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Im Höhenflug

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Wir hatten von einem Ort gehört, wo man Fallschirmspringen konnte, nicht weit von unserem Wohnort entfernt. Cameron Diaz und ich waren in einer verrückten Stimmung – wir wollten nur noch Abenteuer erleben. Wir waren noch ganz high von den Dreharbeiten zu 3 Engel für Charlie. Vier Monate lang hatten wir Kung-Fu trainiert und anschließend sechs Monate lang Stunts absolviert, und dieser Rausch hatte uns in komplette Adrenalinjunkies verwandelt. Wir kamen gerade von einer Reise nach Tahiti zurück, wo wir mit Haien getaucht waren. Es war fantastisch. Zwei Meter lange Riffhaie schwammen da herum, eigentlich eine furchterregende Vorstellung, aber es war ein friedliches Hinabtauchen in die ehrfürchtige Stille, die zwanzig Meter unter dem Meeresspiegel herrscht. Ich fand es toll, dass wir Zeichen benutzten, für eine Weile aufhören mussten zu reden und trotzdem alle miteinander kommunizieren konnten.

Irgendwann holte unser Tauchguide eine riesige Plastiktüte hervor, gefüllt mit etwas, das aussah wie zerfetzte Gedärme. Da machte ich schon große Augen, aber dann nahm er ein dreißig Zentimeter langes Messer und schlitzte die Tüte auf. Das Blut verteilte sich im Wasser, und sofort kamen die Haie herangeschwommen. Ich gab dem Guide schnell ein Zeichen, strich mir mit der Handkante über den Hals, wie um zu sagen: »Es reicht, vielen Dank! Bitte verteil nicht noch mehr Futter im Wasser!« Es war verrückt, an einem Ort zu sein, wo innerhalb von einer Sekunde alles hätte schieflaufen können.

Und doch hatten wir überlebt und jede Minute genossen. Als wir also erfuhren, dass es etwa eine Stunde von Los Angeles entfernt eine Fallschirmschule gab, meldeten wir uns sofort dort an und fuhren nach Perris, Kalifornien, mitten hinein in eine völlige Wüste.

Bei unserer Ankunft wurden wir von ein paar Typen begrüßt. Es waren Angeber und Aufreißer – ich wusste auf den ersten Blick, dass sie es auf meine Freundin abgesehen hatten. Und solange sich niemand unangemessen verhielt, nahm ich das eben hin. Ich bin Cameron gegenüber immer äußerst ritterlich und beschütze sie. Sie nennt mich ihren kleinen Mann, denn im ersten Teil von 3 Engel für Charlie verkleideten wir uns als Männer, um in die Technikräume von Redstar einzubrechen. Ich sah seltsamerweise aus wie ein sehr kleiner James Spader und sie wie ein durchschnittlich großer Bürohengst. Und obwohl ich ihr bis an die Augenbrauen reichte, blieb der Name »kleiner Mann« an mir hängen.

Poo Poo (unser gegenseitiger Spitzname füreinander) und ich kennen uns, seit ich vierzehn und sie sechzehn war. Wir trafen Ende der 80er in West Hollywood aufeinander. Es gab da zwei schöne Mädchen, beide waren Models, Cameron und Cory. Alle himmelten sie an, aber wichtiger war, dass sie beide extrem nett waren, das Gegenteil von unterkühlt. Aber sie waren cool.

Wir waren viele Jahre in ähnlichen Kreisen unterwegs. Ich mag Frauen, die andere Frauen respektieren, und Cameron tut das definitiv. Aber erst, als ich sie als Produzentin von 3 Engel für Charlie anrief und sie zum Mitspielen einlud, wurden wir enge Freundinnen. Sie drehte gerade Being John Malkovich, und ich vereinbarte einen Telefontermin, um ihr von dem Film zu erzählen, denn das Drehbuch war damals noch gar nicht geschrieben. Ich sagte ihr, wie ich mir die Stimmung des Films vorstellte, und betonte ganz besonders, was für Fähigkeiten diese Frauen haben und dass sie wie Schwestern füreinander sein sollten. Ich sagte: »Mädchen wollen das tun, was Jungs auch tun, ohne den Gedanken aufzugeben, dass sie letztlich Liebe wollen! Sie lieben auch einander als Frauen und sind gemeinsam stärker. Sie wollen einfach coole Sachen machen und Spaß haben.« Ich wusste, Cameron würde die Einstellung dieser Frauen verstehen, die einander unterstützten und gerne lachten. So war sie selbst auch immer gewesen, und ich wusste, dass wir eine geniale Zeit haben würden. Und die hatten wir dann auch. Und nach den Dreharbeiten setzten wir unsere Reise als Freundinnen auf der ständigen Suche nach dem nächsten Nervenkitzel fort.

Da waren wir also, zwei Mädchen, die aus einem Flugzeug springen wollten. Wir schauten uns die Lehrvideos an, die furchterregend waren, aber schlimmer noch: Man wird dort über sein eventuelles Lebensende aufgeklärt. Im Ernst. Man muss eine »Wenn-alles-schief-geht«-Klausel unterschreiben. Sie sagen einem, dass das so vorgeschrieben ist. Sie sagen einem auch, dass man im Flugzeug auf dem Weg nach oben wahrscheinlich einen trockenen Mund bekommt und Wasser mitnehmen soll. Was zur Hölle tat ich da? Als ich mich gerade fragte, ob wir dieses Mal zu weit gegangen waren, brachten sie uns Overalls, die wir anziehen sollten. Ich bemerkte, dass Camerons Overall knallrot war und meiner kanariengelb. Wir nahmen die zusammengeknüllten Sachen und gingen in die Umkleide. Die Typen machten ihre Witzchen und alberten herum, während wir uns umzogen. Ich hatte das Gefühl, sie mussten sich zusammenreißen, um vor Begeisterung für Cameron keine Saltos zu schlagen. Es war offensichtlich, dass alle hinter ihr her waren, aber wer war das nicht?

Ich war daran gewöhnt. Und so sehr ich sie auch beschützen wollte, ich verstand das vollkommen. Ich liebte sie ja auch! Aber angesichts dieser Ansammlung von Idioten machte ich mir größere Sorgen um die Frage: »Sind das die Männer, mit denen wir möglicherweise sterben wollen?«

Ich zog den Reißverschluss meines Overalls hoch, und wir traten beide gleichzeitig aus den Umkleidekabinen hervor. Ich traute meinen Augen kaum. Ich steckte in einem hellgelben Overall aus Kunstseide, dessen Vorderseite ein riesiger Tukan zierte. Beim Umziehen hatte ich auf Autopilot geschaltet und über meine Sterblichkeit nachgesonnen – ich war zu abgelenkt gewesen um zu bemerken, dass irgendein Trottel ein verdammtes Clownskostüm für mich ausgesucht hatte. Jetzt hatte ich nicht mehr nur Angst, sondern sah auch noch aus wie ein kompletter Idiot.

Dann schaute ich Cameron an. Sie hatte einen hautengen, roten Elastan-Overall bekommen, der wie aufgemalt wirkte – jeder Zentimeter ihres Körpers zeichnete sich darunter ab. Ich wollte diesen Arschlöchern eine reinhauen. Da standen wir also – die rote Kanone und Sam, der Tukan von der Froot-Loops-Packung. Die Typen versicherten uns, wie gut wir aussähen, und ich verdrehte nur die Augen und murmelte: »Fickt euch doch.« Dann sagten sie uns, es sei Zeit zu starten, und ich vergaß mein Outfit sofort wieder und widmete meine volle Aufmerksamkeit dem Geräusch der rotierenden Propeller draußen vor dem Gebäude.

Wir gingen zum Flugzeug. Wir alle waren jetzt schon mit unserem Equipment ausgestattet, an meiner Brust war unter anderem ein Höhenmesser befestigt. Ich sah aus wie ein menschliches Armaturenbrett. Wir stiegen in das Flugzeug, es hob ab, und ich schaute auf meinen Höhenmesser. Als er dreihundert Meter anzeigte, blickte ich aus dem Fenster. Es kam mir wirklich hoch vor. Ich wandte mich an den Typen, der für mich zuständig war, und schrie ihm über das Dröhnen im Flugzeug hinweg zu: »Auf wie viel Meter müssen wir kommen, bevor wir springen?« Er schaute mich mit einem dämlichen Grinsen an und sagte: »Dreitausend Meter.« Oh mein Gott. Okay. Sechshundert Meter sahen für mich schon aus wie sehr weit oben – auf dieser Höhe waren wir jetzt, denn seit ich vor einer Minute auf meinen Höhenmesser geschaut hatte, waren wir noch mal um dreihundert Meter gestiegen. Wow. Meine Zunge begann sich auszudehnen. Ich konnte kaum atmen, aber am bemerkenswertesten war der berühmt-berüchtigte trockene Mund, der uns bereits angekündigt worden war. Meine Zunge war eine Kombination aus Sandpapier und Filz. Wasser hätte nicht mal annähernd geholfen, die Dürre in meinem Mund zu bekämpfen – genauso gut hätte man versuchen können, einen Waldbrand mit einmal spucken zu löschen.

Auf etwa zweitausendfünfhundert Metern Höhe saß ich mit offenem Mund da. Er war ein leeres Sandloch, das eigentlich keine Ähnlichkeiten mehr mit meinem Mund hatte. Der Typ, der für mich zuständig war, drehte sich zu mir um und stellte mir eine weitere seiner belanglosen Fragen. »Also, wie war E.T. eigentlich so?« Ich konnte einfach nicht antworten. Sprechen war an diesem Punkt keine Option mehr, denn meine Zunge hatte sich inzwischen in ein dickes Kaschmirkissen verwandelt. Und ehe ich mich versah, standen alle auf und begannen sich für den Absprung bereit zu machen. Ich schaute Poo Poo an. Nach unseren gemeinsamen Tauchgängen hatte ich das Gefühl, dass wir allein über unsere Augen miteinander kommunizieren konnten. Nach einem tiefen Atemzug und einem intensiven Blickwechsel übermittelten wir einander telepathisch folgende Botschaft: »Diese Typen sind Idioten, aber nützliche Idioten. Jetzt sind wir schon so weit gekommen, und es wäre eine Schande, einen Rückzieher zu machen. Sie können uns dahin bringen, wo wir hinmüssen. Und wir müssen raus aus diesem Flugzeug und diesen verdammten Sprung rocken!« Yes!

Ich fühlte mich besser. Cowabunga! Los geht’s. In diesem Moment fragte einer der Typen: »Wer will zuerst?« Von meiner neugewonnenen Tapferkeit beflügelt hob ich die Hand. Wieder konnte ich nicht sprechen, aber ich ging davon aus, dass meine erhobene Hand wohl allen klarmachen würde, dass ich bereit war! Wir versammelten uns an der Öffnung des Flugzeugs. Fest bei den Typen eingehakt sollten wir vor- und zurückschaukeln, so wie wir es unten im Basislager bereits geübt hatten. Wir kauerten uns auf dem Boden zusammen. Meine Arme waren über der Brust gekreuzt wie bei einer Mumie. Sie zählten laut. Eins. Meine Zunge hatte ein neues Niveau der Nutzlosigkeit erreicht. Zwei. Oh mein Gott, ich mache das wirklich. Drei. Okay, scheiß drauf, los geht’s!

Und mit diesem Gedanken warf ich mich aus dem Flugzeug. Wir fielen, fielen, fielen. Es dauerte ewig. Die Luft rauschte uns so heftig entgegen, dass ich nicht atmen konnte. Ich fragte mich, wie lange das wohl so gehen würde, denn wenn ich nicht durch den Sprung ums Leben kam, dann definitiv, weil der Wind meine Lungen zerbarst oder durch den Sauerstoffmangel. Aus dem Augenwinkel sah ich Poo Poo Richtung Erde zischen – mit dem Kopf nach unten, was den Fall tatsächlich beschleunigte. Obwohl sie nach mir gesprungen war, überholte sie mich jetzt wie eine menschliche Pistolenkugel. Ich hielt weiter den Atem an und betete dafür, dass der Fallschirm sich bald öffnen möge. Öffnen, öffnen, öffnen! Bitte, lieber Gott, öffne ihn!

Und dann, nach einer Minute im freien Fall, riss mein Fallschirm mich hoch in die Luft und faltete sich auf. Und als der Schirm dann über mir stand und ich anfing zu schweben, hach … Genau so hatte ich es mir vorgestellt. Das war die Stille, nach der ich mich gesehnt hatte. Ich glitt langsam durch die Luft wie ein Vogel im Segelflug. Ich war überwältigt von dem Frieden, den ich verspürte. Ich hatte es geschafft. Ich flog. Und einfach so setzte der Typ, bei dem ich eingehängt war, seine Fragestunde fort. »Also, machst du demnächst mal wieder einen Film?« Herr im Himmel. Schnauze!

Ich fragte höflich, wie lange das Herunterschweben dauern würde, und er sagte: »Oh, etwa zehn Minuten.« »Toll«, sagte ich, aber ich dachte: »Toll, dann muss ich deinem Scheißgelaber noch zehn Minuten lang zuhören, wo ich doch eigentlich nur die Aussicht genießen will!« Ich wusste, dass ich – anders als er – so etwas nicht so bald noch einmal machen würde.

Nach einer gefühlten Ewigkeit landete ich, glücklicherweise sehr sanft. Der Typ nahm mein Gesicht in seine Hände und gab mir einen dicken großmütterlichen Kuss. Würg. Schönen Dank auch! Erst steckst du mich in dieses Clownskostüm und dann willst du knutschen? Bloß weg hier! Cameron und ich hauten ab so schnell wir konnten, froh, dass wir mit unserem Leben davongekommen waren. Wir fuhren zum nächsten Ort, den wir finden konnten, um etwas zu trinken. Es gab da einen Fastfood-Laden an der Straße, und wir stürmten hinein. Zwei Limos und zwei Burritos später fassten wir unsere Erfahrungen endlich in Worte – zum einen, weil wir jetzt reden konnten, ohne dass uns jemand zuhörte, und zum anderen, weil mein Mund wieder funktionierte.

Und als wir so richtig in Fahrt kamen und uns gar nicht mehr darüber einkriegen konnten, was wir erlebt hatten, biss Poo Poo auf ein Stück Glas in ihrem Burrito. Tja, wenn’s das eine nicht ist, dann ist es das andere: Du überlebst den Sprung aus einem Flugzeug, aber stirbst fast beim Essen danach. Wir bekamen einen Lachanfall. Dann stiegen wir wieder ins Auto und fuhren zurück nach Hollywood, mit offenen Fenstern und Wind im Gesicht – aber ganz bestimmt werde ich nie wieder denselben Wind in meinem Gesicht spüren wie beim freien Fall aus dreitausend Metern Höhe.

Jetzt sind wir älter und Cameron ist immer noch eine meiner engsten Freundinnen. Ich war ihre Trauzeugin, und sie ist die Patin meiner Tochter Frankie. Wir erleben immer noch ständig Abenteuer miteinander, aber sie sind sehr viel harmloser. Doch das liebe ich an meiner Freundin. Sie ist immer für alles zu haben. Und ich werde immer ihr kleiner Mann sein.

Wildflower

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