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Kapitel 7: Universität Cambridge

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Paris, Oktober 2027

Lavoisier kam am folgenden Tag früher in sein Büro. Er hatte schlecht geschlafen. Auch waren seine Träume von Traurigkeit, denn er befand sich einmal mehr in der Vergangenheit. Die damalige Szene, kurz bevor es in Ägypten geschah, schlich sich regelmässig als Alptraum in sein Unterbewusstsein und liess ihn erst im Morgengrauen wieder los. Manchmal fragte er sich, ob das nie aufhören würde. Er war nicht der einzige, der schon früh im Büro war. Er plante bereits die folgenden beiden Tage, denn er wusste, dass sein Vorgesetzter, der Innenminister, Antworten haben wollte. Er legte alles so zurecht, dass das Team zum morgendlichen Briefing alle Aufgaben und Informationen in Kurzfassung in schriftlicher Form auf den Besprechungstischen hatte. Er hielt nicht allzu viel von der Elektronik, insbesondere weil diese leicht überwacht werden konnte. Nachdem Alice eingetroffen war und ihm einen Kaffee gebracht hatte, wie immer ohne Zucker, rief sie das Team zusammen, und die Sitzung konnte um 8:30 beginnen. Das Team bestand aus acht Personen. Jede Person war ein ausgewiesener Experte auf seinem jeweiligen Spezialgebiet.

»Gut«, begann Lavoisier seine Besprechung. Das war so eine Art Ritual. Denn Lavoisier begann jede Besprechung mit diesem Wort. Es signalisierte einerseits etwas Positives, anderseits aber lag in der Kürze des Wortes auch eine Mahnung an alle, sich auf das Wesentliche zu beschränken.

»Wie ihr den Kurzfassungen entnehmen könnt, stehen wir vor mehreren Herausforderungen. Ich möchte, dass wir uns auf folgende Bereiche konzentrieren«, sagte er in vertrauensvoller Art.

Erstens möchte ich, dass jemand mit der Frau des Wildhüters des Ngorongoro Kraters spricht. Ich möchte nicht nur wissen, was sie gesehen, sondern auch was sie genau gefühlt, gespürt hat. Womöglich hat sie selber auch eine Idee, worum es sich gehandelt haben könnte. Wer übernimmt das?«, fragte er.

James Woods meldete sich, denn er hatte länger in Kenia als Kryptologe gearbeitet. Er kannte sich mit der ostafrikanischen Mentalität aus und war auch ein paar Mal in Tansania. Wenn einige seiner Kollegen jeweils den Kopf über afrikanische Gepflogenheiten, oder besser gesagt, Unarten schüttelten, dann sagte er nur drei Wörter »This is Africa!«. Er hatte schon im Voraus gehofft, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen.

»Ich werde Na-Soma kontaktieren«, sagte er mit einem gewissen Stolz, denn er hatte schon vor der Besprechung ihren Namen herausgesucht.

»Danke«, sagte Lavoisier anerkennend.

»Zweitens möchte ich, dass sich jemand den Taucher in Belize vornimmt. Er ist ein erfahrener Ex Navy Seal. Die wurden trainiert, auf kleinste Details zu achten. Wer übernimmt das?

John Melling meldete sich, und das erstaunte niemanden im Team, denn Mellings Hobby war neben Fallschirmspringen das Tiefseetauchen.

»In Ordnung John«, sagte Lavoisier.

»Drittens möchte ich eine elektronische Überwachung der Kommunikationsgeräte aller »Sun«-Reporter in London. Ich will wissen, ob einer von ihnen in unserem Zusammenhang Kontakt zu Edward Bakon hatte. Vor allen will ich wissen, wer auch noch versucht, sie zu kontaktieren«.

Zwei IT-Spezialisten nickten und gaben damit zu verstehen, dass sie sich darum kümmern würden.

»Viertens möchte ich einen Bericht über Magnetfeldanomalien in Tansania, in Belize und in Stonehenge zum besagten Zeitpunkt.

»Helen, kannst du das mit den Jungs der NASA und der ESA prüfen? Als Astrophysikerin bist du sicher die geeignete Person«, sagte er.

Helen Moody nickte nur unmerklich, aber das war ihre Art, sich mit etwas einverstanden zu erklären.

»Fünftens möchte ich wissen, was die wichtigsten Verschwörungstheoretiker auf ihren Plattformen verlauten lassen. Am besten nimmt jemand Kontakt mit Albert Greenspan auf«.

Lavoisier wusste, dass dies ein Fall für Robert Bruce war. Er wollte ihm den Fall aber nicht aufdrängen, sondern wartete ab. Alle schauten Bruce an und warteten, ob er sich melden würde.

»Okay, Okay Leute, ich mach das schon«, sagte er wenig begeistert. Denn das letzte Mal wurde er von Greenspan so richtig über den Tisch gezogen und der Lächerlichkeit preisgegeben.

»Danke, Bruce, sag ihm, du hast einen Tipp aus Rom bekommen. Die Katholiken sollen an was dran sein. Danach wird er dich sicher sofort empfangen«.

Lavoisier musste selber schmunzeln, wenn er daran dachte, Greenspan auf eine falsche Fährte zu locken.

»Sechstens möchte ich wissen, ob solche Ereignisse auch schon in der Vergangenheit vorgekommen sind. Wenn ja, wo und wann«.

Die restlichen Teammitglieder nahmen sich dieser Aufgabe an. Lavoisier fasste die Aufträge zusammen und vereinbarte mit dem Team am morgigen Tag Punkt 8:00 Uhr die nächste Besprechung. Da möchte er Ergebnisse sehen. Die Teammitglieder wollten aufstehen und den Raum verlassen. Lavoisier aber erklärte allen, dass er sie nun nochmals bitten möchte, den Fernsehbeitrag von Edward Bakon anzuschauen.

»Wir brauchen jeden Hinweis, der uns hilft, die andere Person zu finden«, sagte er.

Alice bereitete die Videosequenz vor. Lavoisier wollte mit den Anwesenden einen kleinen Versuch durchführen. Er hatte diese Methode auch schon angewandt. Manchmal funktionierte sie, manchmal auch nicht.

»Ich werde euch am Ende des kurzen Filmbeitrags scheinbar zusammenhanglose Fragen stellen. Ich bitte euch, mir spontan mitzuteilen, was euch in den Sinn kommt. Seid ihr bereit?«, fragte er sie.

Alle nickten und Lavoisier nahm seinen Füller zur Hand, damit er bereit war, die Antworten aufzuschreiben.

Alice drücke den Abspielknopf, und alle schauten sich den Beitrag nochmals genau an. Am Ende angekommen, begann Lavoisier mit den Fragen.

»Sonne«, gab er als ersten Begriff in die Runde.

»Heiss, schön, Sonnenuntergang, Aufgang, weiss, rot, violett, Leben ermöglichend«, kamen schnell die Antworten zurück.

»England«, lautete der zweite Begriff.

»Bobby, Manchester United, Picadilly Circus, Lord Nelson, Magna Charta, Queen, Harry Potter, Insel«, war weiter zu entnehmen.

»Geschichte«, sagte er als nächstes.

»Napoleon, Jesus, Hitler, Kennedy, Israel, Sumerer, Maya, Azteken, Indianer, Kolumbus, Magellan, Pyramiden, Weltkrieg, Kalter Krieg«, kam als nächstes zurück.

»Haus«, sagte er.

»Wärme, Schutz, schlafen, ausruhen, Geborgenheit, essen, wohnen, Reichtum, Status, Hotel, Ferien, gemütlich«, teilten die Teilnehmer mit.

»Erfindungen«, rief er ihnen zu.

»Rad, Rakete, Penicillin, Atombombe, Pille, Schmerzmittel, Strom, Computer, Glas, Internet, Schrift, Auto, Taxi, Flugzeug«, waren die nächsten Antworten.

Lavoisier hielt augenblicklich inne.

»Zeig mir den Film nochmals«, bat er Alice.

Alle schauten Lavoisier erstaunt an. Aber sie wussten, dass er eigenartige Methoden hatte, Lösungen zu finden.

»Stopp, ein wenig zurück. Ja genau hier. Standbild bitte«, sagte er.

Alle blickten angespannt auf das stehengebliebene Bild. Aber keiner konnte dem Gedankengang von Lavoisier folgen.

»Was seht ihr da?«, fragte er.

»Die Taxiquittung von Edward Bakon, sagte Bruce.

»Genau, und was sagt uns das?«, fragte er weiter?

»Genial«, sagte Alice, »wenn er mit dem Taxi unterwegs war und nicht alleine gehandelt hatte, dann weiss der Taxifahrer sicher noch, wo er ihn abgeholt oder hingebracht hat.«

»Genau!«, antwortete Lavoisier. »Findet die Person und bringt sie in Sicherheit«.

»Ich übernehme das«, meldete sich Alice. Insgeheim hatte er gehofft, dass sie das sagen würde.

»Der Innenminister entschied, dass das Vorhaben höchste Priorität habe. Ich vermute, dass er wohl mehr weiss als wir. Alles was ihr braucht, steht euch zur Verfügung«.

Lavoisier verabschiedete alle ausser Alice.

»Kommst du mit mir zu Charles einen Kaffee trinken?«, fragte er in leisem Ton Alice.

Sie nickte, sammelte ihre Notizen zusammen und im Nu verliessen beide auf getrennten Wegen das Institut. Alice wusste, was dieser Satz bedeutete. Schon vor längerer Zeit war das ihr Code, wenn er etwas mit ihr ausserhalb der offiziellen Umgebung besprechen wollte. Kurz darauf kam Alice bei Charles an, der schon mit Lavoisier sprach. Er unterbrach das Gespräch sofort, als er Alice sah.

»Herzlich willkommen, meine Liebe«, begrüsste er sie herzhaft.

»Hallo Charles, wie geht’s dir und deiner Familie?

»Soweit gut, und wenn nicht, machen wir das Beste daraus«, antwortete er.

»Ihr könnt in mein Hinterzimmer gehen. Dort ist es ruhig und bei dem Lärm auf der Strasse wird niemand mitbekommen, worüber ihr sprecht. »Was darf ich euch bringen, das übliche?«, fragte Charles.

»Ja gerne«, antworteten beide fast zeitgleich und mussten dabei lachen.

Nachdem sie sich in das Hinterzimmer von Charles’ Kiosk zurückgezogen hatten, erklärte Lavoisier, weshalb er so geheimnisvoll agierte.

»Hast du gestern Abend noch lange gearbeitet?«, fragte sie ihn.

»Ja, doch, aber es war es wert«, antwortet er ihr.

»Und?«

»Zwei Dinge möchte ich dir nicht vorenthalten«, begann er.

»Erstens wurde mir zugetragen, dass verschiedene Stellen mit Interesse und Argwohn verfolgen, was wir tun. Ein Vertrauter stellte die Vermutung auf, dass es etwas mit dem damaligen Templerskandal zu tun haben könnte«, informierte er sie.

»Dann sind wir etwas Grossem auf der Spur?«

»Sehr Grossem«, antwortete er ihr.

»Zweitens hatte ich gestern Abend Kontakt mit einem alten Freund aus meiner Zeit im Irak«.

»Hat es mit deiner Vermutung zu tun?«

»Genau«, antwortete Lavoisier und machte eine etwas zu lange Pause. Alice bemerkte dies und fragte ihn:

»Warum zögerst du mit Weiterreden?«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich da reinziehen will.«

»Vertraust du mir nicht?«, fragte sie.

»Dir würde ich mein Leben anvertrauen«, antwortete er ihr und der Tonfall verriet, dass er es absolut ehrlich meinte.

»Aber wenn ich dir jetzt sage, was ich vermute, dann gibt es für dich kein Zurück mehr«, sagte er mit einer Bestimmtheit, die sie leicht frösteln liess.

»Das heisst, es wird sehr gefährlich«, stellte sie fest, und in der Art und Weise, wie sie es sagte, lag nichts Fragendes.

»So gefährlich wie wohl noch nie etwas Dagewesenes«.

»Alice«, fuhr er fort, »du musst da nicht mitmachen. Du bist erst seit kurzem verheiratet, und wer weiss, wie deine Zukunft aussieht. Du hast jetzt die Möglichkeit, einen anderen Fall zu übernehmen, der nicht so gefährlich ist. Du musst es mir nur sagen«, erklärte er ihr.

»Ich werde dir jetzt mal was sagen«, erwiderte sie ihm und setzte sich im Stuhl aufrecht, um ihre Aussage zu bekräftigen.

»Ich spüre doch, dass hier etwas Geheimnisvolles, ja geradezu Mystisches vor sich geht. Ich danke dir für deine Rücksichtnahme, aber mein Platz wird hier in diesem Projekt sein. Wenn du also willst, dass ich dabei bin, dann sag es mir.«

»Willkommen an Bord«, sagte er in einem ruhigen Ton, dem man auch einen leisen Seufzer hätte entnehmen können. Lavoisier hatte gehofft, dass sie mitmachen würde.

»Er ist Professor in Cambridge und Spezialist für sumerische und akkadische Keilschriften. Professor Dr. Michael Sinclair ist wirklich ein liebenswürdiger Mensch und in all den Jahren ein guter Freund geblieben. Ich habe ihm ein paar codierte Fragen gestellt, und seine Antworten sind ermutigend. Wir hatten uns schon damals im Irak so Hinweise geben und verständigen können. Ich werde heute noch zu ihm reisen. Da du den Fall des Taxifahrers untersuchst, kannst du mitfliegen. Der Helikopter startet in 30 Minuten auf dem Dach des hohen Nebengebäudes. Ich lasse dich in Salisbury raus. Am Nachmittag um vier Uhr werde ich zu dir kommen. Wir treffen uns am Haupttor der Kathedrale. Ich hoffe, dass du bis dann die Person aufgespürt hast. Erinnere mich dann daran, dass ich den Innenminister anrufen muss«.

»Dann lass uns mit unserer Arbeit beginnen«, sagte sie zu ihm.

Zwanzig Minuten später waren sie im gegenüberliegenden Gebäude, und der Lift brachte sie auf die Dachterrasse. Der Helikopter war schon startklar. Sie stiegen in die Bell 505 Jet Ranger X ein, und Lavoisier gab dem Piloten die Anweisung, mit dem Flug zu beginnen.

»Der Flug nach Salisbury dauert eine Stunde und 45 Minuten«, erklärte er Alice über den Kopfhörer.

»Wir werden also gegen Mittag Lokalzeit da sein. Wir landen auf dem Dach des Salisbury District Hospital. Vor dem Eingang wartet ein Fahrer auf dich. Er bringt dich ins Stadtzentrum. Den Rest musst du selber erledigen«, ergänzte er noch.

Alice nickte kurz. Lavoisier merkte, dass sie ganz auf ihre Arbeit konzentriert war. Sie erreichten ohne Zwischenfälle ihr Ziel in Salisbury und landeten auf dem Dach des Spitalkomplexes. Sie machten ab, dass es keine persönliche Kontaktaufnahme geben dürfe. Er hatte ihr einen Notizzettel mit einer Telefonnummer gegeben, die sie anrufen sollte, wenn sie die Person ausfindig gemacht hatte. Aber sie solle von einem Restaurant oder Internetkaffee aus anrufen und dort auf den Rückruf warten, der innerhalb von fünf Minuten erfolgen würde. Sie verabschiedeten sich. Es war nun Mittag geworden und der Helikopter flog auf direktem Weg weiter nach Cambridge. Sie landeten nach 50 Minuten auf dem Cambridge International Airport, wo schon ein Fahrer auf ihn wartete. Er wies den Piloten an, auf ihn zu warten. Während der Fahrt zur Universität, die etwas mehr als zwanzig Minuten dauerte, ging er nochmals alle Punkte durch. Er hatte sich keine Notizen gemacht. Zu gefährlich schien ihm dies zu sein. Er hatte ein eigenes System entwickelt, wie er sich Dinge merken konnte. Das hatte ihm auch schon früher in brenzligen Situationen geholfen.

»Es geht doch nichts über ein gut funktionierendes Gedächtnis«, dachte er.

Er stieg aus dem Wagen und wies den Fahrer ebenfalls an, auf ihn zu warten. Zu Fuss durchquerte er das riesige Gelände, blieb am Eingang der King’s College Chapel stehen und bestaunte einmal mehr die Hauptfassade. Da er zu früh war, trat er ein. Es war nicht das erste Mal, dass er hier war. Der als Wahrzeichen der Stadt in gotischer Architektur gebaute Prachtbau konnte sich mehr als sehen lassen. Er ging zielstrebig zu seinem Lieblingsgemälde »Die Anbetung der Weisen aus dem Morgenland«.

»Ja, weise müssen wir sein und mit Bedacht handeln«, dachte er.

»Du magst immer noch den Peter Paul Rubens«, hörte er eine Stimme neben sich.

»Aber sicher, was denkst du denn, du alter Haudegen. Es geht nichts über Barockmaler. Die konnten noch malen«, antwortete er in vertrautem Ton, während er sich Prof. Dr. Sinclair zuwandte.

»Lass dich umarmen, Marcel«, sagte dieser.

Beide Männer umarmten sich herzlich, und Aussenstehende hätten augenblicklich gewusst, dass die beiden eine innige und tiefe Freundschaft verband.

»Du schuldest mir was«, begann Sinclair das Gespräch.

»Und was sollte ich dir schulden?«, fragte Lavoisier und spielte den Ahnungslosen.

»Ein Guinness und ein Clubsandwich«, gab er zur Antwort.

»Warum?«, wollte Lavoisier wissen.

»Wegen deiner Anfrage verpasste ich gestern meinen Besuch in meinem Lieblingspub. Das muss nachgeholt werden. Und wenn du schon mal da bist, könntest du ja auch bezahlen«, meinte Sinclair und lachte herzhaft.

»Mach ich, aber nur weil du schottischen Geblüts bist«, frotzelte Lavoisier.

Die beiden verliessen die King’s College Chapel.

»Lass uns ein paar Schritte gehen«, meinte Sinclair.

»Einverstanden«.

»Wir gehen rüber zum Cam. Da können wir am Ufer entlang gehen, ohne dass uns alle zuhören.«

»Gute Idee, sagte Lavoisier.

Nachdem sie die knapp hundert Meter zum Cam hinter sich gelegt hatten, begannen sie sich über den Fall zu unterhalten.

»Hast du es dabei?«, fragte er Sinclair.

»Ja, habe ich«.

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