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1 Unsaubere Konkurrenz
ОглавлениеFred Sutter trommelte nervös auf das lederne Lenkrad seines Sportwagens. Die Verabredung mit Dr. Ward versprach nichts Gutes. Der Besitzer der «BioEnds» hatte ihn zu einer Besprechung über finanzielle Aspekte eingeladen, ohne durchblicken zulassen, worum es gehen sollte. Da sein Start-up dringend eine Finanzspritze benötigte, durfte Sutter nicht wählerisch sein, auch wenn er Ward nicht kannte. Ein Kollege hatte ihn zwar gewarnt, der Amerikaner sei ein schmutziger Winkeladvokat, der noch nie etwas Wissenschaftliches publiziert habe. Seine Firma «BioEnds» diene nur als Fassade, um bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit andere Unternehmen mit Plagiatsvorwürfen und sonstigen imaginären Vergehen zu erpressen.
Sutter wäre bestimmt nicht eigens angereist, um diesen zweifelhaften Forscher zu treffen, doch da er sowieso an einem Kongress in Basel teilnehmen wollte, konnte er die Sache ohne Aufwand erledigen. Bei seiner Ankunft sah er sich zuerst einmal den Betrieb Wards von aussen an. Die grosse Inschrift mit den Firmennamen war das Eindrücklichste an dem unscheinbaren, frisch gestrichenen Hangar. Anscheinend wurden dort immerhin ein paar Versuchstiere gehalten, denn als er ausstieg, erlitt er einen leichten Asthmaanfall, wie immer, wenn er in die Nähe von Mäusen kam. Er konnte unmöglich sein Auto vor dem Hangar stehen lassen und riskieren, dass Maushaare ins Innere gelangten. So suchte er anderswo nach einem Parkplatz.
Er fuhr sonst gern in seinem weissen, tief gesetzten Toyota GT mit Spezialspoiler, grossen Schürzen und breiten Felgen. Ein eleganter Schriftzug, Tuning by Frey.ch, verriet, dass er für seine Anschaffung mehrmals in den Aargau gereist war, um die Details abzusprechen. Den Ferrari, ein Geschenk seines Vaters zum Doktorexamen, hatte er verkauft, um Geld für die Firma locker zu machen. Doch unabhängig davon, in welchem Auto man sass, war die Suche nach einem freien Parkplatz in Basel offenbar so aussichtslos wie in Zürich und war ihm gründlich verleidet.
«Endlich!» Eine Frau öffnete die Tür ihres Autos und schickte sich an, unzählige Einkaufstaschen darin zu verstauen. Es war unglaublich, wie viel Zeit sie dazu brauchte. Sutter steuerte seinen GT in die freigewordene Lücke. Beim Aussteigen warf er einen Blick auf die Uhr. Er würde zwanzig Minuten zu spät bei Ward eintreffen, doch das kam ihm nicht ungelegen. Die Verspätung würde deutlich machen, dass er sich nicht so leicht beeindrucken liess.
Der dicke, kleine Mann mit roten Haaren in engem Anzug und zu kurzen Hosen musterte den grossgewachsenen, lässig aber elegant gekleideten Besucher eingehend und begrüsste ihn überschwänglich: «Welcome, dear Fred. It's a pleasure to meet you.» Er streckte Sutter die Hand hin und klopfte ihm mit der anderen sanft auf die Schulter.
Diese gönnerhafte Geste ging Sutter derart auf die Nerven, dass er schroffer als geplant antwortete: «Was das Vergnügen betrifft, habe ich so meine Zweifel», sagte er absichtlich auf Schweizerdeutsch.
Der Amerikaner, der seit fünf Jahren in Basel wohnte, sprach kein Deutsch und liess sich nicht beirren. «Please, come in.» Er führte seinen Gast in ein feudal eingerichtetes Büro und kam ohne Verzug auf sein Anliegen zu sprechen – natürlich in seinem breiten, amerikanischen Slang: «Heute stehen zwar ausgezeichnete Techniken zur Verfügung, defekte Gene zu reparieren, es ist aber immer noch umständlich, die intakte Donor DNA zielgerichtet in bestimmte Zellen einzuführen. Ich habe nun durch genetische Manipulation ein Protein Anhang I konstruiert, das Gene selektiv in Eizellen transportiert.» Mit einem bedauernden Achselzucken beteuerte er, diese Technik erfunden zu haben, einige Zeit bevor Sutter seine verblüffend ähnliche Lösung zur Patentierung angemeldet habe.
Ward erklärte, sein Gen Taxi verhalte sich wie Vitellogenin, ein Vorratsstoff des Eidotters, das in der Leber gebildet wurde und durch die Blutzirkulation in den Eierstock gelangte, wo es von Molekülen an der Oberfläche der Eizelle gebunden und ins Innere der Zelle transportiert wurde Anhang II. Das kurze Proteinsignal, mit welchem Vitellogenin an die Eizelle andockte, war in das Transportprotein eingebaut worden, und dieses wurde nun wie das Dotterprotein von den Keimzellen aufgenommen. Im Innern der Zelle sorgte ein weiteres Signal dafür, dass das Shuttle Protein mitsamt dem daran angehefteten Gen in den Kern befördert wurde. Ward unterliess es zu erklären, wie die DNA an das Transportprotein angebunden wurde, vielleicht um den Eindruck zu erwecken, er wolle dem Konkurrenten gewisse Tricks nicht preisgeben. Er schloss seine Ausführungen, indem er hervorhob, dass mit seiner Technik, genetische Manipulation in der Keimbahn durch eine einfache Injektion in die Blutbahn durchgeführt werden könne. Der kleine Einstich sei minimal invasiv und erst noch weit kostengünstiger als in vitro Befruchtung und Implantation genveränderter Embryonen.
Wenn Sutter nicht so verärgert gewesen wäre, hätte er laut gelacht. Die von Ward vorgebrachten Ausführungen standen fast wörtlich in seiner Patentanmeldung. Wenigstens hatte der Usurpator den Text brav auswendig gelernt und klar vorgetragen. Hielt er ihn für blöd? Doch warum versuchte Ward ausgerechnet jetzt, seine Firma schröpfen, um die es finanziell nicht rosig stand?
Vielleicht hatte er erfahren, dass ein Basler Biotech Labor beabsichtigte, eine Lizenz seines anhängigen Patents zu erwerben. Der Chef dieses Unternehmens, ein Freund von ihm, war daran interessiert, Gene in Hühner- oder Wachteleier einzuführen und Proteine von medizinischem Interesse für Testzwecke zu produzieren. Vielleicht hoffte Ward, von dieser Transaktion etwas für sich abzuzweigen.
Ward hatte in seinen Ausführungen nicht erwähnt, dass der gezielte Transport von Genen nur in Amphibien, Vögeln und anderen Arten funktionierte, die dotterreiche Eier bilden. Wenn es ihm wirklich gelungen wäre, die Technik auch an Säugern anzuwenden, hätte er dies hervorgehoben. Das hätte einen riesigen Fortschritt bedeutet und bewiesen, dass Ward seriöse Forschung betrieb. In diesem Fall hätte Sutter sich mit ihm arrangieren müssen. Seine Zürcher Gruppe versuchte zurzeit, leider vergeblich, das Transportprotein so zu verändern, dass es auch in Säuger-Eizellen einwanderte. Zudem war es seiner Equipe kürzlich gelungen auch CRISPR-Cas9 Genscheren an den Shuttle zu binden und zusammen mit der DNA in die Zellen einzuschleusen. Das Anschneiden des Gens, das man verändern wollte, erleichterte den genetischen Austausch um ein Vielfaches. Aber das würde er Ward nicht verraten.
Während er dies überlegte, hatte Sutter nicht mehr richtig zugehört. Er wurde erst wieder aufmerksam, als Ward behauptete, er könne mit Laborprotokollen und datierten digitalen Dokumenten belegen, dass er diese Technik einige Zeit vor Sutter entwickelt habe, doch als kultivierte Leute könnten sie sich bestimmt gütlich einigen.
Sutter überlegte fieberhaft, wie Ward seine unverschämte Behauptung untermauern wollte. Ein falsch datiertes, alt aussehendes Protokoll konnte leicht auf einer Schreibmaschine hergestellt werden. Digitale Dokumente waren noch einfacher zu manipulieren. Doch falls Ward gegen die Patentierung formell Einspruch erheben wollte, würden seine Unterlagen von den Spezialisten des europäischen Patentamts peinlich genau geprüft, die alle diese Tricks kannten. Die Einsprache würde nicht weiter behandelt, wenn Ward nicht zumindest ein notariell beglaubigtes, datiertes Dokument vorbringen konnte. Es war ziemlich sicher, dass der Parasit es gar nicht so weit treiben würde und mit seinem Bluff bloss versuchte, eine gütliche Abfindung herauszuholen.
Sutter fragte sich, ob Ward mit derart plumpen Erpressungsversuchen überhaupt je Erfolg haben konnte. Die grossen Pharmakonzerne verfügten über ausgezeichnete Anwälte, aber vielleicht zogen sie es manchmal vor, einen für sie unbedeutenden Betrag abzugeben, um keine Zeit bei der Einreichung eines Patents zu verlieren. Da kannte er sich nicht aus, aber möglich war alles. Von irgendwas musste Ward in den letzten Jahren ja gelebt haben. Wie dem auch sei, aus seinem Start-up, würde der Betrüger keinen Franken herausholen.
«Sie sind einfach lächerlich, Mister Ward, bye-bye.» Sutter schmetterte die Tür hinter sich zu, lächelte die entsetzte Empfangsdame freundlich an und wollte das Haus verlassen, als Ward den Kopf aus seinem Office steckte und ihm zuschrie: «Don't think this is over!»
~
Der gentechnologische Kongress «GeneMed 2018» fand im Kongresszentrum statt. Sutter hoffte, mit seinem Vortrag einigen Investoren seine Forschungsprojekte, die wohl seit Monaten in ihren Schubladen lagen, in Erinnerung zu rufen. Er stellte seinen GT im Parkhaus ab, registrierte sich im Kongressbüro und ging danach über den Messeplatz zum Hotel Hyperion. Bei der aktuellen Lage seines Start-ups hätte er gescheiter in der Jugendherberge Unterschlupf gesucht. Doch wer mit Geschäftsleuten und Unternehmern Beziehungen anknüpfen wollte, musste einen soliden Eindruck erwecken, unabhängig davon, ob die entsprechenden Gesprächspartner nicht auch besser in einer bescheidenen Unterkunft übernachtet hätten.
Der Kongress wurde von einer professionellen Agentur organisiert, die saftige Teilnahmegebühren abkassierte. Für Vertreter von Start-ups war die Teilnahme glücklicherweise kostenlos. Die Pharmaindustrie, in deren Auftrag der Kongress organisiert wurde, wollte wohl die kleinen Forschungsstätten zumindest so lange leben lassen, bis sie brauchbare Resultate produzierten und aufgekauft werden konnten.
Im Zimmer hängte Sutter seinen dunklen Anzug und die Hemden in den Kleiderschrank, verstaute die Wäsche in der Kommode und duschte ausgiebig, um die letzten Maushaare loszuwerden. Die Eröffnung des Meetings war auf fünf Uhr angesetzt. Er stellte den Weckruf in seinem iPhone auf vier und legte sich aufs Bett in der Hoffnung, ein Nickerchen zu machen. Doch an Schlaf war nicht zu denken.
Ward war nicht das einzige Problem, das ihn beschäftigte. Viel grössere Sorgen bereitete ihm der finanzielle Zustand seiner Firma, die er vor drei Jahren gegründet hatte. Eigentlich hatte er vorgehabt, an einer Universität unbeschwert seiner Forschung nachzugehen. Am Anfang standen seine Chancen dafür gut. Mit einer Dissertation über den Transport von Proteinen von der Zelloberfläche, durchs Zytoplasma in den Zellkern hatte er seinen Doktortitel erworben und danach einen Postdoc Aufenthalt in Cambridge angetreten. Dort hatte er das Shuttle Protein entwickelt, das Gene gezielt in Froscheier transportierte – und dessen Funktionsweise ihm Ward heute freundlicherweise nochmals erklärt hatte. Diese Technik bedeutete einen beachtlichen Fortschritt im Hinblick auf die genetische Veränderung von Embryonen, doch für eine medizinische Anwendung war sie nur interessant, wenn sie auch auf Säugetiere angewendet werden konnte. Erstaunlicherweise war der Chef des Gastlabors damit einverstanden gewesen, Mäusen Zutritt in sein Amphibienheiligtum zu gewähren.
Sutters hochfliegende Pläne waren jäh geplatzt. Kaum hatte er angefangen, mit Mäusen zu arbeiten, entwickelte er eine Allergie gegen Maushaare und erlitt heftige Asthmaanfälle, wenn er auch nur in die Nähe der Tiere kam. Unter diesen Bedingungen war es unmöglich, sein Projekt weiterzuführen. Als Postdoc konnte er nicht wie gewisse Professoren in einem Büro sitzen und die Mitarbeiter die praktische Laborarbeit am anderen Ende des Gebäudes durchführen lassen. Doch dies war die einzige Möglichkeit, seine Forschung fortzuführen. Mit seiner noch geringen Erfahrung waren seine Aussichten, eine feste Forschungsstelle oder gar Professur zu erhalten minimal. Vielleicht hätte sich ein medizinisches Forschungslabor oder die Pharmaindustrie für seine Technik interessiert. Doch dort bestand die Gefahr, dass ein Projekt von einem Tag zum anderen abgesetzt wurde, weil es zu langsam voranging oder im Betrieb andere Schwerpunkte gesetzt wurden. Zudem wollte er schon immer seine Forschung selbständig planen und durchführen. Die einzige Möglichkeit, dies trotz seines Asthmas zu verwirklichen, bestand darin, ein Start-up zu gründen, in dem er das Sagen hatte.
Sutter war schon immer ein Mann der schnellen Entschlüsse gewesen. Er gab seinen Posten in England auf, kehrte nach Zürich zurück und verbrachte einige Monate damit, Patentanwälten und Industriechefs seine Idee aufzutischen und Sponsoren zu suchen. Die 140'000 Franken Bundesfördergeld reichten knapp aus, um die Vermittler zu bezahlen, und er war nahe daran aufzugeben. Da überraschte ihn sein Anwalt mit der Ankündigung, ein privater Investor sei bereit, drei Millionen zu investieren – ohne Auflagen zur Arbeitsweise, aber gegen einen saftigen Anteil an eventuellen Gewinnen oder am Übernahmepreis durch eine Grossfirma.
Während er sein Start-up einrichtete, erkrankte sein Vater und starb wenige Monate danach. Als früherer Besitzer einer kleinen Fabrik für Präzisionsinstrumente hatte er ein stattliches Vermögen angehäuft, das nun an seinen Sohn überging. Neben der Villa am Zürichberg, in der Sutter jetzt wohnte, gehörte auch das inzwischen leerstehende Fabrikgebäude an der Viaduktstrasse zur Erbmasse. Dieses war ideal dazu geeignet, ein Forschungslabor samt abgesonderten Tierställen darin unterzubringen. So stand der Gründung seiner Firma «KOKI» nichts mehr im Weg. Sutter zog die Brauen hoch. Die Bezeichnung «KOKI» klang selbst nach drei Jahren noch seltsam in seinen Ohren und er wunderte sich, dass bis heute keiner versuchte hatte, Coca-Cola bei ihnen zu bestellen. Aber so ausgefallen er auch war, der Name war zutreffend. KO und KI standen für knock-out, knock-in, die gängigen Bezeichnungen für das Ausschalten und Einfügen eines Gens im Erbgut der lebenden Zelle. Die Auswahl an möglichen Firmenbezeichnungen war sowieso nicht gross gewesen. Namen, die ihm lieber gewesen wären, wie Genetec, Medtech, Transgene, Newgene, Genecorr und viele mehr, waren bereits durch andere Firmen besetzt.
Wie bei jeder Forschung ging die Arbeit langsamer voran als erhofft. Sutter hatte nicht erwartet, nach so kurzer Zeit bereits Gewinne zu erzielen, aber auch nicht vorausgesehen, dass die vorhandenen Mittel so rasch dahinschwinden würden. Die läppischen drei Millionen Anfangskapital waren mit der Einrichtung des Labors, dem Ankauf von Apparaten, Enzymen und Chemikalien sehr rasch geschrumpft. Die Löhne für zwei Wissenschaftler, einen Techniker, der auch die Tiere betreute, und eine engagierte Sekretärin, die halbtags bezahlt wurde, aber ganztags arbeitete, hatten den Rest besorgt. Seit einigen Monaten bezahlte er die Leute und das Verbrauchsmaterial aus dem ererbten Vermögen.
Sein Patent für das Transportprotein lag nun seit zehn Monaten beim europäischen Patentamt und mittlerweile wurde der Recherchebericht erstellt. Wenn das Verfahren weitergehen sollte, musste er bald die weitere Prüfung beantragen und das kostete. Die Suche nach einer neuen Finanzierung war, neben dem wissenschaftlichen Interesse, ein weiterer Grund den Kongress zu besuchen, an dem viele Investoren, private Marktanalysten, sowie Planungsbeauftragte und Direktoren der pharmazeutischen Grossfirmen teilnahmen.
Sutter schaute auf die Uhr. Es war erst halb drei. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und versuchte zu schlafen, fuhr aber gleich wieder hoch, als die anderen ungelösten Probleme in seinem Kopf aufstiegen. Eines davon war seine Ehe mit Eva. Er hatte die viel umworbene Prinzessin des Zürcher Nachtlebens vor zwei Jahren geheiratet. Ihre Vermählung war sogar der NZZ ein Bildchen in der Klatschspalte der Sonntagsbeilage «Gesellschaft» wert gewesen. Er hatte Evita, wie sie sich gerne nannte, im Zürcher Nachtleben kennengelernt. Sie flirtete mit vielen, unterhielt aber keine dauerhafte Beziehung und hatte sich ihren Beinamen «Prinzessin-eine-Nacht» redlich verdient. Plötzlich kannte sie nur noch ihn und eh er es sich versah, standen sie vor dem Standesbeamten. Anfänglich verlief ihr Zusammensein glücklich. Doch als er begann, private Mittel in die Firma zu stecken, verschlechterte sich die Beziehung zusehends. Inzwischen war er zur bitteren Erkenntnis gelangt, dass Evita ihn nur heiraten wollte, weil er ein ansehnliches Vermögen geerbt hatte. Sie musste dies aus einer der Klatschspalten erfahren haben, die sie bevorzugte.
Letzte Woche war es zum Eklat gekommen. Als er sie bat, ihren Kaufrausch ein wenig zu zügeln, hatte sie ihn nur verächtlich angesehen und am Tag danach triumphierend ein halbes Dutzend Einkaufstaschen der teuersten Geschäfte der Stadt auf seinen Schreibtisch geknallt, worauf er umgehend ihre Kreditkarte sperren liess. Seither sprach sie nur noch davon, wie teuer ihn die Scheidung zu stehen kommen werde.
Mit einem Seufzer stieg er vom Bett. Er durfte sich nicht stundenlang mit solch düsteren Gedanken quälen, sonst drehte er durch. Ein kleiner Spaziergang würde ihm guttun. Er bummelte vom Messeplatz die Clarastrasse hinunter zum Rhein. Es war nicht viel los an diesem Montag. Viele Geschäfte blieben den ganzen Tag geschlossen und von vorweihnachtlicher Hektik war nichts zu spüren, auch wenn die Schaufenster mit Kerzen, Kugeln und anderem Krimskrams bereits weihnachtlich geschmückt waren – sechs Wochen vor Weihnachten. Die amerikanisch angehauchten Weihnachtsmänner passten überhaupt nicht zum aussergewöhnlich warmen Wetter und hätten sich in ihren dicken roten Pelerinen bestimmt zu Tode geschwitzt, wenn sie nicht aus Plastik gewesen wären.
Auf der Brücke blieb Sutter stehen, schaute lange in den Rhein und konnte seine Sorgen langsam verdrängen. Erleichtert stieg er durch den Rheinsprung zum Münsterplatz hoch, bestellte im «Zum Isaak» einen Kaffee und las in der Zeitung. Dann wurde es Zeit, ins Hotel zurückzukehren und sich zurechtzumachen. Die Eröffnung fand im noblen Hotel Les Trois Rois etwas unterhalb der Rheinbrücke statt. Im Vorbeigehen bereute Sutter ein wenig, seinen Stadtbummel nicht gleich in Schale gemacht zu haben. Das hätte ihm erspart, nochmals die ganze Clarastrasse hinauf- und hinunterzugehen.