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Kapitel 8: Salisbury

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Salisbury, Oktober 2027

Nachdem Alice mit dem Lift vom Dach des Spitals ins Erdgeschoss gefahren war, begab sie sich zum Ausgang, wo schon ein Fahrer auf sie wartete. Sie stieg ein.

»Zum Hauptbahnhof, bitte«, sagte sie in einem freundlichen Ton zum Fahrer.

Dieser nickte, stieg vorne rechts ein und schloss die Fahrertüre.

»Wir werden etwa 15 Minuten brauchen«.

»Gut«, sagte sie.

Der Fahrer war erfahren genug und erkannte, dass sein Gast auf eine Konversation verzichten wollte. Dies respektierte er. Die angegebene Zeit wurde ziemlich genau eingehalten. Alice stieg aus und verabschiedete sich. Sie wusste, dass sie nichts bezahlen musste. Dennoch gab sie ein kleines Trinkgeld. Sie wusste, dass dies in dieser Form nicht üblich war.

»Was soll’s?«, dachte sie.

Sie bestellte an einem Schnellimbissstand einen Kaffee und behielt dabei die Taxikolonne im Auge.

»431«, dachte sie.

Das war die Taxinummer, die auf Edward Bakons Quittung stand. Jedes Taxi hatte eine Nummer, die entsprechend auch auf der ausgestellten Quittung zu lesen war. Natürlich hätte sie durch ihre internationalen Beziehungen binnen zehn Minuten den Taxifahrer identifizieren können. Aber sie ging davon aus, dass dies nicht nur Fragen geben, sondern gehörig Staub aufwirbeln würde. Sie waren nicht alleine, die auf der Suche waren.

»Old School«, sagte sie leicht lächelnd zu sich selbst.

Sie wartete fast eine Stunde und hatte es sich in der Zwischenzeit in einem anderen Cafe so eingerichtet, dass sie zwar als eine zeitungslesende Touristin problemlos durchging, jedoch den Taxiverkehr genau im Blick haben konnte. Da sie bereits bezahlt hatte, hätte sie zu jeder Zeit aufstehen und gehen können, ohne nur auf das geringste Interesse zu stossen.

»431, da kommt das Taxi«, dachte sie.

Sie legte in aller Ruhe die Zeitung weg, stand auf und verliess das Lokal. Noch waren zwei andere vor der 431, die auf Gäste warteten. Aber ihre Beobachtungen ergaben, dass es keine 10 Minuten dauern würde, bis ihr Taxi an der Reihe war. Tatsächlich ging es sogar schneller. Sie stieg ein, der Taxifahrer begrüsste sie und startete den Motor.

»Wohin Sie gebracht wünschen zu werden?«, sprach er mit einem fremdländischen Akzent, den Alice als indisch zu erkennen glaubte.

»Fahren sie mal Richtung Kathedrale«, sagte sie.

»Kathedrale schön sein«, antwortete er ihr.

Nachdem sie ausser Sichtweite des Bahnhofs waren, bat sie den Fahrer, links anzuhalten. Erstaunt hielt er an und wollte bereits fragen, ob etwas nicht in Ordnung sei, als Alice ihm ihren Presseausweis der »Sun« zeigte.

»Was Sie sind? Von der Steuer? Ich Steuer immer bezahle«, fragte er leicht aufgebracht. Wenn er einen Ausweis sah, bedeutete das meistens Ärger für ihn.

»Keine Angst, ich bin von keiner Behörde oder so«, versuchte sie ihn zu beruhigen.

»Ich brauche eine Information von Ihnen«, sagte sie.

»Was Sie wollen wissen von mir?«, fragte er in einem nervösen Ton. Es schien, als ob er der Sache nicht ganz traute.

»Sie haben vor kurzem« und dabei zeigte sie ihm ein Bild der Taxiquittung, »einen Arbeitskollegen von mir vor einem Haus abgeholt«, sagte sie so beiläufig wie möglich.

»Und die Lady wissen möchte, wo das war?«, antwortete er augenblicklich.

»Ja, genau das möchte ich wissen.«

Er sah die Quittung, das Datum und die Uhrzeit an und antwortete.

»Tut mir leid, ich mich nicht erinnern kann. Viele Fahrten ich gemacht habe an diesem Abend«.

Natürlich erinnerte sich der Taxifahren an den Gast. Er wusste nicht, was den Gast dazu veranlasst hatte, ihm ein sehr grosses Trinkgeld zu geben. Er schien überglücklich zu sein. An sowas erinnerte er sich immer. Er dachte, dass er einen schönen Abend mit seiner Freundin verbracht hatte. Sicher würde er ihr nicht verraten, wo er gewesen war.

»Erinnern Sie sich wirklich nicht?«, hakte sie nach.

»Nein, ich mich nicht erinnere«.

»Es ist darum so, dass ihr damaliger Fahrgast einen Unfall hatte und gestorben ist. Ich möchte der gesuchten Person diese Nachricht persönlich überbringen, bevor sie es in der Zeitung liest. Sie verstehen, was ich meine?«

Er zögerte, und Alice wusste, dass er erwog, ihr die gesuchte Antwort zu liefern oder es bleiben zu lassen. Alice hatte diese Reaktion erwartet und zog eine 50-Pfund-Note aus ihrer Tasche.

»Könnte das Ihr Gewissen womöglich beruhigen?«, sagte sie und wedelte leicht mit der Note, so dass er das Portrait von James Watt gut sehen und den Wert der Note erkennen konnte.

»Und Sie wirklich nicht sind von der Steuer?«, fragte er, als ob ihre Antwort nun den Ausschlag geben würde.

»Auf keinen Fall«, kam es sofort zurück.

Er zögerte immer noch ein wenig. Alice kannte sich in solchen Dingen aus. Sie nahm die Note langsam wieder zu sich und machte Anstalten, als ob sie das Auto verlassen wollte.

»Einverstanden«, tönte es nun plötzlich, und der Fahrer streckte die Hand aus. Er nahm die 50-Pfund-Note und sie verschwand wie von Geisterhand. »Fahren wir.«

»Aber niemandem sagen, dass verrate ich habe Frau«, sagte er etwas zögerlich.

»Es ist also eine Frau«, dachte Alice.

»Ich schweige wie ein indisches Grabmal«, sagte sie, was ihn zu einem kurzen Lachen bewog, und er sagte:

»Guter Witz Sie machen«.

Das Taxi fuhr nun in die gewünschte Richtung. In der Nähe der Kathedrale bog es ab und blieb kurz darauf vor einem mehrstöckigen Gebäude stehen.

»Ist es hier?«, fragte Alice.

»Ja, Sie gehen bis in 3. Stock. Nur eine Wohnung, Frau wohnen da«, gab er ihr zu verstehen.

Alice nickte und verlangte die Rechnung.

»Keine Rechnung für Lady«, sagte er. »50 Pfund sind genug für Rashid«.

Sie bedankte und verabschiedete sich und stieg auf der linken Seite des Taxis aus.

»Dritter Stock«, murmelte sie vor sich hin. Sie sah die Namensschilder an der Eingangstüre. Im dritten Stock gab es nur einen Namen. Sie las die fein auf einem Messingschild gravierten gotischen Buchstaben. „Dana Robinson“ stand da. Sie öffnete die Eingangstüre und war überrascht, dass sie nicht abgeschlossen war. Sie stieg die Treppe bis in den dritten Stock hoch und klingelte an der Türe. Einen für sie grausam anzuhörenden hohen und schrillen Ton gab die Klingel von sich. Es dauerte nur kurz, bis sie das Geräusch von öffnenden Türbeschlägen hörte. Jemand war da. Die Tür öffnete sich.

»Da war sie also, die gesuchte Person«, rothaarig, etwas zerzaust und um die 50 Jahre alt«, dachte Alice.

»Sie wünschen?«, fragte Dana.

»Ich bin eine Arbeitskollegin von Edward Bakon«, sagte sie.

»Von der »Sun«?«

»Ja von der Sun«, dabei zog sie ihren Presseausweis, der natürlich durch ihre Spezialisten gefälscht war.

»Darf ich eintreten? Ich hätte ein paar Fragen an Sie.«

»Aber sicher, gerne. In den letzten Tagen ist viel passiert«, sagte Dana.

Nachdem Alice eingetreten war, sah sie sich in der Wohnung um. Das tat sie immer.

»Tee?«, fragte Dana sie.

»Ja gerne«.

Dana ging in die Küche, während Alice in der Wohnstube blieb. Sie schaute sich die Einrichtungen, die Gegenstände oder Besonderheiten immer an. Sie war überzeugt, dass sie daraus viel über den Menschen in der Wohnung erfahren konnte. Es hingen viele Bilder von Stonehenge an den Wänden. Auch fand sie das Doktordiplom in Anthropologie in einer kleinen Glasvitrine. Alice spürte eine gewisse Unruhe in sich aufsteigen. Sie wollte schnell Gewissheit erlangen, als Dana mit Tee und etwas Gebäck zurückkam.

»Sie kommen sicher wegen der Fotos?«, fragte Dana.

Alice hatte mit viel gerechnet, aber nicht mit dieser Frage. Sie war eine gute Schachspielerin und hatte sich eine Strategie zurechtgelegt, wie man schnell aber nicht zu auffallend zu dieser Frage kommen könnte.

»Ja, deshalb bin ich gekommen«, sagte sie. »Sie haben sie geschossen, nicht wahr?«, fragte Alice.

»Ja, das war ich. Es war unglaublich, was ich da gesehen habe«, begann sie zu erzählen.

»Haben Sie das auch schon anderen Leuten erzählt?«, fragte Alice.

»Nein, keiner Menschenseele«.

»Dana, ich muss Ihnen etwas gestehen. Ich bin keine Arbeitskollegin von Edward Bakon und auch nicht von der Sun.

»Wer sind Sie dann?«

»Ich arbeite für das französische Innenministerium, und wir untersuchen weltweit Phänomene, wie Sie wohl eines gesehen haben«, erklärte sich Alice.

»Wollen Sie die Fotos von mir? Nehmen Sie sie, es bedeutet mir nichts mehr. Ich weiss, was ich gesehen habe. Und das ist mehr, als auf den Fotos zu sehen ist.«

»Wie meinen Sie das«, fragte Alice erstaunt.

»Als ich die Fotos gemacht habe, war das Schauspiel schon vorbei«.

»Dana, hören Sie mir jetzt gut zu. Edward Bakon starb nicht an den Folgen eines Unfalls. Er wurde umgebracht«.

Es blieb für einen Augenblick still in der Wohnung. Alice fragte sich, ob da zwischen Edward und Dana mehr gelaufen war, als sie angenommen hatte, denn sie fand kein Bild von ihm an den Wänden.

»Ermordet? Es war kein Unfall?«

»Nein, war es nicht«.

»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Dana

»Jemandem hat es nicht gefallen, was er gesehen hatte. Und wir gehen davon aus, dass dieser jemand weiss, dass Edward die Bilder nicht selber gemacht hat«, sagte Alice und liess die Worte wirken.

»Bin ich in Gefahr?«, fragte Dana

»Ja«. Deshalb müssen wir so schnell wie möglich von hier verschwinden. Nehmen Sie nur das Notwendigste mit. Schnell, es eilt. Und vor allen lassen Sie ihr Smartphone da. Wir gehen davon aus, dass jemand versucht, Sie über die Kommunikation mit Edward aufzuspüren«.

Kaum hatte sie die wichtigsten Utensilien zusammengesammelt, läutete ihr Smartphone.

»Soll ich abnehmen?«, fragte sie Alice.

»Moment, kennen Sie die Nummer?«

»Nein, mir völlig unbekannt«, antwortete Dana.

»Dann auf keinen Fall abnehmen und raus jetzt«, schrie Alice, »und das Smartphone bleibt hier«.

Sie hatte augenblicklich ein ganz mieses Gefühl und wusste, dass ihnen wohl nur wenige Minuten blieben. Wenn es das war, was sie vermutete, dann erfolgte eine Peilung auf das Smartphone von Dana. Die anderen waren also in der Nähe.

»Schnell, folgen Sie mir«, sagte Alice.

Sie schaute unauffällig auf die beiden Strassenseiten. Nichts Ungewöhnliches zu sehen.

»Gehen wir nach links. Nicht so schnell, langsamer. Wir dürfen nicht auffallen«.

Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie nur noch weniger als eine Minute Zeit hatten. Etwa 200 Meter weiter vorne sahen sie einen dunkelblauen Lieferwagen ohne Fenster in die Kurve einbiegen.

»Nicht stehenbleiben, ganz normal gehen und mit mir übers Wetter reden«, sagte sie zu Dana, die vor lauter Aufregung fast die Beherrschung verlor. Der Lieferwagen fuhr an ihnen vorbei und parkte direkt vor dem Wohnhaus von Dana. Plötzlich hörte Alice, dass von hinten ein Wagen langsam zu ihnen fuhr. Sie drehte sich langsam um.

»Möchten beide Lady fahren mit Taxi von Rashid?«, hörte sie eine vertraute Stimme sagen.

»Dem Himmel sei Dank«, dachte Alice, nickte und bat Dana langsam einzusteigen. Sie fuhren los, und im Rückspiegel konnte sie erkennen, wie zwei eindeutig nach Spezialkommando aussehende Männer sich in den Eingang bewegten. Alice würde sie immer erkennen.

»Wohin soll gehen Reise?«, hörten sie Rashid fragen.

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