Читать книгу Zulassung zur Abschaffung - Die heillose Kultur - Band 2 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 7
ОглавлениеEinleitung
Aus aktuellem Anlass eröffne ich das vorliegende Buch mit der Mitteilung, dass die Zahl der psychisch erkrankten Menschen europaweit zunimmt − auch in Deutschland. Der DAK Gesundheitsreport 2009 stellt aufgrund einer Umfrage von 3000 Beschäftigten zwischen 20 und 50 Jahren fest, dass 5 % der Befragten im Büro schon mal mit Medikamenten ihre Konzentration, Stimmung oder Leistungsfähigkeit verbesserten: „Hochgerechnet wären dies rund 2 Millionen Deutsche. Etwa 800 000 Beschäftigte nehmen demnach regelmäßig Psychopharmaka, um den Arbeitsbelastungen besser gewachsen zu sein. 2008 waren psychische Erkrankungen bereits der vierthäufigste Grund für eine Krankmeldung.“ (Ruhr Nachrichten: „800.000 Deutsche dopen sich für den Job.“ 13. Februar 2008)
Von der Politik wird das Thema zwar aufgegriffen, Statistiken in Auftrag gegeben oder, wie im Falle der Menschen mit Migrationshintergrund, sogar mittels teurer Studien dokumentiert, doch in der Praxis wird den Psychologischen Psychotherapeuten und Ärzten das Leben und Arbeiten aus vielerlei Gründen fast unmöglich gemacht. Statt zu heilen, müssen Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte gezwungenermaßen urteilen. Folgt man den Auswirkungen der Gesundheitsreform in die tägliche Praxis, unterliegen offiziell durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) niedergelassene und zugelassene Behandler aus existenziellen und politischen Gründen einem Beurteilungszwang und zwar in vielerlei Hinsichten. Das Urteil hat nichts mit dem Patienten oder dem Arzt an sich zu tun. Es resultiert aus ökonomischer Systematik reformerischer Konzeptionen für die Gesundheitswirtschaft und unmenschlich zunehmender Bürokratisierung. Grob gesprochen, sind Behandler aus eigenen existenziellen Problemen heraus gezwungen, zwischen privaten und gesetzlich versicherten Patienten zu differenzieren und zum anderen aus politischen Gründen, die ihnen durch Gesundheitsreform und nun auch noch von Krankenkassen, die seit 2008 gern haarfeine Differenzierungen und vollständige Aufzählung der Symptome in Diagnosen hätten – um den Versicherten anschließend, im Falle der wiederholten Mitteilung gleicher Diagnosen über zwei Jahre hinweg eine Zusatzversicherung im Rahmen von Chronifizierungen von Krankheitssymptomen „anbieten“ zu „können“. Die näheren Zusammenhänge werden im vorliegenden wie im Band zur Heillosen Kultur aufgegriffen.
Unzählige Interessenten aus Wirtschaft und Staat möchten gern an Ärzten und Patienten mitverdienen. Weder Mensch noch Patient und Arzt spielen eine persönliche Rolle, wenn das Fließband der Ökonomie einteilt, was sein darf und was nicht sein darf. Es spielt auch keine Rolle, wie krank Menschen aufgrund wirtschaftlicher und kultureller Veränderungen werden. Es wird stur an der Ökonomisierung von Mensch und Krankheit festgehalten. Wird ein Mensch krank, soll er selber dafür zahlen: ihm fehlt halt’ die Robustheit.
Statt Zwangsurteile aufgrund von Krankenkassenzugehörigkeiten, also gesetzlich oder privat versichert, über Patienten wegen eigener wirtschaftlicher Nöte für Behandlungen fällen zu müssen, sollten Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten ihr Urteil über gesellschaftspolitische Entwicklungen und wirtschaftliche Einflüsse hinsichtlich Krankheitswert und Unmenschlichkeit auf gegenwärtig lebende Menschen mitteilen dürfen.
Zu allem Überfluss wird diejenige Berufsgruppe, die sich um die Seele und die psychische Entwicklung und Verarbeitung von Konflikten im Menschen kümmert, politisch und wirtschaftlich systematisch zermürbt und reduziert. Dazu ist im Rahmen der Etablierung der Gesundheitsreformen und der Etablierung der Gesundheitswirtschaft so ziemlich jedes Mittel recht. Unter anderem eben auch die Stigmatisierung von Patienten, die unspezifische Diagnosen aus dem psychotherapeutischen Formenkreis (zum Beispiel von ihrem Hausarzt) bekommen und auch von Behandlern, die in diesem Fachbereich tätig werden, wie beispielhaft im vorliegenden Buch mitgeteilt wird. Aber auch für Patienten hat es Konsequenzen, auf die Dieter Best, Bundesvorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPTV) Ende Januar 2009 hinwies: „Personen mit einer psychischen Diagnose in der Vorgeschichte haben immer noch soziale und ökonomische Nachteile zu erwarten.“ (Deutsches Ärzteblatt, PP, Heft 2, 2009, S. 52) Die Nachteile können zum Beispiel zutage treten, wenn die Krankenkasse gewechselt wird und ein privater Krankenversicherer Versicherungswillige wegen psychischer Vorerkrankung nicht aufnimmt.
Zu diesem ökonomischen Zweck rotieren verschiedene machtpolitische Strukturen, von denen ich eine sofort aus aktuellem Anlass aufgreifen möchte:
Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Rainer Richter, beantwortet die Feststellung der Interviewer „Trotzdem kämpfen Sie immer noch mit Imageproblemen“ anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Psychotherapeutengesetzes bezüglich Psychotherapie wie folgt: „Ja, das ist richtig. Die gehen so weit, dass manche Experten nicht mehr von Stigmatisierung psychisch Kranker, sondern von der Stigmatisierung der Psychiater sprechen.“ Unerfindlich ist, weshalb Richter hier ausschließlich die Psychiater nennt, statt Psychologische Psychotherapeuten, gegen die massiv politisch und finanziell seitens der Ärzteschaft und Politik vorgegangen wird. Der Zusammenhang erhellt sich in der Ergänzung: „Wir sind da manchmal von unseren eignen Zahlen überrascht. Die Präferenzen für Psychotherapie als alternative oder ergänzende Pharmakotherapie sind ganz erstaunlich. Psychotherapie ist ein langsamer und langwieriger Behandlungsprozess. Die Selbstaktivierungskräfte werden bei diesem Prozess angeregt, und daraus resultiert die langfristige Wirksamkeit Psychotherapie als ERGÄNZUNG, DAMIT EIN SCHWER PSYCHISCH KRANKER SPÄTER IM LEBEN WIEDER KLARKOMMT UND WIEDER FUß FASSEN KANN, ist gar nicht mehr wegzudenken. Und das ist bei den Patienten angekommen.“ (Gieseke & Rabbata, 2009, S. 9, Hervorhebung M.E.)
Ich möchte dazu sehr deutlich, klar und nachdrücklich sagen: Ich habe meine Berufsausübung bisher nicht als Ergänzung irgendeiner ärztlichen Tätigkeit gesehen!!! Aber: Es gab Zusammenarbeit mit zahlreichen Ärzten auf Augenhöhe! Meine Patienten kommen in der Regel ohne Psychopharmaka auf die Beine und in ihr Leben zurück. Im Gegenteil kommen oftmals Patienten mit Psychopharmaka voll gepumpt und verzweifelt in meine Praxis, weil sie ohne Hilfe nicht wissen, wie sie aus medizinisch verordneten pharmakologischen Behandlungen hinausgelangen sollen. Weiter wüsste ich auch nicht, weshalb wir einen eigenen, gesetzlich bestätigten Berufsstand bilden sollten, der sich dann einem anderen Berufsstand unterordnet und sich als Ergänzung eines Berufsstandes verstehen sollte, der gänzlich anders denkt und handelt. Das Psychotherapeutengesetz ist aus meinem Verständnis gesetzlich beschlossen worden, weil Psychologische Psychotherapeuten ein gänzlich anderes Menschenbild und ein gänzlich anderes Krankheits- und Gesundheitsverständnis besitzen als Medizin und Mediziner. Wenn Psychologische Psychotherapeuten sich dieser Politik im Sinne der Ergänzung und Unterordnung der Psychologischen Psychotherapie unter die Medizin anschließen und ihr Selbstverständnis samt Berufsinhalt und Berufsidentität aufgeben, dann hat Politik und medizinischer Lobbyismus erreicht, was sie wollten: Sie haben solange mit kleinen Gesetzesschrittchen und Meinungsmache gegen Seele und gegen Psychologische Psychotherapeuten manipuliert und herumhantiert, bis durch das Psychotherapeutengesetz dieser Berufsstand gesetzlich dem herrschenden Medizinverständnis einverleibt werden konnte. Sprich, bis die Parteinahme für die Seele gesellschaftlich, politisch und für den einzelnen Menschen und für den Psychologischen Psychotherapeuten gänzlich zerstört ist – und jeder die „seelische Komponente“ für sich politisch im Marketing in Anspruch nimmt!
Man verkauft mit dieser Politik in Deutschland die Seele!
Denn hätte man dem Psychotherapeutengesetz 1998 nicht zugestimmt, hätte es einen Eklat gegeben, der gesellschaftspolitisch auffällig geworden wäre. Also wurde es beschlossen, um ganz in Ruhe und den Augen der Öffentlichkeit weitgehend entzogen, Psychologische Psychotherapeuten als einen Hilfsberuf der Medizin unterzuordnen und wie oben von unserem eigenen Präsidenten der Bundespsychotherapeutenkammer, Rainer Richter, zitiert, Psychotherapie als ERGÄNZUNG zur Medizin deklarieren zu können. Um dies zu erreichen, wurden der Fachbereich Psychotherapie und jeder einzelne Psychologische Psychotherapeut nun 11 Jahre niederfinanziert. Schlicht ausgedrückt: Wir wurden unter aller Würde honoriert. Existenzangst ist für jeden Menschen ein Mittel, um ihn zum Schweigen zu bringen und bis zum Umfallen zur Arbeit – und wenn er noch so erbärmlich honoriert wird – zu bringen: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Die neue „PSYCHOTHERAPIE“ kommt dann schillernd medien- und medizinideologietauglich in Kleidern wie Rainer Richter es in seinem Interview mitteilt, daher: „Dafür ist es notwendig, die multiprofessionelle Kooperation zu stärken, aber auch Veränderungen innerhalb der eigenen Profession anzuschieben.“ (Gieseke & Rabbata, 2009, S. 9. Hervorhebung M.E.)
Multiprofessionelle Kooperation hört sich toll an und niemand hätte etwas dagegen, wenn sie sich in den Händen unseres Fachbereiches der psychologischen Psychotherapie befände. Aber die Berufsrechte sind gesetzlich so angelegt, dass wir uns finanziell und strukturell immer noch nicht beruflich frei bewegen können!!! Davon handelt das vorliegende Buch.
Die Psychologischen Psychotherapeuten sollen generell weiterhin verschärft und unauffällig in jeder Hinsicht unter die Vormundschaft von Medizin und Ärzteschaft gestellt werden. Honorarverteilung und Berufsrechte spielen entscheidende Rollen in diesem Vorgehen. Innerhalb der fachärztlichen Psychotherapie werden einerseits Ärzte und Diplom-Psychologen politisch und wirtschaftlich gegen einander ausgespielt. Voraussetzung hierfür war die Integration in die KV, eine politisch möglicherweise freundlich gemeinte Einverleibung, die uns jedoch seit Jahren in Grabenkämpfe hineinzieht. Darüber hinaus existieren innerhalb der Psychologischen Psychotherapie andererseits politische Vorherrschaftskämpfe zwischen Verhaltenstherapie und tiefenpsychologischer Psychotherapie. Generell verbannt diese psychoökonomische Atmosphäre im Gesundheitswesen den Menschen und die Heilung auf einen immer weniger präsenten Platz in der Werteskala in unserer Kultur. Mensch, und damit die Seele, werden unter der Ökonomie begraben.
Werden die Psychologischen Psychotherapeuten abgeschafft, wird es keine hoch qualifizierte Berufsgruppe oder anders ausgedrückt, fachpsychologisch-psychotherapeutische Elite, die für die Seele des Menschen, für das menschliche Wesen, eintreten könnte, mehr in Deutschland geben. Dann hat die Seele keine Lobby mehr. Die Medizin hat sich noch nie für die Seele stark gemacht. Im Gegenteil verleugnet sie diese noch immer und wertet selbst ihre Ärzte ab, die sich mit der Seele beschäftigen und sich um die Psyche von Menschen in ihrem Fachbereich heutzutage bemühen. Es wird keine Berufsgruppe mehr geben, die sich für die Seele des Menschen, für deren Heilung im menschlichen Wesen professionell, d.h. (wirklich und nicht nur aufgrund eines Urteils des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie!) wissenschaftlich und fachlich psychotherapeutisch begründet und politisch relevant im Rahmen des Gesundheitswesens in unserer Kultur einsetzte. Die gegenwärtige Entwicklung im bürokratisierten und ökonomisierten Gesundheitswesen zeigt genau in die Richtung der Abschaffung der Psychologischen Psychotherapeuten und gleichzeitig der endgültigen Abschaffung der Seele hinsichtlich ihrer Bedeutung für das menschliche Wesen wie für das gesellschaftliche Leben. Dies darzustellen ist mein Anliegen.
Mein konkretes Ziel ist es, Psychologische Psychotherapie kulturell und politisch fest und anerkennt in unserer Gesellschaft installiert zu sehen. Wir brauchen berufliche und finanzielle Handlungsfreiheit und die Möglichkeit, unser Wissen vom Menschen über Behandlungen hinaus in die Gesellschaft politisch relevant und wirksam für das Leben der Menschen in ihr einzubringen. Es kann nicht sein, dass Politiker entscheiden, was man als Behandler generell für Menschen und Patienten tun oder nicht tun kann. Dann müsste man fragen, warum wir studiert und über Jahre hinaus Erfahrungen gesammelt haben... damit dann die Experten aus Wirtschaft und Politik sagen, wie wir behandeln sollen? Das kann nicht sein!
Mein genereller Wunsch ist es, das Prinzip der Heilung als unberührbar von Ökonomie und Politik in unserer Kultur als obersten Wert in einer am Menschen orientierten Gesellschaft festzuschreiben und zu etablieren. Letztlich hat die Ökonomie nur einen ernst zunehmenden Gegner: Die Seele. Die Ökonomie kann die Gesundung von Menschen verunmöglichen und daran verdienen. Sie kann die Heilungsabsichten mittels ökonomischer Strukturen in die Irre führen. Sie kann dergestalt die Seele demütigen, dass menschliche Wesen und deren psychische Verarbeitungsmöglichkeiten in unbekannte Verliese geschickt werden, um Gewinne noch weiter zu erhöhen und Krankheiten sich weiter zahlenmäßig ins Unermessliche und einzig als körperliche Krankheit anerkannt entwickeln lassen. Sie kann alles Körperliche am Menschen untersuchen, zerschnippeln, vernichten, wieder aufbereiten und weiter verkaufen – aber nicht die Erfahrungen der Seele. Sie tauchen da wieder auf, wo man sie am wenigsten erwartet oder gar schon tot geglaubt hat: In der Erinnerung eines Zeugen, in Träumen von Familienangehörigen, die über die seelischen Nöte ihrer Angehörigen träumen und ans Licht bringen, was keiner wissen sollte und wollte. Auf die Seele ist Verlass. Die Frage ist, ob auch auf die Liebesfähigkeit und auf das Mitgefühl des menschlichen Wesens Verlass ist: Hilft der eine Mensch dem anderen, wenn er Hilfe braucht? Die Ökonomie grenzt Seele, Mitgefühl wie Gefühl aus – es sei denn, sie kann daran verdienen ohne sich um Seele, Mitgefühl und Gefühl zu kümmern! Hinzu gesetzt sei: Diesen Vorgang der Manipulation nennt man Missbrauch. Menschliche Empathie wird durch Ökonomie genutzt, um zu erkunden, was der andere Mensch braucht, um es ihm zu entwenden und wieder- oder als neu zu verkaufen, als etwas was ihm fehlt. In ökonomischen Systemen treten blind für die Seele politische Unrechtsstrukturen in Form finanzieller Abhängigkeiten im Leben von Millionen von Menschen, die Elend und Not in unterschiedlichen Formen hervorrufen, zutage. Kulturell, wissenschaftlich und politisch ist die Seele vogelfrei – nirgends ist ein Schutz, eine Grenze zu erblicken, die sie schützte. Dies muss sich ändern.