursachen. Sie können sich alle sagen, sie seien nicht direkt beteiligt an dem, was sich aus den Gesetzen für das Leben der Menschen ergibt. Früher sagte man, dass sich bestimmte Menschen nicht die Hände schmutzig machten.... aber die gleichen sorgen dafür, dass andere mit Schmutz beworfen werden können... Maßgeblich hat dieses Vorgehen etwas damit zu tun, dass man Verantwortlichkeiten so delegiert und umverteilt, dass diejenigen, die Inhalte festlegen, den offiziell in der Praxis verantwortlichen Behandlern alles in die Schuhe schieben kann.
Zum Schluss noch einmal Precht: „Aktives Tun ist moralisch betrachtet etwas anderes, als etwa einen Befehl oder eine Anordnung zu geben. Die Soldaten, die die Bomben von Hiroshima und Nagasaki abwarfen, wurden damit seelisch nicht fertig; ihre Vorgesetzten bis hin zu Präsident Trumann, der den Beschluss dazu gefasst hatte, hatten offensichtlich weniger Probleme damit. Wir unterscheiden beabsichtigten und vorhergesehenen Schaden. Wir unterscheiden direktes und indirektes Tun. Und die meisten Menschen halten Schaden, der durch Körperkontakt entsteht, für verwerflicher als den, bei dem es zu keiner Berührung kommt. Es fällt leichter, einen Knopf zu drücken, um jemanden zu töten, als jemandem ein Messer ins Herz zu stoßen. Je abstrakter eine brutale Tat ist, umso leichter scheint sie zu fallen.“ (Precht, 2007, S. 171)
Es macht einen Unterschied, lieber Leser, ob jemand darüber schreibt, was Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten tun oder nicht tun oder ob jemand Psychologischer Psychotherapeut oder Arzt ist und mitteilt, wie es ist, in diesem Gesundheitssystem zu arbeiten und zu sein, sprich, damit zu leben. Es macht einen Unterschied, ob man Patient oder Politiker ist, ob man dieses System und die ausgeklügelte ökonomische Systematik implantiert durch sein Handeln oder ob man es erleben und erleiden muss.