Читать книгу Zulassung zur Abschaffung - Die heillose Kultur - Band 2 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - Страница 9
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Medizin hießen in früheren Zeiten all jene Mittel, die Menschen gesunden ließen und heilten. Das konnten Rituale sein, das konnten Berührungen sein, das konnten Worte sein, das konnten Wurzeln und Kräuter sein, aber auch verschiedene Methoden, wie Menschen zu heilen sind… Das berühmteste und bekannteste wie älteste Heilsystem ist weltweit das der Schamanen. Seit mindestens 40.000, geschätzt werden jedoch 100.000 Jahren, konnten Menschen in vielen Kulturen rund um die Welt auf dieses Heilsystem zurückgreifen beziehungsweise entwickelten es als System, um mit den Anforderungen des Lebens fertig werden zu können. Schamanismus ist ein Geist-Körper-Heilsystem, das auch heute noch weltweit verbreitet ist wie genutzt wird. Ausführlich berichtet Mircea Eliade (1954) in seinem Klassiker „Schamanismus und archaische Ekstasetechnik“ (1954) über die weltweite Übereinstimmung schamanischer Techniken. Michael Harner ergänzt in seinem Buch „Der Weg des Schamanen“ eigene Erfahrungen und zeigt verschiedene Methoden auf.
Jahrelang reiste er um die Welt, trug Erkenntnisse zusammen und bildet seitdem an Schamanismus interessierte Menschen aus. Eine Faszination bei der Beschäftigung des Schamanismus ist sicherlich, dass es „eine bemerkenswerte Übereinstimmung...nicht nur im allgemeinen Inhalt, sondern auch im besonderen Detail’ zwischen den schamanischen Reisen der venezolanischen Warao und den Wiradjeri Australiens gibt, einen Ozean und Kontinent entfernt.“ (Wilbert, Johannes 1973/74, S. 81f, in: Harner, 2007, S. 78) Legt man die anthropologische Forschung zugrunde, kann gesagt werden, dass Bewussteinsprozesse bezüglich Heilungsmethoden weltweit seit Jahrtausenden unabhängig von einander gleichartige Heilsysteme hervorbrachten, wie sie auch heute noch angewandt werden. Ein Mehr an empirisch belegter Wissenschaftlichkeit dürfte für eine andere Heilmethode kaum aufzeigbar sein. Könnten zur Gleichartigkeit der Heilmethoden auch noch die Erfolge aufgelistet werden, müsste diese Heilmethode sofort und widerspruchslos in den Katalog der Krankenkassen zur Abrechnung für entsprechend tätige Heiler aufgenommen werden.
Vergleicht man 40.000 bis 100.000 Jahre empirisch-schamanische Erfahrungswissenschaft mit vielleicht zwei Jahren der in der Pharmazie üblichen Testphase für Medikamente oder Überlegungen und Prüfungen des Wissenschaftsrats Psychotherapie bezüglich Zulassungen von Psychotherapieverfahren, erübrigt sich jeder weitere Kommentar.
Es müsste in diesen Zusammenhängen gefragt werden, welcher Wissenschaftsbegriff und welche ökonomischen Interessen unter dem Label „Wissenschaftlichkeit“ in unserem Gesundheitssystem zum Tragen kommen, die empirisch aufzeigbare Erfahrungen von Menschen infrage stellen und diesbezüglich tätige Behandler als Scharlatane verunglimpfen, zumindest aber verdächtigen und wissenschaftlich lächerlich machen. Zwar gibt es immer mal wieder eine heilerische Zusprechung von Patienten zu Psychotherapeuten und Ärzten, äußerten sie sich jedoch selbst diesbezüglich, würden sie angreifbar und verletzlich. Die Diskussionen über Kostensenkung in der Öffentlichkeit zeigen eine Situation, in der ein politischer Mainstream glaubhaft aufzeigen soll, es ginge um Heilung und Gesundheit, die für viele Menschen hergestellt werden soll, aber man müsse die medizinischen und psychotherapeutischen Mittel der Krankenkassen beschränken und dafür müsste jeder Patient und Versicherte selbst noch mehr zahlen, weil Heilung eben teuer ist. Dann würde der Gesundheitsstand in der Bevölkerung steigen und die Kosten für jedwede Heilmittel langfristig gesenkt werden. Hinter diesem offiziellen argumentativen Vorhang gibt es eine zweite Realität, die glasklar ein ökonomisches Interesse zeigt, dem nicht an Heilung und sinnvolle wie optimale, heilerische Behandlung für alle Menschen gelegen ist, sondern im Gegenteil am Erhalt von Krankheiten und Abhängigkeiten von Menschen, die eigentlich Gesundheit suchen und wollen.
Heilung liegt nicht mehr in der Hand des einzelnen Menschen, sondern in Händen von Vertretern ökonomischer Interessen. Selbst Behandler, wie ich an verschiedenen Stellen in meinen Büchern und auch in dem vorliegenden Band aufzeige, haben die Behandlungsmethoden und ihre Anwendung dem ökonomischen Diktat zu unterwerfen. Handeln sie anders, zum Beispiel im Sinne einer individuell für den Patienten zusammengestellten Therapie, die eben nicht von Krankenkassen aus unterschiedlichen Gründen bezahlt wird, müssen sie mit finanziellen und berufspolitischen Sanktionen rechnen. Zwischen diesen beiden Ebenen im Gesundheitswesen – einerseits der öffentlichen Darstellung unter dem Label der „Heilung“ und andererseits dem „heimlichen Interesse“ der Kapitalisierung des Gesundheitsmarktes – spielen sich die Kämpfe aller Beteiligten um Heilung und Behandlungsinhalte und -ergebnisse ab. Dies ist eine typische Auswirkung in einer heillosen Kultur: Politisch wird ein Zwiespalt geschaffen und die Betroffenen geraten in Streit und Kämpfe um die Existenz, sei es die gesundheitliche und/oder die finanzielle, statt dass sich beide Parteien die primäre Quelle und Ursache dieser Zwistigkeit ansehen: Gewinner ist die Ökonomie. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Auch heute gibt es noch Heiler. Aber sie müssen sich hüten, dies zu sagen, wollen sie nicht in Verruf geraten. Diesen Mainstream lege ich an anderer Stelle noch ausführlicher im vorliegenden Buch an verschiedenen Stellen offen. An dieser Stelle soll genügen darauf hinzuweisen, dass der Aufstieg der Medizin zur Wissenschaft zum einen unzählige Verunglimpfungen und Verfolgungen von Heilern zur Folge hatte und zum anderen, dass die Ökonomie eines Landes maßgeblich mit dazu beitrug, dass alte Heilungssysteme ausgemerzt wurden. Diese Aussage wird dann näher erhellt, wenn realisiert wird, dass der Begriff Schamane von Anthropologen von den Tungusen Sibiriens übernommen wurde und auf andere Heilsysteme übertragen wurde, „die früher unter folgenden Bezeichnungen bekannt waren: Hexe, Hexendoktor, Medizinmann, Zauberer, Hexenkünstler, magischer Mensch, Magier und Seher.“ (Harner, 2007, S. 53) Heilsysteme zu verfolgen, die nicht den offiziellen wirtschaftlichen Vorstellungen eines Landes entsprachen, ist weltweit durch westliche Kultur verbreitet worden. Insofern gilt, dass alte Heilsysteme zwar irgendwie kulturell anerkannt, aber für Patienten nicht bezahlt werden.
Dennoch ist Schamanen- oder Heilertum für Menschen heutzutage noch ebenso beeindruckend, bedeutsam und wirksam wie es für unsere Vorfahren gewesen sein wird, sonst hätte es nicht so lange Zeit überleben können. Während der schamanischen Reise findet jeder Mensch seine individuellen Antworten auf Probleme aller Art in seinem Geist und seiner Seele. Begleitet werden diese Reisen in der Regel durch Trommeln, aber auch von anderen Instrumenten, die seelenwirksam sind, so will ich die Wirkung einmal nennen.
Die WHO (World Health Organization) setzte Schamanismus 1980 mit den Methoden der klassischen Medizin als in der Wirkung gleich und bestätigte sie als eine Methode zur Heilung von psychosomatischen Krankheiten. (Vgl. Honegger, Walter: E-Mail vom 2.8.2009)
Die einzigen Schamanen in Dortmund habe ich persönlich anlässlich einer Vortrags- und Veranstaltungsreihe in der DASA gesehen und erlebt. Sie kamen aus Nepal. Die von der DASA zur Verfügung gestellte Halle war voller interessierter Menschen und in Gesprächen wurde allseits der volle Erfolg gelobt und weiteres Interesse an dieser Vortrags- und Erfahrungsreihe bekundet.
Clemens Kuby (2008) weist darauf hin, dass es 1968 ein Treffen der Ältesten aller indianischen Stämme in den USA gab. Sie beschlossen, „dass die Zeit reif sei, ihr Wissen an den weißen Mann weiterzugeben. Ein bewundernswerter Schritt. Der Planet braucht dies Wissen. Sogar das World Watch Institute in Washington D.C. hat eine Studie herausgegeben, die belegt, dass die Menschheit ohne das Wissen der indigenen Völker nicht überlebensfähig ist. Den herrschenden Kulturen der Industriegesellschaften fehlt das Bewusstsein der ‚Guardians of the land’, wie man in der Studie die Urvölker nennt, die nur noch zirka 12 % der Menschheit ausmachen. Die Lehrer der Guardians sind die Schamanen und Medizinmänner und -frauen, sie verkörpern das Wissen der letzten Naturvölker. Kann ich als Weißer einfach zu ihnen gehen und sie bitten, uns ihr Wissen zu offenbaren, das wir so nötig brauchen, um zu überleben und die Natur zu wahren?“ (Kuby, 2008, S. 165)
Wie ich in diesem vorliegenden Buch aufzeige, ist die analytische Psychotherapie, die biographisch schwierige Situationen und Entwicklungsphasen mit als ursächlich für Probleme in der Gegenwart von Menschen auf einen Konflikt auslösenden Fokus hypothetisch zentriert, in Gefahr, verunglimpft und durch eine Politik, die Module in der Psychotherapie und Verhaltenstherapie forciert, abgeschafft zu werden. Dabei geht ein Denken über den Menschen als Gesamtheit seiner emotionalen Erfahrungen, psychischen Reaktionen und seelischen Schutzbildungen verloren. Eine geistig auf die Seele ausgerichtete Psychotherapie für Menschen wird gleichzeitig das Bild vom Menschen verändern. Der Mensch wird so lediglich aus der Gegenwart heraus begriffen: geschichtslos, geistlos, seelenlos und ohne aktive oder passive psychische Abwehrarbeit und lebenstauglichen Werkzeugkasten wie ihn die Schamanen besitzen, um mit dem Leben in der Kultur klar zu kommen. Seine persönlichen wie anthropologischen Wurzeln sind jetzt bereits zum größten Teil durch die Entwicklung der Kultur abgeschnitten. Insofern ist es das Thema eines jeden Menschen, welches Menschenbild in einer Kultur gepflegt oder abgeschafft werden soll. Ebenso sind die geistigen Grundlagen und Methoden zur Heilung von Menschen Sache einer Gemeinschaft und nicht ausschließlich die einiger Politiker, die im Gesundheitsministerium sitzen und im Verbund mit Wirtschaftswissenschaftlern Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten vorschreiben, wie sie zu behandeln haben und zwar bezüglich Zeitdauer und Inhalten.
Konkret: Von schamanischen Behandlern in Dortmund habe ich noch nichts gehört...... würden psychologische und medizinische Psychotherapeuten bei den Krankenkassen Kosten für schamanische Reisen bei psychosomatisch erkrankten Patienten beantragen, würden wir vermutlich angefragt, wie man denn auf diese Methode käme? Vorab würde man uns mitteilen, dass diese Methode wissenschaftlich nicht begründet sei und von daher nicht erstattungsfähig.
Der Wissenschaftsrat Psychotherapie erkennt in Deutschland nur begrenzt Methoden an. Dass das älteste Heilsystem weltweit in Deutschland nicht erstattungsfähig für Patienten ist, liegt daran, dass offenbar geglaubt wird, dass emotionale Erlebnisse von Menschen, die sich während schamanischer Reisen oder mittels ähnlicher Methoden einstellten, ausschließlich auf Phantasien beruhten und jeglicher Grundlage entbehren. Individuelle Berichte belegen anders. Tiefe Gründe für fehlende Anerkennung dieses Heilsystems im deutschen Abrechnungskatalog für Heilbehandlungen sind nach den Ausführungen in Band 1.-1.2 Heillosen Kultur ganz woanders zu suchen: Die schamanische Methode gebärt die Antworten im Inneren des Reisenden bzw. des Patienten. Der Schamane ist lediglich Begleiter der Reisenden, der bewährte Methoden zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte anwendet.
Nun stelle man sich vor, jeder Mensch in Deutschland verfügte über diese Methode und könnte sich entweder selbst heilen und/oder sich seine existenziellen Fragen selbst beantworten und Lösungen wie neue Wege finden, sich in der gegenwärtigen Welt individuell zu Recht zu finden? Diese Bewusstseinsbildung würde völlig neue Diskussionen über Sinn und Unsinn in Ökonomie und Kultur hervorrufen und die Basis, auf der heutzutage über Heilmittel wissenschaftlich entschieden wird, infrage stellen. Würde der Schamanismus lebendig gehalten und als Methode jedem Menschen gelehrt, würden sich Land und Leute nachhaltig verändern und die Intentionen der Wirtschaft, aus allem Geld machen zu wollen, liefen ins Leere. Niemand würde sich so schnell mehr hinters Licht führen lassen. Es wäre auch keine große Reflexion notwendig, um zu erkennen, dass Vergangenheit und Kriege in jeder Hinsicht schädlich für die menschliche Spezies sind. Letztendlich würde der Selbstwert von Menschen für das Leben und seine Sinnhaftigkeit gestärkt. Der Mensch entdeckte sich als Quelle für Heilung neu.
Eindrucksvoll beschreibt Clemens Kuby in seinem Buch „Unterwegs in die nächste Dimension“ (2003) wie er sich selbst heilte, in dem er begann, mit seiner Seele zu sprechen. Er stellt fest: „Viele Menschen wissen, dass sie ein geistiges Wesen sind, und kurieren sich mit diesem Bewusstsein selbst. Jetzt ist es an der Zeit, sich zu outen. Die Gesellschaft braucht diese Erfahrungen.“ (Kuby, 2008, S. 14)
Dieser Meinung bin ich auch und deshalb zitiere ich auch gern noch die folgenden Zeilen von Clemens Kuby, die zeigen, dass Menschen auch unvorhergesehen und ungefragt sehr schnell in Situationen geraten können, wie wie sein Beispiel zeigt.
Kuby nahm die Botschaft seiner Seele an:
„Bei Krankheit, stelle ich fest, zieht sich das Ego zurück. Die Seele darf dann umso stärker hervortreten. Wie jetzt. Wenn ich weine, weine ich nicht wegen der Schmerzen oder aus Selbstmitleid, sondern aus Einsicht – aus Gewahrwerden meiner missachteten Seele. Was ist das nur für ein zartes, wunderbares Geschöpf? Dabei kenne ich sie nicht einmal wirklich. Doch sie begleitet mich auf Schritt und Tritt, immerzu. Sie drängt sich nicht auf, aber wenn ich nach ihr schauen würde, wäre sie da. (...) Der Seele sind Schmerzen egal. Nur das Ego jammert. Meine Seele hat zum Schmerz ein zwar mitfühlendes, aber nicht mitleidendes Verhältnis. Sie sieht den Schmerz als ihr Sprachrohr, als Ruf nach ihrer Beachtung. Sie meldet im Schmerz ihre Defizite, die das egobestimmte Leben bei ihr verursacht hat. Die Seele sieht im Schmerz nicht den Schmerz, sondern das, was der Schmerz zu erzählen hat – und das ist kein Gejammer, sondern ein tiefes, wichtiges Anliegen. Wie verstehe ich diese Anliegen? Wie höre ich, was meine Seele mir sagen will?“ (Kuby, 2008, S. 26 u. 27)
Er beschreibt eindrucksvoll und zugleich schlicht, was es heißt, seine eigene Seele anzunehmen, ihr zuzuhören und sich von ihr führen zu lassen.
Dieser Prozess ist in Heilungsprozessen immer gleich. In der psychotherapeutischen Arbeit ist die Fokussierung auf dasjenige, was der Patient fühlt, das A und O, egal, welche Methoden sonst noch zum Einsatz kommen. Patienten sträuben sich nicht selten, sich ihrer Gefühle und ihrer Seele bewusst zu werden. Das ist zwar verständlich, hat aber meinen Patienten wenig genützt, da ich nicht locker lasse. Bis es soweit war oder ist, darf ich mich dann mit dem Ego des Patienten amüsieren bis er sich dann doch für die seelische Information entscheidet und sie hörbar und wirksam werden lässt. Manchem Patienten hat die nun folgende kleine Geschichte geholfen, um sich selbst zunehmend besser emotional zu verstehen und anzunehmen und mehr Geduld für seinen seelischen Prozess aufzubringen:
An einer Straße in Los Angeles ein paar Schritte vom Meer entfernt, sitzt neben einem großen Truck über Stunden ein Mann auf der Bordsteinkante. Ein Strandbesucher beobachtet dies und fragt ihn: „Was machen Sie da eigentlich?“ Der Mann auf der Bordsteinkante antwortet: „Wissen Sie, ich bin von New York bis Los Angeles viele Stunden durchgefahren. Und nun warte ich darauf, dass meine Seele auch hier ankommt!“
Nach der Zeit der Entwicklung des Schamanismus und anderer bekannter Heilsysteme folgte geschichtlich eine Zeit der medizinischen Entwicklungen, die unter dem Dach der Wissenschaft stand. „Wissenschaft“ ist das Bedürfnis, das, was man nicht kennt und nicht weiß, zu erforschen und in einen Zustand des Nachvollziehbaren und Beweisbaren zu überführen. Dagegen kann niemand etwas haben, wäre zu bemerken. Dieser Ansatz ist jedoch weiter stark durch den jeweiligen Zeitgeist geprägt. Glaube und individuelle Erfahrung sollten durch wissenschaftliches Vorgehen in ein neues Wissen über den Körper und die Nachweisbarkeit von Wirkungen bestimmter Methoden abgelöst werden. Die jeweilige Kultur und der ihr zugehörige Entwicklungsstand zeigen jeweils den Geist der Menschen der betreffenden Zeit an. Dieser Geist manifestierte sich auch an den Merkmalen, wie diese Wissenschaftler das, was sie nicht verstanden und erforschen wollten, auswählten und untersuchten. Die Wissenschaft traf eine Vorauswahl: So wurden nur Aspekte in Erwägung gezogen, von denen sie annahm, dass sie einen Einfluss auf die Heilungsprozesse in Menschen haben könnten. Insofern spielten der Glaube und der Geist eines Wissenschaftlers in der Wissenschaft eine maßgebliche und differenzierende Rolle – trotz aller Wissenschaftlichkeit und Empirismus! Der Geist einer Kultur wurde zunehmend einflussreicher durch die Ökonomie gestaltet wie in nachfolgenden Kapiteln des vorliegenden Buches noch aufgezeigt wird. Diesem Geist folgte die Wissenschaft und perfektioniert sich in der Gegenwart. Behandler haben nichts mehr zu sagen und sollen Heilerfolge mit unwirksamen Mitteln vollbringen – gelingt dies nicht, sind die Behandler schuld.
Weiter wurden Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften zum Beispiel voneinander getrennt. Der Unterschied besteht seither darin, dass sich ein Teil der Wissenschaftler auf sichtbare Phänomene von Objekten spezialisierte, der andere auf Sachverhalte, die man lediglich an den Wirkungen ablesen konnte, die also geistig waren. Im Zuge der Entwicklung der verschiedenen Richtungen, in welche man in der Welt der sichtbaren Dinge forschen konnte, wurde auch der Körper des Menschen definiert. Den dazugehörigen Fachbereich nannte man „Medizin“ und gliederte ihn in die Naturwissenschaften ein.
Alles Unsichtbare wurde ausgeklammert. Entsprechend der bekannten Aussage, dass es keine Seele gäbe, weil die wissenschaftliche Medizin sie im Körper nicht finden konnte, definiert die naturwissenschaftlich geordnete Medizin den Menschen auf diese Art und Weise bis heute und behandelt ihn dementsprechend: Was man nicht sieht, gibt es nicht. Was man im Körper nicht finden kann, existiert nicht. Doch vieles, was für Menschen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten selbstverständlich ist, wie Emotionen, Denken, Intuition, Wünsche, Ziele, und Motivation, ist nicht einfach ablesbar im materiellen Körper eines Menschen – äußert sich aber dennoch in Schmerzen und Symptomen, ohne dass es materielle Nachweise in Untersuchungsbefunden gibt. Tatsächlich ist der Schmerz ein akutes Problem – trotz umfänglichen Wissens der Medizin über den Körper und seiner Funktionen, kann Schmerz bis heute nicht hinreichend zufriedenstellend wissenschaftlich erklärt und begründet werden. Mit zig Methoden versucht man ihm beizukommen und/oder ihn zu unterdrücken.
Die Erkrankungszahlen von Schmerzpatienten belegen, dass die ultimative Behandlung nicht gefunden ist. Eines ist jedoch ganz sicher, nämlich, dass sehr viel Geld in der Pharmazie mit dem neuen Wissen, wie es mittels cartesianischer Wissenschaft definiert wird, verdient wird. Mittels Schamanismus ist jedoch glaubhaft belegt, dass Schmerzen und Symptome plötzlich verschwunden sind, auch wenn man es sich aus heutigem wissenschaftlichem Verständnis heraus nicht erklären kann.
Aber derjenige, der Schamanismus erlebt hat und in der Folge von Schmerzen und Symptomen befreit leben kann, hat im Unterschied zu klassischen Behandlungsmethoden seine eigenen Gefühle erlebt. Dieses eigene Erleben wird mit Hilfe von Schmerzmitteln unterdrückt oder durch Schmerzbewältigungstechniken zeitweilig gemildert und/oder verschoben – und Patienten klagen weiter über Symptome und Schmerzen. Wissenschaftlich wird auf Untersuchungsergebnisse hingewiesen, die glaubhaft machen sollen, dass man sich mit den pharmazeutischen Mitteln, medizinischen Behandlungsmethoden und entsprechenden Heilungshypothesen auf dem Pfad des Wissens bewegt. Dieser Weg ist deshalb auch aus offizieller Sicht kulturell fortzusetzen, auch dann, wenn er nicht wirkt und Patienten weiter leiden, ihre Krankheiten und Symptome erhalten bleiben. Auf diesem Hintergrund wird von Patienten nur noch eines im Gesundheitswesen erwartet: Sie sollen sich an Krankheit und Symptome anpassen, ihren Alltag entsprechend umstellen und sich passender (meist technischer) Hilfsmittel bedienen. Sie sollten weiter aufhören, gegen die Krankheit anzukämpfen. Besser wäre es, sie anzunehmen und damit klar zu kommen. Sie sollen eben eine realitätsgerechte Haltung einnehmen und aufhören davon zu reden, welches Leben sie, als sie noch gesund waren, hatten und nun verloren haben. Sie sollen tun, was der Doktor (damit sind Mediziner und Ärzte gemeint) sagt und dann würde es schon besser. Diese Patienten bekommen nicht gesagt, dass jeder Mensch über Selbstheilungskräfte verfügt. Ihnen wurde nicht gesagt, dass man sie aktivieren kann.
Meine PatientInnen wissen, dass ich mitunter zu ungewöhnlichen Maßnahmen in meiner täglichen Arbeit greife. In Bezug auf die Behandlung bei Schmerzpatienten kann ich sagen, dass es wohl keinen Schmerzpatienten gab, bei dem ich keine haarfein auf ihn abgestimmte therapeutische Maßnahme ersonnen habe, die ihn heilte. Gestatten Sie mir die zwei folgenden Beispiele:
1. Die erste Patientin, die mir einfällt, war ca. 37 Jahre alt, wirkte deutlich vorgealtert, war verheiratet und hatte zwei Kinder. Sie arbeitete in einem Betrieb, der Handys herstellt. Sie klagte über Dauerschmerzen im Rücken, die durch ärztliche Behandlung bei einem Orthopäden nicht zu mildern waren. Auch Tabletten halfen nur zeitweilig. Ungefähr ein halbes Jahr lang erzählte und klagte sie über ihr Leben: Über die schwierige Beziehung mit ihrem Mann, den Ärger mit den Kindern und die nicht mehr auszuhaltende Arbeit am Fließband. Sie musste täglich acht Stunden mit Lupe und im Rücken gebeugt kleine technische Teilchen einbauen. Jeden Tag aufs Neue wurden die Verspannungen aufgebaut, die sie so gern abgebaut gesehen hätte. Ihr Leben änderte sich nicht, ihre Schmerzen änderten sich nicht, ihre depressive Stimmung änderte sich nicht. Sie sah jeden Tag das Gleiche. Niemals fühlte sie sich fröhlich, gelöst und glücklich. Da sie sich nicht mehr erinnern konnte, jemals glücklich, fröhlich und zuversichtlich gewesen zu sein, unterbreitete ich ihr eines Tages den folgenden Vorschlag: Sie sollte ein Foto von sich anfertigen lassen, auf dem sie lachte und zuversichtlich an Gegenwart und Zukunft dachte. Weiter fragte ich sie, ob sie sich an eine Zeit erinnern könne, in der sie glücklich war und das Gefühl hatte, das Leben schenke ihr alles, was sie sich wünsche und brauche. Und was sie sich denn im Leben gewünscht und ob sich denn etwas erfüllt hätte? Sie schaute mich an, weinte und erzählte aus ihrer Erinnerung heraus, was ihr einfiel. Am Ende der Sitzung lachte sie unter Tränen und sagte, dass sie schon lange nicht mehr gefühlt habe! Und dass sie eine hübsche Frau sei, die positive Dinge erlebt, habe sie schon gar nicht mehr gewagt zu denken! In der nächsten Sitzung brachte sie das Foto mit. Eine um Jahre verjüngte Frau lachte mich zuversichtlich an. Ich fragte die Patientin, ob es einen Ort gäbe, wo sie jeden Tag dieses Bild mit hundertprozentiger Sicherheit sähe. Nach längerem Überlegen sagte sie, dass dieser Platz im Auto sei. Sie befestigte das Bild an einer Stelle, so dass sie es jeden Tag und möglichst oft sah. In den nächsten vier Wochen kam sie immer zuversichtlicher wirkend in die Sitzungen, berichtete von positiven Erlebnissen mit Mann und Kindern, die Arbeit wurde nicht mehr thematisiert, von Schmerzen hörte ich kaum noch etwas und wenn doch dann eher so „....ach, ja ich habe da noch Verspannungen, die sind aber kein Problem!“ Wir konnten die Psychotherapie beenden. Diese Patientin hatte im Stress des Lebens vergessen, wer sie war und dass sie eine lebendige Frau und Mutter ist. Sie hatte sich nur noch wie ein Automat gefühlt. Diese Vorstellung und das zugehörige Lebensgefühl wurden von dem Bild der fröhlichen und lebendigen Frau abgelöst. Wenn sie fühlte, dass der Stress wieder im Begriff war, sie zu übermannen, erinnerte sie sich nun anhand des Bildes im Auto, dass sie auch noch etwas anderes erleben und sein konnte, als der Alltag ihr suggerierte. Sie hatte ihren verloren gegangenen Seelenanteil – so will ich diese Entwicklung mal außerhalb psychoanalytischer Theorienbildung bezüglich Ich-Strukturen benennen – wieder gefunden.
2. Die zweite Patientin war Krankenschwester in der Rheumaklinik in der ich als Psychologische Psychotherapeutin alleinig arbeitete. Sie kam, weil sie unerträgliche Rückenschmerzen hatte. Bei näheren Nachfragen meinerseits erzählte sie, dass sie ihr Leben wie ein Gefängnis erlebe. Sie wüsste nicht, wie sie dem entkommen sollte. „Sie befinden sich wohl in einem elendigen Kreislauf oder?“ fragte ich ihre Gefühle spiegelnd zurück. „Ja, das kann man wohl sagen...!“ erwiderte sie. Ich bat sie, im Kreis zu gehen und mir von ihrem Leben zu erzählen. Sie solle mal mit dem vergangenen Montag der letzten Woche anfangen. Sie schaute mich ungläubig an und folgte dann aber meinem Vorschlag. Sie erzählte und erzählte unter Weinen, wie sie lebte und was sie erlebte und lief in dem kleinen Kreis, den das Behandlungszimmer zuließ (,) wohl eine halbe Stunde lang. Dann passierte in ihr etwas, sie blieb stehen und sagte nur: „Ich habe verstanden. Ich habe keine Schmerzen mehr!“ erklärte sie unvermittelt und verabschiedete sich lachend. Zum nächsten Termin kam sie lachend ins Behandlungszimmer und sagte, es sei alles gut. Sie bräuchte keine Behandlung. Die Schmerzen seien weg geblieben. Leider konnte sie nicht verbalisieren, was passiert war. Sie konnte nur sagen, dass etwas passiert sei. Sie schenkte mir eine kleine goldene Muschel mit einer Perle darin. Meine Verneinung, dass ich doch keine Geschenke annehmen dürfe, ignorierte sie vehement und bestand darauf, sie mir zu schenken. Ich nahm sie dann auch an und folgte damit intuitiv höheren Gesetzen, um der Patientin durch das gemeinsame Arbeitsergebnis keine Schuldgefühle mit auf den Weg zu geben. Die Schmerzen waren ausgemerzt.
Soweit die Beispiele.
Die Seele und das, was Menschen aufgrund ihrer Krankheiten empfanden und welche emotionalen Ursachen mit ihnen verbunden sind, wurden von den Naturwissenschaften kaum in Betracht gezogen. Generell überhörten die Ärzte Hinweise von Patienten, die jeweilige Lebenssituationen, Beziehungsprobleme und sozialpolitische Auswirkungen betrafen und etwaige innere, sprich, seelische Vorgänge widerspiegelten. Es galt nur, was an Körperlichkeit stumm vor den Medizinern/Ärzten auf der Untersuchungsliege oder auf dem OP-Tisch lag. Folglich stellte dieser Typ von Mediziner oder Arzt die Fragen streng klinisch und fachbezogen ausschließlich in Bezug auf den Körper. Dieses Verständnis von Krankheit und Gesundheit spiegelt sich seit Jahrzehnten in der Verleugnung der hohen Zahlen missbrauchter und geschlagener Frauen oder missbrauchter, geschlagener und ermordeter Kinder wider, wie sie sich rückwirkend leicht rekonstruieren lassen und sich mit Fallzahlen heutzutage vergleichend darstellen. Wie man weiß, griffen Frauen zur Selbsthilfe in Form von Initiativen und Vereinen wie, „Gewalt gegen Frauen“, indem sie Frauenhäuser initiierten. Ebenso spiegeln sich in diesem veralteten, ausschließlich organisch orientierten Medizinverständnis zigtausend klassifizierte Krankheiten wie Aids, Krebs, Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Suchterkrankungen entsprechend dieses biomedizinischen Körper-Denkens und der aus diesem Denken entwickelten Behandlungsmethoden wider: Das Wissen der Psychotherapie bekam nur sehr begrenzten und geringen Eingang und Einfluss auf die tägliche Versorgungspraxis in der allgemeinen Bevölkerung. Wenn Menschen psychische Probleme hatten, wurden sie oftmals im ersten Schritt mit Antidepressiva vom Hausarzt und eventuell im zweiten mit Psychopharmaka von Neurologen und Psychiatern versorgt. Eher die Ausnahme bildeten Ärzte mit angemessenen Psychotherapieangeboten wie der Psychoanalyse. Im psychotherapeutischen Bereich tätige Diplom-Psychologen boten oftmals privat Psychotherapien an, deren Kosten aufgrund einer fehlenden und geregelten Zulassungsordnung (siehe Kapitel „Vergangenheit“ ab S. 81) durch die Krankenkassen selten übernommen wurden.
Populärer wurde die psychotherapeutische Arbeit von Diplom-Psychologen mit psychotherapeutischer Ausbildung aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Entwicklungen, die die Anerkennung von Gefühle voraus- und freisetzten:
1.) „Die Pille“ eröffnete neue Möglichkeiten und brachte freiere Lebensarten bezüglich Sexualität hervor.
2.) Die sexuelle Revolution folgte und warf Fragen auf, wie Frauen in der Gesellschaft repräsentiert wurden (Waren- und Objektcharakter).
3.) In diesem Zusammenhang wurden Fragen bürgerlicher Beziehungs- und Familienstrukturen diskutiert und man suchte neue Lebensformen.
4.) Homosexualität wurde diskutiert und gesellschaftlich integriert.
5.) Das Thema „Abtreibung“ sorgte für eine breite Diskussion, die bis heute andauert, auch wenn sie rechtlich abgesichert wurde.
6.) Antiautoritäre Erziehungsmodelle kamen in Abgrenzung zum herrschenden Erziehungs- und Lernvermittlungsstil in Mode und führten zu Diskussionen.
7.) Themen über Gewalt generell und gegen Frauen und Kinder insbesondere wurden aufgegriffen – und wurden durch zahlreiche Frauen gesellschaftlich praktisch umgesetzt: Als genereller Vorläufer dürfte gesellschaftlich diesbezüglich die Arbeit von Frauen in Selbsthilfeorganisationen und Vereinsgründungen zur Problematik Gewalt gegen Frauen in den 70er Jahren zu suchen sein: Damals wurde das Thema Gewalt gegen Frauen und Kinder zum ersten Mal breitflächig in Deutschland aufgegriffen.
8.) In den 80er Jahren trat ein weiteres wichtiges Thema ins gesellschaftliche Bewusstsein: Trauer und Trauerverarbeitung.
Während all dieser Jahre entwickelten sich zahlreiche psychotherapeutische Methoden, die in Deutschland offiziell nicht im Gesundheitswesen aufgegriffen wurden, geschweige denn für Patienten von den Krankenkassen als Heilbehandlung übernommen wurden. Die Lobbyisten der Medizin sorgen bis heute für Ausgrenzung der Psychologischen Psychotherapeuten. Sie tun es, obwohl sie sich alle gern auf Hippokrates beziehen. Aber wohl die wenigsten Ärzte studieren ihn tatsächlich bzw. haben ihn viele Ärzte nicht verinnerlicht. Denn soweit Hippokrates bereits zu den Begründern der naturwissenschaftlich orientierten Medizin gezählt wird und Voraussetzungen für eine rationale Diagnostik und Therapie schuf, so war er es wiederum ebenfalls, der als erster Spontanheilungen beschrieb. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Spontanheilungen den Göttern zugeschrieben. Hippokrates sah sie als einen Selbsthilfeprozess des Organismus an:
„Die Natur ist die Heilerin der Krankheit, steht im sechsten Buch der epidemischen Krankheiten zu lesen. Die Krankheit ist nicht mehr allein Pathos, Leiden, sondern auch Ponos, Arbeit, nämlich Aktivität des Körpers, die durch die Funktionsstörung angeregt wird. Beobachtungen am Kranken zeigten, daß Gesundung auch ohne ärztliche Hilfe möglich war. Da aber in vielen Fällen doch ärztlicher Beistand notwendig war, konnte die vis medicatrix naturae nicht als allein heilbringend gelten. Der Arzt wurde zum Diener an der Natur, und der Heilungsprozeß wurde dahin verstanden, daß eine vis naturalis die materia peccans im Sinne der Humoralpathologie aus dem kranken Organismus stoße.“ (Condrau, G., 1965, S. 23 – 24).
Heilung ist auch Arbeit (Ponos) und diese Arbeit besteht in psychotherapeutischer Arbeit, die Klarheit im emotionalen Bereich von Menschen schafft, welche die meisten Menschen nicht mehr allein schaffen! Die gemeinsame Arbeit im Emotionalen führt den Patienten zu sich selbst zurück. Zusammenfassend bedeutet dies, jeder Mensch verfügt über Selbstheilungskräfte, die der Mensch über die Auseinandersetzung mit seinem Leben und den damit in Verbindung stehenden Emotionen klären kann. Weiter kann ein Arzt als Diener an der Natur unterstützend tätig werden. Diese Haltung ist eine völlig andere, als die heutige Vorstellung, der Arzt wisse Bescheid und bewirke die Heilung und der Patient wisse und könne nichts und dürfe dankbar sein, wenn er Linderung erführe, politisch vermittelt! Die Bezeichnung von «Göttern in Weiß» spiegelt, legt man Hippokrates zugrunde, eine falsche ärztliche Haltung, wider: Diener sind keine Götter. Ein bemerkenswertes Beispiel für diese Auffassung beschreibt Clemens Kuby (2008) in der Geschichte seiner Begegnung mit U Shein – Burma / Heiler und Alchemist. U Shein heilt auf zwei Weisen :
Der zu ihm kommende Mensch muss ihm über sein Leben erzählen und U Shein führt dann intensive Gespräche mit dem Patienten über seine Moral. Das Ergebnis eines solchen Gesprächs ist, dass der heilungswillige Patient bestimmte Veränderungen in seinem Leben umsetzen muss, mit denen er sich täglich aufgrund der selbst gewählten Vorsätze zu konfrontieren hat. In Burma ist dies das Gebet. Wenn der Patient dann nach einiger Zeit wieder bei U Shein vorstellig wird und alles so getan hat, wie vereinbart, bekommt er das Heilmittel von U Shein : Gold Ash Powder. Danach sind Menschen geheilt.
Viele Menschen gehen zunächst einen anderen Weg, nämlich den gesellschaftlich vorgeschrieben und favorisierten biomedizinischen Weg. Heilung beginnt, wenn dieser Weg zu Ende gegangen worden ist und ein neuer Weg eingeschlagen wird: „Heilung beginnt nach dem Verzicht auf die unzähligen Male wiederholten, bekannten Versuche, die uns jedesmal eine Verstärkung der Störung beschert haben. ‚Mehr vom Gleichen.’ (P. Watzlawick) bringt ein Mehr an Krankheit. Es fällt schwer, das ‚Gleiche’ loszulassen, weil wir mit diesen vertrauten therapeutischen Alibiübungen unsere Angst vor dem Unbekannten eindämmen wollen. Doch Heilung ohne ‚Sich-Lassen’ (Meister Eckhart), ohne Loslassen des Vertrauten ist Augenwischerei. Bevor wir ‚uns lassen’, quält uns Angst vor einem Sturz ins Ganze, wie sich eine Frau ausdrückte, das heißt vor Ichverlust und Psychose, auch wenn wir es nicht so nennen. Sobald wir aber losgelassen haben, ist es, als würde uns eine sichere Hand ergreifen und in der zu uns passenden Gangart Schritt um Schritt auf einen Weg führen, dessen subtile Weisheit und differenzierte Gestaltung wir uns mit aller Klugheit nie hätten ausdenken können.“ (Schellenbaum, 1992, S. 49)
Ohne mich nun in einer unvorstellbar langen Liste von differenzierenden Ansätzen für Forschungen zu ergehen, die sich nicht der biomedizinischen Körpervorstellung der klassischen Medizin ergeben haben, soll dennoch auf indivi-duumsspezifische Forschungszweige hingewiesen werden:
Heilung ist in dem Sinne jeweils auf das Individuum bezogen, an und in dem sich ein Heilungsprozess vollzieht. In der gegenwärtigen medizinisch-naturwissenschaftlichen Forschung werden alte, durch statistische Standardnormen geprägte und als Grundlage zur Beurteilung individueller biologischer Werte dienende biomedizinisch-dualistische Paradigmen vereinzelt durch alternative ersetzt. Biologische Parameter werden intraindividuell verglichen: Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf Gerok (1990), der Gesundheit als Ordnung und Chaos und Krankheit als entweder erstarrte Ordnung oder als ungesteuertes Chaos beschreibt. Physiologische Werte werden in diesem System individuumzentriert bewertet und verglichen und nicht mit standardisierten Normen. An der Heiden (1991, S. 127ff.) beschreibt diese individuelle medizinische Diagnostik aus systemischer Sicht „als sich selbstherstellendes dynamisches System“ (An der Heiden, 1991, S. 127).
Diese Auffassung vom Leben spiegelt inhaltlich, global gesehen, die Sichtweise psychotherapeutischer Verfahren, die gestalt- und körperorientiert analytisch arbeiten oder auch psychotherapeutisch systemische Methoden anwenden, wider: Eine medizinische Symptomatik wird als mit dem jeweiligen Menschen (Patienten/Klienten) verbunden, ihm zugehörig hypostasiert, mit dem Ziel der emotionalen und mentalen Integration durch den Menschen (Patienten/Klienten) mit Hilfe entsprechender Methoden im psychotherapeutischen Prozess. Dies bedeutet, dass durch Psychotherapie bereits die Auflösung des alten Paradigmas in der Praxis grundsätzlich existiert und im Einklang mit einem von Jüttemann (1991) formulierten Gesichtspunkt für wissenschaftliche Forschung steht, der in der Chaosforschung (Gerok, 1990) verwirklicht ist:
„Ereignis- und individuumzentriert forschen, vorausgehende Verallgemeinerungen vor allem anthropologischer Art, konsequent unterlassen, um die Entstehung von Systemimmanenz zu vermeiden.“ (Jüttemann, 1991, S. 355)
Groddeck (1984) zeigt eine integrative Bedeutung von „Krankheit“ auf, die auf ein tieferes Verständnis von „Krankheit“ verweist:
„Kranksein ist nichts anders als leben, als der Versuch des Lebens, sich veränderten Bedingungen anzupassen, es ist nicht ein Kampf des Körpers mit der Krankheit, sondern eine ordnende Tätigkeit, etwa der zu vergleichen, die wir stündlich und tausendfach mit Überlegung ausführen, um unser Tagwerk zu vollbringen.“(Groddeck, 1984, S. 253)
Menschen mussten in den vergangenen Jahren lernen, dass ihre „normale Tätigkeit“ als Mensch, sich nämlich jeden Tag aufs Neue zu motivieren, dasjenige jeden Tag zu tun, was sie tun, immer größeren Umfang annahm und zusätzlich den Unsicherheitsfaktor, ob ihr Leben so noch zu bewältigen sei, wie es bisher ging, zu bewältigen hatten. Sie verloren und verlieren ihr Gleichgewicht.
Im Januar 2008 werden Zahlen von 1,4 Millionen missbrauchten und geschlagenen Kindern in einem Zeitungsartikel über ein Buch von Christine Birkhoff, die eigene Erfahrungen in „Ein falscher Traum von Liebe“ (Bastei-Lübbe 2007) verarbeitet, vom Bundesfamilienministerium aus dem Jahr 2000 mitgeteilt. (Ruhr-Nachrichten: Hinsehen? Wohin? 2.1.2008). Diese nun acht Jahre alten Zahlen dürften angewachsen sein: Wer soll diesen Menschen fachkompetent helfen, sie behandeln? Hinzuzusetzen ist: Wird eines dieser 1,4 Millionen missbrauchten Kindern behandelt, wird in der Regel mindestens ein Elternteil ebenfalls eine Psychotherapie machen müssen – und wenn es hoch kommt, alle Familienmitglieder, also auch die Geschwister. Dies als ein Beispiel in diesem Einschub, dass die Medizin mit ihrer herkömmlichen Sichtweise diesbezüglich nicht für Aufklärung sorgen konnte – und auch nicht regelhaft reagierte, wenn Kinder mit nicht eindeutigen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht wurden.
Aber auch andere Berufsgruppen tragen dazu bei, dass Kinderschänder auf freien Fuß kommen: „Justiz-Pannen: Akten weg.“ (Ruhr-Nachrichten, 24. Juli 2009) Es heißt in dem Artikel, dass bei der Justiz in Mönchengladbach Akten von Kinderschändern verschwunden und ihre Fälle jahrelang verschleppt worden sind. Von derartigen Fällen wird inzwischen des Öfteren berichtet. Im Falle eines solchen Berufsverständnisses ist von einer Weg-Seh-Kultur zu sprechen.
Die Empfehlung der Bundeskanzlerin zur Hinseh-Kultur wirft darüber hinaus Fragen auf: Auf blaue Flecken oder tiefer, zu den Ursachen sehen? Zum Beispiel eben grundsätzlich auch auf das Medizin-Verständnis und im Gegenzug auf die Fachkompetenz von Psychologischen Psychotherapeuten, die Welt und Mensch etwas, um nicht sagen, entschieden anders sehen und begreifen: Medizin müsste inhaltlich etwas sein, das den Menschen in einem Land hilft, mit Krisen, Problemen und Krankheiten fertig werden zu können – dann könnte von einer hoch stehenden oder zivilisierten Kultur gesprochen werden. Aber in Deutschland gibt es fast niemanden mehr, der sich selbstständig und frei, mit einem Gefühl, sich in Kultur und Mensch auszukennen, bewegen kann. Für jeden Schritt muss ein Rechtsanwalt gefragt werden, die Steuerberaterin angerufen und der Arzt oder der Psychologische Psychotherapeut konsultiert und bezahlt werden. Menschen werden ständig durch die Polizei oder städtische Angestellte bezüglich Parken und zu schnellem Fahren kontrolliert und zur Kasse gebeten. Menschen werden zur Unselbstständigkeit und zum Nichtwissen und zu „Heile dich nicht selbst“ erzogen. Menschen werden in jeder Hinsicht bewusst in die Abhängigkeit gebracht, ob durch politische Gesetze und Verordnungen, ob durch die Art und Weise der Zwangsläufigkeit, wie Menschen ihr Leben zu leben und zu fristen haben, wie sie sich als Arbeitnehmer zu verkaufen haben und sich dann in ihrem Leid an Mediziner zu wenden haben, die sich selbst durch eine völlig indiskutable Berufspraxis verdrehen, sprich, anpassen müssen und Hippokrates getrost in der Ecke stehen lassen können.
Die alte medizinische Sichtweise ist bis heute so erhalten geblieben: Diese Ärzte sprechen kaum mit ihren Patienten, und Patienten haben den Diagnosen der Ärzte zu lauschen und zu tun, was sie an Behandlung vorschlagen. Wenn Patienten etwas dazu sagen möchten, hat der Arzt generell keine Zeit. Sagt der Patient trotzdem etwas, gilt er als unbequem und aufmüpfig, und der Arzt wird unwirsch. Tut der Patient nicht, was der Arzt sagt und verordnet, gefährdet er damit den vermeintlichen medizinischen Heilungserfolg. Tun dem Patienten also bestimmte Behandlungen und Medikamente nicht gut, ist letztlich der Patient trotzdem selbst schuld. Obwohl er brav geschwiegen hatte, und der Arzt habe ja auch gar nicht absehen können, dass seine Behandlung nicht zum Erfolg führen würde, schließlich habe es bestimmte Parameter gegeben, die bei dieser Krankheit untypisch seien – oder es war schlicht ein ungewöhnlicher Behandlungsverlauf. Die enttäuschten Patienten wandten und wenden sich irgendwann schweigend von diesen Ärzten ab und konsultier(t)en einen anderen, in der Hoffnung, dass sich der Gott in Weiß doch noch als unfehlbar in der Behandlung erweisen möge. Das nennt man dann Ärzteshopping: Der Patient geht von einem Arzt zum anderen. Davon halten die ärztlichen Standesorganisationen gar nichts, da eine solche Patientenreaktion darauf hinweist, dass in der Behandlung etwas schief gelaufen ist. Auch den in Praxen und Kliniken tätigen Ärzten sind denkende und vor allen Dingen handelnde Patienten nicht geheuer. Aber auch die Krankenkassen haben etwas gegen Ärzteshopping, weil es die Kosten für Behandlungen ausdehnt. Schließlich müssen sie zahlen, was diese Ärzte nicht leisten konnten oder, was sie sich salopp formuliert „leisteten, nicht zu leisten.“
Bevor Patienten generell den Gedanken entwickeln konnten, dass Ärzte ihnen nicht halfen, gesund zu werden, wurde den Patienten selbst generell die Schuld für fehlende Heilungserfolge zugeschoben: Fehlende Complains, d. h. fehlende Bereitschaft den Anweisungen des Arztes zu folgen, wurde als Grund für fehlende Heilungserfolge interpretiert und die Patienten verpflichtet, sich Überweisungen von einem Arzt zu einem anderen Arzt ausstellen zu lassen. Die Patienten, nicht die Ärzte, wurden und werden hinsichtlich ihrer Arztbesuche kontrolliert und zusätzlich finanziell durch Eigenleistungen beträchtlich belastet. Jetzt werden die Ärzte zusätzlich zu den Patienten kontrolliert, was aber die Versorgung nicht verbessert. Es bleibt bei der Sprachlosigkeit zwischen Ärzten und Patienten – heute schlimmer denn je, weil nicht einschätzbar ist, warum der Arzt ein Gespräch mit Patienten führt: Zum Beispiel, um IGeL-Leistungen an den Patienten zu bringen, die privat zu bezahlen sind. Die genauen Hintergründe werden in Band 3 ausführlich dargelegt. Neue Strukturen im Gesundheitswesen führen dazu, Patienten in Vorsorgeuntersuchungen reihenweise in Massenabfertigungssituationen in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu beordern. Offiziell heißt es, Prävention dämpfe Behandlungs- und Folgekosten für (zu) spät entdeckte Krankheiten – dagegen wären fehlerhafte Befunde und Diagnosestellungen zu setzen.
Was bei Untersuchungen und Diagnosestellungen mittels ärztlicher Kunst an Verschlimmbesserungen passieren kann, erfahre ich aus Berichten von Patienten und Bekannten, und diese machen mich sprachlos. Da wären zum Beispiel Knochen- und Rückmarkspunktionen, Biopsien oder auch Operationen bei Krebserkrankungen, welche die Gefahr der Streuung der Krebsherde ignorieren. Wissen denn nur Nicht-Mediziner oder Nicht-Ärzte von diesen Zusammenhängen? Nach der Punktion für die Biopsie wird dann gesagt, die Streuung sei vorher schon da gewesen. Das konnte man also vor dem Eingriff trotz bildgebender Verfahren nicht wissen? Dafür musste man erst operieren oder Gewebe entnehmen? Der Gesundheitszustand der betreffenden Patienten verschlechterte sich rapide.
Ärzte und Patienten haben in den letzten Jahren unterschiedliche Interessen entwickelt: Die Patienten wollen geheilt werden. Sie wollen sprechen und gehört werden – aber sie finden im medizinischen Bereich nur sehr selten jemanden, der wirklich im Sinne des Patienten zuhört. Der Arzt hingegen will „seine“ Patienten behalten, denn sie sind seine existentielle Lebensgrundlage und Objekt seiner medizinischen Kunst. Fürs Reden werden sie nicht bezahlt – zumindest im Rahmen des Kassenarztwesens, und falls doch, dann sehr gering. Und bei alledem wollen die Krankenkassen die Kosten herunterschrauben, denn die Kosten im Gesundheitswesen sprengen alle Grenzen, und die Menschen bleiben krank. Die Gründe für Kostenexplosionen im Gesundheitswesen sind generell in Konkurrenzhaltungen der Ärzte untereinander und gegenüber anderen Berufsgruppen innerhalb und außerhalb des KVen-System, in der gesellschaftlichen Alleinstellung der Medizin und zusätzlich im Abrechnungssystem zu suchen (Vgl. Blüchel, 2003): Es ging ihnen nicht in erster Linie um Heilung der Patienten, sondern um finanzielle Einnahmen. Nun gibt es im gegenwärtigen Gesundheitssystem die paradoxe Situation, dass Ärzte lernen sollen, mit ihren Patienten zu sprechen. Gleichzeitig sind Ärzte jedoch aufgrund der ökonomisierten Leitlinien und dem vorgegebenen „Patientensoll“ mit der Tatsache konfrontiert, ständig unter Zeitdruck zu stehen und wenig Honorar für ihre Arbeit zu erhalten...
Die „Seele“ des Patienten wurde in einem anderen Fachbereich, der sich ebenfalls naturwissenschaftlich orientierte, untergebracht: in der Psychiatrie und Neurologie. Diese Fachrichtungen stellten jahrelang die „unterste Schublade“ der wissenschaftlichen Medizin dar und wurden von anderen medizinischen Fachbereichen belächelt. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Diese Fachbereiche widmeten sich den psychischen und geistigen Phänomenen im menschlichen Körper auf der Grundlage materieller Nachweise und auffindbarer funktioneller Abläufe. Vor allen Dingen bestand Interesse an den Funktionen der Nerven, des Gehirns und der unterschiedlichen Wahrnehmungsorgane. Die Ansicht über Psychiater, welche sich der allgemeinen Meinung zufolge mit „Verrückten und Gestörten“ beschäftigten, wurde populistisch auf die Diplom-Psychologen übertragen.
Die wissenschaftliche Psychologie bemühte sich daher stets um „naturwissenschaftliche Anerkennung“ und entwickelte eine Grundlagenforschung, die sich erfolgreich der Erklärung des Verhaltens von Menschen und Tieren annahm. Experimentelle Untersuchungen spielten somit eine wichtige Rolle. Daneben entwickelte die Psychologie im praktischen Bereich neue Konzepte hinsichtlich der „Psyche“ und Methoden, um diese zu beeinflussen und zu therapieren, die Aufnahme in den Fachbereich „Klinische Psychologie“ fanden. In diesem Bereich wurden unter anderem Kenntnisse zu Lerntheorien vermittelt und experimentell weiter erforscht. Die wissenschaftliche Psychologie stellte die methodische Basis der Verhaltenstherapie dar: Stichworte hierzu sind Pawlow und Skinner, die ich im ersten Band erwähnte. Daraus wurden Schlüsse gezogen, wie man Tiere und Menschen zu bestimmten Verhaltensäußerungen erziehen, sprich konditionieren kann. In den USA fand nach dem zweiten Weltkrieg vor dem Hintergrund des Holocaust ein Experiment statt, in dem Versuchspersonen Stromschläge an andere Menschen austeilen sollten, falls diese nicht das gewünschte Verhalten zeigten. Die Ergebnisse waren erschütternd, da sie bewiesen, dass die Versuchspersonen selbst dann ihrer Pflicht nachkamen, wenn Schmerzensschreie zu hören waren.
Parallel zur wissenschaftlichen Psychologie und naturwissenschaftlichen Medizin entwickelten sich psychotherapeutische Methoden aus dem neurologischen und psychiatrischen Fachbereich heraus. Sigmund Freud entwickelte die Psychoanalyse. Denn über die Organe und ihre Funktionen hinaus gab es noch etwas anderes zu erforschen: Die Psyche. Nun wurde also der Einfluss der Psyche auf den menschlichen Körper untersucht. 1895 erschienen Freuds Studien über die Hysterie, und nach dem Tod des Vaters begann Freud eine Selbstanalyse, an deren Ende die Traumdeutung veröffentlicht wurde (1899). Maßgebliche Leistungen vollbrachten auch Freuds berühmte Schüler Carl Gustav Jung und Alfred Adler. Sie interessierten sich dafür, wie Menschen sich steuern, kontrollieren und welche Bedeutung das „Ich“, also der bewusste Teil der Psyche des Menschen, spielte. Dabei stellte sich heraus, dass das „Ich“ über verschiedene Mechanismen verfügt, um sich Unbequemes vom Hals zu schaffen (Verdrängung), anderes erst gar nicht wahrzunehmen (Abspaltung), Sachverhalte gegenteilig zu deuten (Verkehrung) und sich mit Vorbildern bewusst oder unbewusst zu identifizieren (zum Beispiel Eltern oder Elternanteile), um nur ein paar gängige Abwehrstrukturen zu nennen. Daran schloss sich die Frage an, warum das „Ich“ so etwas tut. Freud fand heraus, dass den verschiedenen Abwehrstrukturen Konflikte in unterschiedlichen kindlichen Entwicklungsphasen zugrunde liegen, und stellte die Sexualität als Urheber neurotischer Entwicklungen in den Mittelpunkt seines theoretischen Erklärungsmodells –bis heute wird noch diskutiert, ob es so ist. Inzwischen gibt es diesbezüglich einen breiten psychoanalytischen Forschungsstand, der andere Erklärungsmodelle plausibel darlegt und bevorzugt. Diese Theorie suchte er mit Fallstudien zu belegen. Abhängig davon, wie Menschen sich im Leben weiterentwickeln, gestalten sich im Lebensvollzug Situationen, durch die der ursprüngliche Konflikt berührt und wieder aktiviert wird. Freuds These lautete, die „Kultur“ unterdrücke die Sexualität und bringe damit psychische Probleme, die sich auch körperlich äußern können, hervor. Er empfahl die Sublimierung sexueller Energie durch kulturell notwendige und sinnvolle Arbeit. Werden ursprüngliche Konflikte durch bestimmte Auslöser im späteren Leben wieder berührt ohne dass sie diese direkt mit der gegenwärtigen Lebenssituation verbinden können, steckt der Betroffene in einem bedrängenden, aber eben namenlosen Gefühl fest. Freud sprach vom „Unbehagen in der Kultur“, das es für die Menschen notwendig mache, Gefühle nicht einfach ausleben zu können, sondern den Erfordernissen in der Kultur anzupassen – das „Ich“ habe ordnende Funktion hinsichtlich der individuellen Interessen und Triebe und gegenüber der Gemeinschaft, der Kultur, in der sie leben. Das „Ich“, so Freud, müsse somit den Ansprüchen des Triebes („Es“) und der Kultur („Über-Ich“) gerecht werden und die unterschiedlichen Interessen ausgleichen. 1902 gründete Sigmund Freud die Mittwochsversammlungen, in denen heftig diskutiert wurde. Zu diesem Kreis zog es immer mehr interessierte Kollegen. C. G. Jung integrierte die Entwicklung der psychischen Menschheitsgeschichte und sprach vom transkulturellen Wirken des Psychischen und zwar über das individuelle und bewusste „Ich“ und dessen unbewusste Anteile hinaus. Er schuf Konzepte wie Anima und Animus als dem jeweiligen Geschlecht entgegengesetzte psychische Repräsentanzen in Männern (Anima) und Frauen (Animus) und eröffnete den Weg für die Einbeziehung der Mythologie: Jung schuf die Archetypen als Erklärungsgrundlage für das je individuell im Menschen wirkende seelische Material.
Alfred Adler erweiterte den psychoanalytischen Ansatz Freuds in die Gesellschaft hinein. Er stellte die Wichtigkeit der sozialen Beziehungen in den Vordergrund. Bei allen Differenzierungen und unterschiedlichen Ausrichtungen hatten Psychologen und Psychoanalytiker eines gemeinsam: Sie hörten Menschen und Patienten zu, beobachteten sie und differenzierten die Phänomene hinsichtlich der Ursachen. Bis heute hat sich die Konfliktorientierung von psychischen Störungen gehalten – ergänzt um Zustände wie Schock und Trauma, deren Bedingungen Sigmund Freud und C. G. Jung ebenfalls schon in ihren Schriften beschrieben. Wissenschaftliche Psychologie beobachtete und erforschte parallel weiterhin Menschen und ihr Verhalten. Die Psychoanalyse und die Verhaltenstherapie zählten zusammen mit der Gesprächspsychotherapie (GT) Carl R. Rogers zu den grundsätzlichen Behandlungsmethoden der Klinischen Psychologie, wie sie an den Universitäten vermittelt werden. Im Laufe der Jahrzehnte erschienen zahllose Bücher und Forschungsergebnisse aus der Psychologie − wobei tatsächlich sehr genau zu schauen wäre, was tatsächlich von Diplom-Psychologen und Psychoanalytikern oder Verhaltenstherapeuten geschrieben ist, und bei welchem Autor es sich um einen publizierenden „Hobbypsychologen oder Hobbypsychotherapeuten“ oder einen sich sonst wie benannten Therapeuten handelt.
Parallel wurde eine Vielzahl neuer psychotherapeutischer Methoden entwickelt. Fritz Perls, ein deutscher Jude und Psychoanalytiker, der während der Nazidiktatur nach New York emigrierte, entwickelte die Gestalttherapie unter dem Einfluss der Ergebnisse aus der Wahrnehmungspsychologie und der Feldtheorie von Lewin. Wilhelm Reich, ebenfalls Jude und Psychoanalytiker, der 1933 vor der Naziherrschaft floh, erweiterte in den USA die klassische Psychoanalyse um eine Atemmethode und sorgte so für einen körperorientierten Zugang zur menschlichen Psyche – er sprach von charakterspezifischen Muskelpanzerungen. Alexander Lowen und John Pierrakos, beides Mediziner, waren Schüler von Reich und entwickelten aus dem Reich’schen Ansatz die Bioenergetik. John Pierrakos erweiterte die Bioenergetik zur Core-Energetik in New York – unter maßgeblichen Einfluss von Eva Pierrakos. Zusätzlich gäbe es unzählige Weiterentwicklungen in psychotherapeutischen und psychoanalytischen Körpertherapien aufzuzählen, was aber im Rahmen dieses Buches nicht zu leisten ist, sondern eine eigene Veröffentlichung wert wäre. Ebenso verhält es sich bezüglich der systemischen Methoden für Familien und andere Sozialsysteme wie z.B. die Organisationsformen in Firmen, aus denen Organisationsberatungsansätze hervorgingen. Ausführlich wie unermüdlich widmete sich dieser praktischen und theoretischen Integrationsarbeit mein Kollege und Freund Dr. Gerhard Fatzer. Er ist ebenfalls wie ich Gestalttherapeut und lebt in Zürich. In zahlreichen Veröffentlichungen belegt er Entwicklungen bezüglich Supervision und Unternehmungsberatung. Ebenso initiierte er zahlreiche internationale Konferenzen in Europa und in anderen Kontinenten. Dies als ein Beispiel dafür, dass die psychotherapeutischen Methoden auch in anderen Arbeitsbereichen ihren maßgeblichen Niederschlag fanden. Sie sind aus unserer heutigen Welt nicht mehr wegzudenken.
Unterdessen und parallel wurden in der wissenschaftlichen Psychologie mittels experimenteller Anordnungen und statistischer Erfassungsmethoden menschliche Verhaltensweisen und Funktionen, insbesondere aber das Sexualverhalten von Menschen untersucht – und beispielsweise im berühmten Kinsey-Report dokumentiert. Insgesamt nahm die Bedeutung der Statistik und ihrer Parameter Reliabilität (Wiederholbarkeit) und Validität (Aussagekraft) zu. Sozialwissenschaftliche Studien verwiesen auf medizinisch und psychologisch zu bearbeitende Gebiete, die über den klinischen Fachbereich hinausgingen. So wurde zum Beispiel das Auftreten bestimmter Krankheiten in verschiedenen Ländern miteinander verglichen: Es zeigte sich, dass abhängig von den jeweiligen Wirtschaftsprodukten des Landes und politisch erlaubten Genussstoffen wie Alkohol, Tabak, Drogen, aber auch je nach Ernährungsweise bestimmte Erkrankungen unterschiedlich häufig in der Bevölkerung auftraten. Doch die Regierungen reagierten erst Jahrzehnte später. Beispiel Deutschland und die Debatte um das Rauchverbot … Bis dahin wurden die Folgen des Tabakgenusses verharmlost – stattdessen wurde in der Wirtschaft daran verdient. Mit der Einführung des Rauchverbotes verdient die Wirtschaft dennoch und der Staat kassiert zusätzlich und zwar durch das Argument, das Rauchen mittels hoher Tabaksteuer reduzieren zu wollen und so zu helfen, der Gesundheit etwas Gutes zu tun. Nach dem Motto, „Kannst du rechnen, kannst du sparen, wirst du gesünder!“ Wie bekannt ergab sich für den Staat als Resümee: „Findest du Argumente, kannst du kassieren, stehst du gut da!“
Gesellschaftlich blieb die Orientierung der wissenschaftlichen Psychologie und ihrer Methoden zur Behandlung der menschlichen Psyche und der durch eine kranke Psyche verursachten Leiden, eher die Ausnahme denn die Regel. Die Beziehung, gesellschaftliche Einflüsse und Entwicklung von Abwehrmechanismen, die zur Bewältigung von Konflikten und Problemen im Sinne des primären Erhaltes des menschlichen Lebens tagtäglich gut funktionieren müssen, wurden und sind weniger bis gar nicht Gegenstand des Interesses. Gesellschaft hier und Mensch da, bleiben und sind im Wesentlichen getrennt. Gesetze, Regeln, Kürzungen oder Wegfall des Einkommens, unzumutbare Lernbedingungen, Einflüsse auf die Entwicklung und völlig unterschiedliche Zukunftsperspektiven für Kinder und Jugendliche, je nachdem unter welchen Einkommensverhältnissen sie aufwachsen, sind Faktoren, mit denen der jeweilig betroffene Mensch ALLEIN fertig werden muss. Dies gilt auch für die analytische Psychotherapie, die aufgrund ihres Behandlungsansatzes mit 100 bis 300 Therapiesitzungen – je nachdem, ob mittels klassischer Psychoanalyse oder tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie – über Jahre hinweg behandelt und jeweils zusammengefasste Fallgeschichten in Veröffentlichungen, wenn überhaupt, vorstellt.
Neurologie und Psychiatrie entwickelten sich im Stillen weiter und gewannen schließlich dank eines interdisziplinären Forschungsansatzes des Diplom-Psychologen Robert Ader (s. unten) neue Bedeutung innerhalb der Medizin, zum Beispiel auch in Form der Neurobiologie. Ader entwickelte die Psychoneuroimmunologie, an der er bereits schon 1975 arbeitete.
Die Psychologie stieß gesellschaftlich aufgrund ihrer Forschungsergebnisse zwar auf allgemeines Interesse – und zwar besonders bei jenen, die ihre Ergebnisse gut für sich zu nutzen wussten und wissen – wurde aber stets, wenn es galt Ross und Reiter zu benennen, in den Hintergrund gerückt bzw. andere übernahmen es, Forschungsergebnisse für sich bzw. für ihren Forschungsbereich zu präsentieren und gewinnbringend – dank Unterstützung – umzusetzen. Bis heute sind Psychologische Psychotherapeuten und Diplom-Psychologen, verglichen mit der Zahl praktizierender Ärzte und ausgebildeter Mediziner, in der Öffentlichkeit in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft völlig unterrepräsentiert: Und das obwohl zahlenmäßig mehr Psychologische Psychotherapeuten in Deutschland tätig sind als medizinische Psychotherapeuten. Die Ergebnisse und Methoden der Psychologie fanden somit Eingang in andere Wissenschaftsbereiche, welche diese jedoch für ganz andere Interessen verwendeten: Ob in der Wirtschaft für Wettbewerbsstrategien, ob in der Kriminalistik, um Täter- und Opferverhalten zu erkunden und zu kontrollieren, ob im Militär zur Entwicklung von Strategie- und Foltermethoden, ob in den Medien und der Werbung, um Produkte bestmöglich an den Mann und die Frau zu bringen, oder im Film zur Spannungserzeugung – überall ist die Psychologie allgegenwärtig. Der Anwendungsbereich ist so weit und bunt wie das Leben selbst – und ebenso effektiv. Nur: Erkenntnisse können für oder gegen den Menschen eingesetzt werden …
Im Vordergrund stand die klassische und wissenschaftliche Medizin – auch bezüglich der psychotherapeutischen Methoden. Und obwohl Mediziner in diesem Bereich zahlenmäßig unterlegen sind, so sprach man den wenigen Ärzten ein erweitertes Fachgebiet sowohl zur Abrechnung als auch bezüglich des beruflichen Handlungsspielraumes zu als den Psychologischen Psychotherapeuten. Psychoanalyse und Verhaltenstherapie sollten unter dem Dach der Kassenärztlichen Vereinigung als abrechnungsfähige Kassenleistungen auch von Diplom-Psychologen mit institutsabhängigen Psychotherapieausbildungen angeboten werden. Offiziell wurden diese Psychotherapeuten nach der Methode, wie sie innerhalb der KV eingebaut wurden, „Delegationspsychologen“ benannt. Die Mehrheit der Diplom-Psychologen lehnte es damalig ab, als Delegationspsychologen tätig zu werden, weil es nicht ihrem Berufsbild entsprach, den Medizinern und Ärzten zu- und untergeordnet zu arbeiten. Jahrelang kämpften die psychotherapeutisch arbeitenden Diplom-Psychologen um das Psychotherapeutengesetz, um so die sozialrechtliche Berufszulassung zur Ausübung ihrer Tätigkeit zu erlangen. Bis dahin arbeiteten sie auf der Grundlage einer heilpraktischen Zulassung, mittels derer sie für ihre Patienten die Kosten für durchgeführte Psychotherapieleistungen durch die Krankenkassen erstattet bekamen. Drei, vier Jahre, von ca. 1995 bis zum 31.12.1998, war es völlig ungewiss gewesen, ob das Psychotherapeutengesetz je verabschiedet würde. Die Krankenkassen bewilligten immer weniger Psychotherapieleistungen. Es wurden spezifische Vorgaben für erforderliche Ausbildungen gemacht, und vorhandene Ausbildungen – außerhalb der Methoden der Delegationspsychologie – fanden wenig Beachtung, obwohl damit längst erfolgreich gearbeitet worden war. Nun aber sollten wissenschaftlich anerkannte Methoden nachgewiesen werden. Und so ging ein Großteil der psychologischen Psychotherapeuten in durch die KV anerkannte Institute und absolvierte dort zusätzliche Ausbildungen. Dennoch gab man nur 50 % der Diplom-Psychologen im Fachbereich Psychotherapie die Zulassung um eine Praxis zu eröffnen oder zu erhalten. Und schließlich wurde das Honorar für die KV zugelassenen Diplom-Psychologen völlig zusammengestrichen – trotz des am 31. Dezember 1998 verabschiedeten Psychotherapeutengesetzes und trotz der Reduktion der Zahl der Zulassungen. Oder war es wegen des Psychotherapeutengesetzes? Heute arbeiten Diplom-Psychologen als Psychologische Psychotherapeuten ganz brav und zahm in ihren Praxen und warten darauf, dass ein ärztlicher Kollege sie in irgendeinem medizinischen Versorgungszentrum oder in einem anderen Netzwerk haben möchte – nur um auch dort noch bevormundet und ausgenutzt zu werden. Es ist immer das Gleiche: Die hervorragende Arbeit der Psychologischen Psychologen wird gerne genommen, aber bitte umsonst … oder aber preiswert.
In den Medien wurde das tradierte Bild „Psychotherapie“ nicht wirklich korrigiert. Der Grund liegt auf der Hand: Der kleine Mann auf der Straße sollte gefälligst die Finger von der Psychologie und von den Psychologen und der Psychotherapie lassen – im Gegenzug breitet sich populär Wissenschaftliches in Form ungezählter Veröffentlichungen aus und/oder wird im Fernsehen diskutiert oder verfilmt dargeboten. Denn Psychologie und Psychotherapie hätte ihm, dem kleinen Mann, ja helfen können, sich gesünder zu fühlen, gesund zu werden und komplexe Sachverhalte zu erkunden und zu verstehen, Konflikte und Probleme zu lösen und die Zusammenhänge zwischen Körper, Psyche und Seele nachzuvollziehen. Menschen hätten lernen können, Konflikte anders als durch Krankheit zu lösen. Auch Abwehrmechanismen, die gleichzeitig auch Schutzmechanismen sind und irgendwann schädigend einwirken können – wenn sie nicht mehr angemessen sind – wären unter Umständen bewusst geworden, je nach Therapierichtung, und hätten individuell Erkenntnis geben können, weshalb der Patient in bestimmten Situationen schweigt, krank, ohnmächtig oder handlungsunfähig wird. Er hätte sich Fragen beantworten können, die er lieber nicht stellen sollte, wie: Warum bringe ich der politischen und wirtschaftlichen Realität eigentlich so viel Vertrauen entgegen und lasse über mein Leben entscheiden? Der kleine Mann und die kleine Frau sollen sich schließlich von Ärzten und Politikern steuern und kontrollieren, sprich, sich schweigend behandeln lassen – und auf psychische Unterstützung gegen diese Art einschränkender Kultur verzichten. Soziale Hilfen sind vorsichtshalber so kompliziert zu beantragen, dass Bürger schon von alleine abwinken und verzichten. Über all dieses Elend in Form von Kriegen, Wirtschaftspleiten, Gier, Manipulation und Unfreiheit, hervorgerufen von der wissenschaftlich und wirtschaftlich begründeten Kultur, soll geschwiegen werden. Dieses individuelle, persönliche Elend haben die Menschen bitteschön allein zu bewältigen. Still und stumm. Zeugen unerwünscht.
Im Rahmen des cartesianischen Wissenschaftsparadigma existiert keine für alle Wissenschaftsbereiche handhabbare Basis, in der erworbenes Wissen im Sinne des menschlichen Wesens, wieder zusammengeführt wird, damit es dem körperlichen, psychischen und seelischen Wohl von Menschen dienen kann.
Ein Freund und ehemaliger Schulkamerad, Dr. Hans Ulrich Gresch, der 2010 sein Buch „Hypnose, Bewusstseinskontrolle und Manipulation“ veröffentlichte und nun mit einem weiteren Buch zu Hypnose und Spaltungsprozessen befasst ist, schrieb mir als Rückmeldung zu meinen Büchern im Juni 2010 per E-Mail:
„Zur Zeit sind wir ja Zeuge eines höchst interessanten Spaltungsprozesses in unserer eigenen Disziplin sowie in der Schwesterdisziplin Psychiatrie. Alles wird "Neuro". Dies bedeutet nichts anderes, als dass die Psyche insgesamt abgespalten und der dissoziierte Teil ins Dunkel der Ganglien und Synapsen verbannt wird. Dort ist er dann der zwischenmenschlichen Kommunikation entzogen - und nur noch in einem mystifizierenden fachwissenschaftlichen Diskurs "zugänglich". Mystifizierend - weil natürlich der Kenntnisstand der Neuro-Wissenschaften naturwissenschaftlich fundierte Theorien komplexer psychischer Prozesse (zu denen auch die so genannten psychischen Krankheiten zählen) überhaupt nicht zulässt.
Dies wird im Übrigen auch von führenden Gehirnforschern eingeräumt, die in einem Manifest, das 2004 in Geist & Gehirn erschien, u. a. bemerkten: ‚Nach welchen Regeln das Gehirn arbeitet; wie es die Welt so abbildet, dass unmittelbare Wahrnehmung und frühere Erfahrung miteinander verschmelzen; wie das innere Tun als seine Tätigkeit erlebt wird und wie es zukünftige Aktionen plant, all dies verstehen wir nach wie vor nicht einmal in Ansätzen. Mehr noch: Es ist überhaupt nicht klar, wie man dies mit heutigen Mitteln erforschen könnte. In dieser Hinsicht befinden wir uns gewissermaßen noch auf dem Stand von Jägern und Sammlern.’ Dieses Manifest unterschrieben im Grunde alle die Rang und Namen in der deutschen Neuro-Wissenschaft haben.
Die zeitgenössische Psychiatrie wird demgegenüber nicht müde, psychische Krankheiten als ‚Stoffwechselstörungen des Gehirns’ zu verkaufen und sogar die Psychoanalyse schickt sich an, zur Neuro-Psychoanalyse zu mutieren.
Die Macht der Spaltungsprozesse in der bürgerlichen Gesellschaft könnte eigentlich nicht besser illustriert werden als durch die Tatsache, dass jene Disziplinen, die sich eigentlich anschicken sollten, sie zu überwinden, selbst von diesem Virus befallen sind und dies nicht erst seit Erfindung der bildgebenden Verfahren, durch die es möglich wird, Brainscans zu deuten wie Rorschach-Tintenklekse.
Die Psychiatrie gegen Ende des 19. Jahrhunderts beispielsweise therapierte und forschte überwiegend mit den Mitteln der Hypnose, also durch absichtliche Erzeugung von Dissoziationen. ‚Hysterikerinnen’ wurden wie Zirkuspferde dressiert und öffentlich zur Schau gestellt. Die ‚multiple Persönlichkeit’ war das Paradigma der psychiatrischen Forschung jener Jahre. Gleichzeitig feierte die Neurologie ihre ersten großen Erfolge und die an Somnambulen gewonnenen Einsichten zur Hysterie wurden neurologisch untermauert.
Dies war die Hochzeit der Neuro-Magie, die bis heute das psychiatrische Denken bestimmt. Die Dialektik der Spaltung brachte allerdings entscheidende Veränderungen der Neuro-Magie hervor. In der offiziellen Psychiatrie und Psychotherapie wurde zunächst die Hypnose versteckt; sie galt zunehmend als anrüchig. Und so spielte auch die Dissoziationstheorie keine Rolle mehr, obwohl sie Ende des 19. Jahrhunderts das psychiatrische Paradigma war.
Freud und Adler verwarfen das Bild des multiplen Bewusstseins zugunsten eines einheitlichen psychischen Apparates; nur C. G. Jung blieb der Dissoziationstheorie treu (was bewirkte, dass seine Richtung sich nicht durchzusetzen vermochte). Dies war eine Dissoziation der Dissoziation, die gekrönt wurde durch die Entwicklung der Verhaltenstherapie, die nunmehr die Psyche insgesamt abspaltete, und, was sich nicht in Verhalten auflösen ließ, ins Dunkel der Blackbox verbannte. Die Blackbox wurde schließlich, tendenziell bereits von Skinner selbst, aufgefüllt mit Neuronen.
Die alte Neuro-Magie des neunzehnten Jahrhunderts ist immer noch da, nunmehr jedoch in larvierter Form: Die Hypnose wurde versteckt in diversen Formen der Psychotherapie, die keine Hypnose sein wollen, wenngleich ihr wirksamer Teil immer noch auf hypnotischen Mechanismen beruht. Auch die Neurologie ist keineswegs eine Theorie, aus der sich die praktischen Maßnahmen ableiten ließen (noch nicht einmal die medikamentöse Behandlung kann neurologisch begründet werden), sondern sie wird wie ein hypnotisches Skript verwendet, um Patienten und das staunende Publikum in Trance zu versetzen.
Diese Spaltung ist teilweise eine Selbsttäuschung, der viele Psychiater, Psychotherapeuten und Psychologen erliegen; dennoch ist das alte psychiatrische Wissen zur Nutzung von Spaltungen nicht verloren gegangen. Es wanderte bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den okkulten Untergrund. Die Symbolfigur dafür ist Gérard Encausse, auch als Mage Papus, bekannt, der nicht nur eine führende Gestalt des Okkultismus im späten 19. Jahrhundert war, sondern auch Klinikchef im Hause des eminenten Neurologen Jules Bernard Luys, dem nicht nur bahnbrechende neurologische Erkenntnisse zu verdanken sind, sondern der zugleich auch psychiatrische Studien zur Hysterie durchführte, in denen die Grenzen zwischen Wissenschaft und Magie äußerst unscharf wurden.
Unter dem Einfluss vor allem Freuds wurde die Hypnose in der offiziellen psychiatrischen Welt zwar weitgehend bedeutungslos; im okkulten Untergrund wurde das alte psychiatrische Wissen aber bewahrt und weiterentwickelt - und als die bürgerliche Gesellschaft ein neues Spaltungsbedürfnis entwickelte, stand die okkulte Psychiatrie Gewehr bei Fuß und half der CIA, den Mandschurischen Kandidaten zu kreieren. Auf einen kurzen Nenner gebracht, lautete das Dilemma während des Kalten Krieges, das zu einem neuen Spaltungsprozess herausforderte, wie folgt: Wie mache ich aus Soldaten, die Bürger in Uniform sein und nach rechtsstaatlichen Prinzipien ausgebildet werden sollen - wie mache ich aus solchen Soldaten Menschen, die den Gräueln eines taktischen Nuklearkriegs gewachsen sind?
Ein Schwerpunkt meines neuen Buchprojekts über Hypnose ist diese offene und okkulte Neuro-Magie bzw. der perfekte Somnambule, nach dem schon Pierre Janet suchte und später die CIA-Psychiater, die ihn als "Mandschurischen Kandidaten" bezeichneten. Das ist die Kernspaltung: hier die integrale bürgerliche Persönlichkeit mit einem einheitlichen Bewusstsein und dort (im Dunkel der Schattenpolitik) der mentale Sklave, mit einem vielfach gespaltenen Bewusstsein, dem das bürgerliche Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit vollständig entzogen wurde.“
(Dr. H.-U. Gresch, 6. Juni 2010)
Wie ich bereits in der Einleitung zur Heillosen Kultur (Band 1-1.2) mitteilte, sind es vier Pfeiler, die den gewohnten Realitätsbezug in heutiger Zeit, in der die Spaltung mittels des Paradigmas des Descartes in der Wissenschaft erhalten geblieben ist, gewährleisten. Die ökonomischen Bedingungen ergänzen diese wissenschaftlich-pragmatischen Grundsätze mittels des gleichen Mechanismus – es wundert daher nicht, dass Menschen diesen Mechanismus in ihrer eigenen Realitätsbewältigung einsetzen und Spaltungen in der Gesellschaft als normal annehmen: bis hin, dass Teile ihres Selbst ausradiert werden. Diejenigen, die aufgerufen wären, Spaltungen zu benennen und zu korrigieren, sitzen selbst in einem wissenschaftlichen Denken fest, das Spaltungen und Abspaltungen als Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens akzeptiert – und in ihrer Arbeit fortsetzt und manifestiert. Jedes Spezialistentum kann oder besser muss unter dem Blickwinkel der Abspaltung von etwas Größerem gesehen werden. Gegen Spezialistentum an sich ist nichts einzuwenden. Aber dieses spezielle Wissen – womit in der Regel nur eine größere Genauigkeit ausgewählter Fragestellungen bezüglich bestimmter Untersuchungsobjekte gemeint sein kann - erfährt eine Vergleichbarkeit in der Biologie mittels Mikroskopie oder anderer Untersuchungsmethoden, die eine Vertiefung des Wissens hervorbringen. Dieses Wissen muss wieder in die Einheit des Ganzen, aus dem es gewonnen wurde, zurücktragen und integriert werden. Was heutzutage unter „Integration“ verstanden wird, ist in der Regel keine Integration, sondern lediglich ein seelenloses Nebeneinanderstellen von Untersuchungsergebnissen oder Erzeugung seelenloser Zusammenarbeitsstrukturen, bei der, salopp gesprochen, die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Hierzu werde ich verschiedene Beispiele im Rahmen des vorliegenden Buches und auch im Band 3 mitteilen.
Die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen in der Realität von Menschen fallen aus klinischen Studien heraus. Insofern werden auch keine Projekte entwickelt, die Menschen heutzutage zur Unterstützung ihres Lebensvollzugs und ihres Sinn- und Lebensinhaltes benötigen, um zu reflektieren, was in ihnen und in der Gesellschaft vor sich geht. Die einzige Störung, die in den letzten Jahren Beachtung und damit Behandlung erfuhr – und die anlässlich akuter Katastrophen methodisch angefordert wird – ist das Trauma. Die Traumatherapie kann zurzeit mit Notfallmedizin verglichen werden, denn die langfristigen Folgen solcher Störungen sind noch nicht gesichert.
Den Missständen zugrunde liegende Untersuchungsergebnisse werden von Politikern, wie es scheint aus narzisstischen Gründen, gern zitiert. Auf diese Weise können sie sich von der besten, der gebildeten Seite in der Öffentlichkeit präsentieren – ohne dass viel für die Menschen, die es betrifft, geschieht. Unterdessen wird das sich ausbreitende Elend zugunsten einer grandios aufsteigenden Wirtschaft verwaltet. Die heutige Kultur basiert auf Parallelwelten, wobei die eine mit der anderen nur insoweit etwas zu tun hat, als die eine zum Vorteil der anderen benutzt wird. Das „Unten“ dehnt sich aus und stützt das „Oben“ – wie ausführlich in Band 1-1.2 dargelegt. Wer nicht genügend Geld oder besser Kapital hat, um auf die andere, ökonomisch unabhängige, Seite der Zweiklassengesellschaft zu gelangen, findet sich irgendwann in einer verstaatlichten und kontrollierten Arbeits- und Privatwelt wieder. Es gehört also nicht viel dazu, um festzustellen, dass die Globalisierungspolitik neue Phänomene von Schmerz, Leid und Krankheit hervorbringt. Wir leben mit kulturellen Krankheitsphänomenen, die ökonomisch verursacht sind. Diesen psychoökonomischen Auswirkungen aber wird bloß mittels verknöcherter Denkweisen im Gesundheitswesen und repressiver Beschränkung der Zulassungszahlen von Psychologischen Psychotherapeuten begegnet. Die Züricher Zeitung schrieb am 26./27. Mai 2007 zum G-8-Gipfel in Heiligendamm: „’Antikapitalismus’ heißt heute ‚Globalisierungskritik’“ – und die Journalisten bemühen sich zusehends um eine ernst-kritische Haltung zu den zu berichtenden politischen und wirtschaftlichen Tagesereignissen. Hinzugefügt sei: Man war allzeit bemüht, neue Begriffe zu prägen, die über die kapitalistischen Beziehungsgründe zwischen Besitzenden und Besitzlosen hinweg sehen helfen sollten. In meinen Büchern bemühe ich mich aufzuzeigen, dass tiefer zu schauen ist. Angesichts dessen bleibt nur ein Schluss: Mit gesundheitlich, psychisch und körperlich angeschlagenen Menschen auf der einen, sowie Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten, die in völlige finanzielle Engpässe und Abhängigkeiten bei gleichzeitiger Beschränkung des Berufsrechtes gedrängt werden, auf der anderen Seite, lässt es sich offenbar leichter regieren.
Jenen Methoden, die in unserem Gesundheitssystem mit dem Stempel „wissenschaftlich anerkannt“ versehen werden, liegen Betrachtungsweisen zugrunde, zumindest für den psychotherapeutischen und medizinischen Bereich, die an der kulturellen Bedürfnislage von erkrankten Menschen vorbeigehen. Wie generell in der Wettbewerbsgesellschaft werden auch hier vielfältige Produkte angeboten, die zwar Käufergruppen ansprechen, den eigentlichen Bedarf aber haarscharf verfehlen – so lässt sich besser wirtschaften! Das gewährleistet Produktion und Absatz weiterer Produkte. Was haben beispielsweise 30-, 40-, 50-jährige Menschen von einer Mode, die auf den Leibern von 17-jährigen magersüchtigen Models schick und sexy aussieht? Und was haben kranke Menschen von einer Produktvielfalt im Gesundheitswesen, wenn sie nicht die für sie zu einem bestimmten Zeitpunkt notwendige Behandlung bekommen? Die fehlende Bedürfnisbefriedigung wird zum Motor der (Gesundheits-)Wirtschaft. Gegenwärtig hat sich die Medizin den Bestrebungen eines Konzeptes von „Gesundheit“ unterzuordnen, das direkt wirtschaftliche Interessen verfolgt und die Ärzte wie die Psychologischen Psychotherapeuten als finanziell Abhängige einplant.
Die „Medizin“ kann nicht mehr selbst über den Forschungsgegenstand, der an den Nöten von Menschen in unserer gesellschaftlichen Gegenwart orientiert ist, entscheiden. Und die „Psychotherapie“ hat kein Berufsrecht, das einen Handlungsspielraum ließe, um adäquate Angebote zu schaffen. Das Ungleichgewicht zwischen naturwissenschaftlichem und geisteswissenschaftlichem Zugang zur Heilung von Menschen wird begrenzt oder mittels repressiver Politik weiter reduziert statt ausgeweitet. Die „Medizin“ agiert, der Interessenslage der Gesundheitswirtschaft entsprechend, gegen die Interessen der praktizierenden Ärzte und Diplom-Psychologen – mittels „integrativer Konstruktionen“ und unternehmerischer Rechtssysteme, die verbal Zusammenarbeit und eine „ganzheitliche Medizin“ suggerieren, aber inhaltlich alte Kleider auf neuen Kleiderständern anbieten – gewinnträchtig, versteht sich. Ärzte werden zu Verkäufern in der Gesundheitswirtschaft. Irritationen hinsichtlich der Grundlagen Hippokratischer Eid versus Geschäft mehren sich bereits seit einigen Jahren und diese Polarisierung wird zunehmend eine Ausschließlichkeit und kein „Sowohl als auch“ hervorbringen.
Das vorliegende Reformmodell wird die Kosten im Gesundheitswesen nicht senken, vielmehr werden die strukturellen Umverteilungsregeln zu Lasten der Honorare von Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten (weiter) gehen und zu Zuzahlungen seitens der Patienten und höheren Krankenkassenbeiträgen führen. Kein Mensch wird dadurch gesundheitlich besser versorgt oder schneller gesund. Wahr ist, dass die Defizite bei den gesetzlichen Krankenkassen durch diese Reformen ausgeglichen werden bzw. weitestgehend ausgeglichen sind. Heilung der Bevölkerung ist nicht das Ziel der Reform; denn nur an kranken Menschen kann verdient werden.
Insofern besteht auch kein Bedarf an weiteren Psychologischen Psychotherapeuten im gesetzlichen Krankenversicherungsmarkt. Die ärztlichen Standesorganisationen und KVen mit ihren Organen wie KBV und G-BA basteln an allen möglichen Ecken und Enden daran, in der Gesundheitswirtschaft weiterhin zu herrschen, das heißt, alle anderen Berufsgruppen sind unter ihrer Federführung einzubeziehen im Hinblick auf ihre Projekte und unternehmerischen Ziele. So bietet die KVWL (Kassenärztliche Vereinigung Westfalen Lippe) zum Beispiel Beratungen bei der existenziellen Orientierung von Ärzten an – gegen Geld. Erst partizipiert also die KV an den Einkünften der Ärzte, weil sie ihre Interessensvertretung ist und von ihnen unterhalten wird. Dann wird eine GmbH gegründet, um nochmals an ihnen zu verdienen, indem sie einzelne Ärzte beraten (was sie ohnehin tun müssten, weil sie von ihnen dafür bereits bezahlt wurden!). Die KVWL macht sich somit für die Ärzte unentbehrlich – und die bezahlen doppelt.
Diese politische Konzeption von Gesundheitswirtschaft geht auch an dem Bedürfnis der Menschen nach psychologischer Psychotherapie – aufgrund der vielfältigen psychischen Auswirkungen der generellen Wirtschafspolitik und der Etablierung der Zweiklassengesellschaft – völlig vorbei. Psychotherapie wird lediglich im Rahmen psychosomatischer Grundversorgung und medizinischer Psychotherapie durch Ärzte als Legitimationsausweis, das gesetzliche Gesundheitssystem biete die entsprechende Versorgung, zur Vormachtstellung innerhalb des Fachbereichs Psychotherapie, aber zum Nachteil Psychologischer Psychotherapeuten ausgebaut. Die Mediziner beanspruchen das Arbeitsfeld für sich und können als Einzige die entsprechenden Gebührenziffern abrechnen.
Psychologische Psychotherapeuten können hingegen wegen des zunehmend eingeschränkten Berufsrechtes keine eigenen Projekte im Rahmen der Gesundheitswirtschaft konzipieren, sondern bisher alleinig in Zusammenarbeit mit Ärzten. Denn die Ärzte haben die Leitungsfunktion und bestimmen insofern, welche Projekte den Krankenkassen angeboten werden. Psychologische Psychotherapeuten würden allerdings völlig andere Projekte entwickeln als Ärzte, da sie Menschen aus einer komplett anderen Perspektive betrachten. Das ist die andere, die seelisch-geistige Seite der gespaltenen Wissenschaften: Die Psychotherapie durch Diplom-Psychologen kämpft in unserer Kultur immer am Rande – trotz bester Forschungs- und Therapieergebnisse – um Platz, Anerkennung und Existenz und wird dabei permanent mit dem Kopf unter Wasser gedrückt. Ich versuche in dem Buch, zumindest einen Arm aus dem Wasser zu recken und mich mit Handzeichen zu Wort zu melden. Genauso wie Patienten, die mit Behandlungen nicht einverstanden sind. Genauso wie Bürger, die Politik kritisieren. Aber: Einige Menschen sprechen inzwischen über das, was sie intuitiv fühlen und pochen auf die bürgerlichen Rechte oder wechseln die Ärzte oder ergreifen die Initiative … Der Staat reagiert mit Kontrollen jeglicher Art in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen: Ob durch Gentests, Gesundheitskarte bis ins Rückenmark oder Internetspionage, Zugriff auf Gesprächsinhalte in Privatwohnungen oder öffentlichen Gebäuden mittels diverser Abhör- und Videoinstallationen. Die Einschränkung der Grundrechte bezüglich der Intimsphäre führt dazu, dass Bürger aufpassen müssen, um nicht aus Versehen unter Terroristenverdacht zu geraten. Sie könnten ja Ideologienshopping betreiben … Vielleicht sollte ein Kursangebot mit folgendem Titel gestartet werden: „Tipps und Tricks, um nicht als Terrorist verdächtigt, sondern als guter Bürger enttarnt und bestätigt zu werden.“ Vielleicht genügt aber auch eine notariell beglaubigte Anti-Terror-Bescheinigung vergleichbar mit einer Patientenverfügung? Oder kann man sich in Deutschland nur noch als Komiker und Satiriker Gehör verschaffen?
Die Einschränkung der Berufsrechte und die Schaffung eines neuen Profils der Professionellen im deutschen Gesundheitswesen entsprechen, gesamtgesellschaftlich eingeordnet, einer Abschaffung bürgerlicher Grundrechte. Die Strategie: Unterordnung durch existenzielle Abhängigkeit. Insofern ist das Zweiklassensystem im Gesundheitswesen als eine notwendige politische Konsequenz der Zweiklassengesellschaft zu verorten. Und nun stelle man sich nur vor, in einer Zweiklassengesellschaft hätte man das Ziel, dass körperlich und psychisch gesunde Menschen das Land bevölkerten, die genau wüssten, was sie wollten und sich für ihre Bedürfnisse einsetzten? Kein Wirtschaftszweig kann daran Interesse haben. Da in unserer Kultur der Selbstwert eines Menschen an den Produkten, die er sich leisten kann, ablesbar ist und deshalb einem Luxusautofahrer oder Bankdirektor, der seine Meinung äußert, auch eher zugehört wird als einem Kleinwagenfahrer oder einer Hartz-IV-Empfängerin, ist ein direkter Zusammenhang zwischen Erniedrigung und niedrigen ärztlichen wie psychotherapeutischen Honoraren zu assoziieren: Sie sollen bitteschön ebenso gen „Oben“ streben wie jeder existenziell abhängige andere Bürger auch. Auf diesem Weg nach „Oben“ sieht man über Missstände hinweg, schließlich lebt man von diesen Missständen. Als Arzt wurde in unserer Kultur bisher nur der studierte Mediziner bezeichnet. Diese Mediziner sind aber nicht allein die „Medizin“, die Deutschland jetzt braucht. „Medizin“ muss weit mehr umfassen als pharmazeutische Medikamente und die gegenwärtigen manuellen Behandlungsmethoden oder gar die Apparatemedizin. Der Kernspin hat ja nun auch den Vogel der Apparatemedizin abgeschossen, ob als „Hexenofen“ bezeichnet oder als Sarg oder Katakombe empfunden. Patienten wehren sich zum Teil vehement dagegen, sich „da reinschieben“ zu lassen, und die Psychologen sollten Trainings mit Patienten anbieten, um sie reif für die Untersuchung im „Ofen“ zu machen. Dafür sind die Psychotherapeuten gut: Als schweigende, unsichtbare Handlanger und Heinzelmännchen für Medizin und Mediziner – oder eben generell für die Wirtschaft.
Der einzelne in dem Gesundheitswesen der Gesundheitswirtschaft arbeitende Arzt, Mediziner und Psychologische Psychotherapeut wird in dieses starre politische Korsett gepresst und kann froh sein, wenn er noch atmen kann. Die Psychologischen Psychotherapeuten konnten in den letzten zehn, ja nun fast elf Jahren nur einmal durchatmen: als sie die Kassenärztliche Zulassung errungen hatten. Drei Monate später verschlug es ihnen bereits wieder den Atem: Die Kürzung des Honorars um mehr als 2/3 des vorherigen durch einige Krankenkassen (z. B. BKK) und generelle Kürzungen durch die übrigen Krankenkassen. Die ärztlichen Standesorganisationen, die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihr Vorstand, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), haben mit ihrer Ausgrenzungs- und Standesdünkelpolitik maßgeblich zum gegenwärtigen schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung und zur Kostenexplosion beigetragen. Jetzt wird anders geheilt – denn jetzt wird gerechnet. (Vgl. Blüchel: Heilen verboten, töten erlaubt.) Ein Beispiel bieten die Chronikertarife, die vermuten lassen, dass die Heilungserfolge ausbleiben dürfen.
Die Brüche in unserer Kultur sind so vielfältig wie die ersonnenen Gesetze, um wirtschaftliches Handeln zu legitimieren. Wir leben im Spannungsfeld einer Doppelmoral und Doppelethik – dies ist auch den Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft bekannt. Aber auch hier gilt offenbar: Es reicht, es gesagt zu haben; ändern muss man es deshalb ja nicht.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass meine geäußerte Kritik natürlich nicht auf jeden zutrifft. Vielmehr geht es darum, die paradigmatische Ausrichtung und zunehmende Vermarktung von Patienten und Behandlern in den Strukturen der Gesundheitswirtschaft aufzuzeigen. Dennoch werden sich einzelne Ärzte mit meiner Kritik auseinandersetzen müssen – und bisweilen werden sie sich bis ins Mark getroffen fühlen. Sie müssen sich fragen, warum sie zu vielem geschwiegen, vieles mitgemacht und so zur aktuellen Situation beigetragen haben. Das betrifft aber ebenso den „ärztlichen“ Fachbereich der Psychotherapeuten, die studierten Diplom-Psychologen – und letztlich jeden Bürger, der immer noch darauf hofft, dass es schon nicht so schlimm werden wird … Und so gilt auch für den vorliegenden Band: Egal, wer sich auf die Füße getreten fühlt, er möge bitte bedenken, dass es hier und jetzt um Größeres geht als um mich oder die betreffende Gruppe oder Einzelmenschen in gewissen Funktionen. Es geht um den Bestand und um den Gesundheitszustand von Menschen und die Lebensbedingungen in Deutschland. Generell spreche ich für die Psychologische Psychotherapeuten- und Ärzteschaft. Trotzdem ist das Thema äußerst haarig, da ich die Ärzteschaft wie die Politik der Kassenärztlichen Vereinigung an bestimmten Punkten kritisiere, um sie an anderen entschieden in Schutz zu nehmen – sofern ich das von der Kompetenz her vermag: Schließlich bin ich nur eine „kleine Behandlerin“ in diesem Räderwerk.
Die gegenwärtige Lage macht das Schreiben dieses Buches allerdings nicht nur erforderlich, sondern auch mitunter diffizil: Sich ändernde Bedingungen auf unterschiedlichen Ebenen dirigieren und kontrollieren maßgeblich das Geschehen im Gesundheitswesen. Die Aufforderung zum Wettbewerb greift massiv um sich. Sprich, die freie Wirtschaft hält Ausschau, wen und was sie einkaufen und dann gewinnbringend verkaufen kann. Ärzte und Psychotherapeuten müssen dabei zuschauen, weil sie nicht handeln dürfen; denn die Berufsordnung ist entsprechend gesetzlich verankert. Mit den Wirkungen der vielfältigen und vielschichtigen Gesetze wird der Hippokratische Eid entsorgt, die Psychologischen Psychotherapeuten und die Ärzteschaft ausverkauft. Die nicht an die KVen gebundenen, tatsächlich freiberuflich tätigen Behandler lachen darüber, wie die professionalisierte KV-Elite wie ein Esel an einen Strick gebunden zuschauen muss und darauf warten darf, bis jemand aus der Wirtschaft sie einkauft. Oder, wie sie versuchen, ihre Existenz zu retten – dabei allerdings vergeht allen beizeiten das Lachen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die politischen Pläne Richtung Verstaatlichung weitergehen. Die Verarmung geht weiter und überträgt sich auf die Berufseinsteiger: Stress, Angst – Angststörungen nehmen zu wie Christian Schüle in seinem Artikel „In den Fängen der Angst“ mitteilt. (In: DIE ZEIT, 19. April 2007).
Die rüde Art, wie mit der Behandlerschaft, ob Mediziner oder Psychotherapeuten, Naturheilpraktikern, Pädagogen oder Sozialarbeitern, gesellschaftspolitisch umgegangen wird, wurde vom Präsidenten der Caritas, Dr. Peter Neher, kommentiert und angemahnt:
„Wir brauchen einen öffentlichen Diskurs über soziale Berufe, über ihre Rahmenbedingungen und ihre Wertschätzung. Wir brauchen eine Politik, die soziale Arbeit fördert und nicht verhindert. Wir brauchen Menschen, die diese Berufe wählen, und wir brauchen alle, die sie darin unterstützen, auch weil es uns selbst betrifft.“ (Gesundheits- und Sozialpolitik, 2004, S. 28)
Hierzu sollte man wissen, dass dem deutschen Gesundheitswesen die Ärzte ausgehen! Der Arztberuf ist nicht mehr attraktiv – nicht zuletzt dank der aktuellen Reformen. Damit spreche ich das Thema „Kommunikation“ generell in unserer kulturellen Wirklichkeit an: Zu hoffen bleibt, dass nicht nur Kliniken auf öffentliche Kritik konstruktiv reagieren, wie der Ombus-Verein (2004) feststellte, sondern auch Politik, Unternehmen, Standesorganisationen und Kassenärztliche Vereinigungen etc. In Deutschland ist es ein Leichtes, sich auf irgendein Gesetz zu berufen, um Kommunikation, Reflexion und Denken zu verhindern. Das Alte soll im Kern erhalten bleiben. Nach dem Motto: Was ist zu ändern, um nichts zu verändern bzw. das Bestehende noch zu verschlechtern und als gut erscheinen zu lassen? wird unentwegt an Verordnungen, Gesetzesvorlagen und Gesetzen herumgefeilt, bis das Resultat wieder zu Lasten des Bürgers geht und das alte Muster des Sündenbocks, der Schuldverschiebung neu auflebt. Damit kann sich der Reformer – politisch bar jeglicher Verantwortlichkeit – aus der gesellschaftlichen Affäre ziehen. Diese politisch abgesicherte Gesetzesmacherei bezieht sich auf Berufsrechte für Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte, aber ebenso auf Grundrechte und staatliche Verordnungen, und widerspricht dem Gedanken von Demokratie, Freiheit und Gleichheit. Generell zieht der Bürger den Kürzeren. Beispiel: Praxisgebühr.
Die provozierenden Pressemitteilungen zu den Ärztestreiks im ersten Vierteljahr des Jahres 2006 an Universitätskliniken à la „Dürfen Ärzte streiken?“ werden an dieser Stelle nicht wiederholt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Die politischen Stellungnahmen wie zum Beispiel die der Gesundheitsministerin im März 2006, die Ärzte sollten an ihre moralisch-ethische Verpflichtung Patienten gegenüber denken und, statt für ihre Honorare zu streiken, wieder arbeiten gehen, werfen die Frage auf, wann Politiker und führende Wirtschaftsvertreter ihre moralisch-ethische Verpflichtung allen Bürgern gegenüber einlösen, statt die Probleme immer wieder erst verbal anzuerkennen, sie dann bis zur Unkenntlichkeit zu diskutieren, um sie schließlich in der politischen Grube versickern zu lassen …und dabei nicht vergessen, ihre eigenen Gehälter zu erhöhen. Die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung teilt im Juni 2009 mit: „Der Streit in der Ärzteschaft um die Honorare hat nicht zur Steigerung der Akzeptanz des KV-Systems in der Öffentlichkeit beigetragen. So berichten die Medien fast durchgängig über Ärzte, die Zuzahlungen verlangten, Behandlungen von GKV-Patienten verweigerten, die Praxen dicht machten. ‚Dr. Maßlos’ (Bild), ‚Lautes Klagen auf hohem Niveau’ (Südwestpresse) oder ‚Ärzte ohne Grenzen’ (Spiegel) waren typisch für die Berichterstattung.“ (Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung, 2. Mitgliederbrief 2009, Titelseite, Juni 2009) Diejenigen, die Patienten versorgen, werden zum Sündenbock, wenn sie eigene existenzielle und berufspolitische Interessen anmelden und sich dafür einsetzen.
Psychologische Psychotherapeuten dürften im gegenwärtigen Gesundheitswesen noch die einzige Facharztgruppe sein die auf der Grundlage des Hippokratischen Eides und damit im Sinne der Heilung arbeiten. Aufgrund ihres Behandlungsansatzes sind sie an der Gesundung des Patienten orientiert. Die Heilungserfolge der Psychotherapie wurden jahrelang von den Reformern des Gesundheitswesens ignoriert. In dem vorliegenden Band soll es daher um die Stellung der Psychologischen Psychotherapeuten innerhalb der Ärzteschaft gehen; denn es besteht Grund zu der Annahme, dass man uns eine „Zulassung zur Abschaffung der psychologischen Psychotherapie“ gab. Die Bestrebungen der KVen, der ärztlichen Standesorganisationen und die der Politik richten sich ganz offensichtlich gegen die psychologischen Psychotherapeuten. Trickreich versuchen sie den geisteswissenschaftlichen Strang der naturwissenschaftlichen Ärzteschaft unterzuordnen, um ihn per Repressionen allmählich schrumpfen zu lassen, bis niemand mehr in diesem Beruf arbeiten will.
In Band 3 schließlich wird generelle Verstaatlichung von Medizin und Psychologie in der Gesundheitswirtschaft unter die Lupe genommen, wie sie in dem vorliegenden Band bereits schon peripher angesprochen wird.
Anhand persönlicher Erfahrungen werden die politischen Umstände der Diplom-Psychologen beleuchtet, die im Gesundheitswesen der Gesundheitswirtschaft als Psychotherapeuten arbeiten. Teilweise werden offizielle Stellungnahmen zitiert, die Kollegen an die entsprechenden Fachverbände gerichtet haben – und die wie Sternschnuppen verglühten.