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Kapitel 3: Stonehenge

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Südengland, am gleichen Tag

Dana, wissenschaftliche Leiterin des Stonehenge Monuments wurde stark von der tiefliegenden Abendsonne geblendet. Das mochte sie ganz und gar nicht, denn die Touristen, welche das weltberühmte Steinmonument mit der kreisförmigen Anordnung bestaunen wollten, mussten in ihrem Blickfeld gut sichtbar sein. Das war so ein Spleen von ihr. Sie fühlte sich nur gut, wenn sie alles überblicken konnte. Mit ihrer etwas zu gross geratenen Sonnenbrille und der offen getragenen roten karierten Bluse sah sie ein wenig zerzaust aus. Vielleicht lag das auch an ihren langen roten Haaren, die im starken Westwind herumwirbelten. Ihr Aussehen hatte etwas Skurriles, ja fast Hexenhaftes an sich. Auch mit knapp fünfzig Jahren sah sie immer noch ein wenig verträumt aus, obwohl ihre Gesichtszüge eher etwas Strenges an sich hatten. Vielleicht lag es auch daran, dass sie nach wie vor auf der Suche ihres Märchenprinzen war, der leider immer noch nicht in ihr Leben getreten war. Nicht, dass sie keine Beziehungen gehabt hätte, aber es war nie der Richtige darunter.

Dana war in einem Arbeiterviertel in Sheffield aufgewachsen, was auch noch heute gut an ihrem Yorkshire Dialekt zu erkennen war, den sie nie abgelegt hatte. Schon als kleines Kind hatte sie stundenlang ihrem Grossvater zuhören können, der von alten Legenden, untergegangenen Zivilisationen und Heldengeschichten erzählte. Er erklärte ihr einmal, dass südlich von Sheffield 1955 ein 150000 Jahre alter Faustkeil gefunden wurde. Das war irgendwie ein Schlüsselerlebnis für sie. Dass sie sich in der Zukunft an die im Jahre 2004 entdeckte »Church Cave« mit Wandmalereien, die auch »Sixtinische Kapelle der Eiszeit« genannt wird, erinnern und damit den Gang der Geschichte beeinflussen würde, hätte sie nie gedacht. Ihre Eltern konnten dem Ganzen nichts Gutes abgewinnen. Die Tradition in der Familie Robinson war eng verbunden mit der Geschichte des Stahls und der Kohle. Fast alle Familienangehörigen arbeiteten seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der Stahlindustrie. Dies machte die Menschen stolz, hart und unnachgiebig. Arbeit stand an erster Stelle. Da hatte verträumte Romantik keinen Platz. Ihr Vater konnte bis zu seinem Tod den Untergang und den Zusammenbruch der Stahlindustrie in den 1970er Jahren nie verkraften, und das Zusammenleben mit ihm wurde damals nicht leichter.

»Dabei wurde in Sheffield doch der rostfreie Stahl erfunden«, sagte ihr Vater oftmals, wenn er ungläubig zurück an seine Entlassung denken musste. Wie viele Fabrikarbeiter war auch ihr Vater mürrisch und wollte nach getaner Arbeitsschicht oftmals nur seine Ruhe. Als sie damals verkündete, dass sie Anthropologin werden möchte, trug das nicht zu einer besseren Stimmung in ihrer Familie bei. Ihr Vater verwechselte es mit Astrologie. Nur die Mutter wusste Bescheid und unterstütze sie, weil sie erkannte, dass Dana anders war als ihre zwei Brüder und die ältere Schwester. Sie wusste, dass Dana es zu etwas bringen würde. Dana dachte oft an ihre Mutter, die viel zu früh an Krebs gestorben war.

»Habe ich es wirklich zu etwas gebracht?«, fragte sie sich auch bei der heutigen Führung. Gut, sie hatte ihr Studium in Cambridge erfolgreich als Anthropologin abgeschlossen. Die Wissenschaft vom Menschen und ganz allgemein die Geschichte der Menschheit faszinierten sie schon immer. Ihr Spezialgebiet war die Evolutionstheorie, worin sie auch promovierte. Leider war es schwierig, in diesem Umfeld eine Stelle zu finden. Ein befreundeter Professor aus Cambridge, Dr. Sinclair, verhalf ihr zu diesem Job. Sie war zwar intelligent, aber ihre innere Antriebsfeder war immer die Neugier. Sie konnte sich stundenlang mit neuen Ideen und Einfällen auseinandersetzen.

»Über den Zweck des Steinmonuments von Stonehenge«, begann Dana ihre Ausführungen, »gibt es verschiedene, meistens widersprüchliche Theorien.« Dana musste den Touristen nicht erklären, dass das vor ihnen liegende Monument eines der geheimnisvollsten der Welt war. Schon über das Alter stritt man sich. Stonehenge bestand aus einer Grabanlage mit mehreren konzentrischen Steinkreisen, was eindeutig auf eine megalithische Kultur hinwies. Von weit her waren zwei sehr auffällige Steinkreise gut sichtbar. Der aussenliegende Kreis aus von Decksteinen überbrückten Pfeilersteinen war äusserst beeindruckend. Im Inneren erkannte man eine hufeisenförmige Struktur aus ursprünglich fünf Trilithen, je zwei Tragsteine, die von einem Deckstein überbrückt wurden. Es gab unzählige Legenden über Stonehenge.

»Aber was war Stonehenge wirklich?«, fragte Dana die Gruppe.

»War es eine Tempelanlage für kultische Rituale?«, antworte jemand.

»Oder eine Begräbnisstätte?«, erwiderte ein anderer.

»Ich habe gelesen, dass es ein Observatorium für astronomische Berechnungen sei«, meinte eine Frau mit walisischem Akzent.

»Ja es gibt viele Meinungen dazu. Aber einen schlüssigen Beweis gibt es bis heute nicht«, erklärte Dana der Gruppe.

»Was würde ich alles dafür geben, wenn ich wüsste, wofür das alles hier steht«, dachte Dana.

»Schon nur die Entstehungsgeschichte ist unklar«, fuhr sie mit den Erklärungen weiter.

»Neuste Forschungsergebnisse datieren den Beginn der Anlage auf etwa 8000 vor Christus. Aber wir wissen es nicht genau, und wir werden es vermutlich auch nie herausfinden.«

Wenn Dana gewusst hätte, dass sie im Verlaufe des nächsten Jahres dabei sein würde, als genau dieses Rätsel gelöst wurde, hätte sie heute auf ganz andere Dinge geachtet. Dana gab nun den Touristen genügend Zeit, sich beim Monument umzusehen. Die tiefliegende Herbstsonne schien in die Anlage, und mit ein wenig Fantasie konnte man erkennen, dass sie mit ihrem Licht die Steine in gespenstische Figuren und Formen verwandelte.

»Da!«, rief eine Teilnehmerin.

»Was ist denn das?«, sagte eine andere.

»Das ist doch unmöglich!«, meldete sich eine weitere Person und zeigte mit dem Finger fast senkrecht in den Himmel. Alle blickten nach oben.

»Es sieht aus wie eine schwarze Scheibe!«, rief eine Person laut.

»Sie sieht so aus wie eine zweite Sonne, nur schwarz«, tönte es aus der Gruppe. Einige wollten das Phänomen mit ihren Smartphones fotografieren, aber die schwarze Scheibe verschwand und alles schien wieder völlig normal zu sein.

»Was um Himmels Willen war das?«, wollte eine Teilnehmerin wissen.

»Es gibt sicher eine einfache Erklärung für diese seltene Erscheinung«, erklärte Dana der Gruppe.

»Ich denke, es handelt sich um eine Art Luftspiegelung, da die richtige Sonne schon sehr tief lag. Also so eine Art Fata Morgana«, erklärte sie in einem gelassenen Ton, so als würde das jeden Monat vorkommen. Dabei versuchte sie so normal wie nur möglich zu wirken. In Tat und Wahrheit hatte sie keine Ahnung, was sie gesehen hatte. Die Gruppe nahm dies zur Kenntnis und machte sich keine weiteren Gedanken. Dana erklärte weitere Eigenheiten des Stonehenge Monuments und beendete nach der eingeplanten Zeit die Führung.

»Schon eigenartig, was wir heute am Himmel gesehen haben«, meinte einer der Touristen.

»Ja, da stimme ich Ihnen zu, aber so ist es an solchen Orten oftmals, erwiderte Dana, die versuchte, eine aufkommende Panikattacke zu unterdrücken.

»An so geschichtsträchtigen Orten sehen Menschen plötzlich Dinge, die man sonst nicht sieht. Wir nennen das manchmal mehr spasseshalber das Stonehenge Syndrom«, fuhr sie fort.

Die Antwort schien ihn nicht wirklich zu überzeugen. Dennoch massen er und die anderen Touristen dem Ereignis keine weitere Bedeutung zu. Nachdem Dana noch die eine oder andere Frage beantwortet hatte, verabschiedete sie sich von der Gruppe. Nachdenklich sah Dana dem Sonnenuntergang zu und fragte sich insgeheim, was da wohl vorgefallen war.

»Stonehenge Syndrom hin oder her. Hier muss irgendwas ausserordentlich Eigenartiges passiert sein. Fata Morgana gibt es hier keine«, fasste sie ihre Gedanken zusammen. Von Neugier getrieben, wollte sie Kontakt mit Edward Bakon, einem Journalisten der »Sun« aufnehmen, den sie von der Universität her kannte. Er konnte nicht wirklich gut schreiben, zumindest empfand sie damals seine Liebesbriefe als nicht besonders originell. Aber was ihn auszeichnete, war sein ausgesprochen feines Gespür für gute Stories. Das wussten auch die Redakteure der Zeitung und liessen ihn oftmals in mehr als fragwürdigen Geschichten wühlen. Sie wussten, dass er einen Riecher für sowas hatte. Wenn Edward an einer Sache dran war, dann kam die Geschichte meistens gross heraus.

»Er wird sicher eine Idee haben, wie mit dieser Information umzugehen ist«, sagte sie mehr zu sich selber. Sie suchte die Nummer auf ihrem Smartphone und zögerte noch einen Moment mit dem Anruf. Als sie vor zwei Jahren definitiv Schluss mit ihm gemacht hatte, war das eine unschöne Angelegenheit gewesen.

»Soll ich ihn wirklich anrufen?«, überlegte Dana.

Aber ihre Neugier war wie immer in solchen Situationen grösser. Sie dachte nicht mehr lange nach, betätigte das Anruffeld und wählte seine Nummer.

»Edward Bakon«, hörte sie ihn mit festem Ton sagen.

»Er hat immer noch diese dunkle und geheimnisvolle Stimme«, dachte sie.

»Hallo Edward, ich bin es, Dana Robinson«, sprach sie in ihr Smartphone.

»Dana, wie geht’s dir? Dein Yorkshire Akzent hat sich in keiner Weise verändert«, antwortete er ihr.

»Mir geht es soweit gut, aber heute habe ich etwas Eigenartiges beobachtet. Wie geht es dir?«

»Soweit gut. Immer viel um die Ohren. Du kennst mich ja, ich bin ein Jäger und Sucher. Im Moment bin ich gerade in der National Gallery in London. Bin am Recherchieren. Arbeitest du immer noch in Stonehenge?«, fragte Edward.

»Ja, als wissenschaftliche Leiterin. Heute hatte ich eine Führung. Dann ist es passiert«, stammelte sie ein wenig.

»Was ist passiert?«

»Du wirst es nicht glauben. Ich habe eine schwarze Scheibe am Himmel gesehen.«

»Nur Du?«, erwiderte Edward, der ein echtes Interesse an der Sache zu haben schien, jedenfalls verriet ihn sein Tonfall, den Dana in- und auswendig kannte.

»Nein, auch andere Teilnehmer der Gruppe.«

»Hast du eine Idee, was es sein könnte. Ein Ufo?«, wollte Edward wissen. Aber in seiner Stimme lag kein Sarkasmus.

»Ich hoffte, dass du eine Ahnung davon hast. Gab es irgendwelche Meldungen? Eine Luftspiegelung, einen Wetterballon oder sonst was in der der Art?«

»Nein, mir ist nichts bekannt.«

»Wo bist du jetzt?«, wollte er wissen.

»In Stonehenge.«

»Lebst du immer noch in derselben Wohnung in Salisbury, in der Nähe der Kathedrale?«, wollte er wissen.

»Ja«, sagte sie und die Frage löste etwas Unbehagen in ihr aus.

»Hör mir gut zu, Dana. Ich frage mal bei dem einen oder andern Spezialisten nach. Ich melde mich in einer halben Stunde. Kann ich dich dann telefonisch erreichen?

«Ja, das kannst du, ich werde dann zu Hause sein. Ich brauche auch knapp eine halbe Stunde nach Salisbury«, sagte Dana.

Sie war plötzlich nicht mehr so überzeugt, dass es eine gute Idee war, Edward zu kontaktieren. Er legte sich schon immer ins Zeug, wenn er Lunte gerochen hatte. Ihr ging das schon in der Vergangenheit immer zu schnell. Aber es war ja auch unglaublich, was sie heute gesehen hatte. Sie stieg in ihren alten Vauxhall, den sie liebevoll Oliver in Anlehnung an Oliver Cromwell nannte und fuhr gemächlich Richtung Salisbury nach Hause. Kaum hatte sie sich es auf ihrem Sofa gemütlich gemacht und eine Tasse Tee eingeschenkt, da klingelte das Smartphone. Das Display zeigte Edward Bakon an. Sie holte tief Luft und berührte die Annahmetaste.

»Dana hier«, sagte sie.

»Bist du schon zu Hause?«

»Ja. Hast du Neuigkeiten?«

»Und ob!«, sagte Edward.

»Und?«, entgegnete ihm Dana in einem etwas ungeduldigen Ton.

»Mein Informant bei der Royal Air Force hat mir erklärt, dass im Grossraum Salisbury unglaublich starke Magnetfeldstörungen gemessen wurden. Sie haben keine Ahnung, was der Grund ist und was das Ganze zu bedeuten hat. Sie sind aber nervös. Die Streitkräfte prüfen, ob sie auf eine höhere Kampfbereitschaftsstufe gehen wollen. Mehr wollte er mir nicht mitteilen.«

»Und was geschieht jetzt?«, wollte Dana wissen.

»Hast du eine Liste mit den Teilnehmern deiner heutigen Tour? Vielleicht hat ja zufälligerweise jemand ein Bild vom Objekt geschossen«, fragte Edward.

»Die Besucherliste habe ich, aber ich weiss, dass niemand eine Aufnahme gemacht hat. Sie waren alle viel zu aufgeregt dafür.«

»Mist«, erwiderte Edward enttäuscht.

»Ich habe gesagt, dass die Teilnehmer keine Fotos haben.«

»Wie meinst du das?«, wollte er wissen.

»Ich habe nur gesagt, dass die Teilnehmer keine Fotos haben. Ich habe nicht gesagt, dass ich keine Fotos habe!«, sagte sie voller Stolz.

Sie konnte förmlich spüren, wie die Anspannung bei Edward stieg und er vor Neugier fast zu platzen drohte. Sie dachte sich, dass er immer noch ein Bluthund sei und gerade jetzt Fährte aufgenommen habe. Edward überlegte, ob er Dana bitten sollte, ihm die Bilder zu mailen. Aber er wusste, dass er sporadisch vom MI6, dem britischen Geheimdienst, überwacht wurde. Er hatte sich mit einer Story über Korruption keine neuen Freunde im Innenministerium gemacht.

»Dana, ich komme so schnell wie möglich zu dir, wenn dir das recht ist«, schlug er spontan vor.

»Ich kann dir die Bilder auch mailen«, entgegnete sie ihm. Allerdings fand sie den Gedanken, Edward wiederzusehen, nicht uninteressant.

»Ich denke, dass das keine gute Idee ist«, antwortete er.

»Die Bilder sind sehr brisant und sie sollten nicht in falsche Hände gelangen. Ich würde gerne vorbeikommen«, sagte er.

»Einverstanden«, antwortete Dana.

»Ich kann den nächsten Zug ab Waterloo nehmen, der fährt jede halbe Stunde. Dann bin ich in eineinhalb Stunden in Salisbury. Kannst du mich am Bahnhof abholen?«, fragte er sie.

»Ja, ich werde dich abholen. Hast du dann schon gegessen? Ich könnte für uns was kochen«, offerierte sie ihm.

»Das tönt gut, aber nichts Grosses. Ich komme wegen der Arbeit«, antwortete er. Dana spürte eine leichte Enttäuschung, die in ihr aufstieg. Sie überlegte sich, was sie kochen wollte. Sie wusste, dass Edward auch, wie sie, italienische Küche mochte. Sie entschied sich, Fusilli mit zwei verschiedenen Saucen, eine mit Basilikum und eine mit Tomaten, zu kochen. Dazu Salat mit italienischer Sauce. Sie erinnerte sich, dass er es pikant mochte.

»Soll ich den Knoblauch lieber weglassen?«, dachte sie für einen Moment. Sie legte alle Zutaten neben die Kochplatten, so dass sie später schnell das Gericht zubereiten konnte. Danach nahm sie eine Decke, legte sich aufs Sofa und ging nochmals in Gedanken das unglaubliche Ereignis durch.

Was hatten sie heute gesehen? Eine schwarze Scheibe, etwa so gross wie die Sonne. Weder bewegte sie sich, noch spiegelte sie. War es ein Ufo, gab es eine natürliche Erklärung, war es doch eine Fata Morgana oder etwas in der Art? Oder hatten sie einen Wetterballon gesehen? Was würde Edward mit den Fotos anfangen? Viele Fragen auf einmal. Das mochte sie grundsätzlich nicht. Nach einer Weile entschied sie sich, mit dem Kochen zu beginnen. Sie wurde mit der Zubereitung der beiden Saucen gerade fertig, als es Zeit wurde, zu gehen. Sie stieg in Oliver, also ihren Vauxhall, ein und fuhr zum Bahnhof, um Edward abzuholen. Der Zug hatte eine Viertelstunde Verspätung, so dass Edward ihr erst gegen viertel nach Zehn Uhr zwei kleine Begrüssungsküsse auf die Wangen drücken konnte.

Die Nacht war schon lange hereingebrochen und der aufkommende kalte Wind sorgte dafür, dass sie schnell ins Auto stiegen. Es herrschte eine eigenartige Stimmung im Auto. Ihr erstes Gespräch gab nicht mehr her ausser Floskeln, wie »wie war die Fahrt, geht’s dir gut, was machst du so?«. Sie fuhren durch die Nacht zu ihr.

»Fährst du wieder zurück?«, fragte Dana.

»Ich weiss es noch nicht, wahrscheinlich nicht«, antwortete er ihr. Sie fragte ihn nicht, ob sie für ihn ein Hotel buchen sollte, denn insgeheim wollte sie, dass er bei ihr übernachten würde.

»Was duftet denn hier so gut nach Basilikum, Knoblauch und Tomaten?«, fragte Edward, als sie die Wohnung im dritten Stock betraten.

»Es gibt Pasta al Pomodoro e Pesto«, antwortete sie mit italienisch klingenden Worten. Nachdem er sich in der Küche hingesetzt hatte, stellte sie die mit Wasser und wenig Salz gefüllte Pfanne auf die eingeschaltete Kochplatte.

»Es wird etwa eine Viertelstunde dauern, dann können wir essen«, sagte sie.

»Das tönt sehr gut und ich habe wirklich auch Appetit, Signora Dana«, sagte er, wobei er versuchte das Wort Signora ganz italienisch klingen zu lassen. Auch Nichtitalienern wäre sofort aufgefallen, dass er in keiner Art und Weise der italienischen Sprache mächtig war.

»Hast du sie hier?«, wollte er wissen.

»Du meinst die Fotos?«, erwiderte sie.

»Ja, kann ich sie sehen?«

»Wollen wir nicht zuerst essen? Vielleicht vergeht dir der Appetit, wenn du die Bilder gesehen hast.«

»Sind sie so beeindruckend?«, fragte er.

»Ja, ich denke schon.«

Eigentlich wollte sie mit ihm zuerst essen, weil sie wusste, dass er, hätte er die Bilder gesehen, nur noch diese Geschichte im Kopf haben würde.

»Es wäre wirklich eine Schande, wenn wir deine Kochkünste nicht in gebührendem Masse würdigen würden. Also essen wir zuerst«, gab sich Edward geschlagen.

»Willst du Wein dazu?«, fragte sie.

»Besser nicht, denn ich muss vielleicht noch zurück nach London.«

»Wenigstens ein Glas?«, versuchte sie ihn zu überzeugen.

»Gut, warum auch nicht. Man soll die Feste feiern, wie sie fallen.«

Dana brachte eine bereits vor einer Stunde geöffnete Flasche Primitivo aus Apulien, einen zum Pasta-Gericht passenden italienischen Rotwein, den sie bei einem italienischen Händler in Salisbury gekauft hatte. Sie goss beiden ein Glas ein. Die Fusilli waren nun al dente, Dana schüttete das Wasser ab und gab die Teigwaren in eine vorgewärmte Schüssel. Sie stellte die Schüssel auf den Esstisch, wo die beiden Saucen, Salate und geriebener Parmesan schon bereitstanden.

»Guten Appetit«, sagten beide fast gleichzeitig, was beide zu einem herzhaften Lachen veranlasste.

»Kompliment, schmeckt sehr gut«, sagte Edward.

»Wollen wir nicht auf unser Wiedersehen anstossen?«, fragte sie.

»Aber natürlich!«, erwiderte er.

»Cheerio!«, prosteten sie sich zu.

Während des Essens erzählten beide, was zurzeit beruflich so los war. Eigentlich war da nichts Aufregendes, normaler Alltag im Leben eines Journalisten und einer Anthropologin. Sie gaben längst vergangene Anekdoten zum Besten. Im Grunde war alles belangloses Gerede. Dana merkte schon bald, dass Edwards Ungeduld grösser wurde, denn er wollte unbedingt die Fotos sehen. Sie hatte ein Einsehen und räumte den Tisch ab. Danach wechselten sie ins Wohnzimmer. In der Küche schaltete sie die Kaffeemaschine ein. Kurz darauf verbreitete sich ein angenehmer Kaffeeduft in der Wohnung.

»Hier sind sie«, sagte Dana und schob ihr Smartphone zu Edward hinüber. »Es sind 8 Bilder. Kannst du damit etwas anfangen?«.

»Heilige Mutter Gottes«, hörte sie ihn sagen, nachdem er die Bilder angeschaut hatte. Dabei wusste sie, dass er alles andere als religiös war.

»Das sieht nicht natürlich aus!«, meinte er schnell.

»Kannst du mir eine Kopie davon geben?

»Natürlich, was willst du damit anfangen?«, fragte sie ihn. Während sie die Bilder via WLAN aufs sein Smartphone kopierte. Edward nickte, dachte kurz nach und antwortete:

»Ich würde sie sehr gerne einem guten Freund, einem Spezialisten, zeigen und ihn um seine Meinung bitten.«

»Wenn es sich um ein unnatürliches Phänomen handelt, dann müsste man sehr vorsichtig damit umgehen. Es könnte die nationale Sicherheit betreffen. Bist du sicher, dass deine Gruppenteilnehmer nichts fotografisch festgehalten haben?«

»Ganz sicher«, antwortete Dana.

Später würde sie sich an diesen Augenblick erinnern, denn sein Zögern kam ihr etwas zu gespielt und künstlich lang vor, ebenso der Hinweis auf die nationale Sicherheit.

»Kaffee?«, fragte sie nun.

»Ja, gerne«, antwortete er und schaute auf seine Armbanduhr.

Sie spekulierten noch eine Weile über alle möglichen Theorien, aber etwas Sinnvolles kam dabei nicht heraus. Sie plauderten noch eine Zeitlang als Edward sich streckte, müde lächelte und aufstand. Damit signalisierte er, dass er wohl aufbrechen würde.

Mittlerweile war es schon fast halb Zwölf, als er sich von ihr verabschiedete. Noch vor zwei Stunden wäre sie froh gewesen, wenn er geblieben wäre, aber irgendetwas in ihr gab ihr zu verstehen, dass es besser war, wenn er jetzt gehen würde. Sie vereinbarten, dass Edward sie morgen informieren würde, wenn sein Freund näheres zu berichten hätte. Eine lieblose Umarmung musste für die Verabschiedung ausreichen. Er stieg die Treppe hinunter und stieg in ein vorher gerufenes Taxi. Nachdem Dana die Küche aufgeräumt hatte, ging sie kurz darauf schlafen.

Sie hatte eine unruhige Nacht. Sie träumte wirres Zeug, an das sie sich am Morgen nicht mehr erinnern konnte. Sie stand wie immer kurz vor sieben Uhr auf. Es war schon fast ein Ritual. Kaffeemaschine starten, auf die Toilette gehen und anschliessend die Morning News im TV schauen. Sie wollte früh im Bild sein, was auf der Welt so alles geschah. Als sie sich es mit einer warmen Tasse Kaffee vor dem Fernseher gemütlich gemacht hatte und auf die sieben Uhr News wartete, dachte sie in keiner Weise, was in Kürze gesendet würde. Eher gelangweilt und immer noch müde, sah sie das Intro und die Ansagen der aus ihrer Sicht zu stark geschminkten Moderatorin. Aber auf einen Schlag war sämtliche Müdigkeit verflogen. Ungläubig starrte sie auf den Bildschirm und konnte ihren Augen nicht glauben. Sie nahm ihr Smartphone zur Hand und wählte die Nummer von Edward.

»Edward Bakon«, hörte sie ihn in einem sehr unterkühlten Ton sagen.

»Was soll das Ganze. Ich sehe gerade meine Bilder von Stonehenge und dem mysteriösen Ereignis. Jedoch bist du es, der die grosse Nummer spielt«, sagte sie in einem sehr angespannten Ton.

»Weisst Du, was das für Einschaltquoten gibt?«, erwiderte er ihr, und seine Stimme konnte ein gewisses Triumphgefühl nicht verbergen.

»Du wolltest die Bilder doch einem Freund, einem Spezialisten, zeigen - und jetzt das!«, enervierte sie sich.

»Tu nicht so, als ob du das nicht erwartet hättest. Es ist die Story des Jahres. Wie naiv bist du eigentlich? Hier und jetzt geht es ums Geschäft, um Einschaltquoten und nicht um irgendwelche Funde aus der längst vergangenen Zeit«, liess er in einem fast spöttischen Ton verlauten.

Dana erkannte plötzlich, dass Edward alles von Anfang an so geplant hatte. Er hatte kein Interesse an ihr, sondern war nur scharf auf die Story. Über sie gab es im Bericht keinerlei Hinweise. Er sei zufälligerweise in Stonehenge gewesen und habe dieses unerwartete Ereignis geistesgegenwärtig mit dem Smartphone aufgenommen. Deshalb zeigte er der Moderatorin die Taxiquittung, damit diesbezüglich keine Zweifel aufkamen. Dana erkannte, dass sie wieder einmal in eine Falle getappt war. Das war nicht das erste Mal. Sie dachte, dass es wohl auch nicht das letzte Mal gewesen sein würde.

»So funktioniert das heute, Dana. So läuft es im Business. Das weisst du doch«, sagte er.

»Aber die Sache ist doch zu wichtig und zu gross«, hörte sie sich ins Smartphone sprechen.

»Dana, was immer du gesehen hast, es wird nicht mehr hergeben als eine heisse Story, die in ein paar Tagen schon wieder vergessen sein wird«, sagte er.

»Vielleicht hat er ja Recht. Aber es war nicht richtig, wie er mich ausgenutzt hatte«, dachte Dana und das regte sie fürchterlich auf.

»Du hättest mich wenigstens vorher fragen und es mindestens erwähnen können.«

»Komm schon, Dana, sei eine gute Verliererin. Ich lade dich dafür zu einem Nachtessen im besten Lokal in London ein«, sprach er in einem verbrüdernden Ton. Das ging nun Dana zu weit, und sie tat etwas, was sie noch nie getan hatte. Sie nahm das Smartphone, schrie so laut sie konnte »Fahr zur Hölle« hinein und legte wütend auf.

Als ob ihr Wunsch dem Schicksal Befehl wäre, verstarb Edward noch am selben Tag bei einem tragischen Autounfall. Wenige wussten, dass es kein Unfall war.

»Warum habe ich nie Glück?«, sagte sie mehr zu sich selbst. Aber sie hatte sehr grosses Glück an diesem Tag. Denn hätte Edward erwähnt, dass die Aufnahmen von ihr stammten, dann hätte es in Salisbury einen weiteren tragischen Unfall gegeben. Aber dies alles wusste Dana zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

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