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Sternzeichen Stier

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Ich wachte in meinem Krankenhauszimmer auf, schaute hinüber zu meinem neugeborenen Mädchen und warf ihr einen langen Blick zu. Zusammen mit meinem Mann hatte ich entschieden, sie Frankie zu nennen. Sie sah friedlich und süß aus nach ihrer Reise in die Welt – was für ein Ritt, nicht wahr, Kleine? Ich betrachtete sie, und nach einer Weile schaute sie mich wirklich an. Etwas Bedürftiges lag in ihrem Blick. Meine erste Tochter, Olive, kam quasi unabhängig zur Welt und hat mir bis heute nicht ein einziges Mal einen derart bedürftigen Blick zugeworfen. So sehr ich diesen Moment auch genoss, etwas daran war seltsam. Mein Bauch fühlte sich an, als würde ich Achterbahn fahren. In meinem Kopf krampfte sich etwas zusammen, und Tränen schossen mir in die Augen. Mich überkam das große Heulen. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich schluchzte laut auf, und als ich nach Luft rang, traf es mich wie ein Schlag … Frankie sah aus wie meine Mutter.

Wie meine Mutter ist auch Frankie vom Sternzeichen Stier. Und da lag sie und schaute mich an, und ich hatte so viele Gefühle auf einmal, dass ich sie gar nicht alle einordnen konnte. Es war ein Mosaik der Empfindungen, die zusammen überhaupt keinen Sinn ergaben, aber wenn ich mich ihnen einzeln widmete, half mir das vielleicht, mich wieder zu beruhigen.

Okay, Nummer eins. Ich fragte mich: Was ist meine größte Angst? Nun, die Antwort war einfach, das emotionalste Thema in meinem Leben ist meine Mutter. Ich bin ein Mädchen, das versucht, eine Frau zu sein – und jetzt in erster Linie eine Mutter –, aber ich wurde zurückgezerrt in meine Kindheit und angekettet an Kram, mit dem ich vielleicht nie richtig abgeschlossen hatte.

Okay, sagte ich mir, du weißt, dass das dein größtes Problem ist. Aber geht es jetzt darum, dass du selbst eine Tochter hast und befürchtest, irgendetwas aus deiner Kindheit könnte sich wiederholen? Ich beruhigte mich selbst mit dem Gedanken an die letzten anderthalb Jahre mit Olive (Sternzeichen Waage) – daran, dass mein Leben mit ihr so sicher und beständig, so anregend und liebevoll ist, wie es nur sein kann. Es gibt einen lebenden Beweis dafür, dass ich meine schlimmste Angst bezwingen kann!

Okay, weiter. Geht es darum, dass Frankie so aussieht wie meine Mutter? Nein, denn sie ähnelt auch mir, und ja, natürlich wird es Ähnlichkeiten zu Verwandten von beiden Seiten der Familie geben, die gibt es bei mir ja auch. Olive hatte von Geburt an wunderschöne, weit auseinanderstehende, katzenähnliche Megaaugen, die in meiner Familie nicht vorkommen. Sie schien tatsächlich eher nach meiner Schwiegermutter Coco zu kommen, die ich über alle Maßen liebe, verehre und einfach nur bewundere. Coco ist elegant, freundlich, klug, weltgewandt und eine sehr, sehr, sehr gute Mutter. Ihr Mädchenname lautet Franco, und das inspirierte uns zu Frankie.

Aber Frankie ähnelte eher meiner Seite der Familie, und hier, am 22. April 2014 im Krankenhaus in Los Angeles, wurde ich mit einem Thema konfrontiert, das ich mit Olive noch hatte umgehen können. Denn während ich meine Stier-Tochter anschaute, stellte sich mir die Frage, ob ich tief genug in mich gehen konnte, um die Verletzungen aus der Beziehung zu meiner Stier-Mutter zu heilen.

Ich wurde 1975 als Tochter einer alleinerziehenden Mutter geboren, die ihr Bestes gab, aber selber noch sehr jung war. Tatsächlich verriet sie mir nie ihr Alter – das ist eines der vielen merkwürdigen Rätsel, die diese Frau mir aufgab –, aber ich nehme an, sie bekam mich mit Mitte zwanzig. Immer noch sehr hedonistisch, zog sie mich ohne ein Minimum an Schutz oder Beständigkeit groß. Wie man weiß, trennten sich unsere Wege, als ich vierzehn Jahre alt war, und wir haben uns seitdem kaum gesprochen. Ich unterstütze sie noch immer – ich muss wissen, dass sie gut versorgt ist, sonst komme ich selber nicht zurecht. Ich bin dieser Frau dankbar, dass sie mich auf die Welt gebracht hat, und es würde mich sehr belasten zu erfahren, dass es ihr an irgendetwas fehlt. Es sähe mir nicht ähnlich, immer noch einen Groll gegen sie zu hegen, weil unser gemeinsames Leben so unglaublich unorthodox war. Ich will ihr nur Danke sagen, denn ich liebe mein Leben, und das Leben besteht aus vielen einzelnen Schritten, und wenn du glücklich bist, dann wirst du weiß Gott auch durch harte Zeiten gegangen sein. Es gibt kein Leben ohne sie – also, was hast du durchgemacht, und was hast du aus deinen Lektionen gelernt? Nur so kann man leben.

Eine weitere Philosophie von mir besagt, dass dir nichts genommen wird, ohne ersetzt zu werden, und mit dieser Erkenntnis betritt die Liebe meines Lebens die Bühne. Ich war neunzehn Jahre alt und zusammen mit Freunden in einer Bar in Seattle, Washington, wo ich gerade einen Film drehte. Die 90er waren in Sachen Musik und Kultur eine sehr wilde und inspirierende Zeit. Aber ich hatte nur Filme im Kopf. Vor etwa zwei Jahren hatte ich einen Western gedreht, und diese Erfahrung hatte dazu geführt, dass ich nur noch Filme über Frauen machten wollte. Frauen, die was draufhatten. Frauen, die das machen wollten, was Männer auch machten – die aber trotzdem Männer liebten und zu ihren Freundinnen rennen wollten, um ihnen alles zu erzählen, und die sich gegenseitig unterstützten. Ich fand damals gerade heraus, wer ich eigentlich sein wollte, und ich saß viel herum und nahm Mixkassetten auf und versuchte mir vorzustellen, was ich mit meinem Leben alles anstellen könnte.

Da saß ich also in dieser Bar, und mein Freund Jim sagte, übrigens, meine Schwester Nan kommt auch noch, sie besucht mich für ein paar Tage. Wie schön! Und schon spazierte dieses blonde, blauäugige Mädchen herein, das aussah, als wäre sie einer Shampoowerbung entsprungen, mit dem gewinnendsten, wärmsten, einnehmendsten Lächeln, das ich je gesehen hatte. Nancy Juvonen konnte alle Songs von John Denver mitsingen. Sie arbeitete als Flugbegleiterin. Sie verbrachte Auslandssemester in Costa Rica und England. Sie arbeitete auf einer Ferienranch in Wyoming. Sie war in San Francisco und New Hampshire aufgewachsen. Ihr Leben drehte sich darum, Abenteuer zu erleben und Neues auszuprobieren. Sie war so organisiert wie niemand sonst. Sie führte Tabellen über alles, zeichnete Diagramme und behielt immer den Überblick. Sie sagte Dinge wie »Beständigkeit führt zum Ziel« und liebte Wörter wie »verdienen«. Sie wurde meine Geschäftspartnerin. Sie wurde wie eine Schwester für mich, sie veränderte meine Welt auf eine ganz grundlegende Weise. Nancy Juvonen ist mein Familienersatz. Sie war ein Geschenk fürs Leben. Und sie ist Sternzeichen Stier.

Mit der Gründung unserer Firma Flower Films begannen Nan und ich, unsere gemeinsamen Visionen umzusetzen. Wir wollten Geschichten erzählen. Die frühen 90er waren die Ära der Powerfrauen in Hosenanzügen, aber wir schworen uns, unseren JanSport-Rucksäcken treu zu bleiben. Und wir machten unsere Hausaufgaben. Wir analysierten alles. Wir schrieben unzählige Listen. Wir lasen alles. Und wir bauten Beziehungen zu Menschen auf, die wir bewunderten und respektierten, statt mit den Reichen und Schönen zu feiern.

Wir schufen uns ein gemütliches, häusliches Umfeld bei Flower Films am Sunset Boulevard. Nans Büro wirkte warm und wirklich bewohnt. Es war der Ort für all unsere Gespräche und Träumereien. Ihr Büro war absolut aufgeräumt, alles war beschriftet. Posteingang, Postausgang, es gab Bilder an den Wänden, Kissen, inspirierende Zitate von Abraham Lincoln standen gerahmt auf ihrem Schreibtisch. Mein Büro war eine Fallstudie in Sachen Unordnung, mein Schreibtisch quoll über vor Papieren, Feng Shui hatte hier keine Chance. Jedes Jahr schrieben wir gemeinsam Weihnachtskarten, und es fühlte sich an, als würden wir Traditionen erschaffen, die ich nie gehabt hatte. Im Leben außerhalb des Büros fuhren wir mit einem Wohnmobil kreuz und quer durch Amerika. Wir bereisten die Welt. Wir adoptierten Hunde. Aber am wichtigsten war, dass Nan mir nie etwas durchgehen ließ. »Du bist zu spät, und dein Zeitmanagement ist echt scheiße. Du denkst nur an dich, und wenn du reinkommst und dich entschuldigst, dass du zu spät bist, geht es wieder nur um dich. Du sorgst bei dir selbst und bei anderen für Unruhe und Unkonzentriertheit, und wenn du pünktlich wärst, könntest du allen Beteiligten dieses Drama ersparen.« Herrje.

Im ersten Moment verletzte mich das immer. Einmal rief ich sie an, um ihr zu sagen, dass ich gerne Regie führen würde. »Du bist nicht bereit dafür. Du bist zu unorganisiert und unpünktlich, und du darfst das Geld und die Zeit anderer Menschen nicht verschwenden. Du hast keine Führungsqualitäten, die muss man als Regisseur aber haben.« Ich sagte ihr, ich würde sie später noch einmal anrufen, legte auf und brach in Tränen aus.

»Fahr niemals betrunken Auto! Geh wählen!« All diese wunderbaren Dinge hätten mir eigentlich meine Eltern beibringen sollen. Ich war so dankbar für Nans liebevolle Strenge. Sie zeigte mir immer und immer wieder, wie sehr ich ihr am Herzen lag. Und nur fürs Protokoll: Als Regisseurin kam ich nie zu spät ans Set – dank ihr. Sie war bereit, mir zur Seite zu stehen und mir zu helfen, mein besseres Ich hervorzukehren.

Egal was wir erlebten, es machte uns nur stärker. Ich habe die meisten Feiertage meines Lebens mit ihrer Familie verbracht, sie war Trauzeugin bei meiner Hochzeit, und sie ist die Familie, die ich nie hatte, bis ich meine eigene gründete. Sie ist es noch immer. Seit zweiundzwanzig Jahren ist sie mein Leuchtturm der strahlenden Herzenswärme. Sie ist auch die lustigste Person der Welt. Und wenn man einen Rat in Liebesdingen braucht, wendet man sich am besten an sie. Wir haben viele Filme über Beziehungen gedreht, und bei einem Film namens Ein Mann für eine Saison lernte sie ihren späteren Ehemann Jimmy Fallon kennen. Das perfekte Mädchen traf den perfekten Jungen. Und auch wenn sie es hasst, wenn ich sie perfekt nenne – in meinen Augen ist sie es.

Vor allem hat Nan mir immer vorgelebt, dass man emotional ausgeglichen und verantwortungsvoll durchs Leben gehen muss, um echtes Glück empfinden zu können. Verdientes Glück. Damals, als alles erst anfing, lebte sie in einer kleinen Junggesellinnenwohnung in West Hollywood. Ich erinnere mich daran, wie ich hereinkam und ein gelbes Schild an ihrem Kühlschrank entdeckte, auf dem stand: »Glücklichsein ist eine Entscheidung.« Ich starrte diesen Spruch an. Er gefiel mir, aber ich brauchte zwanzig Jahre, um zu begreifen, was für eine enorme Bedeutung das Wort »Entscheidung« eigentlich hat. Man muss diese Entscheidung andauernd treffen. Und die Menschen, die ich mir zum Vorbild nehme, sind fähig, diese Entscheidung andauernd zu treffen. Immer wieder.

Nan sagte mir auch, wann immer ich mich verloren fühlen würde, sollte ich am besten schreiben. Und weil ich Tagebücher toll finde, sprach mich das wirklich an. Wie das Leben so spielt, schenkte mir eine andere Frau, die ich liebe, Kate Capshaw Spielberg (Sternzeichen Skorpion), ein Fünf-Jahres-Tagebuch zu Olives Geburt. Als frischgebackene Mutter durchlebte ich Ängste und Sorgen wie noch nie zuvor in meinem Leben, und da wurde mir dieses in rosafarbenes Leder gebundene Buch an die Tür geliefert, zusammen mit folgender Nachricht: »Fang an, deiner Tochter zu schreiben, und bleib jeden Tag dran! Alles Liebe, Kate.« Ich hielt dieses Carepaket in Form eines Tagebuchs in den Händen und dachte daran, was Nan immer gesagt hatte. Seitdem habe ich jeden Tag geschrieben, wie eine Chronistin, von Frankies und Olives Leben, und wenn meine Töchter älter sind, werde ich ihnen das Tagebuch schenken.

Wer war ich also in diesem Krankenhauszimmer? War ich das verletzte Kind mit Mutterproblemen, oder war ich eine Frau, die sich hinaus in die Welt getraut, gekämpft, ihre Lektionen gelernt und großartige Vorbilder gefunden hatte? Fantastische Menschen wie Nan hatten mich geleitet, mich vom Gefühl der Hilflosigkeit und Angst befreit und mir Kraft geschenkt. Und jetzt ist es an mir, diese Weisheit und Stärke weiterzugeben. Sollte ich mir die Decke über den Kopf ziehen, wenn dieses Kind, dieses wunderschöne Neugeborene, mich brauchte? Nein, verdammt noch mal. Ich stand auf, noch völlig wund und wackelig, und nahm mein kleines Stier-Baby in die Arme. Und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Ich schwor, so wie ich es bei Olive schon getan hatte, immer für sie zu kämpfen. Ich bin ihre Mutter, Sternzeichen Fische. Mutter der Drachen! Ich bin stark. Ich habe dazugelernt. Ich liebe die Liebe und habe so viel zu geben. Es ist meine feste Bestimmung, zwei gute Mädchen zu zwei großartigen Frauen heranzuziehen! Also dann. Auf geht’s, meine beiden Kleinen. Auf geht’s.

Wildflower

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